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veröffentlicht am 7. April 2020
Im Berufungsverfahren vor dem OLG Stuttgart über Eigentums- und Übertragungsansprüche am Fernwärmeversorgungsnetz sieht das Gericht einen Anspruch der Stadt Stuttgart gegen EnBW auf Beseitigung des über mehr als hundert Jahre gewachsenen Fernwärmenetz in der baden-württembergischen Landeshauptstadt für gegeben. EnBW kann diesem Beseitigungsanspruch keinen kartellrechtlichen Anspruch auf Abschluss eines neuen Gestattungsvertrages entgegenhalten.
Der Gestattungsvertrag über die Nutzung der öffentlichen Verkehrswege für das Fernwärmenetz in Stuttgart zwischen der Stadt und EnBW endete zum 31.12.2013. Der Vertrag enthielt keine sog. „Endschaftsklausel”, welche in Gestattungsverträgen regelmäßig enthalten ist, um die weitere Vorgehensweise in Bezug auf das bestehende Fernwärmenetz zu regeln.
Die Vorinstanz (LG Stuttgart, Urteil v. 14.02.2019, 11 O 225/16) hatte entschieden, dass die Stadt keinerlei Ansprüche auf Herausgabe oder Beseitigung des Fernwärmenetzes habe. Vielmehr habe die EnBW einen Anspruch gegen die Stadt auf Abschluss eines Folge-Gestattungsvertrages zu angemessenen und diskriminierungsfreien Konditionen.
Das OLG Stuttgart hat im Berufungsverfahren (OLG Stuttgart, Urteil v. 26.03.2020, 2 U 82/19) das Urteil in Teilen abgeändert. So habe die Stadt einen Anspruch auf Beseitigung des Fernwärmenetzes. EnBW könne dem keinen eigenen Anspruch auf Abschluss eines neuen Fernwärmegestattungsvertrages entgegenhalten. Im Einzelnen sagt das OLG Stuttgart Folgendes:
Die Stadt hatte argumentiert, dass sie mit Auslaufen des alten Gestattungsvertrages am 31.12.2013 Eigentümerin des Fernwärmenetzes geworden sei. Dem erteilte das Gericht eine Absage.
Fernwärmenetze sind sog. „Scheinbestandteile” der Grundstücke von Kommunen. Das bedeutet, dass der Fernwärmeversorger das Eigentum an den Leitungen und sonstigen Anlagen nicht dadurch verliert, dass er diese in den Grundstücken einer Kommune verlegt. Hierfür muss bei Abschluss des Gestattungsvertrages für die Vertragsparteien festgestanden haben, dass das Fernwärmenetz nur für die Dauer des Vertrages eingebracht wird, also nur für einen vorübergehenden Zweck. Die massive Bauart eines Fernwärmenetzes steht dem nicht entgegen. Es muss aber darauf geachtet werden, dass der Gestattungsvertrag keine Klausel enthält, nach der bei Vertragsende das Eigentum in jedem Fall auf die Kommune übergehen soll.
Das Gericht verneinte darüber hinaus alle weiteren von der Stadt geltend gemachten Übereignungsansprüche. Der Gestattungsvertrag könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Vertragsparteien die Übereignung des Fernwärmenetzes bei Vertragsende gewünscht hätten. Gesetzliche Ansprüche, die die Übereignung vorsehen würden, habe die Stadt ebenfalls nicht.
Den hilfsweise von der Stadt gemäß § 1004 Abs. 1 BGB geltend gemachten Beseitigungsanspruch bejahte das OLG Stuttgart im Gegensatz zu der Vorinstanz.
Die klagende Stadt hat danach ein berechtigtes Interesse daran, dass sowohl nicht mehr verwendete als auch funktionstüchtige Anlagenteile bei Vertragsende entfernt werden. Denn genau das kann die Stadt im konkreten Fall im Einklang mit dem Vertrag und ihren Eigentumsrechten von EnBW verlangen. Das wirtschaftliche Interesse der EnBW an der fortgesetzten Belieferung ihrer Kunden steht dem nicht entgegen.
EnBW hatte vorgetragen, dass ein Verstoß gegen das Behinderungsverbot darin liege, dass die Stadt ohne ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren die Beendigung der Versorgungstätigkeit der EnBW verfolge und stattdessen selbst die Fernwärmeversorgung übernehmen wolle. Zunächst habe die Stadt eine Ausschreibung des Fernwärmenetzes geplant, wobei sie nunmehr die Rekommunalisierung anstrebe.
Aus dieser Behauptung des eigenständigen Betriebs des Fernwärmenetzes durch die Stadt ergibt sich nach Ansicht des OLG Stuttgart kein kartellrechtlicher Anspruch auf Abschluss eines neuen Gestattungsvertrages zu angemessenen Bedingungen gemäß §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4, 33 GWB.Eine gesetzliche Verpflichtung der Gemeinde, Wegenutzungsrechte für Fernwärmeleitungen zu gewähren, sieht das Gericht– im Unterschied zum Strom und Gasbereich – nicht. Schließt eine Kommune keine Gestattungsverträge ab und hat auch keine abgeschlossen, dann sei die Kommune auch nicht unternehmerisch tätig und daher auch nicht nach dem Kartellrecht verpflichtet, eine solche Tätigkeit aufzunehmen und Gestattungsverträge erstmalig abzuschließen.
Weiter könne EnBW lediglich die Gleichbehandlung mit anderen Unternehmen verlangen. Will die Stadt also eine transparente und diskriminierungsfreie Ausschreibung durchführen, könne EnBW die Teilnahme an dem Verfahren verlangen.
Die Verweigerung des Neuabschlusses stelle auch keine unbillige Behinderung dar. Die dafür erforderliche Abwägung der gegenseitigen Interessen von Stadt und EnBW fiel zugunsten der Stadt aus. Die wirtschaftlichen Interessen und die drohende Entflechtung von Wärmeerzeugung und Wärmetransport wiegen geringer als das Interesse der Stadt, die Verteilung von Wärme selbst zu übernehmen und Fernwärmeunternehmen allgemein keine neuen Wegerechte mehr einzuräumen. Entscheidend gegen EnBW sprach zudem, dass sie einen Vertrag ohne Regelung der Zeit nach dem Vertragsende abgeschlossenen hatte und die Entfernungspflicht bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhersehbar war.
Das Urteil des OLG Stuttgart löst den Streit nicht, da die praktischen Folgen weder für die Stadt noch für die Netze BW zu einer wirtschaftlich tragbaren Lösung führen.
Die Entfernung des Fernwärmenetzes hätte für EnBW untragbare wirtschaftliche Auswirkungen, da zum einen die Beseitigungskosten zu tragen wären, zum anderen sämtliche Wärmeerlöse wegbrechen würden.
Die Stadt hätte auf einen Schlag tausende Haushalte, Unternehmen sowie eigene Liegenschaften, die ohne Wärmeversorgung dastehen und alternativ versorgt werden müssten. Auch verkehrspolitisch wäre eine Entfernung der in den öffentlichen Verkehrswegen verlegten Fernwärmeleitung und ggfs. die Neuverlegung eines eigenen Netzes vermutlich kaum praktikabel. Kommunalpolitisch und –rechtlich stünde die Stadt im Fall der Entfernung des Fernwärmenetzes daher vor einer fast unlösbaren Aufgabe.
Es bleibt daher abzuwarten, ob der Rechtsstreit in die nächste Instanz zum BGH gehen wird – die Revision ist zunächst nicht zugelassen – oder ob Stadt und EnBW den Weg eines Schlichtungsverfahrens wählen werden.
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Stadtwerke Kompass Ausgabe 10/2020
Martina Weber, LL.M. Eur.
Rechtsanwältin
Senior Associate
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