"Alles Holzmüller, oder was?" - Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten im M&A-Kontext

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​​veröffentlicht am 27. März 2024 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

In der Regel sind dem Management von Aktiengesellschaften die Hürden der Holzmüller-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) bei der Veräußerung einer Konzern-Tochtergesellschaft bekannt. Weniger bekannt ist, dass es daneben auch weitere Konstellationen bei M&A-Transaktionen oder Konzernmaßnahmen gibt, in deren Zusammenhang die Zustimmung der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft notwendig sein kann.


Grundsätzlich leitet der Vorstand als Entscheidungs- und Handlungszentrum die Aktiengesellschaft in eigener Verantwortung. Diese Kompetenzverteilung kann jedoch eingeschränkt sein, soweit Aktiengesetz oder Satzung der Gesellschaft eine Zuständigkeit oder Mitwirkungspflicht der Hauptversammlung oder dem Aufsichtsrat zuteilen. Die Einbindung des Aufsichtsrats ist in der Regel unproblematisch. Allerdings kann die Notwendigkeit der Zustimmung der Hauptversammlung der Gesellschaft ein organisatorischer Kraftakt sein, der eine M&A-Transaktion oder eine Konzernmaßnahme nicht selten undurchführbar erscheinen lässt. 

Das Aktiengesetz enthält im Wesentlichen drei Normen, die für die Einbindung der Hauptversammlung bei M&A-Transaktion oder Konzernmaßnahmen von Relevanz sind:

  • § 119 Absatz 2 AktG; 
  • § 179 AktG; und
  • § 179a AktG.

Relativ eindeutig sind die Regelungen der §§ 179 und 179a AktG. 

Gemäß § 179 Absatz 1 Satz 1 AktG bedarf jede Satzungsänderung der Aktiengesellschaft der Zustimmung der Hauptversammlung. Ein wesentlicher Aspekt der Satzung ist dabei der Unternehmensgegenstand. Daher ist bei einer M&A-Transaktion oder einer Konzernmaßnahme zu prüfen, ob diese Maßnahme bei der Aktiengesellschaft dazu führt, dass diese ihren satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand nicht mehr ausführen kann. Sollte man zu diesem Ergebnis kommen, ist die Zustimmung der Hauptversammlung einzuholen.

Gemäß § 179a AktG bedarf ein Vertrag, der die Gesellschaft zur Übertragung des gesamten Vermögens verpflichtet, der Zustimmung der Hauptversammlung. Das „gesamte Vermögen” meint hier nicht im wörtlichen Sinn sämtliches Vermögen der Gesellschaft. Ausreichend ist bereits eine so weitgehende Veräußerung, dass nur noch unwesentliches Vermögen verbleibt und die Gesellschaft ihren, in der Satzung festgelegten, bisherigen Unternehmensgegenstand nicht mehr weiterverfolgen kann.

Wichtig ist zu beachten, dass die Rechtsprechung neben den beiden gesetzlich geregelten Fällen noch ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten entwickelt hat bzw. diese in der Literatur diskutiert werden. Solche Pflichten zur Einbindung der Hauptversammlung werden oftmals in § 119 Absatz 2 AktG verankert. Eigentlich regelt § 119 Absatz 2 AktG, dass die Hauptversammlung, außer in den in § 119 Absatz 1 AktG aufgelisteten Fällen, nur einzubeziehen ist, wenn der Vorstand der Aktiengesellschaft dies nach seinem Ermessen verlangt. Jedoch wird in manchen Fällen das Ermessen als so eingeschränkt angesehen, sodass es als Einbeziehungspflicht ausgelegt wird.

Erstmals erkannte der BGH dieses ungeschriebene Zustimmungsrecht in der Holzmüller-Entscheidung an. Entscheidend ist, wie tief die jeweilige Maßnahme in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre und deren Vermögensinteresse eingreift. Maßstab ist hierbei, ob der Vorstand vernünftigerweise nicht annehmen kann, diese Maßnahme eigenverantwortlich, ohne die Zustimmung der Hauptversammlung treffen zu können.
 
Im Konkreten befasste sich die Holzmüller-Entscheidung mit der Konzernbildungskontrolle, genauer mit der Ausgliederung des wichtigsten Unternehmensteils auf eine Tochtergesellschaft, die alleine von der Mutter gehalten wurde. Hierbei hat der BGH die ungeschriebene Zustimmungsbedürftigkeit anerkannt, da die Aktionäre der Gesellschaft nach der erfolgten Ausgliederung dieses wesentlichen Unternehmensteils keine Mitwirkungsrechte hierauf haben. Diese Mitwirkungsrechte sind etwa: Beschluss über Dividendenausschüttung oder Mitwirkungsrechte bei der Veräußerung nach §§ 179 oder 179a AktG. Es würde somit eine sogenannte Mediatisierung eintreten. In der Folge der Holzmüller-Entscheidung wurden in der Literatur die Anwendungsfälle einer ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz immer weiter ausgeweitet.

Daraufhin präzisierte der BGH in der Gelatine-Entscheidung die Grundsätze der Holzmüller-Doktrin und stellte fest, dass die ungeschriebenen Kompetenzen „nur in engen Grenzen” anzuerkennen sind. 
In der Gesamtschau beider BGH-Entscheidungen ist daher der Mediatisierungseffekt des Aktionärseinflusses und die wesentliche Veränderung der Unternehmensstruktur durch die M&A-Transaktion oder Umstrukturierung zu berücksichtigen. Stets ist von einem Mediatisierungseffekt auszugehen, wenn die Maßnahme einen Unternehmensteil betrifft, der einem Wert von 70 bis 80 % des Gesellschaftsvermögens entspricht. 

Nachfolgend geben wir einen kurzen Überblick über Maßnahmen, bei denen eine  Zustimmungsbedürftigkeit denkbar sein kann bzw. nicht notwendig erscheint:

Einzelfälle

Die Beurteilung der verschiedenen Einzelfälle befindet sich weiterhin im Fluss. Höchstrichterliche Entscheidungen stehen überwiegend noch aus.

1. Veräußerung einer Beteiligung oder eines sonstigen Unternehmensteils

Der Klassiker. Auch wenn bei der Veräußerung von Beteiligungen oder sonstigen Unternehmensteilen zunächst ein Mediatisierungseffekt nicht vorliegt, etwa weil die Beteiligung bzw. der sonstige Unternehmensteil nicht 70 bis 80 % des Gesellschaftsvermögens darstellt, kommt es auf die mit der Veräußerung verbundene Strukturveränderung der Gesellschaft an.

Auch können Gesellschafternebenabreden zu einem Mediatisierungseffekt führen. Wird etwa nur ein kleiner Teil der Geschäftsanteile an der wesentlichen Beteiligung veräußert, jedoch in der Gesellschaftervereinbarung umfassende Rechte an den Minderheitsgesellschafter eingeräumt, kann auch dies einen Mediatisierungseffekt darstellen. 

2. Ausgliederung
Grundsätzlich gelten für die Ausgliederung eines Betriebsteils in eine Tochtergesellschaft im Wege der partiellen Gesamtrechtsnachfolge spezielle Regeln des Umwandlungsgesetzes. Dennoch kann auch hier eine Zustimmungsbedürftigkeit nach dem § 179a AktG oder den Holzmüller/Gelatine-Grundsätzen für die Ausgliederung im Wege der Einzelrechtsnachfolge im Einzelfall in Betracht kommen. 

3. Erwerb einer Beteiligung

In der Regel unproblematisch ist der Erwerb einer Beteiligung an einem bestehenden Unternehmen, sofern sich der Unternehmensgegenstand im Rahmen des Unternehmensgegen-standes der eigenen Satzung befindet. Jedoch gab es auch hier in der Vergangenheit Fallkonstellationen, bei denen eine Zustimmungsbedürftigkeit in Frage gestellt wurde. Hierbei werden mehrere Kriterien diskutiert, wie das Vorliegen einer Konzernöffnungsklausel oder der Anstieg des Verschuldensgrades bei fremdfinanzierten Erwerben. Das Vorliegen einer Zustimmungsbedürftigkeit ist daher am Einzelfall zu prüfen. Gleiches muss für den Erwerb von wesentlichen Aktiva gelten, da es keinen Unterschied machen kann, ob der Erwerb durch share deal oder asset deal erfolgt.

4. Sonstige Maßnahmen

Bei sonstigen Maßnahmen ist stets auf den möglichen Mediatisierungseffekt abzustellen, wobei diese nach BGH-Rechtsprechung nicht zu weit ausgedehnt werden dürfen. Insbesondere in Betracht kommen etwa:
  • Auflösung wesentlicher Tochtergesellschaften; oder
  • Betriebsstilllegungen wesentlicher Unternehmensteile.

5. Zustimmungsfreie Maßnahmen

Beispielsweise gegenwärtig zu verneinen ist eine Zustimmungsbedürftigkeit bei einem bloßen „Umhängen” einer Beteiligung von einer Tochter- auf die andere Tochtergesellschaft. Denn in diesem Fall tritt keine Mediatisierung der Aktionäre der Muttergesellschaft ein. Gleiches gilt für Maßnahmen wie einen Börsengang (IPO) oder ein Delisting, sofern dies nicht mit anderen zustimmungsbedürftigen Maßnahmen, wie insbesondere einer Kapitalerhöhung oder Änderung des Unternehmensgegenstandes, verbunden wird.

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