SPNV-Verträge sind grundsätzlich verschreibungspflichtig

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Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass SPNV-Verkehrsverträge grundsätzlich ausschreibungspflichtig sind. Das allgemeine Vergaberecht genießt Vorrang vor der Regelung des § 15 Abs. 2 AEG. Trotz Vorliegens eines Nettovertrages konnte der konkrete Vertrag nicht als ausschreibungsfreie Dienstleistungskonzession bewertet werden. Zur Vergabe von SPNV-Leistungen unter dem Rechtsregime der neuen Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 musste der Bundesgerichtshof keine Stellung nehmen.

 

Am 08. Februar 2011 hat der X. Zivilsenat (Vergabesenat) des Bundesgerichtshofs (BGH) eine lange erwartete Grundsatzentscheidung zur Vergabe von Leistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) gefällt (Az.: X ZB 4/10). Dabei ging es um einen Vergleichsvertrag, welcher am 24. November 2009 zwischen dem VRR, einem SPNV-Aufgabenträger in Nordrhein-Westfalen und der DB Regio AG geschlossen wurde. In diesem Vergleichsvertrag sollte der am 12. Juli 2004 zwischen den Parteien zunächst bis Dezember 2018 abgeschlossene Verkehrsvertrag u.a. über den Betrieb sämtlicher S-Bahn-Linien in den Kooperationsräumen 1 (VRR) und 9 (Niederrhein) hinsichtlich des S-Bahnverkehrs bis Dezember 2023 verlängert werden. Eine Ausschreibung des Vergleichsvertrags fand nicht statt. Dies wurde mittels eines Nachprüfungsantrags bei der zuständigen Vergabekammer Münster durch ein anderes SPNV-Unternehmen gerügt. Sowohl die Vergabekammer als auch daran anschließend der Vergabesenat des OLG Düsseldorf im Beschluss vom 21.07.2010 (Az.: VII-Verg 19/10) hatten das Vorgehen des zuständigen SPNV-Aufgabenträgers beanstandet. Eine Entscheidung konnte das OLG Düsseldorf jedoch nicht treffen, sondern es legte wegen seiner abweichenden Meinung zu zwei anderen Oberlandesgerichten die Sache dem BGH vor. Der BGH hat nunmehr die Meinungen der Vergabekammer und des OLG Düsseldorf bestätigt.

 

Von besonderer Bedeutung sind die Ausführungen des BGH zum Verhältnis zwischen dem allgemeinen Vergaberecht und § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). Bislang wurde von einigen Autoren sowie dem OLG Brandenburg in seiner Entscheidung vom 02.09.2003 (Verg W 3/03 und Verg 5/03) aus § 15 Abs. 2 AEG ein Wahlrecht des SPNV-Aufgabenträgers geschlossen, wonach dieser entweder die Leistungen wettbewerblich nach einer förmlichen Ausschreibung oder freihändig vergeben könne. Dem widerspricht der BGH. Der BGH qualifiziert § 15 Abs. 2 AEG nicht als vorrangige Sondervorschrift gegenüber dem allgemeinen Vergaberecht. Das Gegenteil ist der Fall. § 15 Abs. 2 AEG trat im Zuge der Bahnstrukturreform im Jahre 1994 und damit zeitlich einige Jahre vor dem Vergaberechtsänderungsgesetz vom 26.08.1998 in Kraft. Die in § 100 Abs. 2 GWB durch den Gesetzgeber getroffenen Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts enthalten gerade keinen Bezug auf den im Jahre 1998 bereits bekannten § 15 Abs. 2 AEG. Ein gesetzgeberischer Wille, die Vergabe von SPNV-Leistungen dem Anwendungsbereich des allgemeinen Vergaberechts zu entziehen, ist somit nicht erkennbar.

 

Die zweite interessante Frage betrifft die Abgrenzung zwischen Dienstleistungsaufträgen und Dienstleistungskonzessionen. Nur erstere müssen in einem förmlichen Vergabeverfahren ausgeschrieben werden. Der BGH sieht in dem Vergleichsvertrag keine Dienstleistungskonzession. Kennzeichen einer Dienstleistungskonzession ist, dass der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt. Im vorliegenden Fall wurde die DB Regio AG aus zwei Quellen finanziert, nämlich den Fahrgeldeinnahmen und den Zuzahlungen des SPNV-Aufgabenträgers. Letztere decken rund 64 Prozent der Gesamtkosten und übersteigen damit deutlich die Einnahmen aus den Fahrkartenerlösen. Für eine Dienstleistungskonzession war damit kein Raum.

 

Schließlich stellt der BGH fest, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 3 der Vergabeverordnung (VgV), welche im Jahre 2002 erlassen wurde, nicht gegeben war. In § 4 Abs. 3 VgV wurden zeitlich übergangsweise bestimmte Vereinfachungen vom materiellen Vergaberecht für Personennahverkehrsleistungen in der Kategorie Eisenbahnen eingeführt. Freihändige Vergaben sind ausnahmsweise zulässig, wenn ein wesentlicher Teil der durch den Vertrag bestellten Leistungen während der Vertragslaufzeit ausläuft und anschließend im Wettbewerb vergeben wird. Die mit dieser Vorschrift eingeräumten Möglichkeiten waren bereits mit Abschluss des ursprünglichen Verkehrsvertrags zwischen dem SPNV-Aufgabenträger und der DB Regio ausgeschöpft. Sie durften damit nicht erneut genutzt werden.

 

Bewertung

Der Beschluss des BGH vom 08. Februar 2011 klärt die seit vielen Jahren umstrittene Frage zwischen dem allgemeinen europäischen Vergaberecht und § 15 Abs. 2 AEG. Er ist im Interesse der Rechtssicherheit nachhaltig zu begrüßen.
 
Interessant sind die Ausführungen des BGH zur Abgrenzung zwischen Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession. Der Vergleichsvertrag zwischen SPNV-Aufgabenträger und DB Regio wurde als Nettovertrag bezeichnet. Der Beschluss des BGH macht deutlich, dass es für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession nicht alleine darauf ankommt, dass ein Nettovertrag  vorliegt. Maßgeblich ist nicht die konkrete Verteilung des Risikos in jedem Einzelfall. Der BGH lehnt sich dabei ausdrücklich an Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Dienstleistungskonzessionen an.
 
Die neue Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 (VO 1370) fand auf den Vergleichsvertrag keine Anwendung, weil dieser am 24. November 2009 und damit kurz vor dem Inkrafttreten der VO 1370 am 03.12.2009 abgeschlossen wurde. Damit musste der BGH nicht näher auf die VO 1370 eingehen. Zukünftig werden Vergaben von SPNV-Leistungen jedoch nach der VO 1370 zu beurteilen sein. Anders als nach der bisherigen, vom BGH nunmehr geklärten Rechtslage, kommt unter dem Regime der VO 1370 ein Vorrang des allgemeinen Vergaberechts nur bei Personenverkehrsdiensten mit Bussen und Straßenbahnen in Betracht, nicht hingegen mit Eisenbahnen. Art. 5 Abs. 6 VO 1370 eröffnet für den Eisenbahnverkehr die Möglichkeit zu einer Direktvergabe ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren. Allerdings steht Art. 5 Abs. 6 VO 1370 unter dem Vorbehalt, dass eine Direktvergabe nicht durch nationales Recht untersagt ist. Es wird sich daher zukünftig die Frage stellen, ob das weiter bestehende nationale Vergaberecht oder sonstiges nationales Recht, wie das öffentliche Haushaltsrecht, einen solchen Vorbehalt gegen eine Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 6 VO 1370 darstellen.
 
Von Seiten einiger Bundesländer sind indes Bemühungen bekannt geworden, durch eine gesetzgeberische Klarstellung die Direktvergabeoption nach Art 5 Abs. 6 VO 1370 in Deutschland ausdrücklich für anwendbar zu erklären. Aufgrund unterschiedlicher politischer Vorstellungen dürfte jedoch kurzfristig nicht mit einer Klärung zu rechnen sein. 
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