Aktuelle Entwicklung der Musterfeststellungsklage

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veröffentlicht am 25. April 2019


Der Dieselskandal hat die Politik bei der Verabschiedung der Musterfeststellungsklage angetrieben. Erste Klagen sind bereits eingereicht, erste Entscheidungen werden für das 1. Halbjahr 2019 erwartet. Eine Klagewelle ist bislang nicht zu erkennen.


 

Massenverfahren, also Verfahren einer Vielzahl von Geschädigten, sind bislang in Deutschland und Europa nicht alltäglich gewesen. Sie führten ein Schattendasein, in Deutschland z.B. in Form der Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz.

Wo auf europäischer Ebene noch über den „Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLA­MENTS UND DES RATES über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG” diskutiert wird, hat der deutsche Gesetzgeber – fristwahrend für die Unterbrechung der Verjährung evtl. Geschädigter des Dieselskandals – zum 1. November 2018 das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in Kraft treten lassen. Ins Klageregister, das beim Bundesjustizamt geführt wird, kann online Einsicht genommen werden. Wie nicht anders zu erwarten, ist Gegenstand der ersten beiden noch im November 2018 eingetragenen Klagen der Diesel­skandal – betroffen sind Volkswagen sowie Mercedes Benz. Denn der politische Druck, dem folgend das Gesetz verabschiedet worden ist, wurde durch den Dieselskandal aufgebaut. Im Februar 2018 wurde zudem noch ein Verfahren gegen einen Finanzdienstleister eingereicht. Hier geht es um den Schutz von Anlegerinteressen. Alle drei Verfahren dienen der Vorbereitung der Durchsetzung konkreter Schadenersatzforderungen der Kläger.


Damit die Musterfeststellungsklagen als zulässige Klagen behandelt und nicht abgewiesen werden, müssen sich binnen einer Frist von zwei Monaten ab Veröffentlichung im Klageregister für jedes der Verfahren mind. 50 Kläger angemeldet haben.

Am 28. Februar 2019, also vier Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, sind aber nur die vorbenannten drei Verfahren im Klageregister veröffentlicht. Eine Klagewelle ist bislang also nicht zu erkennen, denn die Diesel-Affäre hat bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zu einer Vielzahl von Verfahren geführt.


Wird die Einführung der Musterfeststellungsklage nun den Markt revolutionieren oder umkrempeln?

Um das Risiko von Musterfeststellungsklagen einordnen zu können, muss man sich zuerst die Hintergründe und den Inhalt des Verfahrens zur Musterfeststellungsklage vor Augen führen. Ziel des Gesetzes ist eine zügige und kostengünstige Durchsetzung von Ansprüchen, die einer Vielzahl von Personen zustehen. Zudem soll die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewahrt bleiben.


Vermeidung abweichender Entscheidungen in vergleichbaren Sachverhalten

Das Grundgesetz garantiert jedem Betroffenen seinen gesetzlichen Richter. Die Garantie wird dergestalt umgesetzt, dass in den jeweiligen Prozessordnungen vorab die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Gerichte geregelt wird. Bei einer Vielzahl von Ansprüchen, die einer Vielzahl von Klägern zustehen, kann das dazu führen, dass die Ansprüche an verschiedenen Gerichten innerhalb Deutschlands anhängig gemacht werden. Weil die Gerichte voneinander unabhängig sind, kann das dazu führen, dass zumindest bei Entscheidungen der ersten Instanzen diametral voneinander abweichende Entscheidungen getroffen werden. Nur dann, wenn die Verfahren bis zum Bundesgerichtshof getrieben werden – was aufgrund der Höhe der im Streite stehenden Summen nicht immer möglich ist – kann nach Abschluss eines Instanzen­zuges der Bundesgerichtshof diese Einheitlichkeit herstellen.

Die Musterfeststellungsklage löst diese Probleme in ihrem Anwendungsbereich. Für einen Beklagten gibt es nur ein einziges zuständiges Gericht und zwar das Oberlandesgericht, in dessen Zuständigkeitsbereich der Beklagte seinen Sitz hat. Gegen das Urteil kann nur noch in Revision zum Bundesgerichtshof gegangen werden. Das schafft zum einen eine örtliche Bündelung der Prozesse und zum anderen wird durch den Entfall einer Gerichtsinstanz schneller Rechtssicherheit geschaffen. Das ist nicht nur für die Anspruch­steller von Vorteil, sondern auch für die verklagten Unternehmen: Sie können ihre Verteidigung auf ein Verfahren konzentrieren. Wenn dem Unternehmen ein in einem anhängigen Prozess streitiger Rückgriff gegen einen Zulieferer zusteht, kann beantragt werden, dieses Verfahren im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage auszusetzen.

Eine Straffung von Verfahren ist also erfolgt und beiderseitige Prozesskosten können gesenkt werden.


Zügige Schaffung von Rechtssicherheit

Juristen verstehen unter Rechtssicherheit nicht die Sicherheit der Durchsetzung von Rechten, sondern Klarheit über Rechtsfolgen. Solche Klarheit schafft die Musterfeststellungsklage in der Tat vergleichbar rasch, denn sie stellt in abgekürztem Instanzenzug fest, ob überhaupt eine Rechtsverletzung vorliegt.

Einen Anspruch auf Schadenersatz gewährt die Musterfeststellungsklage dagegen nicht. Das würde dem deutschen Verständnis eines individuell zu beziffernden Schadens widersprechen. Viele Schadenersatz­prozesse werden nicht auf der Ebene der Feststellung eines dem Grunde nach zu ersetzenden Schadens entschieden, sondern auf der Ebene des Nachweises des behaupteten Schadens. Es gilt der Grundsatz: Ohne Schaden kein Schadenersatz. Selbst bei vermeintlich gleichen Fällen, wie dem Einbau einer Software, die zu falschen Emissionswerten und vielleicht sogar zum Erlass eines Fahrverbots für Fahrzeuge ganzer Baureihen führt, kann der Schaden erheblich voneinander abweichen. Denn es bestehen vielfältige Möglichkeiten, ein Fahrzeug auf eigene Präferenzen anzupassen – von der Konfiguration der Farbe, der Art der Sitzpolster über Räder und Reifen bis hin zur unterhaltungstechnischen Ausstattung. Schnell kann das einen Mehrpreis von über 20 Prozent des Basispreises ausmachen. Die tatsächliche Werteinbuße des Käufers variiert dann um diese Spanne.

Das ist der Grund, warum sich der deutsche Gesetzgeber entschieden hat, durch die Musterfeststellungs­klage nicht individuelle Anspruche zuzusprechen, sondern nur bestimmte Tatsachen festzustellen, die für das Bestehen eines individuellen Schadenersatzprozesses Voraussetzung sind. Der Schaden ist dann in einem Folgeprozess durchzusetzen.


Durch Vergleich können Ansprüche geschaffen werden

Für einen Vergleich zwischen den Streitparteien ist jedoch immer der Raum geöffnet: Wenn die Parteien sich über Schadenssummen einigen können, bleibt allen Beteiligten die Möglichkeit, aber nicht die Pflicht, sich durch solch einen Vergleich binden zu lassen. Oftmals wird das zu einer Verkürzung der Verfahren führen.


Der EU-Entwurf sieht derzeit abschließende Urteile vor

In der Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, im Rahmen der Musterfeststellungsklage nur über das „ob” der Ersatzpflicht zu entscheiden, aber z.B. die Höhe eines zu bezahlenden Schadenersatzes einem Folgeprozess zu überlassen, liegt der größte Unterschied zur europäischen Gesetzesinitiative.

Der „Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über Verbands­klagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG” soll die klageweise Geltendmachung von Entschädigungs-, Reparatur- oder Ersatzleistungen sowie die Geltendmachung von Preisminderungen, die Vertragskündigung oder Ansprüche auf Kaufpreiserstattung ermöglichen. Ob sich der Entwurf durchsetzt und in welchem Verhältnis er zum deutschen Verfahren steht, ist noch offen. Denkbar wäre eine Konkurrenz der Verfahren oder aber ein paralleles Bestehen beider Verfahren – des europäischen und des deutschen. Dann allerdings wäre der Wurf mit der Musterfeststellungsklage verfrüht erfolgt.


Fazit

Die Musterfeststellungsklage ist grundsätzlich dazu geeignet, schneller Rechtsklarheit zu schaffen: Sie mag zudem zu einer Begrenzung der Prozesskosten beitragen und damit zur Minimierung von Risiken – und das sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmer. Ob sie nun allerdings die Erhebung von Klagen für Verbraucher attraktiver macht, bleibt offen.

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