Neues BMF-Schreiben klärt Anwendungsfragen des § 55 Abs. 4 Insolvenzordnung (InsO)

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veröffentlicht am 6. August 2021 | Lesedauer ca. 4 Minuten

    

Mit der Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO zum 1. Januar 2021 durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) wurde der Anwendungsbereich auf die Fallgruppe der vorläufigen Eigenverwaltung erweitert und zugleich die Anwendung der Norm auf bestimmte Steuerarten beschränkt.
  

  

Ein Jahr nach Inkrafttreten des neuen § 55 Abs. 4 InsO hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) nun sein Schreiben zu Anwendungsfragen der Norm zum 11. Januar 2022 aktualisiert. Es entspricht im Wesentlichen seinem Vorgänger vom 20. Mai 2015, neu sind lediglich die Ausführungen zur Fallgruppe der vorläufigen Eigenverwaltung. Das neue BMF-Schreiben findet Anwendung auf alle Insolvenzverfahren deren Eröffnung ab dem 1. Januar 2021 beantragt wurde.

 

Was passiert war

2011 führte der Gesetzgeber durch § 55 Abs. 4 InsO eine privilegierte Behandlung von Steuerforderungen im Insolvenzverfahren ein. Danach galten Steuerverbindlichkeiten die von oder mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind als bevorzugt zu befriedigende Masseverbindlichkeiten. Eine Anwendung auf die vorläufige Eigenverwaltung war – auch analog – ausgeschlossen. Das wurde im Kern damit begründet, dass der im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren dem Schuldner beiseite gestellte vorläufige Sachwalter dem „schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter funktionell nicht entspreche, weil er nicht über vergleichbare Befugnisse verfüge.

 

Gesetzgeberische Neuordnung durch das SanInsFoG

Der Gesetzgeber hat sich dann im Zuge des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) bewusst gegen die Rechtsprechung der Bundesgerichte gestellt. Mit dem Gesetz wurde der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO auf die vorläufige Eigenverwaltung und den dem Schuldner darin zur Seite gestellten vorläufigen Sachwalter erweitert. Durch die fortan bestehende Gleichstellung der vorläufigen Eigenverwaltung mit der vorläufigen Regelverwaltung, wollte der Gesetzgeber den Fehlanreiz für den Schuldner abschaffen, die Eigenverwaltung dem Regelverfahren allein wegen der geringeren Belastung der Masse mit Masseverbindlichkeiten vorzuziehen. Gleichzeitig wurde das Fiskusprivileg aber auf Umsatz- und Lohnsteuer, Ein- und Ausfuhrabgaben, bundesgesetzliche Verbrauchsteuern, Luftverkehr- und Kraftfahrzeugsteuer beschränkt. Ertragsteuern, wie Einkommen- und Körperschaft- und Gewerbesteuer sind daher nicht mehr privilegiert.

 

Das aktuelle BMF-Schreiben IV A 3 - S 0550/21/10001 :001

Das aktuelle BMF-Schreiben ergänzt nun die Regelungen aus dem Schreiben vom 20. Mai 2015 und stellt die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO auf die Fallgruppe der vorläufigen Eigenverwaltung wie folgt klar:

 

Steuererklärungspflichten

Das BMF hält fest, dass § 55 Abs. 4 InsO den rechtlichen Status des vorläufigen Insolvenzverwalters oder des vorläufigen Sachwalters bzw. Schuldners nicht ändert und das Steuerrechtsverhältnis unberührt lässt.

Die steuerlichen Pflichten verbleiben damit beim Schuldner bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Auch der vorläufige Sachwalter wird vom BMF nicht als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO) qualifiziert und hat damit keine Steuererklärungspflichten für den Insolvenzschuldner zu erfüllen.

 

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht im Fall des Insolvenzverwalters eine Mitwirkungspflicht, die unter § 55 Abs. 4 InsO fallenden Besteuerungsgrundlagen dem Finanzamt mitzuteilen. In der Eigenverwaltung trifft diese Pflicht weiterhin den eigenverwaltenden Schuldner.  

 

Einwendungen gegen die Zuordnung als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO können nach den allgemeinen Grundsätzen (insb. Einspruch gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer sowie der Lohnsteuer) geltend gemacht werden. Der Insolvenzverwalter kann mit Verfahrenseröffnung die Rechte wahrnehmen, die dem Schuldner zu der Zeit zugestanden hätten. Im Fall der Eigenverwaltung nimmt wiederum der Schuldner die Rechte selbst wahr.

 

Umsatzberichtigung wegen Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen jetzt auch in der vorläufigen Eigenverwaltung

Aufgrund der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungs­vorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative InsO), mit Recht zum Forderungseinzug (§ 22 Abs. 2, § 23 InsO) oder mit Berechtigung zur Kassenführung werden bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten die noch ausstehenden Entgelte für zuvor erbrachte Leistungen im Augenblick vor der Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens aus Rechtsgründen uneinbringlich. Uneinbringlich werden auch Entgelte für Leistungen, die der Insolvenzschuldner nach Bestellung derselben bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens (§§ 26, 27 InsO) erbringt.

 

Maßgeblich hierfür ist nach Auffassung des BFH, dass entsprechend § 80 Abs. 1 InsO die Empfangs­zuständigkeit für alle Leistungen, die auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Recht zum Forderungseinzug übergeht und dass der Insolvenzschuldner somit aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem eigenen vorinsolvenzlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen, da sie im Rahmen der Masseverwaltung und Masseverwertung zu vereinnahmen sind und damit zum Bereich der Masseverbindlichkeiten gehören. Die rechtlichen Auswirkungen des BFH-Urteils vom 9. Dezember 2010, werden somit auf den Zeitpunkt der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vorverlegt.

 

Das galt zuvor bereits ebenso für den Fall der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt ohne ausdrücklichen Recht zum Forderungseinzug und gilt nun auch für den Schuldner bei der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters in der Eigenverwaltung.

 

Denn der eigenverwaltende Schuldner hat aufgrund der weiter bestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch die notwendige Vereinnahmungsbefugnis; er vereinnahmt aber bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren für die spätere Insolvenzmasse und begründet Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO. Der Schuldner übt die ihm verbliebenen Befugnisse im Insolvenzeröffnungsverfahren innerhalb der in §§ 270 ff. InsO geregelten Rechte und Pflichten aus und nimmt damit Aufgaben für den Unternehmensteil der späteren Insolvenzmasse wahr.

 

Doppelberichtigung im Fall der Besteuerung nach vereinbarten und nach vereinnahmten Entgelten im Insolvenzeröffnungsverfahren

Im Fall der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten kommt es im Anschluss an die Uneinbringlichkeit durch die Vereinnahmung des Entgeltes gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung. Diese zweite Steuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erfolgt im Gegensatz zur ersten Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG im Unternehmensteil Insolvenzmasse und führt daher zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO.

 

Die zweite Berichtigung ist nach BMF nun ebenso auf den Fall der vorläufigen Eigenverwaltung anwendbar.

 

Zuordnung und Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 4 InsO

Die Grundsätze zur Zuordnung und Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten bei der Umsatzsteuer haben sich nicht verändert. Die Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten bei der Lohnsteuer entspricht der Behandlung bei der Umsatzsteuer. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird hier auf die Ausführungen im BMF-Schreiben vom 11. Januar 2022 verwiesen: Insolvenzordnung; Anwendungsfragen zu § 55 Abs. 4 InsO (bundesfinanzministerium.de).

 

In beiden Fällen der Geltendmachung erfolgt eine analoge Anwendung auf die vorläufige Eigenverwaltung. Der eigenverwaltende Schuldner tritt dabei an die Stelle des Insolvenzverwalters. Die Masseverbindlichkeiten für die Voranmeldungszeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens sind in diesem Fall also gegenüber dem Schuldner festzusetzen und bekannt zu geben.

 

Fazit

Das BMF hält damit an seinen bisherigen Regelungen fest und erweitert deren Anwendung konsequent auf die Fälle der vorläufigen Eigenverwaltung. Zumindest für die Umsatzbesteuerung und Lohnsteuer schafft es damit Planungssicherheit. Aussagen zu den anderen genannten Steuerarten trifft es jedoch leider nicht. Die Sichtweise des BMF diesbezüglich wäre aber durchaus interessant und hilfreich gewesen.

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