Pre-Close Calls: Im Fokus der Aufsichtsbehörden – Eine Marktpraxis mit Risiken

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 28. Januar 2025​​ | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

Institutionelle Anleger und Banken börsennotierter Gesellschaften verlangen zunehmend in Hinblick auf Risikomanagement und Ertragsoptimierung nach näheren und frühzeitigen Informationen zum Unternehmen. Aus diesem Grund haben sich sog. Pre-Close Calls zwischen Emittenten und Investoren oder Analysten vor Veröffentlichung von Quartals- und Jahresberichten in der Marktpraxis etabliert. Obwohl es sich hierbei um eine mittlerweile gängige Marktpraxis handelt, rückt diese zunehmend in das Visier der Aufsichtsbehörden. Grund dafür ist die schmale Gratwanderung zwischen transparentem Informationsaustausch und der insiderrechtlich unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen nach Art. 10 MAR (Market Abuse Regulation). In den USA wurde im Jahr 2000 eine vergleichbare Marktpraxis durch die Einführung der Fair-Disclosure-Verordnung bereits stark eingeschränkt, um potenzielle Informationsvorteile einzelner Marktteilnehmer zu verhindern.

 

Auch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA – European Securities and Markets Authority) wurde in jüngster Zeit aktiv. Diese veröffentlichte im Mai 2024 einen Warnhinweis, welcher sämtliche Handlungsempfehlungen (Good Practice) im Zusammenhang mit Pre-Close Calls enthält und folgt damit dem amerikanischen Vorbild.

 

Demnächst steht die Veröffentlichung der Jahresberichte börsennotierter Unternehmen an, in deren Vorfeld solche Pre-Close Calls stattfinden, sodass die Thematik von gegenwärtiger Relevanz ist. Der Artikel widmet sich im Folgenden der grundlegenden Auseinandersetzung von Pre-Close Calls und legt die wesentlichen Risiken dieser Marktpraxis dar.


Was sind Pre-Close Calls​

Bei Pre-Close Calls handelt es sich nach der Definition der ESMA um Kommunikationsaustausch zwischen Emittenten und Analysten oder einer Gruppe von Analysten, die für ihre Kunden Recherchen, Prognosen und Empfehlungen zu den Finanzinstrumenten des Emittenten erstellen. 

Solche nicht öffentlichen Gespräche zwischen Investor-Relations-Vertretern börsennotierter Unternehmen und Finanzanalysten finden in gewissem zeitlichem Abstand vor Veröffentlichung der regulären Finanzberichte (Quartals- und Jahresberichte) statt. Häufig werden diese noch vor der 30-tägigen Closed Period i.S.d. Art. 19 MAR durchgeführt. 

Gegenstand der Pre-Close Calls können bereits öffentlich bekannte Unternehmensinformationen, die keine Insiderinformationen wie etwa Finanzkennzahlen und wesentliche Entwicklungen in der Berichtsperiode sind, sein. Sie sollen jedoch nicht der Bekanntgabe neuer Informationen zum Unternehmen dienen, sondern den Zusammenhang zwischen externen Parametern und den vorliegenden Ergebnissen erneut erläutern.

Ziele und Beweggründe

Emittenten nutzen Pre-Close Calls seit mehreren Jahren, um Analysten eine fundierte Basis für ihre Prognosen und Schätzungen zu bieten. Dadurch soll die Markttransparenz erhöht und die Qualität von ​Analystenschätzungen verbessert werden. Zudem kann durch Pre-Close Calls sichergestellt werden, dass Analysten realistische Erwartungen zu den Finanzzahlen des Unternehmens haben, um so signifikante Abweichungen (sog. Earning Surprises) und damit negative Reaktionen auf dem Markt zu vermeiden.

Auch Investoren und Analysten profitieren von der Marktpraxis der Pre-Close Calls. Neben der Steigerung der Transparenz erhalten diese Hinweise auf Trends und Entwicklungen des Unternehmens, die im Ergebnis für die Marktteilnehmer eine Rolle spielen, ohne dass konkrete Finanzzahlen offengelegt werden.

Problemaufriss

Pre-Close Calls unterliegen keinen speziellen gesetzlichen Regelungen und Anforderungen. 
Es handelt sich um eine Marktpraxis, welche insbesondere durch den Begriff der Insiderin-formation determiniert wird. 

Die MAR untersagt die Weitergabe und Nutzung von Insiderinformationen, um ungerechtfertigte Informationsvorteile auf dem Kapitalmarkt zu vermeiden. Im Rahmen von Pre-Close Calls werden häufig Informationen preisgegeben, welche Rückschlüsse auf Entwicklungen im Unternehmensgeschäft zulassen, insbesondere durch Bekanntgabe von zuvor nicht öffentlichen Geschäftszahlen oder Prognoseanpassungen. Dabei kann es sich um Insiderinformationen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 MAR handeln, die unverzüglich öffentlich bekannt gegeben werden müssen. Bei einem Verstoß drohen Strafen und Bußgelder.

Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht sind Pre-Close Calls damit eine zu hinterfragende Praxis, da sie unter dem Deckmantel einer "üblichen Marktpraxis" zu einem ungerechtfertigten Informationsvorteil einzelner Marktteilnehmer führen können.

​Im Fokus der Aufsichtsbehörden​

Obwohl Pre-Close Calls seit geraumer Zeit eine gängige Marktpraxis in Deutschland und der EU darstellen, ist die Thematik jüngst in die Aufmerksamkeit von Aufsichtsbehörden gerückt. Vermehrte Medienberichte haben eine erhöhte Volatilität bei Aktienkursen von Emittenten in der EU kurz nach Durchführung von Pre-Close Calls festgestellt und teilweise den Ver-dacht einer rechtswidrigen Offenlegung von Insiderinformationen geäußert. So kam es bereits vor, dass die Aktien börsennotierter Unternehmen ohne erkennbaren Grund fielen, obwohl das Unternehmen keine neuen Informationen veröffentlicht hatte, sodass davon auszugehen war, dass bestimmte Händler über nicht öffentliche Informationen verfügten.

Beispielsweise stieg die Adidas-Aktie im Januar 2024 an einem Tag nach einem Pre-Close Call um mehr als 6 % nach oben. Bei Continental war hingegen nach der Analyse von Institutional Money im April 2024 ein unerwarteter Kursverlust um fast 5 % erkennbar, obwohl das Unternehmen keinerlei Mitteilungen veröffentlichte und es keine wichtigen Nachrichten aus der Branche gab. Dabei stellte sich heraus, dass die Reifenhersteller mit Analysten in einem Pre-Close Call gesprochen hatten.

Dies nahm die ESMA zum Anlass veröffentlichte in ihrem Statement vom 29. Mai 2024 einen Warnhinweis mit einer Reihe von Handlungsempfehlungen für börsennotierte Gesellschaf-ten. Auch die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) prüft derzeit private Gespräche zwischen Emittenten, Analysten und Investoren genauer, um mögliche Informationsvorteile aufzudecken und rechtswidrige Praktiken zu unterbinden. Hierzu sollen sämtliche gelisteten Unternehmen auch ohne konkrete Hinweise auf Fehlverhalten zu ihren Vorgehensweisen befragt werden.

USA: Fair-Disclosure Verordnung​

In den USA, die auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts oftmals für Deutschland und die EU als Vorreiter gelten, war bis ins Jahr 2000 eine vergleichbare Marktpraxis verbreitet, als Unternehmen spezielle Briefings an bestimmte Brokerfirmen gaben und es so aufgrund individueller Informationsvorsprünge zu unerwarteten Kursschwankungen auf dem Markt kam. Die amerikanische Aufsichtsbehörde SEC (Securities and Exchange Commission) sah hierbei einen ungerechtfertigten Informationsvorteil bei einzelnen Marktteilnehmern und führte die sog. Fair-Disclosure-Verordnung ein.

Infolgedessen wurde es Unternehmen untersagt, Informationen an bestimmte Anleger weiterzugeben sowie anderen vorzuenthalten. Vielmehr wurde die Pflicht auferlegt, wesentliche und nicht öffentlich bekannte Informationen zu veröffentlichen, wenn diese selektiv an bestimmte Personen weitergegeben werden. Die Fair-Disclosure-Verordnung ist eine Ergänzung zum sonstigen Insiderrecht in den USA und soll insbesondere Regelungslücken in der Kommunikation mit Finanzanalysten schließen.

Fair-Disclosure-Verordnung vs. Marktmissbrauchsverordnung​

Im Vergleich der amerikanischen Fair-Disclosure Verordnung zur europäischen MAR fällt auf, dass die Schwelle zur Qualifikation als wesentliche Information unter der Fair-Disclosure-Verordnung deutlich niedriger ist als die einer Insiderinformation unter der MAR. Ausreichend ist in den USA bereits die grundsätzliche Wesentlichkeit einer Information, also die allgemeine Eignung, die Einschätzung eines verständigen Investors über das börsennotierte Unternehmen zu verändern. Auf ein erhebliches Kursbeeinflussungspotenzial kommt es hingegen, anders als bei einer Insiderinformation, nicht an. So sei nach Ansicht der SEC bereits die Bestätigung oder Ablehnung von Analysteneinschätzungen in einem Gespräch mit den Emittenten eine wesentliche Information, welche der Fair-Disclosure-Verordnung unterliegt.

Ein Verstoß gegen die Fair-Disclosure-Verordnung kann zu Sanktionen der SEC gegenüber Emittenten und handelnder Personen in Form von Unterlassungsanordnungen führen, jedoch keine privatrechtlichen Schadensersatzansprüche oder strafrechtliche Folgen begründen.

Empfehlungen zur Vermeidung insiderrechtlicher Berührungspunkte nach der ESMA

Die ESMA hat Empfehlungen (Good Practice) in ihrem Statement zur Handhabung von Pre-Close Calls veröffentlicht.

 

Zur Vermeidung insiderrechtlicher Berührungspunkte sollten:

    • die Informationen bevorstehender Pre-Close Calls gründlich bewertet und auf das Vorliegen einer Insiderinformation überprüft werden;
    • die Absichten über die Durchführung von Pre-Close Calls mit ausreichender Vorlaufzeit öffentlich (z.B. auf der Website des Emittenten) mit thematischen Details sowie den beabsichtigten Teilnehmern bekannt gegeben werden;
    • die während der Durchführung von Pre-Close Calls verwendeten Materialien und Dokumente zur gleichen Zeit öffentlich allen Marktteilnehmern zur Verfügung gestellt werden;
    • Pre-Close Calls aufgezeichnet und die Aufzeichnungen im Nachgang der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden;
    • die während eines Pre-Close Calls offen gelegten Informationen dokumentiert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden


​Fazit

Analysten verlangen weiterhin die Durchführung von Pre-Close Calls, da sie im Grunde ein wirksames Instrument sind, um Marktteilnehmer auf künftige Zahlen und Berichte vorzubereiten sowie das Risiko negativer Überraschungen zu minimieren, indem die Qualität der Analystenschätzungen verbessert wird. Um allerdings von diesen Vorteilen als Emittent zu profitieren, bedarf es einer gründlichen rechtlichen Vorbereitung, Bewertung und Dokumentation des Informationsaustauschs, der im Rahmen von Pre-Close Calls stattfinden soll, um die Offenlegung etwaiger Insiderinformationen zu vermeiden. 

Eine sorgfältige und kompetente Beratung zum Umgang mit dieser Thematik ermöglicht eine effiziente und profitable Teilnahme an der Kapitalmarktkommunikation und verhindert des Risiko gesetzeswidriger und strafbewehrter insiderrechtlicher Vorgehensweisen.​

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