Faktische Verschärfung der Organhaftung juristischer Personen nach neuem Rechnungslegungsrecht

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veröffentlicht am 6. September 2017

 

Seit Einführung des neuen Rechnungslegungsrechts ist für die Unternehmensleitung juristischer Personen erhöhte Vorsicht geboten. Durch die teilweise Übernahme von Grundsätzen anerkannter Standards zur Rechnungslegung in die gesetzlichen Bestimmungen drohen bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung und einer nicht sachgerechten Bilanzierung zu Fortführungs- und Veräußerungswerten erhöhte Haftungsrisiken für die Organe. Sie sind insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Einstellung der gesamten Tätigkeit oder Teilen davon in den nächsten 12 Monaten ab Bilanzstichtag nicht abwendbar ist.
 

 

Mit dem als Teil des allg. Handelsrechts per 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Buchführungs- und Rech­nungslegungsrecht wurden einheitliche und rechtsformübergreifende Normen eingeführt, mit denen sich leitende Organe mittelständischer Unternehmen in der Schweiz mit Vorteil vertieft vertraut machen, um deren Auswirkungen auf eine allfällige Organhaftung beurteilen zu können.


In Art. 957 OR werden
  • die vollständige,
  • wahrheitsgetreue und systematische Erfassung der Geschäftsvorfälle und Sachverhalte,
  • Belegnachweis für die einzelnen Buchungsvorgänge,
  • Klarheit, 
  • Zweckmäßigkeit mit Blick auf die Art und Größe des Unternehmens und
  • die Nachprüfbarkeit geregelt.  


Unter den aufgenommenen Bestimmungen über die kaufmännische Buchführung und Rechnungslegung ist dabei neben diesen Grundsätzen mit Art. 958 die weitgreifende gesetzliche Bestimmung aufgenommen worden, die Unternehmen anweist, durch die Rechnungslegung im Geschäftsbericht (Bilanz, Erfolgs­rech­nung und Anhang) ihre wirtschaftliche Lage so darzustellen, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden können. Der Geschäftsbericht ist vom Vorsitzenden des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans und der innerhalb des Unternehmens für die Rechnungslegung zuständigen Person zu unterzeichnen. Ist die Einstellung der gesamten Tätigkeit oder Teilen davon in den nächsten 12 Monaten ab Bilanzstichtag beab­sichtigt oder voraussichtlich nicht abwendbar, so sind der Rechnungslegung für die betreffenden Unter­neh­mensteile gemäß Art. 958a Veräußerungswerte zugrunde zu legen und für die mit der Einstellung verbundenen Aufwendungen Rück­stellungen zu bilden. Abweichungen von der Annahme der Fortführung sind im Anhang zu vermerken und ihr Einfluss auf die wirtschaftliche Lage ist darzulegen.

Die entscheidende Frage besteht darin, wann die Einstellung der Tätigkeit als beabsichtigt oder voraus­sichtlich nicht abwendbar gelten soll. Als gesichert wird das erachtet, wenn klare Anzeichen erkennbar sind, dass die Liquidität nicht für die Weiterführung ausreicht. Wird dann zu Veräußerungswerten bilanziert, reduzieren sich Aktiva und mehren sich die Verbindlichkeiten. Deshalb liegt bei einer Umstellung auf Veräußerungswerte oft eine Überschuldung vor. Werden der Rechnungslegung Veräußerungswerte zu­grunde gelegt, so ist das im Anhang zu vermerken und ihr Einfluss auf die wirtschaftliche Lage darzulegen.

In der Kombination mit den bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechnungslegungsgesetzes (nRLG) gelten­den Bestimmungen von Art. 725 OR zum Kapitalverlust, wonach bei Besorgnis einer Überschuldung eine Zwischen­bilanz zu Fortführungs- und je nachdem auch zu Veräußerungswerten zu erstellen ist, können bei einer späteren Insolvenz aus Sicht der Gesellschaftsgläubiger kritische Fragen zur Haftung der zur Ein­schä­tzung der Fortführungsfähigkeit verantwortlichen Unternehmensleitung gestellt werden. Sie beinhalten die Vollständigkeit von ursprünglichen Rückstellungen im Zusammenhang mit der späteren Liquidation. Zeigt sich, dass die Einschätzung der Fortführungsfähigkeit für den Zeitraum von mind. 12 Monaten ab Bilanz­stichtag falsch gewesen ist, so kommt den Rückstellungen im Zusammenhang mit der Liquidation höchste Bedeutung zu, da Lohn- und Sozialversicherungskosten für die ordentliche Kündigungs­frist der Mitarbeitenden zusammen mit den sonstigen Betriebsaufwendungen bei der Tätigkeits­einstellung durchaus bis zur Hälfte des Gesamtaufwandes eines Geschäftsjahres umfassen können.


Fazit

Die Haftung des Verwaltungsrats setzt voraus, dass er eine Verletzung einer aktienrechtlichen Pflicht begangen hat. In Anbetracht der durch das nRLG faktisch erhöhten Haftungsrisiken ist das Management Informations­system (MIS) und die Risikobeurteilung in wirtschaftlich schwierigen Phasen deshalb durch die Unternehmens­leitung unbedingt in kürzeren Abständen zu überprüfen. Rückstände in der Bedienung der Verbindlichkeiten und bröckelndes Vertrauen von Lieferanten und anderen Gläubigern sind Signale, die nach vertiefter Analyse der Schlüsselkennzahlen verlangen. Können benötigte finanzielle Mittel für entschei­dende Investitionen nicht beschafft und personelle Abgänge nicht adäquat ersetzt werden, gehen Markt­anteile verloren und gefährden Ansprüche aus Rechtsstreitigkeiten das Unternehmen, so kann bei bereits bestehendem Kapitalverlust die richtige Darstellung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens mit Einschluss der Rückstellungen möglicherweise bei folgender Insolvenz über das Pro und Contra der Organhaftung entscheiden.

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Sebastian Repetz

Dipl. Wirtschaftsprüfer (Schweiz), Geschäftsführer Niederlassung Schweiz

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