Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft schon durch Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung

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zuletzt aktualisiert am 8. November 2017

  

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte bereits entschieden, dass die umsatzsteuerliche Organschaft spätestens mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die Organgesellschaft entfällt (BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 18/13). Nach einer weiteren Entscheidung (BFH Urt. 15. Dezember 2016, Az.: V R 14/16) soll gleiches gelten, wenn mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gleichzeitig die Eigenverwaltung angeordnet wird. Bislang nicht geklärt hat der BFH allerdings die Frage, ob die Organschaft bereits zum Zeitpunkt der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung endet. Das bejaht erstmals das FG Münster in seiner aktuellen Entscheidung (7. September 2017, Az.: 5 K 3123/15 U). Entsprechende Steuererklärungen sollten korrigiert werden.

 


    

 

Sachverhalt

Streitig war, ob mit Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung mit Bestellung eines vorläufigen Sachwalters (§ 270a InsO) eine bis dahin bestehende umsatzsteuerliche Organschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG beendet worden ist. Die Klägerin ist 100-prozentige Tochtergesellschaft der I AG i.I. Bis zum Ablauf des 10. Juli 2014 bestand zwischen der I AG i.I. (Organträgerin) und der Klägerin (Organgesellschaft) unstreitig eine umsatzsteuerliche Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG. Auf Eigenantrag der jeweiligen Gesellschaft hat das Amtsgericht (AG) F mit Beschlüssen vom 11. Juli 2014 in den Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der I AG i.I. und über das Vermögen der Klägerin jeweils die vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO) angeordnet und jeweils Herrn RA I Q zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Dabei ordnete das AG F u.a. jeweils an:

 

1) Zum vorläufigen Sachwalter wird Rechtsanwalt I Q, G bestellt.

2) Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung gegen die Schuldnerin werden untersagt, soweit nicht unbewegliche Gegenstande betroffen sind; bereits begonnene Maßnahmen werden einstweilen eingestellt (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO).

 

Die Zustimmungsbedürftigkeit des Sachwalters für bestimmte Rechtsgeschäfte (§ 277 InsO) war nicht angeordnet. Am 1. Oktober 2014 wurde über das Vermögen der I AG i.I. und über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung (§ 270 ff. InsO) angeordnet. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Klägerin waren im Zeitraum 11. Juli 2014 bis 30. September 2014 C E sowie L B . Zudem war U R als Geschäftsführer bestellt, der jedoch nur zusammen mit einem weiteren Geschäftsführer oder einem Prokuristen zur Vertretung der Klägerin berechtigt war. Als Vorstand der I i.I. waren im Zeitraum 11. Juli 2014 bis 30. September 2014 C E und L B bestellt. Im Zuge der Bestellung von C E zum Geschäftsführer und I Q zum vorläufigen Sachwalter wurde der gesamte Zahlungsverkehr der Klägerin neu organisiert und ein spezifisches Freigabeschema für Zahlungen der Klägerin erstellt. Es sah eine Prüfung und Freigabe der Zahlungen durch C E vor. Der vorläufige Sachwalter wurde täglich über die Zahlungsströme schriftlich unterrichtet.

 

Angesichts der Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen der I i.I. und über das Vermögen der Klägerin unter jeweiliger Anordnung vorläufiger Eigenverwaltung war die Klägerin der Auffassung, dass ab 11. Juli 2014 die Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG weggefallen seien.

 

Die Klägerin ermittelte daher ab diesem Zeitpunkt die Umsatzsteuer ohne Berücksichtigung einer Organschaft und gab für die Voranmeldungszeitraume Juli 2014 bis September 2014 entsprechende Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Für den Voranmeldungszeitraum Juli 2014 (11. Juli – 31. Juli) ermittelte die Klägerin eine Umsatzsteuerschuld in Höhe von 166.359,17 EUR, für August 2014 (Klagezeitraum) ermittelte sie einen Umsatzsteuervergütungsanspruch i.H.v. 89.442,17 EUR und für September 2014 einen Umsatzsteuervergütungsanspruch i.H.v. 114.546,44 EUR. Mit Bescheid vom 18. September 2014 (noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens) lehnte der Beklagte den Antrag vom 10. September 2014 auf Steuerfestsetzung für den Voranmeldungszeitraum August 2014 ab.

 

Zur Begründung führte er aus, zwischen der Klägerin und der I AG i.I. bestehe auch nach dem 10. Juli 2014 eine umsatzsteuerliche Organschaft, womit die umsatzsteuerlichen Belange bei der I AG i.I. als Organträgerin zu erfassen seien. Den dagegen gerichteten Einspruch vom 29. September 2014 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 4. September 2015 als unbegründet zurück. Am 6. Oktober 2015 hat die Klägerin Klage erhoben.

 

Entscheidungsgründe

Der Bescheid des Beklagten vom 18. September 2014 betreffend die Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat August 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 101 S. 1 FGO. Der Beklagte hat zu Unrecht den Antrag der Klägerin auf Festsetzung der Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum August 2014 abgelehnt. Die Klägerin war ab dem 11. Juli 2014 – und damit im Streitzeitraum – Unternehmerin im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 UStG und als solche eigenständiges Umsatzsteuer-Subjekt. Insbesondere bestand ab dem 11. Juli 2014 keine umsatzsteuerliche Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG mehr zwischen der Klägerin als Organgesellschaft und der Beigeladenen als Organträgerin. Sie endete mit der Bestellung des Sachwalters im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung. Eine umsatzsteuerliche Organschaft wird durch Anordnung der Eigenverwaltung mit Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nämlich beendet, wenn zugleich ein Vollstreckungsschutz gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO angeordnet wird. Zwar handele der Schuldner im vorläufigen Insolvenzverfahren unter Anordnung vorläufiger Eigenverwaltung grundsätzlich auf Grundlage seiner eigenen Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis; gleichwohl habe sich sein „Pflichtenprogramm" im Eröffnungsverfahren verändert, da dieses nunmehr auf die Sicherung der künftigen Masse gerichtet sei. Bei Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a InsO) bestehe – genau wie beim eröffneten Verfahren in Eigenverwaltung (§ 270 InsO) und bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt – die Gefahr der Uneinbringlichkeit des dem Organträger gegen die Organgesellschaft zustehenden Ausgleichsanspruchs i. S. d. § 426 BGB, sofern eine umsatzsteuerliche Organschaft während dieses Zeitraums fortbesteht. Angesicht der sie treffenden Massesicherungspflicht dürfe die insolvente Organgesellschaft den Ausgleichsanspruch i. S. d. § 426 BGB nicht erfüllen, womit der Innenausgleich zwischen Organträger und Organgesellschaft nicht mehr durchgeführt werden kann. Auch aufgrund des angeordneten Vollstreckungsschutzes wäre eine Forderung nach § 426 BGB nicht durchsetzbar. 
 

Zusammenfassung und Handlungsempfehlung

Das Finanzgericht geht zutreffend davon aus, dass die umsatzsteuerliche Organschaft bereits mit Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung endet. Denn anders als das Umsatzsteuerrecht mit dem Institut der Organschaft fasst das Insolvenzrecht die Verfahren mehrerer Personen gerade nicht zusammen. Wesentlicher Anknüpfungspunkt ist das geänderte „Pflichtenprogramm" der beteiligten Geschäftsleiter: Zwar handelt der Schuldner (die Klägerin) im vorläufigen Insolvenzverfahren unter Anordnung vorläufiger Eigenverwaltung grundsätzlich auf Grundlage seiner eigenen Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis, allerdings ist die Pflicht nun primär auf die Sicherung der künftigen Masse gerichtet. Der Geschäftsführer ist im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren zur Sicherung der zukünftigen Masse verpflichtet. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass die Vermögensmasse der insolventen Gesellschaft im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger erhalten bleibt und muss eine zu ihrem Nachteil gehende bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger verhindern.

 

Da mit Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft Organgesellschaft und Organträger als selbständige Unternehmer i.S.d. Umsatzsteuergesetzes (UStG) zu behandeln sind, sollten die entsprechenden Umsatzsteuererklärungen unter Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung korrigiert werden. Will man – mit Blick darauf, dass die Revision zum BFH zugelassen ist – aktuell von einer Korrektur bis zur endgültigen Entscheidung des BFH absehen, so empfiehlt es sich jedenfalls, die Finanzverwaltung für etwaige betroffene Zeiträume in einem gesonderten Schreiben darüber zu informieren, welche Rechtsauffassung den Umsatzsteueranmeldungen zu Grunde liegt, um einem strafrechtlichen Vorwurf einer Steuerhinterziehung im Nachgang zu entgehen.

 

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