Erbschaftsteuerreform 2016: Ungewissheit und kein Ende in Sicht

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Unternehmer in Deutschland sind verunsichert. Im Mittelstand stehen zwischen 2014 und 2018 nach Schätzungen des Instituts für Mittel­stands­forschung 135.000 Familienbetriebe zur Übergabe an. Doch derzeit weiß trotz des Bundestagsbeschlusses vom 24. Juni 2016 keiner, unter welchen steuerlichen Bedingungen Unternehmen seit dem 1. Juli 2016 verschenkt oder vererbt werden.

     

Diese Rechtsunsicherheit schadet der deutschen Unter­nehmer­­landschaft und wird auch bei geplanten Investitionen oder Einstellungen für Zurück­haltung sorgen. Angesichts des anhaltenden politischen Gerangels und der immer wieder drohenden Verschärfungen der Erbschaftsteuer denken viele Unternehmer bereits über den Verkauf ihres „Lebenswerkes” nach oder erwägen den Wegzug ins Ausland. Da stellt sich schon manch einer die Frage: Stehen die langwierigen Diskussionen um die Detail­regelungen des aktuellen Gesetzes­entwurfes noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem Steuervolumen, das durch die Erbschaft­steuer geriert wird? Die Erbschaftsteuer bringt den Ländern rund 6 Mrd. Euro pro Jahr ein. Das ist nicht einmal 1 Prozent des gesamten deutschen Steueraufkommens.

           

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Der Bundestag hat zwar mit der Mehrheit von Union und SPD die umstrittene Reform der Erbschaftsteuer am 24. Juni 2016 beschlossen, Linke und Grüne lehnen die Steuerprivilegien für Erben von Betriebs­vermögen jedoch als zu großzügig und verfassungswidrig ab. Die Zustimmung im Bundesrat zu dem Gesetzentwurf, auf den sich CDU/CSU und SPD geeinigt hatten, wurde v.a. von den rot-grün regierten Ländern versagt, so dass nun der Vermittlungsausschuss angerufen wird. Frühestens nach der politischen Sommerpause kann es nochmals zu umfassenden Änderungen kommen, die heute noch nicht absehbar sind. Wieder im Gespräch sind alternative Modelle, insbesondere das „flat tax"-Modell mit einheitlichem Steuersatz auf jegliche Vermögensart, hohen Freibeträgen und ohne spezielle Begünstigung insbesondere für Unternehmensvermögen.

 

Anwendungszeitpunkt für das neue Recht

Eine Neuregelung musste nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts spätestens bis zum 30. Juni 2016 umgesetzt werden. Ab dem 1. Juli 2016 herrscht nun Unsicherheit über die Besteuerungsfolgen, denn es ist eingetreten, wovor aus Wirtschaft, Verbänden und Beraterschaft gewarnt wurde: Die Übergangsfrist, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Gesetzgeber gesetzt hatte, ist ohne wirksame Neuregelung abgelaufen. Auch wenn das BVerfG schon verlauten ließ, dass die bisherige Betriebsvermögensbegünstigung nach dem 30. Juni 2016 nicht automatisch wegfällt, ist niemand mehr vor dem unkalkulierbaren Ergebnis neuer Klageverfahren geschützt. Die Finanzverwaltung hat sich ebenfalls in einem Erlass vom 21. Juni 2016 dahingehend geäußert, dass die alte Betriebsvermögensbegünstigung über den 30. Juni 2016 hinaus anzuwenden ist. Das gilt aber nur vorläufig: Der Gesetzesbeschluss des Bundestages sieht nämlich eine rückwirkende Anwendung der neuen Regelungen auf Erwerbe vor, für die die Steuer nach dem 30. Juni 2016 entsteht. Bleibt es auch im Vermittlungsausschuss bei dieser Rückwirkung, ist das neue Gesetz vorrangig vor dem Erlass der Finanzverwaltung zu beachten. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Rückwirkung könnte allerdings, insbesondere bei einem längeren Zeitraum bis zu einer Einigung im Vermittlungsausschuss, noch auf dem richterlichen Prüfstand landen.

 

Welche Änderungen sieht der aktuelle Gesetzentwurf vom 24. Juni 2016 im Vergleich zum bisherigen Recht vor?

Kurzüberblick

Wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, werden v.a. bei der Übertragung von großen Unternehmen die bisherigen Verschonungs­regelungen erheblich eingeschränkt. Die Erwerber müssen entweder ihr Privatvermögen zur Steuerzahlung einbringen oder erhebliche Abschläge bei der Verschonung hinnehmen.

Dabei wird künftig bei allen Unternehmen das sog. Verwaltung­svermögen, also etwa Bank­guthaben, ausstehende Forderungen oder vermietete Grundstücke, unmittelbar ohne Begünstigung besteuert. Die Definition des Verwaltungs­vermögens lehnt sich mit einigen Modifikationen zur Missbrauchsverhinderung an die bisherige Definition an und lässt eine quotale Schulden­verrechnung zu. Bei Unternehmensgruppen erfolgt eine konsolidierte Ermittlung. Dritt­lands­beteiligungen bei einer Holding­gesellschaft, Alters­versorgungs­ver­pflichtungen und verpachtete Grundstücke, die zum Zwecke des Absatzes von eigenen Produkten überlassen werden (z.B. bei Brauereigaststätten und Tankstellen), werden als Betriebs­vermögen begünstigt. Neu eingeführt wird eine Investitionsklausel für Erwerbe von Todes wegen, wenn der Erwerber innerhalb von 2 Jahren schädliches Verwaltungs­vermögen in begünstigungs­fähiges Vermögen investiert, das unmittelbar einer gewerblichen Tätigkeit dient.

Für alle Unternehmen gilt nach wie vor, dass Übertragungen nur dann steuerlich verschont werden, wenn die Arbeitsplätze erhalten bleiben und die Betriebe über 5 bzw. 7 Jahre fortgeführt werden. Das Ver­fassungs­gericht hatte in seinem Urteil ausdrücklich betont, dass diese Regelungen dem Gemeinwohl dienen, weil sie letztlich sicherstellen, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Für Familien­unternehmen, die bestimmte Satzungs­regelungen (Entnahme-/Ausschüttungs-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen) in ihren Gesellschafts­verträgen haben, sieht der Gesetzentwurf einen Vorab-Abschlag von maximal 30 Prozent des gemeinen Unternehmens­werts vor. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch sowohl in materieller als auch insbesondere in zeitlicher Hinsicht so hoch, dass nur wenige Unternehmen von diesem Abschlag profitieren werden. Außerdem berücksichtigen die vorgegebenen Voraus­setzungen nicht die Vielfalt von Familienunternehmen.

Schließlich werden Korrekturen bei der Bewertung durch Einfügung eines begrenzten Korridors der Basiszinsen von 3,5–5,5 Prozent im vereinfachten Ertragswertverfahren vorgenommen, um die bisherigen Überbewertungen von Unternehmen aufgrund der niedrigen Zinsen abzumildern.
 

Kleine Unternehmen

Kleine Unternehmen sind von der Reform wohl am geringsten betroffen, da die bisherigen Regelungen weitestgehend erhalten bleiben. Das gilt für Erwerbe von begünstigtem Vermögen bis 26 Mio. Euro. Eine Mehrbelastung spüren solche Unternehmen künftig bei der Besteuerung des schädlichen Verwaltungs­vermögens. Solches Vermögen war nämlich bisher bis zu 50 Prozent des Unternehmenswerts mit begünstigt. Diese Freigrenze und den damit verbundenen Kaskaden­effekt hatte das Bundes­verfassungs­gericht als verfassungswidrig beanstandet.

Die Ausnahme von der Lohnsummen­regelung für Klein­unternehmen, die nach den Vorgaben des Bunde­sverfassungs­gerichts deutlich zurückgeführt werden musste, ist jetzt mehrstufig gestaltet. Eine echte Ausnahme gilt nur noch für Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern. Für Unternehmen bis zu 15 Mitarbeitern wird die grundsätzlich einzuhaltende Mindest­lohnsumme abgemildert. Der für die Lohnsummenermittlung erforderliche Bürokratieaufwand setzt also bereits bei Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern ein, im Gegensatz dazu waren nach dem bisherigen Erbschaft­steuergesetz Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten von der Lohnsummenprüfung nicht betroffen.
 

Große und mittlere Familienunternehmen

Große Familien­unternehmen müssen sich als die Verlierer der Reform fühlen. Das betrifft Erwerbe von begünstigtem Vermögen von mehr als 26 Mio. Euro. Jegliche Anteils­übertragung dieser Größe wird in Zukunft deutliche Steuer­belastungen bewirken. Es kumulieren sich sämtliche negativen Auswirkungen der Neuregelung:
  • Schädliches Verwaltungsvermögen wird bis auf einen sog. Schmutzzuschlag von 10 Prozent des begünstigten Vermögens voll besteuert
  • Kaskadeneffekte sollen vermieden werden, daher kommt es künftig zu einer Verbund-Vermögensbetrachtung, die zusätzlichen Ermittlungsaufwand erforderlich macht.
  • Es gibt nur noch auf Antrag eine Verschonung für das begünstigte Vermögen.
  • Bei Erwerben von begünstigtem Vermögen von mehr als 26 Mio. Euro kann künftig zwischen 2 neuen Verschonungskonzepten gewählt werden: Abschmelzmodell oder Erlassmodell (Verschonungsbedarfsprüfung)
  • Je wertvoller das Unternehmen ist, desto nachteiliger wirken sich die neuen Verschonungskonzepte aus, da insbesondere im Abschmelzmodell mit steigendem Wert des begünstigten Vermögens der Verschonungsabschlag stufenweise verringert wird.
  • Ab einem Wert des begünstigten Vermögens von 90 Mio. Euro wird ein Verschonungsabschlag nicht mehr gewährt. Alleinig die Verschonungsbedarfsprüfung bleibt in diesen Fällen als Alternative. Zwar ist im Gesetzentwurf auf Antrag eine zinslose Stundung der Steuer bis zu 10 Jahren vorgesehen. Diese soll aber nur für Erwerbe von Todes wegen gelten und wird im Vermittlungsausschuss noch auf der Kippe stehen. 
  • Von der Zinsbegrenzung im vereinfachten Ertragswertverfahren profitieren große Unternehmen in der Regel nicht, da sie ohnehin meist auf Anforderung der Finanzverwaltung eine Unternehmensbewertung durchführen müssen.
  • Die Verschonungsbedarfsprüfung, bei der u.a. 50 Prozent des Privatvermögens des Erwerbers für die Zahlung der Erbschaftsteuer heranzuziehen ist, kann dazu führen, dass künftig Schenkungen oder Erbschaften von begünstigtem Vermögen an bereits vermögende Nachfolger verhindert werden – eine höchst fragwürdige Anreizwirkung, die völlig neue Denkansätze in der Nachfolgeplanung auslöst!
     

Immobilienunternehmen

Die Hoffnung auf Erleichterung für bisher nicht begünstigte Unternehmen der Immobilienbranche hat sich leider nicht erfüllt. Abgesehen von Wohnungsunternehmen, die ab einem gewissen Umfang auch künftig von der Begünstigung profitieren sollen, wurden die berechtigten Forderungen der Branche nicht berücksichtigt. So sind weiterhin an Dritte vermietete Grund­stücke Verwaltungsvermögen, was insbesondere Bestandshalter mit weniger als 300 Wohnungen trifft wie auch Unternehmen, die vermietete Gewerbeimmobilien halten (z.B. Bau­träger­unternehmen). Doch selbst die bisherige Begünstigung von Wohnungs­unternehmen könnte im Rahmen der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss noch gestrichen werden. Denn der Antrag der rot-grün regierten Länder geht dahin, gewerblich geprägte Mitunter­nehmer­schaften und nicht originär gewerblich tätige Kapitalgesellschaften aus dem begünstigungsfähigen Vermögen auszuschließen.
 

Privatvermögen

Bisher wirkt sich die Erbschaftsteuerreform auf Übertragungen im Privatvermögen nicht unmittelbar aus. Anders wäre es, wenn es nun doch noch im Vermittlungsausschuss zur Einigung auf ein „Flat-Tax”-Modell käme.

Mittelbar wird allerdings bei Übertragung von Betriebsvermögen künftig bei Anwendung der Verschonungsbedarfsprüfung auf das vorhandene und das innerhalb von 10 Jahren weiterhin erworbene Privatvermögen des Erwerbers zugegriffen und dieses zur Zahlung der Erb­schaft­steuer herangezogen. Das kommt der Einführung einer Vermögensteuer durch die Hintertür gleich.
 

Fazit

Kein Unternehmer kann sich seit dem 1. Juli 2016 mehr auf die Geltung der bisherigen Ver­schonungs­regeln für Betriebsvermögen verlassen. In den meisten Fällen war das bisherige Erbschaftsteuerrecht günstiger als die geplante Neuregelung. Bevor Unternehmer ihren Betrieb schenkweise übertragen, ist eine Kalkulation der möglichen Steuerbelastung unter Berück­sichtigung der geplanten Rechtslage unerlässlich. Doch selbst dann bleiben Un­sicher­heiten, ob die Regelung tatsächlich so wie im Gesetzesentwurf vorgesehen umgesetzt werden wird. Rechtssicherheit sieht anders aus!

Oder, um es mit Otto von Bismarck auszudrücken: „Jede neue Steuer hat etwas erstaunlich ungemütliches für denjenigen, der sie zahlen oder auch nur auslegen soll.”     
 

zuletzt aktualisiert am 26.07.2016
 
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