Gesellschafterstreit in zweigliedriger GmbH – BGH bekräftigt Subsidiarität der actio pro socio

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​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 17. März 2025 | Lesedauer ca. 6​ Minuten

 

Unternehmen des deutschen Mittelstandes, insbesondere mittelständische Familienunternehmen, haben vielfach eine zweigliedrige oder paritätische Gesellschafterstruktur. Diese Gesellschaftsstruktur kann allerdings dazu führen, dass diametrale Interessen zweier Gesellschafter oder Gesellschaftergruppen zu Auseinandersetzungen und daraus resultierenden Ansprüchen führen. In der Praxis stellt sich sodann die Frage, wie solche Ansprüche eines Gesellschafters oder der Gesellschaft gegenüber der anderen Gesellschafterseite geltend zu machen und durchzusetzen sind. Ist zudem einer der Gesellschafter zugleich Geschäftsführer der Gesellschaft oder stellt diesen, verschiebt sich das Machtgefüge in der zweigliedrigen Gesellschaft erheblich und das Dilemma widerstreitender Interessen in Gesellschafterstreitigkeiten spitzt sich noch weiter zu. 


Bei der verbreiteten Rechtsform der GmbH bedarf es zur Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegenüber einem Geschäftsführer oder Gesellschafter sowie zur Bestellung eines besonderen Vertreters zur gerichtlichen Geltendmachung dieser Ansprüche eines vorherigen zustimmenden Gesellschafterbeschlusses. In diesem Zusammenhang ist es nicht fernliegend, dass ein betroffener Gesellschafter-Geschäftsführer in der Regel gegen eine Geltendmachung von Ansprüchen gegen ihn stimmen wird. Es stellt sich daher in diesen Konstellationen die Frage, ob ein (Minderheits-)Gesellschafter Ansprüche der GmbH direkt selbst für die GmbH gegenüber dem Geschäftsführer bzw. Mitgesellschafter geltend machen kann oder die Geltendmachung durch die GmbH (ggf. durch sich selbst vertreten) auch gegen den Willen des Mitgesellschafters erreichen kann. In einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 5.11.2024 – II ZR 85/23) setzt sich der BGH mit diesen praxisrelevanten Fragen solcher Gesellschafterstreitigkeiten in der zweigliedrigen GmbH auseinander.

Sachverhalt​

Dem vom BGH entschiedenen Fall lag vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde: 
Eine A-GmbH wurde von zwei Gesellschaftern gehalten. Der Minderheitsgesellschafter war (als natürliche Person) mit 49% an der A-GmbH beteiligt, die weiteren 51% wurden von der B-GmbH gehalten. Die Geschäftsführer der A-GmbH waren zugleich Geschäftsführer der B-GmbH und zudem (mittelbare) Gesellschafter der B-GmbH. Formal betrachtet waren die Geschäftsführer der A-GmbH hiernach Fremdgeschäftsführer, auch wenn deren Nähe und weitgehende Willensübereinkunft mit der von ihnen vertretenen B-GmbH auf der Hand liegt. Der Minderheitsgesellschafter warf der Geschäftsführung Pflichtverletzungen vor, welche zu Ansprüchen der A-GmbH gegen die Geschäftsführer führen könnten. Der Minderheitsgesellschafter begehrte daher die Fassung eines Gesellschafterbeschlusses mit dem Inhalt, dass Ansprüche der A-GmbH gegen ihre Geschäftsführer von einem besonderen Vertreter geprüft und ggf. gerichtlich durch den besonderen Vertreter für die A-GmbH geltend gemacht würden. Wenig überraschend stimmte die B-GmbH – vertreten durch die Geschäftsführer – gegen diesen Beschluss. Eine Feststellung des Beschlussergebnisses erfolgte nicht. Sodann machte der Minderheitsgesellschafter klageweise Ansprüche wegen vermeintlicher Pflichtverletzungen im eigenen Namen gegenüber der Geschäftsführung der A-GmbH geltend.​


Spannungsverhältnis zwischen innerer Kompetenzverteilung und effektivem Rechtsschutz ​

Ansprüche wegen Pflichtverletzungen von Geschäftsführern einer GmbH stehen (im Grundsatz) allein der Gesellschaft zu und sind im Ausgangspunkt und zuvorderst von dieser geltend zu machen. Um Interessenkonflikte zu vermeiden und die Entscheidungshoheit der Gesellschafterversammlung als oberstes Organ der GmbH zu wahren, erfordert die Entscheidung über die Geltendmachung solcher Ansprüche sowie die Bestellung eines Vertreters zur gerichtlichen Geltendmachung einen legitimierenden Gesellschafterbeschluss (§ 46 Nr. 8 GmbHG). 

In Ausnahmefällen kommt jedoch auch eine Anspruchsdurchsetzung durch einen Gesellschafter im eigenen Namen (sog. Gesellschafterklage – actio pro socio) in Betracht. Diese Einzelklagebefugnis durchbricht zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes die innere Kompetenzordnung der Gesellschaft, nach welcher grundsätzlich die Gesellschafter nach dem Mehrheitsprinzip über die Geltendmachung entscheiden. Die Gesellschafterklage ist folglich subsidiär und kommt nach der Rechtsprechung des BGH allenfalls dann zum Tragen, „wenn eine Klage der Gesellschaft undurchführbar, durch den Schädiger selbst vereitelt worden oder infolge der Machtverhältnisse in der Gesellschaft so erschwert ist, dass es für den betroffenen Gesellschafter ein unzumutbarer Umweg wäre, müsste er die Gesellschaft erst zu einer Haftungsklage zwingen“. Es bedarf mithin eines die Nachrangigkeit der Gesellschafterklage überwindenden Umstandes und das Erfordernis einer solchen Einzelklagebefugnis wurzelt als Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts im Gesellschaftsverhältnis.

Im Personengesellschaftsrecht hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 715b BGB das Rechtsinstitut der actio pro socio durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) als gesetzlichen Fall der Prozessstandschaft kodifiziert. 

Für Streitigkeiten in der zweigliedrigen GmbH stellt sich die Frage, ob ein Gesellschafter auch dann zunächst einen Gesellschafterbeschluss über die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber einem Geschäftsführer herbeizuführen hat, wenn der betroffene Geschäftsführer der Mitgesellschafter ist oder für diesen die Stimmrechte ausübt. Würde ein Gesellschafterbeschluss für erforderlich gehalten und wäre das Abstimmungsergebnis zwischen den Gesellschaftern streitig oder die Ablehnung des Geltendmachungsbeschlusses zunächst von einem Versammlungsleiter festgestellt, müsste in einem ersten Schritt die Wirksamkeit und das Ergebnis des Gesellschafterbeschlusses gerichtlich geklärt werden, bevor die Geltendmachung erfolgen könnte.

Kein die Subsidiarität der Gesellschafterklage überwindender Umstand​

In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Minderheitsgesellschafter im Wege einer Gesellschafterklage die Ansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen gegenüber der Geschäftsführung auf Leistung an die GmbH geltend gemacht. Die Klage blieb ohne Erfolg. 

Zunächst bekräftigte der BGH kurz seine bisherige Rechtsprechung, dass ein Gesellschafter einer GmbH Ansprüche der Gesellschaft gegen deren Fremdgeschäftsführer grundsätzlich nicht im eigenen Namen geltend machen kann. 

Zudem lagen nach Ansicht des BGH mangels eines die Subsidiarität überwindenden Umstandes die Voraussetzungen für die Erhebung einer Gesellschafterklage nicht vor. Denn nach Ansicht des BGH war die GmbH ohne Weiteres in der Lage, die Ansprüche gegenüber der Geschäftsführung, vertreten durch den Minderheitsgesellschafter, im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Eines Geltendmachungsbeschlusses nach § 46 Nr. 8 GmbHG bedurfte es nicht. Die Mehrheitsgesellschafterin (B-GmbH) unterlag einem Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 GmbHG bei der Abstimmung über den Geltendmachungsbeschluss. Nach dem in § 47 Abs. 4 GmbHG zum Ausdruck kommenden Grundgedanken darf niemand Richter in eigener Sache sein. Die organschaftlichen Vertreter der B-GmbH waren von dem Geltendmachungsbeschluss aber selbst betroffen. Es sollte Beschluss gefasst werden, ob gegen sie Ansprüche geprüft und ggf. gerichtlich verfolgt würden. Dieser in den Personen der Geschäftsführer wurzelnde Stimmrechtsausschluss schlug auf die B-GmbH durch, da die B-GmbH ihre Stimmrechte auf Grund der Vertretung durch die Geschäftsführer nicht frei von deren Interessen ausüben konnte. Der BGH bestätigte in seiner Entscheidung, dass es eines Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 8 GmbHG zur Geltendmachung von Ansprüchen in einer zweigliedrigen GmbH nicht bedarf, wenn einer der Gesellschafter einem Stimmrechtsverbot unterliegt. Das Erfordernis des Gesellschafterbeschlusses würde eine überflüssige Formalität darstellen. Davon abgesehen wurde vorliegend sogar, wie der BGH explizit anführt, ein einstimmiger Geltendmachungsbeschluss durch die Stimmen des Minderheitsgesellschafters gefasst. Denn die Stimmen der Mehrheitsgesellschafterin (B-GmbH) waren infolge des Stimmrechtsausschlusses nichtig und nicht mitzuzählen.

Weiter bestätigte der BGH; dass sich das Stimmrechtsverbot auch auf die Bestellung eines Prozessvertreters nach § 46 Nr. 8 Fall 2 GmbHG erstreckt. Damit hat sich der Minderheitsgesellschafter mit dem Gesellschafterbeschluss zur Geltendmachung der Ansprüche gleichzeitig zum Vertreter der GmbH im Prozess gegenüber der Geschäftsführung bestellen können. 


​Fazit

Die Entscheidung des BGH schafft zunächst Klarheit für die Praxis, dass auch nach Kodifizierung der actio pro socio im Recht der Personengesellschaften (§ 715b BGB) eine Geltendmachung von Ansprüchen der GmbH gegenüber einem Fremdgeschäftsführer durch einen Gesellschafter im eigenen Namen grundsätzlich nicht in Betracht kommt.


Zudem bekräftigt der BGH den Ausnahmecharakter und die Subsidiarität der actio pro socio in der GmbH. Ebenso bekräftigt der BGH seine Rechtsprechung zur zweigliedrigen GmbH und zum Schutz ihrer Gesellschafter bei Gesellschafterstreitigkeiten vor einem übertriebenen Formalismus durch das Erfordernis von Gesellschafterbeschlüssen trotz Stimmrechtsausschlusses des Mitgesellschafters. Mit seiner Entscheidung liegt der BGH insoweit auf einer Linie mit seiner Rechtsprechung zur Entbehrlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses für das Nachschieben wichtiger Abberufungsgründe in der zweigliedrigen GmbH (Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 239/90).


Offen lässt der BGH in seiner Entscheidung, ob der die Geltendmachung von Ansprüchen begehrende (Minderheits-)Gesellschafter – ungeachtet der Entbehrlichkeit einer Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 GmbHG – gehalten gewesen wäre, sich gegen einen Ablehnungsbeschluss zunächst mit der Anfechtungsklage zu wenden, wenn der vom Stimmrechtsausschluss betroffene Gesellschafter die Beschlussablehnung feststellt. Ebenfalls bleibt bei der Entscheidung des BGH offen, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Fremdgeschäftsführer auf Grund einer mittelbaren Gesellschafterstellung im Einzelfall als Gesellschafter-Geschäftsführer anzusehen ist, gegenüber dem Ansprüche auch durch einen Mitgesellschafter im eigenen Namen im Wege der Gesellschafterklage geltend gemacht werden können.


Für die Praxis ergibt sich, dass im Rahmen der Ausgestaltung der Gesellschaftsdokumentation zu erwägen ist, ob Absicherungen zur Durchsetzung von möglichen künftigen Ansprüchen der GmbH gegenüber einem (mittelbar an der GmbH beteiligten) Fremdgeschäftsführer erforderlich sind. Ebenso ist im konkreten Einzelfall genau zu überlegen und zu überprüfen, ob in der zweigliedrigen GmbH vor einer Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber einem Geschäftsführer oder Gesellschafter ein Geltendmachungsbeschluss erforderlich ist, oder ein Stimmverbot des Mitgesellschafters besteht, welches die Beschlussfassung entbehrlich macht.

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