Der Koalitionsvertrag – Auswirkungen auf Leistungserbringer im Gesundheitswesen: Niedergelassene Ärzte und Medizinische Versorgungszentren

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​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 11. April 2025


Der Koalitionsvertrag sieht vor, ein „verbindliches Primärarztsystem“ einzuführen. GKV-Versicherte („Kassenpatienten“) können gegenwärtig Haus- wie Fachärzte unmittelbar in Anspruch nehmen. Überweisungen sind derzeit nur ausnahmsweise, nämlich bei Inanspruchnahme von Ärzten für Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, Nuklearmedizin, Pathologie, Radiologische Diagnostik bzw. Radiologie, Strahlentherapie und Transfusionsmedizin, obligatorisch.​​

​​​Dieses bereits aus der sog. Hausarztzentrierten Versorgung (§ 73 b SGB V) bekannte Modell beinhaltet, dass ambulante fachärztliche Behandlung mit Ausnahme der Leistungen der Augenärzte und Frauenärzte erst nach einer hausärztlichen Überweisung möglich ist; die direkte Inanspruchnahme eines Kinder- und Jugendarztes soll auch künftig unberührt bleiben. Durch das sog. Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz vom 25.02.2025 erfolgte bereits eine finanzielle Stärkung der Hausärzte. Künftig soll ihnen mit der Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems generell eine „Lotsenfunktion“ zukommen. Die Koalitionsparteien versprechen sich davon zum einen eine „möglichst zielgerichtete Versorgung“ der Patienten, also die Vermeidung medizinisch überflüssiger Inanspruchnahme von Fachärzten, zum anderen aber auch eine damit verbundene „schnellere Terminvergabe“, letztlich also eine Entlastung von Fachärzten durch Vermeidung medizinisch nicht erforderlicher Inanspruchnahmen. Auf die Primärärzte kommen damit erhöhte Haftungsrisiken zu; unterlassen sie behandlungsfehlerhaft die „richtige“ Überweisung zu einem geeigneten Facharzt zum erforderlichen Zeitpunkt, haben Sie dafür einzustehen. Schon 1984 entschied der Bundesgerichtshof, dass eine unzureichende ärztliche Koordination einen Behandlungsfehler darstellen kann (BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 – VI ZR 203/82).

Für Patientinnen und Patienten „mit einer spezifischen schweren chronischen Erkrankung“ sollen Ausnahmen geschaffen werden; beispielhaft werden „Jahresüberweisungen“ oder auch ein „Fachinternist als steuernder Primärarzt im Einzelfall“ genannt.

Mit dem sog. Terminservice- und Versorgungsgesetz hatte der Gesetzgeber die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) bereits im Jahre 2019 verpflichtet, Terminservicestellen einzurichten, die Versicherten innerhalb einer Woche einen Behandlungstermin zu vermitteln hatten (§ 75 Abs. 1a SGB V).  Diese Verpflichtung soll in zeitlicher Hinsicht offensichtlich revidiert werden; die Terminvergabe soll sich in Zukunft danach richten, welchen zeitlichen Korridor Primärzte oder die Terminservicestelle der KV für die jeweilige Inanspruchnahme eines Facharztes für erforderlich erachten; damit kann sich die bisher im Gesetz vorgesehene Wochenfrist gegebenenfalls deutlich verlängern. Gleichzeitig wird aber der Druck auf die KVen – denen die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung auch im fachärztlichen Bereich obliegt – erhöht. Gelingt es ihnen nämlich nicht, die erforderlichen Termine fristgerecht zu vermitteln, „wird der Facharztzugang im Krankenhaus ambulant für diese Patientinnen und Patienten ermöglicht“.

Schließlich sieht der Koalitionsvertrag den Erlass eines Gesetzes „zur Regulierung investorenbetriebener medizinischer Versorgungszentren (iMVZ-Regulierungsgesetz)“ vor. Dadurch soll zum einen – unkritisch – „Transparenz über die Eigentümerstruktur“ geschaffen, zum anderen aber auch „die systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel“ sichergestellt werden. Den Beteiligten schwebt dabei offenkundig vor, Zahnmedizinische und Medizinische Versorgungszentren (MVZ), hinter denen nicht originär gründungsberechtigte Leistungserbringer (vgl. § 95 Abs. 1a SGB V) stehen, vielmehr Finanzinvestoren (für die das „i“ in dem beabsichtigten Gesetz steht), als MVZ-Betreiber zumindest für die Zukunft einzuschränken oder auszuschließen. Gegenwärtig agieren diese sog. iMVZ dergestalt, dass sie meist als Träger kleiner Plankrankenhäuser auftreten, die ihrerseits dann überall in Deutschland und in beliebiger Zahl MVZ gründen können. Das wirtschaftliche Interesse dieser Investoren ist oft nicht auf den Betrieb des Krankenhauses gerichtet; dieses dient lediglich als „Steigbügelhalter“. Dementsprechend wird auch dort nicht das Geld verdient; shareholder value wird in den MVZ erwirtschaftet. Deshalb sind – was hier keiner Bewertung unterliegen soll – in der Vergangenheit, vermehrt aber auch jüngst, in Veröffentlichungen und Rechtsprechung Rufe laut geworden, solche Tätigkeiten zu untersagen oder aber – z.B. durch Einschränkung der Gründungsberechtigung für ein MVZ auf das Umfeld des begründenden Krankenhauses – zu begrenzen. So jedenfalls scheint die Formulierung, man wolle eine „systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel“ sicherstellen, zu verstehen sein. Der Abfluss von Geldern an reine Finanzinvestoren scheint unerwünscht – wobei man freilich im Auge haben muss, dass auch Krankenhäuser durch börsennotierte Kapitalgesellschaften betrieben werden …

Offenkundig ist schließlich beabsichtigt, den althergebrachten Quartalsbezug bei der vertragsärztlichen Behandlung und Abrechnung ganz oder teilweise aufzugeben und stattdessen Jahrespauschalen vorzusehen. Details bleiben im Koalitionsvertrag offen.

Weiterhin sollen „die Kompetenzen der Gesundheitsberufe in der Praxis“ gestärkt werden. Hinter dieser eher kryptischen Formulierung verbirgt sich offensichtlich der Umstand, dass qualifizierte nichtärztliche Mitarbeiter in Arztpraxen künftig über das bisherige Maß hinaus Leistungen erbringen dürfen, die bislang dem Arzt vorbehalten waren oder nur während seiner Anwesenheit in der Praxis erbracht und abgerechnet werden durften.

Die allgemeinärztliche Weiterbildung soll gestärkt werden; künftig soll ein niedergelassener Allgemeinarzt zeitgleich zwei Ärzte als Weiterbildungsassistenten beschäftigen dürfen. Ebenso sollen – ohne Angabe näherer Details – die Kapazitäten der Weiterbildungsstätten für Kinderärzte ausgebaut werden.

Bedarfsplanung und Zulassungswesen sollen revidiert werden. So soll „eine kleinteiligere Bedarfsplanung“ ermöglicht werden. Zuständig wäre – jedenfalls gegenwärtig – der Gemeinsame Bundesausschuss, der die Bedarfsplanungs-Richtlinie entsprechend anpassen könnte oder müsste. Damit könnte insbesondere für die Fachgruppen mit geringen Niederlassungszahlen (bei denen zum Teil die Bedarfsplanung sogar nur auf Ebene einer Kassenärztlichen Vereinigung erfolgt) die Bedarfsplanung wieder filigraner werden. Zudem soll die Bedarfsplanung für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychotherapeutischen Leistungen verbessert werden.

In den Zulassungsausschüssen (unklar, ob von dieser Terminologie auch die Berufungsausschüsse erfasst sein sollen) sollen die Länder stärker beteiligt werden und die „ausschlaggebende Stimme“ erhalten. Die Details sind unklar. Da die Zulassungsgremien paritätisch mit Vertretern der Krankenkassen und Vertragsärzte besetzt sind, müsste einem Landesvertreter dann eine Art „Vetorecht“ mit der Folge einer massiven Einschränkung der Selbstverwaltung zugestanden werden; . Vermutlich sollte mit der vielleicht etwas missglückten Formulierung aber eher zum Ausdruck gebracht werden, dass der Landesvertreter die entscheidende Stimme hat, wenn „nach Bänken abgestimmt“ wird, d. h. Stimmengleichheit zwischen den Ärztevertretern einerseits und Kassenvertretern andererseits herrscht.

Vorgesehen ist schließlich eine Vergütungsreform. Damit soll ein „Fairnessausgleich zwischen über- und unterversorgten Gebieten“ geschaffen werden. So soll eine Entbudgetierung der Fachärzte in unterversorgten Gebieten geprüft werden – ob sie kommt, ist demnach ungewiss. Im Übrigen aber sind für unterversorgte, möglicherweise auch drohend unterversorgte Gebiete Honorarzuschläge, für um mehr als 120 % überversorgte Gebiete Honorarabschläge vorgesehen.

Die vor vielen Jahren abgeschaffte Bedarfsplanung für Zahnärzte könnte wiederkommen. Jedenfalls soll den Ländern ermöglicht werden, diese selbst vorzusehen. Zulassungsbeschränkungen sind denkbar; Verträge, die heute schon geschlossen werden, aber erst in mehreren Jahren vollzogen werden sollen (z.B. der Kauf bzw. Verkauf einer zahnärztlichen Praxis), sollten das bereits jetzt berücksichtigen.

Last not least: das Bundessozialgericht hatte erst vor kurzem entschieden, dass die Teilnahme eines Privatarztes am vertrags(zahn)ärztlichen Notdienst als sog Pool-Arzt sozialversicherungspflichtig sei (BSG, Urteil vom 24. Oktober 2023 – B 12 R 9/21 R). Dem soll eine Regelung entgegengesetzt werden, die künftig die Sozialversicherungsfreiheit dieser Ärzte im Bereitschaftsdienst ermöglicht.

Für Regresse „niedergelassener Ärztinnen und Ärzte“ soll eine sog. Bagatellgrenze von 300 Euro eingeführt werden, unterhalb derer kein Regress stattfinden darf. Nach dem Wortlaut des Koalitionsvertrages würde das – was rechtlich fragwürdig wäre – nicht für Medizinische Versorgungszentren gelten; ob das tatsächlich so begrenzt gewollt ist, wird sich erst aus dem konkreten Gesetzestext ergeben. Zur besseren psychosomatischen Grundversorgung durch Hausärzte sollen zudem „deren Regresse abgeschafft“ (unklar: für welche Verordnungen) werden, zudem sollen psychosomatische Institutsambulanzen wohnortnaher geschaffen werden.





AUTOREN

Prof. Dr. Martin Rehborn
​Carina Richters
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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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