Wasserstoff im Wärmebereich – Teil 3: Wasserstoff in Deutschland: Verfügbarkeit und Bedarf

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​veröffentlicht am 17. Mai 2023

 

Nachdem wir in Teil 1 unserer dreiteiligen Serie zum Thema Wasserstoff im Wärmebereich die Kernaussagen der Bottom-Up Studie von Fraunhofer (2022) [21] zusammengefasst haben, verglichen wir in Teil 2 verschiedene Studienergebnisse zur Bedeutung von Wasserstoff im Wärmebereich. Hier konnte gezeigt werden, dass die Meinungen über den Einsatz von Wasserstoff im Wärmesektor – insbesondere für Raumwärme und Warmwasserbereitstellung – weit auseinander gehen. Die Bedeutung von Wasserstoff im künftigen Energiesystem von Deutschland wird in der Energie- und Fachbranche kontrovers diskutiert. Die Bundesregierung hat durch Maßnahmen wie beispielsweise der Gründung des Nationalen Wasserstoffrats, der Wasserstoffdiplomatie und ersten Förderprogrammen wie dem „H2Global“ das Thema Wasserstoff in den Fokus genommen. In welchen Sektoren das bisher noch rare Gut „grüner Wasserstoff“ eingesetzt werden soll und wie der grüne Wasserstoffbedarf gedeckt wird, beschäftigt die Fachwelt. In diesem Teil unserer Artikelreihe nehmen wir den Bedarf von Wasserstoff in den Sektoren Industrie und Verkehr in die Betrachtung auf. Da mehrere Studien zu dem Ergebnis kommen, dass die heimischen Kapazitäten nicht ausreichen werden, um die langfristige Nachfrage zu decken, betrachten wir zudem die Verfügbarkeit von Wasserstoff in Deutschland sowie Importmöglichkeiten und -ideen.

 

Wasserstoff in der Industrie


Der Sektor Industrie hat zum Stand 2020 einen Gesamtenergieverbrauch von 1.041 TWh. Dabei sind die größten Anwendungsbereiche die Chemieindustrie und die Metallerzeugung und -bearbeitung. Ein großer Teil der Energieträger in der Industrie ist fossil.

 

Um das Ziel der Treibhausgasneutralität zu erreichen, ist daher unter anderem eine Dekarbonisierung der Industrie notwendig, wozu Wasserstoff einen Beitrag leisten soll. Die Analysen des Wasserstoffrates (2023) sehen beispielsweise eine hohe Bedeutung von Wasserstoff in der Stahlindustrie [25]. Auch die neue Studie von Fraunhofer ISI (2023) „Preiselastische Wasserstoffnachfrage in Deutschland – Methodik und Ergebnisse“ betont die Bedeutung von Wasserstoff in diesem Industriezweig. Allgemein kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass Wasserstoff vor allem in No-Regret-Anwendungen eingesetzt werden wird. Zu diesen Anwendungen, bei denen kaum andere wirtschaftliche Technologieoptionen verfügbar sind, gehört insbesondere die stoffliche und energetische Nutzung in der Industrie (Stahlsektor, Grundstoffchemie). Die Studie berechnet hier eine Wasserstoffnachfrage von 250 TWh im Jahr 2045, was in etwa 10% des heutigen Energiebedarfs in Deutschland entspricht [30]. Die Wasserstoff-Metastudie von Fraunhofer (2021) weist ein vergleichbares Ergebnis aus. Laut der Studie wird die Industrie im Jahr 2050 etwa 257 TWh Wasserstoffenergie benötigen, davon 107 TWh für die stoffliche und 150 TWh für die energetische Nutzung [20].

 

Wasserstoff im Verkehr

 

Auch im Verkehr sind Maßnahmen zur Dekarbonisierung notwendig. Im Jahr 2019 war im Sektor Verkehr über 80% des Endenergieverbrauchs der 756 TWh auf den Straßenverkehr zurückzuführen. Etwa 70% davon wird wiederum von PKWs verbraucht. Diesel macht im Verkehr etwa die Hälfte der Energieträger aus. Für die Betrachtung des Verkehrssektors haben wir bewusst 2019 gewählt, da die Daten für 2020 aufgrund der Corona-Pandemie deutlich verzerrt wurden.

 

 

Wasserstoff ist für den Verkehrssektor ebenfalls eine Option zur Dekarbonisierung, da Wasserstoff im Verkehr direkt als alternativer Kraftstoff im Fahrzeug, Flugzeug oder Schiff eingesetzt werden kann. Die Metastudie von Fraunhofer (2021) sieht im Verkehrssektor einen jährlichen Bedarf von Wasserstoff von bis zu 290 TWh [20].


Im Pkw-Bereich werden Wasserstoffautos bereits eingesetzt. Aktuell sind zwei Fahrzeugmodelle mit Brennstoffzellen auf dem Markt. In den letzten Jahren wurden in Deutschland jedoch weniger als 1.000 Wasserstoffautos neu zugelassen. Der Trend geht im Pkw-Bereich aufgrund der besseren Klimabilanz von Elektroautos und der nicht-flächendeckenden Ladeinfrastruktur für Wasserstoffautos eindeutig zur Nutzung von erneuerbarem Strom in batterieelektrischen Fahrzeugen [28]. Allein im Jahr 2022 wurden rund 470.559 Elektrofahrzeuge zugelassen [27]. Die FDP setzt zwar hierbei auf synthetische Kraftstoffe, die jedoch auch zu einem großen Teil aus Wasserstoff produziert werden, und erhebliche Kosten und Effizienzverluste bedeuten [18].


Eine neue Studie des Fraunhofer Instituts (2023) kommt zu dem Ergebnis, dass der kurz- und mittelfristige Einsatz strombasierter E-Fuels im Straßenverkehr nach aktuellem Wissensstand nicht sinnvoll ist. Der Einsatz von grünem Wasserstoff sollte sich auf Anwendungsbereiche konzentrieren, in denen keine wirtschaftlichen Alternativen zur Erreichung der Treibhausgasneutralität existieren. Eine Nutzung von E-Fuels im Straßenverkehr ist auch aufgrund hoher Umwandlungsverluste nicht effizient. Die direkte Elektrifizierung ist bezogenen auf die Stromnutzung bis zu fünfmal effizienter. Außerdem sind laut den Autoren der Studie E-Fuels sehr teuer und dadurch langfristig nicht konkurrenzfähig [22].


Im Gegensatz dazu ist Wasserstoff im Schwerlastverkehr von hoher Bedeutung, wie die neue Analyse des Nationalen Wasserstoffrates erläutert. Mittelfristig wird Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe in allen Bereichen, wo über lange Distanzen viele Personen oder schwere Güter transportiert werden müssen, gesehen. Hierzu gehört der straßengebundenen Schwerlastverkehr, der Flug- und Schiffsverkehr sowie der Schienenverkehr. Im Jahr 2030 wird ein Wasserstoffbedarf von 27 TWh als plausibel angenommen. Nach 2030 wird Wasserstoff auch in der Luft als wichtiger Energieträger erwartet [25].


Auch im öffentlichen Nahverkehr wird der Einsatz von Wasserstoff in Betrachtung gezogen. Ob sich Wasserstoff im Vergleich zu Elektrobussen durchsetzen wird, hängt unter anderen von der Entwicklung aktuell laufender Pilotprojekte ab. Beispielsweise will die Deutsche Bahn ab 2024 Wasserstoffbusse in Niedersachsen und Schleswig-Holstein einsetzen. Hierzu wurden bereits über 60 Busse mit Brennstoffzellenantrieb bestellt [13].


Zusammenfassend sieht die Fachwelt Wasserstoff als wichtigen Baustein im Verkehrssektor. Hier steht jedoch vor allem im Schwerlastverkehr und weniger den Individualverkehr im Fokus, da die Elektrifizierung Vorrang haben wird. Der Ausgang zahlreicher Pilotprojekte und der Ausgang politischer Entscheidungen werden die Entwicklungen maßgeblich mitbestimmen.


Wasserstoffbedarf in Deutschland


Wir haben gezeigt, dass sowohl in der Industrie als auch im Verkehr der Einsatz von Wasserstoff zur Dekarbonisierung bis 2045 ein wichtiger Energieträger sein wird. Die Metastudie von Fraunhofer (2021) hat gezeigt, dass Verkehr und Industrie im Jahr 2050 den meisten Wasserstoff verbrauchen werden [20].


Zum Stand 2020 betrug der Wasserstoffverbrauch in Deutschland rund 55 TWh, welcher hauptsächlich für stoffliche Herstellungsverfahren im Industriesektor verwendet wurden. Aktuell sind in Deutschland lediglich 7% des Wasserstoffs grün [6]. In den nächsten Jahren wird der Wasserstoffbedarf deutlich ansteigen. Die folgende Grafik zeigt, dass sich die Prognosen hierzu teils stark unterscheiden.

 

Für das Jahr 2030 rechnet das BMWi mit einer Nachfrage zwischen 90 und 110 TWh [6], während der Nationale Wasserstoffrat einen Wasserstoffbedarf von 53 bis 90 TWh prognostiziert [25]. Das Energiewirtschaftliche Institut der Universität zu Köln rechnet mit einem Bedarf an grünem Wasserstoff von 458 TWh [15] im Jahr 2045 und die Metastudie von Fraunhofer aus dem Jahr 2021 erwartet einen Wasserstoffbedarf zwischen 400 und über 800 TWh im Jahr 2050 in Deutschland [20]. Wie hoch der Wasserstoffbedarf tatsächlich sein wird, hängt von zahlreichen Faktoren ab, unter anderem, wie erfolgreich der Einsatz von Wasserstoff im Verkehr sein wird. Die neue Studie von Fraunhofer ISI (2023) kam außerdem zu dem Ergebnis, dass der Einsatz von Wasserstoff im Verkehr und der Wärme nur dann sinnvoll ist, wenn er sehr günstig zur Verfügung steht [30].

 

Wasserstoff im Wärmebereich


Mit der Frage, ob der Einsatz von Wasserstoff im Wärmebereich sinnvoll ist, haben wir uns bereits in Teil 2 unserer Kompassserie beschäftigt. Dabei haben wir gezeigt, dass das Thema sehr umstritten ist. Zahlreiche Studien wie das Umweltbundesamt (2022) und Fraunhofer ISI (2023) kommen zu dem Ergebnis, dass Wasserstoff im Gebäudebereich im Jahr 2045 nur als Nischenlösung fungieren wird. Auch die Studie von Agora (2021) und BDI (2021) sehen Wasserstoff nicht als wirtschaftlichen Energieträger für die Wärmeversorgung im Jahr 2045.


Der Verband kommunaler Unternehmen e.V. (VKU) (2022) geht dagegen von einem deutlich höheren Wasserstoffbedarf im Gebäude und damit Heizwärmebereitstellung aus. Das Argument ist, dass die geringe Sanierungsrate der Gebäude dazu führen wird, dass Wasserstoff zur Bereitstellung höherer Temperaturen im Vergleich zur Wärmepumpe in einem Großteil des Wärmemarkts benötigt wird. Laut VKU wird es bis zum Jahr 2045 nur möglich sein, etwa 30% der Gebäude zu sanieren. Das führt laut Einschätzungen des VKU und BDEW dazu, dass 70% der Gebäude im Jahr 2050 noch auf die gleiche Infrastruktur und Energieversorgung angewiesen sein werden. Der VKU und BDEW schlussfolgern, dass die Verwendung klimaneutraler Gase in der Heizungsindustrie unerlässlich ist [29].

 

Verfügbarkeit von Wasserstoff

 

Nachdem wir gezeigt haben, dass der Wasserstoffbedarf insbesondere im Verkehr und der Industrie erheblich steigen wird, stellt sich die Frage nach der Verfügbarkeit von Wasserstoff in Deutschland. Zu der Verfügbarkeit gibt es ebenfalls sehr unterschiedliche Prognosen und zahlreiche Studien betrachten verschiedene Szenarien mit variierenden Wasserstoffverfügbarkeiten. Die Bottom-Up Studie von Fraunhofer (2022) betrachtet beispielsweise 3 Szenarien mit hoher Wasserstoffverfügbarkeit, in denen von einer Verfügbarkeit von Wasserstoff von 1.000 TWh im Jahr 2045 ausgegangen wird. Zu diesen Mengen stellen sich unweigerlich einige Fragen:

 

  • Wie hoch müsste die installierte erneuerbare Leistung sein, damit dieser Wasserstoff auch grün ist?
  • Wo können Elektrolyseure errichtet werden?
  • Aus welchen Ländern kann der restliche Wasserstoff importiert werden?
  • Wo können die für die Stromerzeugung benötigten EE-Anlagen installiert werden?

 

Diese Fragen bleiben in der Bottom-Up Studie (2022) zwar unbeantwortet, werden aber in der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung teilweise beantwortet. Um den prognostizierten Bedarf von 90 bis 110 TWh Wasserstoff im Jahr 2030 zu decken, geht die Bundesregierung davon aus, dass bis zu 75% des Wasserstoffs importiert werden müssen [6]. Um die Notwendigkeit dieser hohen Importmengen zu veranschaulichen, haben wir folgende Studien und Aussagen von Behörden zusammengetragen.

 

Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht der Elektrolyseleistung und stellt die installierte und geplante Leistung erneuerbarer Energien gegenüber. Die Zahlen basieren auf der Annahme von durchschnittlich 4.000 Volllaststunden und einem Wirkungsgrad der Elektrolyse von 0,7.

 

Tabelle 1: Vergleich Elektrolyseleistung und installierte und geplante EE-Nennleistung

Quelle: Eigene Darstellung basierend auf AGEB (2021) [1], Agora Energiewende (2022) [2], Die Bundesregierung (2023) [9] & Enkhardt (2022) [17]

 

Die Ausbauziele für erneuerbare Energien bis 2030 sind sehr ambitioniert, wie die Tabelle zeigt. So sollen zum Beispiel bei Offshore Anlagen bis 2030 mindestens 30 Gigawatt (GW), bis 2035 mindestens 40 GW und bis 2045 mindestens 70 Gigawatt in Deutschland erreicht werden. Bei Windenergie an Land sollen jährlich 10 GW installierte Leistung dazu kommen. Ziel ist die der Ausbau von rund 115 GW bis 2030. Die Ausbauraten bei Solaranlagen sollen um 22 GW pro Jahr steigen auf insgesamt rund 215 GW bis 2030 [9]. Im Vergleich zu 2022 wäre demnach fast eine Vervierfachung der Offshore- und Photovoltaikkapazitäten bis 2030 notwendig, um die Ausbauziele zu erreichen. Stellt man diese Kapazitäten jenen gegenüber, welche für die Erzeugung von 1.000 TWh Wasserstoff benötigt werden, zeigt sich recht deutlich, dass Deutschland nicht in der Lage ist, den Wasserstoffbedarf in dieser Größenordnung selbst zu produzieren.

 

Die Bundesregierung hatte sich zwar vorgenommen bis 2030 mindestens 10 GW Elektrolysekapazität aufzubauen, jedoch könnten dadurch bei 4.000 Volllaststunden und dem vorhandenen EE-Strom lediglich 28 TWh Wasserstoff bereitgestellt werden [9]. Bereits Ende 2022 sollte die neue Wasserstoffstrategie mit angehobenen Ausbauzielen beschlossen werden. Nun wird diese für April 2023 erwartet, da es aufgrund von Debatten um die Rolle des Staates beim Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur zu Verzögerung kam [14]. Unabhängig davon, wie hoch die neuen Ausbauziele sein werden, ist der Import von Wasserstoff unerlässlich. Die Bundesregierung geht davon aus, im Jahr 2030 70 - 75% aus dem Ausland zu importieren, um den prognostizierten Wasserstoffbedarf zu decken [6]. Im Vergleich dazu waren Anfang 2022 nur 0,5 GW an Elektrolyseleistung weltweit installiert [30].

 

Import von Wasserstoff

 

Aufgrund der für 2030 geplanten immensen Importen von Wasserstoff sind internationale Beziehung essenziell. Die Weltkarte bietet einen Überblick über globale Wasserstoff Pläne und Projekte.

 

 Quelle: Eigene Darstellung

 

Mit Namibia, Kasachstan, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden bereits Partnerschaften für die zukünftige Produktion und Lieferung des grünen Wasserstoffs abgeschlossen. Beispielsweise bietet Namibia optimale Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff, da dort ideale Bedingungen zur Erzeugung von Wind- und Solarenergie vorliegen. Namibia plant bereits vor 2025 grünen Wasserstoff zu exportieren. Das Projekt Hyphen Hydrogen Energy mit deutscher Beteiligung wurde speziell gegründet, um grüne Wasserstoff aus Namibia zu exportieren [24]. Durch die technische Möglichkeit zur Meerwasserentsalzung bieten Länder an Küsten wie Namibia direktes Potenzial als mögliche Wasserstofflieferanten [4].


Auch Kasachstan ist ein vielversprechender Partner für den Import von Wasserstoff. In den großen Steppen herrschen das ganze Jahr ideale Windverhältnisse und die Sonneneinstrahlung ist deutlich intensiver als in Deutschland. Der Transport von grünem Wasserstoff nach Europa stellt jedoch eine logistische Herausforderung dar und bedarf hoher Investitionen, sodass momentan noch unklar ist, wann Wasserstoff wirklich in der EU ankommen wird. In Form des deutsch-kasachischen Energiedialogs unter Leitung der dena und eines Wasserstoff-Diplomatie-Büros ist die Wasserstoffpartnerschaft mit Kasachstan jedoch im Aufbau [8]. Zusammen mit Kanada will Deutschland bis spätestens 2030 ebenfalls eine Lieferkette für grünen Wasserstoff über den Atlantik aufbauen. Bereits ab 2025 sollen erste Lieferungen von grünem Wasserstoff oder Wasserstoffderivaten wie Ammoniak erfolgen [11]. Bereits im Herbst 2022 sind erste Wasserstoff-Testlieferungen in Form des Wasserstoffderivats Ammoniak aus den Vereinigten Arabischen Emiraten im Hamburger Hafen angekommen. Dies diente dem Test der Transportkette zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Deutschland, um in Zukunft grünen Wasserstoff zu liefern [7].


Die Studie „Pre-feasibility Study for a Danish-German Hydrogen Network“ hat bis zum Jahr 2030 Szenarien für eine deutsch-dänische H2-Pipeline untersucht, welche zwischen 2,5 GWh/h und 8,6 GWh/h liefern könnte [16]. Ein neues deutsch-dänisches Kooperationsprojekt könnte die Entstehung eines EU-weiten Netzwerkes für Wasserstoff zudem unterstützen. Ab dem Jahr 2027 soll der Wasserstoff Interconnector Bornholm-Lubmin Wasserstoff von der dänischen Insel Bornholm nach Lubmin bringen. Die Pipeline soll mit einer Länge von 140 km eine Importkapazität von bis zu 10 GW ermöglichen. Hierdurch soll die Entwicklung der Offshore-Windenergie in der gesamten Ostsee vorangetrieben werden und langfristig eine kosteneffiziente Dekarbonisierung des nordosteuropäischen Energiesystem erreicht werden [23].


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bereits zahlreiche Partnerschaften zum zukünftigen Import von Wasserstoff bestehen und weitere in Planung sind, um die Dekarbonisierung mithilfe von Wasserstoff voranzutreiben. Volkswirtschaftlich sollte jedoch das Risiko der Importabhängigkeit und damit der politischen Abhängigkeit im Blick behalten werden. Aus Systemsicht sollte ein genauer Blick auf die Projekte im Ausland geworfen werden: Nutzen Länder, die für den Import von Wasserstoff infrage kommen, bereits zu 100% erneuerbare Energien in ihrem eigenen Land? Beim Import von Wasserstoff sollte beachtet werden, dass die Dekarbonisierung der Exportländer nicht aufgeschoben wird, nur damit Deutschland durch den Import von grünem Wasserstoff einen bilanziellen Vorteil gewinnt. Beispielsweise ist Tansania ein weiteres Land, das gute Bedingungen für den Export von grünem Wasserstoff aufweist. Dort besteht jedoch eine sehr hohe Energiearmut und nur 15 Prozent der Menschen haben Zugang zu Strom. Dieses Problem betrifft auch andere Länder im Globalen Süden und sollte bei Importplanung von grünem Wasserstoff berücksichtigt werden [26]. Weiterhin sollte in die ökologische und soziale Betrachtung einbezogen werden, dass für die Elektrolyse große Mengen an Wasser benötigt werden und Wasser in vielen der aufgeführten Ländern nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Zudem sollte der Transport von Wasserstoff volkswirtschaftlich bewertet werden, da der Aufbau von Transportkapazitäten zeit- und kapitalintensiv ist.


Bereitstellung von Wasserstoff


Zum Transport und der notwendigen Infrastruktur für den Einsatz von Wasserstoff stellen sich weitere Fragen. Die Prämisse der Bottom-Up Studie von Fraunhofer (2022) ist, dass das vorgelagerte Übertragungs- und Fernleitungsnetz für Strom und Wasserstoff grundsätzlich bereitsteht. Jedoch ist offen, inwiefern und in welchem Umfang die Umstellung der Gasnetze technisch möglich ist und welche Investitionen dafür notwendig sind. Die Bottom-Up Studie weist darauf hin, dass die höhere Fließgeschwindigkeit des Wasserstoffs in den Leitungen bei der Umstellung ein großes Problem darstellen kann. In den Netzen für Erdgas gibt es Geschwindigkeitsgrenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Im Vergleich zu Erdgas fließt Wasserstoff mit einer wesentlich höheren Geschwindigkeit. Obwohl es theoretisch möglich ist, die Erdgasnetze auf Wasserstoff umzustellen, besteht laut Autoren die Möglichkeit, dass die Lärmbelastung recht hoch sein wird [21]. Dies wird jedoch nicht weiter konkretisiert oder ins Verhältnis gesetzt. Laut den Autoren sollte eine Einzelfallanalyse dieser Belastung durchgeführt werden oder es sollten neue Methoden für den Wasserstofftransport gefunden werden.


Die Rolle der Erdgasnetze bei der Verteilung von Wasserstoff wird darüber hinaus kontrovers diskutiert. Im Bereich der Erdgasversorgung wird bereits heute eine Beimischung von 20% als technisch machbar angesehen [19]. Das Hamburger Gasnetz hat beispielsweise 15 Monate lang bereits erfolgreich den Betrieb des Gasnetzes mit einer 30%igen Beimischung getestet [12]. Die Beimischung sollte laut Agora-Studie „12 Thesen zu Wasserstoff“ den Großhandelspreis um 33% aufgrund der Produktions- und Transportkosten vom grünen Wasserstoff erhöhen, wobei jedoch nur 7% der Emissionen reduziert werden können. Laut Agora können die Ziele von einer 42%igen Emissionsreduktion im Gebäudesektor damit nicht erreicht werden [2]. Der VKU (2022) ist der Ansicht, dass die derzeitigen Erdgasnetze ein enormes Potenzial für den Transport von Wasserstoff bieten. Deutschland verbraucht mehr als 50% seines Gases über die Verteilnetze. Durch die Umstellung auf Wasserstoff auf der Verteilnetzebene, könnte die Dekarbonisierungsstrategie mit günstigeren Preisen und weniger Aufwand für die Endkunden umgesetzt werden [29]. Einige Akteure gehen davon aus, dass die Erdgasnetze durch Umstellungsmaßnahmen perspektivisch nahezu 100 % Wasserstoff transportieren könnten. So zeigen die Analysen des DVGW (2022) beispielsweise, dass die Rohrleitungen zu 95,9% aus wasserstofftauglichen Materialien wie Stahl und Kunststoff bestehen. Nur 0,2% sind ungeeignet, weitere 3,9% bedürfen weiterer Klärung [10].

 

Fazit


Viele Studien gehen davon aus, dass in der Industrie und im Verkehr hohe Wasserstoffmengen benötigt werden. Im Industriesektor wird im Jahr 2045 ein Wasserstoffbedarf von etwa 250 TWh erwartet. Dieser soll insbesondere in No-Regret-Anwendungen zum Einsatz kommen, wie beispielsweise der Stahlindustrie. Im Bereich Verkehr sollen Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe dort eingesetzt werden, wo über lange Distanzen viele Personen oder schwere Güter transportiert werden. Daher setzt vor allem der Schwerlastverkehr hohe Hoffnungen auf Wasserstoff. Wie hoch der Bedarf an Wasserstoff im Verkehr im Jahr 2045 konkret sein wird, hängt von der Entwicklung zahlreicher Pilotprojekte im ÖPNV und Forschungsergebnissen bezüglich des Einsatzes von Wasserstoff im Flug- und Schiffsverkehr ab. Im Individualverkehr ist die Elektrifizierung aktuell dominierend. Im Wärmebereich sehen die meisten Studien nur eine geringe Bedeutung von Wasserstoff. Hier wird der Einsatz von Wasserstoff von der Verfügbarkeit und den Marktpreisen von Wasserstoff sowie der Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Wärmequellen abhängen.


Wasserstoff kann demnach vor allem in Industrie und Schwerlastverkehr einen großen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten. Für das Jahr 2050 wird ein Wasserstoffbedarf in Deutschland von bis zu 800 TWh prognostiziert. In unserem Artikel wurde deutlich, dass die in Deutschland verfügbaren Mengen an Wasserstoff nicht ausreichen werden, um die Nachfrage zu decken. Die Bundesregierung erwartet, dass bis zu 80% des Wasserstoffbedarfs aus anderen Ländern importiert werden wird. Hierzu wurden bereits zahlreiche Partnerschaften geschlossen und neue Projekte sind in Planung. Beispielsweise sind bereits erste Wasserstoff-Testlieferungen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten im Herbst 2022 in Hamburg eingetroffen und deutsch-dänische Wasserstoff-Pipelines sind in Planung. Beim Einsatz von massiven Wasserstoffimporten aus dem Ausland sollte jedoch immer das Risiko der Importabhängigkeit berücksichtigt werden. Bezüglich der Infrastruktur zum Transport von Wasserstoff innerhalb Deutschlands gibt es weitere offene Fragen, da zum Beispiel kontrovers diskutiert wird, inwiefern Erdgasnetze auf Wasserstoff umgestellt werden können.


Es lässt sich zusammenfassen, dass Wasserstoff ein Baustein der Dekarbonisierung in Deutschland sein wird. Allerdings sind mehrere Akteure und Industrien am raren Gut interessiert, wodurch Ressourcenkonkurrenz entstehen kann. Der Bedarf lässt sich absehbar nicht über in Deutschland produzierten Wasserstoff bewerkstelligen, weshalb neue Importabhängigkeiten entstehen können. Zudem ist die Transport- und Verteilinfrastruktur von Wasserstoff zu großen Teilen ungeklärt. Diese Faktoren werden auf absehbare Zeit die Kosten für Wasserstoff in die Höhe treiben.


Für Stadtwerke ist es jetzt wichtig, sich an den lokalen Gegebenheiten zu orientieren und sich mit der Industrie vor Ort abzustimmen. Hierbei sollte auch analysiert werden, wo konkreter Bedarf an Wasserstoff (und Sauerstoff) besteht und welche Alternativen zur Versorgung bestehen. Insbesondere im Industrie- und Wärmesektor ist die lokale Situation vor Ort ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung von Dekarbonisierungsmaßnahmen, da im Wärmesektor keine One-Fits-All Lösung existiert. Machbarkeits- und Transformationsstudien können aktuell über die Bundesförderung effiziente Wärmenetzegefördert werden. Hier sollten auch Alternativen zur wasserstoffbasierten Wärmeversorgung analysiert werden. In Zusammenarbeit mit der Industrie können Projekte skizziert werden, sodass im Anschluss Fördermittel beantragt werden können. Liegt ein Stadtwerk an einer möglichen Haupttransportlinie für Wasserstoff, könnte dort eingespeist werden und der Standort zu einem neuen Industriestandort weiterentwickelt werden. Jeder Versorger muss sich mit dem Thema beschäftigen – Wasserstoff wird ein Bestandteil unserer zukünftigen Energieversorgungstruktur sein.

 

Literaturverzeichnis

[1] AG Energiebilanzen (2021): „Auswertungstabellen zur Energiebilanz Deutschland“.


[2] Agora Energiewende (2022): „12 Thesen zu Wasserstoff“. Link: A-EW_258_12_Thesen_zu_Wasserstoff_WEB.pdf (agora-energiewende.de)


[4] BMBF (2022): „Grüner Wasserstoff aus Afrika: Namibia wird Forschungspartner“. Link: Grüner Wasserstoff aus Afrika: Namibia wird Forschungspartner - BMBF


[5] BMDV (2022): „Verkehr in Zahlen 2021/22“. Link: Verkehr in Zahlen 2021/2022 (bund.de)


[6] BMWi (2020): „Die Nationale Wasserstoffstrategie“. Link: BMWK - Die Nationale Wasserstoffstrategie.


[7] BMWK (2022): „Erste Wasserstofflieferung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten in Deutschland eingetroffen“. Link: BMWK - Erste Wasserstofflieferung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten in Deutschland eingetroffen


[8] DENA (2023): „Deutsch-kasachische Wasserstoff-Wende“. Link: Deutsch-Kasachische Wasserstoff-Wende – Deutsche Energie-Agentur (dena)


[9] Die Bundesregierung (2023): „Mehr Energie aus Erneuerbaren Quellen“. Link: Mehr Energie aus erneuerbaren Quellen | Bundesregierung


[10] DVGW (2022): „H2 vor Ort. Der Gasnetzgebietstransformationsplan. Ergebnisbericht 2022“. Link: Ergebnisbericht_2022_des_GTP_A3.pdf (h2vorort.de)


[11] Energate (2022): „Deutschland und Kanada gründen Wasserstoffallianz“. Ausgabe 24.08.2022. Link: Deutschland und Kanada gründen Wasserstoffallianz – energate messenger+ (energate-messenger.de)


[12] Energate (2022): „Hamburger Gasnetz verträgt 30 Prozent Wasserstoff“. Link: Hamburger Gasnetz verträgt 30 Prozent Wasserstoff – energate messenger+ (energate-messenger.de)


[13] Energate (2023): „Deutsche Bahn bestellt erste H2 Busse“. Link: Deutsche Bahn bestellt erste H2-Busse – energate messenger+ (energate-messenger.de))


[14] Energate (2023): „Mansmann sieht Fortschritte bei Wasserstoffstrategie“. Ausgabe 28.02.2023.


[15] Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (2021): „dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“. Link: dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität. Klimaneutralität 2045 - Transformation der Verbrauchssektoren und des Energiesystems. (uni-koeln.de)


[16] Energinet (2021): „Pre-feasibility Study for a Danish-German Hydrogen Network”.


[17] Enkhardt, Sandra (2022): „Kraftwerksliste: Photovoltaik hat mit 63 Gigawatt höchste installierte Nettonennleistung in Deutschland“. Link: Kraftwerksliste: Photovoltaik hat mit 63 Gigawatt höchste installierte Nettonennleistung in Deutschland – pv magazine Deutschland (pv-magazine.de)


[18] FDP (2023): „Weg für E-Fuels in Deutschland ist frei“. Link: Klimaschutz: Weg für E-Fuels in Deutschland ist frei | FDP


[19] Fraunhofer Institut (2019): „Eine Wasserstoff-Roadmap für Deutschland“. Link: Wasserstoff-Roadmap für Deutschland - Fraunhofer ISE


[20] Fraunhofer Institut (2021): „Metastudie Wasserstoff – Auswertung von Energiesystemstudien. Link: Metastudie Wasserstoff – Auswertung von Energiesystemstudien - Fraunhofer ISE


[21] Fraunhofer Institut (2022): „Bottom-Up Studie zu Pfadoptionen einer effizienten und sozialverträglichen Dekarbonisierung des Wärmesektors“.


[22] Fraunhofer Institut (2023): „E-Fuels sind nicht sinnvoll für den großflächigen Einsatz bei Pkw und Lkw“. Link: E-Fuels sind nicht sinnvoll für den großflächigen Einsatz bei Pkw und Lkw - Fraunhofer ISI


[23] GASCADE (2023): „Neue Wasserstoffpipeline Bornholm-Lubmin mit großen Ambitionen im Ostseeraum“. Link: GASCADE Gastransport: Neue Wasserstoffpipeline Bornholm-Lubmin mit großen Ambitionen im Ostseeraum


[24] Hyphen Hydrogen Energy (2023). Link: Namibia - Hyphen Hydrogen Energy (hyphenafrica.com)


[25] Nationaler Wasserstoffrat (2023): „Treibhausgaseinsparungen und der damit verbundene Wasserstoffbedarf in Deutschland“. Link: 2023-02-01_Grundlagenpapier_H2-Bedarfe.pdf (wasserstoffrat.de)


[26] Öko-Institut (2020): „Die Risiken des Wasserstoff-Imports“. Link: Die Risiken des Wasserstoff-Imports - Öko-Institut e.V.: Blog (oeko.de)


[27] Statistisches Bundesamt (2023): Zulassungszahlen von Elektroautos 2023 | Statista


[28] UBA (2022): „Wasserstoff im Verkehr: Häufig gestellte Fragen (FAQs)“. Link: Wasserstoff im Verkehr: Häufig gestellte Fragen (FAQs) | Umweltbundesamt


[29] VKU, BDEW & DVGW (2022): „Positionspapier Wasserstoff als tragende Säule der Wärmewende. Aktualisierung im Zuge einer neuen Landesregierung NRW sowie der energiepolitischen Lage“.


[30] Wietschel, M.; Weißenburger, B.; Rehfeldt, M.; Lux, B.; Zheng, L.; Meier, J. (2023): „Preiselastische Wasserstoffnachfrage in Deutschland – Methodik und Ergebnisse.“ HYPAT Working Paper 01/2023. Fraunhofer ISI (Hrsg.). Link: Preiselastische Wasserstoffnachfrage in Deutschland – Methodik und Ergebnisse (hypat.de)

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