Sicherstellung der pflegerischen Versorgung, Kostenerstattung für Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftige, § 150 SGB XI

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veröffentlicht am 23. Juni 2020; Autoren: Sebastian Heinke, Norman Lenger-Bauchowitz

 

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Viele soziale Dienstleister stehen durch die Covid-19-Pandemie vor großen finanziellen Herausforderungen. Zur Sicherung des Versorgungssystems müssen sie einen erhöhten materiellen Aufwand für Schutzmaßnahmen sowie die Finanzierung zusätzlicher Personalkosten gewährleisten. Gleichzeitig entstehen ihnen Mindereinnahmen durch Aufnahmestopps oder die Reduzierung von Pflegeleistungen.


Um einen verbesserten Schutz von Pflegebedürftigen neben der Sicherstellung der stationären und ambulanten pflegerischen Versorgung zu gewährleisten, sind am 27.3.2020 eine Reihe von Gesetzesänderungen in Kraft getreten. Der Bundesgesetzgeber hat aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie das Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz verabschiedet, das auch wesentliche Änderungen bzw. Ergänzungen des SGB XI enthält. § 150 SGB XI regelt hierbei, dass Versorgungseinrichtungen gegenüber den Pflegekassen einen Erstattungsanspruch von coronabedingten Mehrausgaben und Mindereinnahmen zusteht, wenn diese nicht anderweitig finanziert werden können.


Zur Abmilderung dieser Folgen und zur Stärkung der Pflegeinfrastruktur hat der Gesetzgeber mit § 150 SGB XI eine komplexe Regelung geschaffen, die im nachfolgenden für die Betroffenen erläutert und vereinfacht dargestellt werden soll. Besondere Beachtung ist dabei der Nachweisvorhaltung und dem Verbot der vorrangigen Mittelverwendung zu schenken.


MELDEVERFAHREN NACH § 150 ABS. 1 SGB XI

Das in § 150 Abs. 1 SGB XI vorgesehene Meldeverfahren verpflichtet alle nach dem SGB XI zugelassenen Pflegeeinrichtungen, einschließlich der Betreuungsdienste zur umgehenden Anzeige von wesentlichen Beeinträchtigungen durch das Coronavirus SARS-CoV-2 gegenüber den Pflegekassen. Als wesentliche Beeinträchtigungen werden in der Gesetzesbegründung nicht kompensierbare krankheits- oder quarantänebedingte Ausfälle des Personals der Pflegeeinrichtung, ein höherer Aufwand bei der Versorgung von durch das neuartige Coronavirus SARS CoV-2 erkrankten Pflegebedürftigen, pandemiebedingte Mindereinnahmen im Rahmen ihrer Leistungserbringung oder auch erhöhte Anforderungen durch eine behördlich angeordnete Isolation bzw. Quarantäne angegeben. Durch das Meldeverfahren soll einzelfallabhängig geprüft werden, ob eine pflegerische Versorgung weiterhin sichergestellt ist oder welche konkreten Maßnahmen zur Sicherstellung erforderlich sind. Zur Erreichung dieses Ziels kann von den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben und Rahmenbedingungen zur Personalausstattung einschließlich der Vorgaben aus den Landesrahmenverträgen zur pflegerischen Versorgung nach § 75 SGB XI abgewichen werden. Es sollen alle bestehenden Instrumente des Vertragsrechts wie insbesondere Gesamtversorgungsverträge nach § 72 Abs. 2 S. 1 SGB XI genutzt werden, um möglichst schnell und effektiv auf die Erfordernisse zu reagieren.


UMFASSENDE KOSTENERSTATTUNG VON MEHRAUSGABEN UND MINDEREINNAHMEN ZUR FINANZIERUNG DER PFLEGEEINRICHTUNGEN

§ 150 Abs. 2 bis 4 SGB XI schafft den gesetzlichen Rahmen zur Kostenerstattung von Mehrausgaben und Mindereinnahmen in Verbindung mit dem Coronavirus SARS-CoV- 2. Der Anspruch
besteht unabhängig von einer Anzeige nach § 150 Abs. 1 SGB XI. Umfasst sind insbesondere Mehrausgaben für Schutzkleidung, Mundschutz, Schutzbrillen und Desinfektionsmittel sowie zusätzliche Personalkosten, beispielsweise für vorübergehend eingestelltes Fremdpersonal oder für Mehrarbeitsstunden und Personalaufstockung (direkte Mehrausgaben). Einmalige Sonderleistungen an die Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen (Corona-Prämien) sind nicht erstattungsfähig. Nicht ausdrücklich erwähnt, aber dennoch erstattungsfähig, dürften auch sog. indirekte Mehrausgaben sein. 


Befindet sich ein Unternehmen zum Beispiel in einer coronabedingten Restrukturierungsphase, so können unseres Erachtens ebenfalls Dienstleistungen, die in diesem Zusammenhang erbracht werden, als Mehrausgaben gelten. Das gilt zum einen für externe Dienstleister, die die entsprechenden Abrechnungen auf Basis des § 150 SGB XI erstellen oder aber auch Investitionen für Sondergutachten, die anlässlich der coronabedingten Beeinträchtigungen erstellt und begleitet werden. Im Bereich der Mindereinnahmen können alle Leistungen nach dem SGB XI sowie dem SGB V berücksichtigt werden. Einnahmeausfälle entstehen sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich durch Leistungseinschränkungen bei (Teil-) Schließungen sowie Aufnahmestopps und Nichtinanspruchnahme von Pflegeleistungen bedingt durch das Coronavirus SARS-CoV- 2. Im Bereich der Kurzzeit- oder Tagespflege können Einrichtungen von Mindereinnahmen betroffen sein, wenn geplante Aufenthalte dauerhaft abgesagt werden oder die Inanspruchnahme von Leistungen aus Sicherheitsgründen reduziert wird.


Die erstattungsfähigen Kosten umfassen alle Leistungen inklusive Ausbildungskosten, Kosten für Unterkunft und Verpflegung, einrichtungseinheitliche Eigenanteile, Fahrtkosten sowie Entlastungsleistungen nach § 45 b SGB XI und der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V. Nicht erstattungsfähig sind die betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen nach § 82 Abs. 3 und 4 SGB XI.


Der Forderung, auch die Investitionskosten vom Pflegeschutzschirm zu umfassen, um einen umfassenden Versorgungsauftrag zu gewährleisten, wurde nicht nachgegangen. Diese sind, so sieht es das SGB XI vor, Ländersache. Mindereinnahmen durch die Investitionskosten können somit nur durch Investitionskostenförderung des jeweiligen Bundeslandes abgedeckt werden.

 

WIE MACHE ICH DEN ANSPRUCH GELTEND?

Der für die Vergütungs- oder Pflegesatzvereinbarung der Pflegeeinrichtung zuständige Landesverband der Pflegekassen bestimmt eine Pflegekasse seiner Kassenart, gegenüber der die Pflegeeinrichtung die entsprechenden Mehraufwendungen und Mindereinnahmen schriftlich geltend zu machen hat. Neben der Erklärung der Korrektheit der Angaben verpflichtet sich die Pflegeeinrichtung dazu, bei Leistungseinschränkungen die freiwerdenden Personalressourcen anderen Trägern zu überlassen. Die Ansprüche können von den einzelnen Einrichtungen an ihren Träger nach strengen Vorgaben abgetreten und damit vereinfacht geltend gemacht werden.


ERSTATTUNGSANSPRUCH JEWEILS ZUM MONATSENDE & NACHWEISPFLICHT

Als Referenzmonat für die Berechnung der Mindereinnahmen wird der Januar 2020 gegenüber dem jeweiligen
Abrechnungsmonat herangezogen. Der Anspruch kann regelmäßig zum Monatsende geltend gemacht werden, wobei mehrere Monate in einem Antrag zusammengefasst werden können. Die Regelung ist zunächst auf den Zeitraum von März bis September 2020 begrenzt.


Das Gesetz ermächtigt in § 150 Abs. 3 SGB XI den Spitzenverband Bund der Pflegekassen im Benehmen mit den Bundesvereinigungen der Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen zur Festlegung des Erstattungsverfahrens sowie der erforderlichen Nachweise. Mit Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit hat der GKV-Spitzenverband festgelegt, dass auf Verlangen der auszahlenden Pflegekasse oder eines Landesverbandes, der Pflegeeinrichtungsträger Nachweise über die geltend gemachten Mehraufwendungen und Mindereinnahmen vorzulegen hat. Dies sind insbesondere Nachweise über Personalmehraufwendungen sowie Rechnungen über erhöhte Aufwendungen und Nachweise über Einnahmeausfälle.


Für die Auszahlung der Erstattung ist vorgegeben, dass diese insgesamt innerhalb von 14 Kalendertagen an die Pflegeeinrichtung zu erfolgen hat, damit eine Vorfinanzierung der Pflegeeinrichtung zeitlich auf maximal 6 Wochen begrenzt wird. Sofern nur ein Teilbetrag oder keine Auszahlung erfolgt, wird die Pflegeeinrichtung hierüber schriftlich informiert. Da die Erstattung durch die Kassen ein Verwaltungsakt ist, können gegen die Entscheidung, wenn sie nachteilig ist, Rechtsmittel eingelegt werden.

 

PROBLEM DER DOPPELFINANZIERUNG

Mehrausgaben und Mindereinnahmen, die anderweitig erstattet werden und so zu einer sog. Doppelfinanzierung führen würden, sind vom Sicherstellungsanspruch ausgenommen. Sonstige Finanzierungsmittel sind vorrangig zu betrachten. § 150 Abs. 2 SGB XI ist somit ein subsidiärer Anspruch. Vorrangige Mittel liegen insbesondere bei der Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld sowie bei Entschädigungen über das Infektionsschutzgesetz oder Einnahmen aufgrund von Arbeitnehmerüberlassung vor. Mit Geltendmachung des Anspruchs erklärt der Leistungsträger, dass die geltend gemachten Mehraufwendungen und Mindereinnahmen nicht bereits anderweitig ausgeglichen wurden.


Sofern die Pflegeeinrichtung die anderweitigen Finanzierungsmittel noch nicht erhalten hat, kann sie ihre Mindereinnahmen jedoch zunächst über § 150 Abs. 2 SGB XI geltend machen. In einem nachgelegten Verfahren hat sie die Mittel dann an die Pflegeversicherung zurückzuzahlen, um eine Doppelfinanzierung auszuschließen.

 
GESTALTUNGSSPIELRAUM ZUR VERMEIDUNG VON PFLEGERISCHEN VERSORGUNGSLÜCKEN IN DER HÄUSLICHEN VERSORGUNG

Den Pflegekassen wird in § 150 Abs. 5 SGB XI ein weiter Gestaltungsspielraum zur Vermeidung von pflegerischen Versorgungslücken in der häuslichen Versorgung eingeräumt. Wenn die ambulante Versorgung durch den bisherigen Pflegedienst oder eine Vertretung nicht sichergestellt werden kann, soll die Versorgung nun auch durch andere Leistungserbringer erfolgen können. Die Pflegekassen können nach ihrem Ermessen zur Vermeidung von Versorgungsengpässen, Kostenerstattung in Höhe der ambulanten Sachleistungsbeiträge nach § 36 SGB XI für bis zu 3 Monate gewähren.


Vorrangig sollen Leistungserbringer berücksichtigt werden, die von Pflegefachkräften geleitet werden. Je größer die Versorgungsprobleme sind, desto unbürokratischer soll die Versorgung möglich sein.


DAUER DER REGELUNG

Die Regelungen der Absätze 1 bis 5 sind bis einschließlich 30.9. befristet. Bis Jahresende 2020 kann ein weitergehender Anspruch bezogen auf die Monate März bis September 2020 nachgereicht werden.

 

Die Regelung ist insgesamt zu begrüßen. Sie stellt einen wichtigen Schritt zur Sicherstellung der Versorgung von Pflegebedürftigen dar. Insbesondere ist der jeweiligen Pflegeeinrichtung zu empfehlen, sich darüber Gedanken zu machen, welche Positionen im operativen aktuellen Geschäft nicht nur unter die direkten, sondern insbesondere unter die indirekten Mehrausgaben fallen könnten. Hier bieten sich vielfältige Ansatzpunkte, um die Corona-Krise bestmöglich zu bewältigen. Wenn Sie sich unsicher sind, sprechen Sie uns gerne an.

 

Um die Erstattung der Mehrausgaben und Mindereinnahmen letztendlich zu garantieren und Rückzahlungen auszuschließen, ist den Pflegeeinrichtungen zu empfehlen, umfassende Nachweise über die geltend gemachten Erstattungskosten und die Mittelverwendung zu führen und zu dokumentieren.

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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