Große AVBFernwärmeV-Novelle: Investitionsgrundlage für Wärmewende mit mehr Verbraucherschutz?

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veröffentlicht am 3. August 2022

 

Mit dem Referentenentwurf für eine große AVBFernwärmeV-Novelle hat sich der Gesetzgeber um einen Ausgleich von Versorger- und Verbraucherinteressen bemüht. Um der von der Politik postulierten Rolle der Fernwärmeversorgung bei einer Wärmewende gerecht zu werden, fehlt es jedoch noch an Investitions- und Planungssicherheit für Dekarbonisierungsinvestitionen. Insofern könnte eine Privilegierung durch verbraucherschutzrechtliche Einschränkungen bei einseitigen Preisbestimmungsrechten, Preisgleitklauselanforderungen und Laufzeiten nicht nur Vorbedingung, sondern auch Anreiz für die Wärmewende in der Fernwärmewirtschaft werden. Fernwärmeversorger müssen deshalb trotz der Belastung durch die aktuelle Gaskrise jetzt die Gelegenheit wahrnehmen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen des „Grundgesetzes der Fernwärmeversorgung” zukunftsfähig zu machen.

 

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat am 25.07.2022 einen Referentenentwurf einer „Verordnung zur Änderung der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme” (AVBFernwärmeV) veröffentlicht. Zuletzt wurde die AVBFernwärmeV erst im Sommer 2021 zur Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben zu Mess-, Abrechnungs- und Informationspflichten angepasst und durch die Fernwärme- und Fernkälte-Verbrauchsabrechnungs-Verordnung (FFVAV) ergänzt. Dabei waren insbesondere die auf einen Endbericht der Verbraucherschutzministerkonferenz (VSMK)zurückgehenden, erst kurzfristig zum Schluss des Verordnungsgebungsverfahrens eingeführten Änderungen des Bundesrats umstritten.

 

Unternehmensvertreter forderten die Rücknahme einiger Änderungen, weil diese der für eine Wärmewende erforderlichen Investitionssicherheit die Grundlage entzögen. Verbrauchschützer wünschten sich dagegen eine noch weitergehende Umsetzung des VSMK-Endberichts (Wir berichteten). Seitdem wird die von der neuen Regierungskoalition angekündigte, sog. „große AVBFernwärmeV-Novelle” bereits seit langem mit Spannung erwartet.

 

Entsprechend enthält der Referentenentwurf insbesondere Regelungsvorschläge zu den umstrittenen Regelungen der Leistungsanpassung (§ 3 AVBFernwärmeV), der einseitigen Vertragsbestimmung (§ 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV), der Preisanpassung durch Preisgleitklauseln (§§ 24, 24a AVBFernwärmeV) und der Vertragslaufzeit (§ 32 AVBFernwärmeV).

 

Im Hinblick auf die fehlende Investitionssicherheit für Dekarbonisierungsinvestitionen enthält der neue § 3 AVBFernwärmeV-RegE kein einseitiges Kündigungsrecht mehr. Zwar verbleibt ein unbegrenztes Anpassungsrecht des Anschlussnehmers für den Fall der Umstellung auf Erneuerbare Energien und der energetischen Gebäudesanierung, welches sogar ausdrücklich auch auf öffentlich-rechtliche Anschlusspflichten ausgedehnt wird. Der damit bestehende Konflikt zwischen Refinanzierungsinteresse des Fernwärmeversorgungsunternehmens und Energiekosteneinsparungen des Verbrauchers lässt sich aber im Rahmen der für ein gesetzliches Anpassungsrecht bestehenden Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unter Wahrung von Einzelfallgerechtigkeit lösen (vgl.: Fernwärme: Ist das Verlangen des Kunden nach Leistungsanpassung „billig”?), sodass eine wesentliche Baustelle der VSMK-Änderungen geschlossen wird.

 

Das Recht zur einseitigen Leistungsbestimmung nach § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV wird durch eine Anpassung an die Standards des § 5 Abs. 2 StromGVV/GasGVV in formeller Hinsicht modernisiert. Textform, Internetveröffentlichung, Begründung und Vorankündigungsfristen entsprechen ohnehin der Praxis moderner FVU. Dabei bleibt das eigentliche Grundproblem aller energierechtlichen Verordnungen, dass die Norm selbst kein Anpassungsrecht enthält, sondern dieses nur voraussetzt, ungelöst. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen BGH-Rechtsprechung, die § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV ein Leistungsanpassungsrecht in Bezug auf Vertragsklauseln, nicht jedoch in Bezug auf Preise zuerkannt hat, wäre die Kodifizierung eines gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts, welches einen materiellen Anpassungstatbestand und Rechtsfolge ausdrücklich bestimmt, zweckmäßig. Gerade die aktuelle Erdgaspreiskrise zeigt, dass auch Fernwärmeversorger unvorhersehbare, extreme Kostenentwicklungen nicht durch Preisgleitklauseln abbilden können und deshalb ein ergänzendes Preisbestimmungsrecht neben der Preisgleitklausel als Korrekturinstrument betriebswirtschaftlich zwingend erforderlich ist.

 

Zu der Anpassung durch Preisgleitklausel sieht die Novelle eine sprachliche Konkretisierung der von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV vor. Die Neufassung fordert, dass die Preise sich nur im Umfang der Kostenveränderung ändern dürfen, gleichzeitig aber auch die die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen berücksichtigen müssen. Diese Forderung ist an sich unerfüllbar, da eine Preisgleitklausel, die die Entwicklung des Wärmemarkts, d.h. kostenfremde Entwicklungen, berücksichtigt, nicht gleichzeitig eine auf die Kostenveränderung beschränkte Preisveränderung sicherstellen kann. Insofern hat der BGH diesen Widerspruch durch den Kompromiss der Kostenorientierung gelöst, die jedoch keinen Niederschlag im Verordnungsentwurf gefunden hat.
In Bezug auf die einseitige Leistungsbestimmung von Preisgleitklauseln hat der Gesetzgeber seine Hausaufgaben mit einem ausdrücklichen Leistungsbestimmungsrecht in § 24a AVBFernwärmeV-RefE gründlich gemacht! Allerdings ist der Anpassungstatbestand mit der Bezugnahme auf einen Energieträgerwechsel aufgrund gesetzlicher Vorgaben noch zu eng formuliert. Auch bei Änderungen der Anlagentechnik (z.B. KWK oder Kessel), Modernisierungen oder Erweiterungen der bestehenden Versorgungsanlagen ändert sich die Kostenstruktur. Vor allem müssen Änderungen eher selten aufgrund gesetzlicher Vorgaben, sondern in der Regel aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen vorgenommen werden.


Dabei sieht die § 24a Abs. 2 AVBFernwärmeV als Korrektiv ein Kündigungsrecht vor, soweit die mit der Preisgleitklauselanpassung verbundene Preissteigerung eine Schwelle von 20% überschreitet.

In Bezug auf die Laufzeiten von Fernwärmeversorgungsverträgen bleibt es zwar bei neu hergestellten Hausanschlüssen oder bei wesentlicher Erhöhung der vereinbarten Fernwärmeleistung bei der Laufzeit von 10 Jahren. Für bestehende Anschlüsse wird die Laufzeit aber auf eine Dauer von 5 Jahren beschränkt. Betriebswirtschaftlich ist diese Beschränkung sachlich nicht zu rechtfertigen, da Hausanschlüsse in der Regel über die einmalige Hausanschlusskostenerstattung bei Vertragsbeginn und nicht über laufende Wärmeentgelte über die Vertragsdauer refinanziert werden. Gerade Dekarboniserungsinvestitionen in effiziente oder regenerative Erzeugungsanlagen könnend dagegen häufig noch nicht einmal innerhalb von 10 Jahren zu wettbewerbsfähigen Preisen refinanziert werden, sodass hier in der Praxis häufig versucht wird, die höchstzulässigen Vertragslaufzeiten auf 15 – 20 Jahre zu erweitern. Mit einer Verkürzung auf 5 Jahre würde eine Wärmewende in Bestandsgebieten dagegen häufig unmöglich gemacht.

Darüber hinaus sieht der Entwurf umfassende weitere Anpassungen vor, mit denen überwiegend der verbraucherschutzrechtliche Standard der StromGVV und GasGVV auf die AVBFernwärmeV übertragen wird (z.B. in Bezug auf Versorgungseinstellungen, Textform, etc.).

 

Damit ist anzuerkennen, dass sich das BMWK um einen Ausgleich von Versorger- und Verbraucherinteressen bemüht hat. Um der von der Politik postulierten Rolle der Fernwärmeversorgung bei einer Wärmewende gerecht zu werden, fehlt es jedoch noch an Investitions- und Planungssicherheit für Dekarbonisierungsinvestitionen. Insofern könnte eine Privilegierung von Dekarbonisierungsinvestitionen durch verbraucherschutzrechtliche Einschränkungen bei einseitigen Preisbestimmungsrechten, Preisgleitklauselanforderungen und Laufzeiten nicht nur Vorbedingung, sondern auch Anreiz für die Wärmewende in der Fernwärmewirtschaft sein. Die verunglückten Preisanpassungsregelungen zur Weitergabe der Kostensteigerung aus den EnSiG-Erdgaspreisanpassungsrechten (§ 24 Abs. 5 – 7 AVBFernwärmeV) zeigen, dass der Gesetzgeber auf den Sachverstand der Versorgungsbranche angewiesen ist. Fernwärmeversorger müssen deshalb trotz der Belastung durch die aktuelle Gaskrise jetzt die Gelegenheit wahrnehmen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen des „Grundgesetzes der Fernwärmeversorgung” zukunftsfähig zu machen.

 

Der Verordnungsentwurf wurde von der Bundesregierung noch nicht beschlossen und bedarf noch der Zustimmung des Bundesrats. Zur Zeit läuft noch die Stellungnahmefrist des BMWK bis zum 26. August 2022, sodass mit einer Eröffnung des formellen Verordnungsgebungsverfahrens erst nach der Sommerpause zu rechnen ist. Nach der Quartalsregelung des Art. 2 des Verordnungsentwurfs ist damit frühestens ein Inkrafttreten zum 01.10.2022 möglich. Angesichts der zu erwartenden Diskussionen ist jedoch ein Inkrafttreten zum 01.01.2023 oder später eher wahrscheinlich.

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