Weitergehende Aufklärungspflicht des Verkäufers über die Zurverfügungstellung von Dokumenten in einem elektronischen Datenraums hinaus

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veröffentlicht am 20. Oktober 2023 | Lesedauer ca. 2 Minuten

 

Die Einrichtung eines elektronischen Datenraums ist für die Due Diligence in einer Immobilien- oder M&A-Transaktion von bedeutender Relevanz, da es den potenziellen Käufern die Möglichkeit gewährt, auf für den Kauf entscheidende Dokumente zuzugreifen. Hierdurch soll unter anderem für den Verkäufer die Haftung reduziert oder möglichst sogar ausgeschlossen werden. Fraglich ist, ob der Verkäufer dadurch seine Aufklärungspflichten im Hinblick auf offenbarungspflichtige, für den Kauf entscheidende Umstände stets vollständig erfüllt und eine Haftung oder Rückabwicklung des Kaufvertrages ausschließen kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) schließt die für den Käufer bestehende Möglichkeit, sich die Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand selbst zu verschaffen, die Pflicht des Verkäufers zur Offenbarung von für die Kaufentscheidung erheblichen Informationen nicht von vornherein aus. Der BGH hat dies erneut klargestellt und bestätigt.

BGH-Urteil Urt. vom 15.9.2023 – V ZR 77/22

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt erwarb der Käufer mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex. In dem Kaufvertrag versicherte die Verkäuferin zudem, dass keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich eine künftig fällige Sonderumlage ergebe und der Käufer die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre erhalten habe. Im Kaufvertrag wurde jegliche Sachmängelhaftung ausgeschlossen, zudem wurde festgehalten, dass der Käufer Kenntnis von dem Inhalt, aus dem im Datenraum zur Verfügung gestellten Unterlagen, habe.

Zwischen den Parteien strittig war ein Protokoll der Eigentümerversammlung, welches vom Verkäufer lediglich drei Tage vor der Unterzeichnung des Kaufvertrages in dem elektronischen Datenraum hochgeladen wurde.

Das streitige Protokoll und der darin enthaltene Eigentümerversammlungs-Beschluss führten zu einer Sonderumlage von zunächst 750.000 € – bei Bedarf bis zu 50 Mio. € – für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum. Auf dieser Grundlage wurde auch die Klägerin in Anspruch genommen. Daraufhin erklärte sie die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Der BGH hat mit diesem Urteil nunmehr entschieden, dass die Bereitstellung eines Datenraums nicht zwingend die Aufklärungspflichten über offenbarungspflichtige Umstände stets vollständig erfüllt. Nur wenn im Einzelfall die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Käufer bestimmte, von dem Verkäufer in dem Datenraum bereit gestellte Informationen – etwa im Rahmen einer Due Diligence – wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung einbeziehen wird, ist eine gesonderte Aufklärung durch den Verkäufer nicht mehr erforderlich. Unter Berücksichtigung der konkreten Entscheidung wird deutlich, dass der BGH nun auch den Zeitpunkt der Einstellung kaufentscheidender Dokumente berücksichtigt. Bei einer kurzfristigen Einstellung darf der Verkäufer nicht mehr erwarten, dass der Käufer mögliche kaufentscheidende Dokumente zur Kenntnis nimmt, ohne dass er hierzu gesondert darauf hingewiesen wird.

Der BGH betont dabei, dass der Verkäufer den Datenraum und der Zugriff darauf in strukturierter und organisierter Weise bereitstellen muss. Ob der Verkäufer seine Aufklärungspflicht durch einen elektronischen Datenraum erfüllt, hänge auch davon ab, ob der Verkäufer berechtigte Erwartungen haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum auch ausreichend Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird. Bei für den Käufer wichtigen Informationen verlangt der BGH zudem, dass dies leicht im Datenraum auffindbar sind.
 

Fazit

Ob Aufklärungspflichten erfüllt werden oder nicht ist weiterhin abhängig vom konkreten Einzelfall. Ratsam für Verkäufer von Unternehmen und Immobilien ist deswegen, dem Käufer neben der Bereitstellung der Dokumente in einem elektronischen Datenraum, auf entscheidungserhebliche Umstände zusätzlich und explizit hinzuweisen. Dies kann unmittelbar vor Abschluss des Kaufvertrages in dokumentierter Form sein oder eventuell im Kaufvertrag selbst. Bei der Einstellung von kaufentscheidenden Dokumenten im Datenraum unmittelbar vor der Unterzeichnung des Kaufvertrages sollte nicht darauf vertraut werden, dass der Käufer die Dokumente hätte finden und rechtlich einschätzen können. Der BGH lässt auch keinen Zweifel daran, dass die in (Unternehmens-)Kaufverträgen übliche Klausel, „der Käufer hätte alle Unterlagen erhalten und jegliche weitere Haftung werde ausgeschlossen”, kein probates Mittel darstellt, um einer etwaigen Rückabwicklung eines Kaufvertrages aus dem Grundsatz der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss aufgrund unterbliebener Aufklärung zu entgehen.

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