EU Listing Act – Steigerung der Attraktivität des Kapitalmarkts (Teil 1: Allgemeine Darstellung und Änderungen im Prospektrecht)

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​​​​​​​​​veröffentlicht am 17. Juli 2024​​​ | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

In den letzten Jahren ist eine zunehmende Abwanderung von Wachstumsunternehmen in die USA und andere Nicht-EU-Mitgliedsstaaten zu beobachten. Auch die Zahl der Börsengänge (IPOs) ist – trotz einer leichten Erholung im ersten Halbjahr 2024 – rückläufig. Dies hat die EU ebenfalls erkannt und sich entschieden die Vorschriften über den Zugang von Unternehmen zu den öffentlichen Kapitalmärkten zu überprüfen und im Rahmen des sog. EU Listing Acts anzupassen. Dieser stellt ein Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität der Kapital​märkte für Gesellschaften aller Größen dar. Erreicht werden soll dieses Ziel durch die Reduzierung von Aufwand und Kosten der Börsenzulassung und -notierung.


In einem ersten Teil einer Artikelserie stellen wir Ihnen den allgemeinen Regelungsinhalt des EU Listing Acts sowie die durch diesen vorgesehenen, wesentlichen Änderungen im Prospektrecht vor.

Was ist der EU Listing Act und was umfasst dieser?

Aufgrund der eingangs geschilderten Beobachtungen hatte die EU-Kommission den EU Listing Act bereits im Dezember 2022 angestoßen. Am 1. Februar 2024 haben das Europäische Parlament und der Rat eine vorläufige Einigung erzielt, welcher vom Europäischen Parlament am 29. April 2024 gebilligt wurde. Nun steht noch die förmliche Annahme des Europäischen Rates und die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU aus. Die im Juni 2024 erfolgte Wahl des EU-Parlaments steht dem erfolgreichen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens hierbei nicht entgegen.

Der EU Listing Act besteht aus einem Maßnahmenpaket zur Überarbeitung mehrerer Rechtsakte. Vorgesehen sind der Erlass von zwei Richtlinien und einer Verordnung. Insbesondere hiervon betroffen sind folgende bereits bestehende Rechtsakte der EU:
  • ​die Prospektverordnung (EU-ProspektVO),
  • die Marktmissbrauchsverordnung (MAR),
  • die MiFIR-Richtline und
  • die MiFID II Richtlinie.

Diese Änderungen sehen u.a. Anpassungen im Insiderrecht der MAR sowie weitere Erleichterungen im Prospektrecht in der EU-ProspektVO vor.

Zudem wird der Weg für eine flexiblere Corporate Governance Struktur durch die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien im Wege einer Richtlinie geebnet. Diese Regelung zielt vor allem auf Start-Up Gründer und Eigentümern von an den Kapitalmarkt strebenden Unternehmen ab. Ihnen soll ermöglicht werden auch bei einem Börsengang die Kontrolle über ihr Unternehmen zu behalten. Der deutsche Gesetzgeber hat Mehrstimmrechtsaktien bereits durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) zum Ende des Jahres 2023 eingeführt.

Ziele und Auswirkungen

Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) sind neben Bankfinanzierungen besonderes darauf angewiesen weitere Finanzierungsquellen zu erschließen. Ein zentrales Ziel der europäischen Kapitalmarktunion ist es daher für KMUs aber auch große Unternehmen den Zugang zu kapitalmarktbasierten Finanzierungsquellen zu erleichtern. Hierbei sollen einerseits die Anforderungen für die Zulassung an einer Börse gesenkt werden. Andererseits soll die Transparenz und Marktintegrität sowie der Anlegerschutz gewahrt bleiben. Erreicht werden soll dieses Ziel u.a. auch durch eine Reduzierung der regulatorischen Anforderungen an die kapitalmarktorientierten Unternehmen sowie der Fragmentierung der nationalen Rechtsvorschriften. Der EU Listing Act stößt somit in das höhere Ziel zur Schaffung eines echten EU-Binnenmarktes.

Schätzungen zur Folge werden börsennotierte Unternehmen in der EU durch den EU Listing Act rund EUR 100 Millionen pro Jahr einsparen können. Allein durch die vereinfachten Prospektvorschriften sollen die Unternehmen etwa EUR 67 Millionen pro Jahr einsparen können. Aufgrund des größten Einsparpotentials bei den Prospektvorschriften befasst sich der erste Teil der Artikelserie mit den Änderungen der Prospektverordnung.

Inkrafttreten

Ein erfolgreicher Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens wird für das Ende des Jahres 2024 erwartet. Das Inkrafttreten ist grundsätzlich für den zwanzigsten Tag nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU vorgesehen. Jedoch bestehen zahlreiche Ausnahmen, beispielsweise für die Änderungen zur Ad-Hoc-Publizitätspflicht sowie zum Prospektformat und Prospektinhalt, welche erst 15 bzw. 18 Monate nach Inkrafttreten greifen.

Wesentliche Änderungen im Wertpapierprospektrecht

Für IPOs oder anderweitige Erstemissionen von Wertpapieren sollen die Anforderungen an ein Wertpapierprospekt standardisiert werden. Dies soll durch noch von der ESMA auszuarbeitende technische Standards erfolgen. Neben einiger technischer Änderungen sind weitergehende Ausnahmen von der Prospektpflicht geplant.

Volumenmäßige Ausnahmen bei Kleinemissionen

Die volumenmäße Ausnahme betrifft das Anbieten von Wertpapieren für an der Börse notierte oder im Freiverkehr gelistete Gesellschaften. Gegenwärtig können die Mitgliedstaaten öffentliche Angebote von Wertpapieren bei Kleinemissionen von bis zu EUR 8 Mio. über einen Zeitraum von 12 Monaten von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts ausnehmen. Für Angebote, die unter EUR 1 Mio. oder dem auf nationaler Ebene festgelegten Schwellenwert liegen, können die Mitgliedstaaten nationale Offenlegungsunterlagen verlangen, sofern diese keinen unverhältnismäßigen oder unnötigen Aufwand darstellen. Nach dem EU Listing Act sollen die Vorgaben zu den volumenmäßigen Ausnahmen in den Mitgliedsstaaten harmonisiert und auf EUR 12 Mio. angehoben werden. Abweichend sollen die Mitgliedstaaten den Höchstbetrag für prospektfreie Emissionen lediglich auf EUR 5 Mio. beschränken können. Der deutsche Gesetzgeber hat bisher die bestehende Höchstgrenze von EUR 8 Mio. übernommen. Somit ist zu erwarten, dass er auch die neue Grenze von EUR 12 Mio. übernehmen wird. Aufgrund des niedrigen Schwellenwertes kommt diese Änderung insbesondere kleineren Unternehmen zugute.

Prozentuale Ausnahme für die Zulassung von weiteren Aktien bei börsennotierten Gesellschaften 

Börsennotierte Gesellschaften haben zudem auch prozentuale Volumengrenzen für die Zulassung weiterer Aktien zum geregelten Markt zu beachten. Auch diesbezüglich besteht gegenwärtig die Möglichkeit einer prospektfreien Kapitalerhöhung und Zulassung zur Börse. Ein Wertpapierprospekt muss gegenwärtig nur erstellt werden, sofern die neu zuzulassenden Wertpapiere 20 % der bereits zugelassenen Wertpapiere der gleichen Art innerhalb von 12 Monaten ausmachen. Dieser Schwellenwert soll nun auf 30 % heraufgesetzt werden. Diese Erhöhung stellt die wohl weitreichendste Änderung dar und spart insbesondere börsennotierten KMUs eine Menge Kosten. Der ursprüngliche Vorschlag sah sogar eine Erleichterung auf 40 % der bereits zugelassen Wertpapiere vor. Für sog. Large-Cap-Transaktionen (bspw. größere internationale Bezugsrechtsemissionen) ist jedoch zu erwarten, dass eine Prospekterstellung weiterhin auf freiwilliger Basis erfolgt. Nur so können die Unternehmen den Erwartungen der angesprochenen Investorenkreise gerecht werden.

Einheitliche Formate und Prospektstandards

Sofern eine bereits an der Börse notierte oder im Freiverkehr gelistete Gesellschaft nach ihrer Aufnahme am Kapitalmarkt weiteres Geld benötigt, besteht die Möglichkeit dieses Geld durch eine Sekundäremission am Kapitalmarkt zu generieren. Auch für diese Sekundäremission durch eine Kapitalerhöhung des Grundkapitals der Gesellschaft ist grundsätzlich ein öffentliches Angebot erforderlich. Sofern die Gesellschaft hierbei die soeben dargestellten Schwellenwerte überschreitet, bedarf es ebenfalls eines Wertpapierprospekts. Hinsichtlich dieser Vorgaben für Sekundäremissionen sollen die gegenwärtig bestehenden Offenlegungsregelungen durch einen neuen Folgeprospekt ersetzt werden (sog. EU-follow-on prospectus). Analog zu den Erstemissionen sollen diese Änderungen auch Sekundäremissionen für alle Unternehmen vereinfachen.

Die neuen Vorgaben betreffen beispielsweise die Länge des Wertpapierprospekts, welches auf maximal 300 DIN-A4-Seiten beschränkt werden soll.

Fazit zu den Änderungen im Prospektrecht

Insbesondere für KMUs werden die Anhebung der Schwellenwerte zur prospektfreien Emission eine Erleichterung bei der Kapitalaufnahme am Kapitalmarkt darstellen. Für ein Fazit zu den noch auszuarbeitenden einheitlichen Vorgaben für das Format und die Standards von Wertpapierprospekten sind noch die Entwürfe der ESMA abzuwarten.

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