Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung – ein Praxisfall

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​Vom 1. Mai bis zum 31. Dezember 2015 begleitete Rödl & Partner ein mittelständisches Unternehmen im Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung. Der Fall erwies sich von Anfang an als Prototyp des vom Gesetzgeber gewollten Eigenverwaltungsverfahrens und soll nachfolgend kurz dargestellt werden.

 

Ausgangslage

Unsere Mandantin ist ein metallverarbeitendes Unternehmen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen, das auf eine 1884 gegründete Unternehmung zurückgeht. Gegenstand des Unternehmens ist die Bearbeitung von Blechen aller Art, die Herstellung von Metallgehäusen und der Stahlbau. Insgesamt war der Geschäftsbetrieb jedoch auf die Anforderungen eines Hauptkunden ausgerichtet, für den das Unternehmen als verlängerte Werkbank tätig ist.

Die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens in den letzten Jahren war geprägt von der Zusammenarbeit mit diesem Hauptkunden. 1989 übernahm das Unternehmen erstmals für den Hauptkunden die Fertigung von Blechteilen. Mit der steigenden Nachfrage nach den Endprodukten des Hauptkunden wuchs auch unsere Mandantin deutlich.

Die enge Zusammenarbeit mit dem Hauptkunden bedingte zwar ein stetiges Wachstum, jedoch auch eine nicht zu kompensierende Abhängigkeit. Im Jahr 2013 erwirtschaftete unsere Mandantin ca. 77,1 Prozent ihres Umsatzes mit diesem Hauptkunden. Ab dem Jahre 2013 reduzierte der Hauptkunde die Aufträge für die Firma, nachdem er ein Werk in Malaysia errichtet hatte und zunehmend im Rahmen einer Eigenproduktion dort fertigen ließ. So reduzierte sich der Umsatz mit dem Hauptkunden von insgesamt 7,5 Mio. Euro im Jahr 2012 auf nur noch 3,3 Mio. Euro im Jahr 2015, mithin um insgesamt 55,5 Prozent. Ende April 2015 kündigte der Hauptkunde an, die Aufträge auf nunmehr lediglich 2,0 Mio. Euro zu reduzieren.

Schon vor dieser Ankündigung sank die Gesamtleistung unserer Mandantin durchschnittlich jährlich um rund 14 Prozent. Der Personalaufwand wurde zwar der gesunkenen Gesamtleistung angepasst, dies aber nicht im gleichen Umfang, wie die Gesamtleistung zurückging. Somit stieg die Personalaufwandsquote im Verhältnis zur Gesamtleistung von 38,1 Prozent in 2011 auf 47,1 Prozent in 2014. Ähnlich stellte sich die Entwicklung des sonstigen betrieblichen Aufwandes dar. Aufgrund des Fixkostenanteils sank der sonstige betriebliche Aufwand unterproportional. Im Verhältnis zur Gesamtleistung stieg er von 13,6 Prozent in 2011 auf 17,7 Prozent in 2014.

Der Anfang 2015 angekündigte Auftragsrückgang durch den Hauptkunden war absehbar nicht durch andere Aufträge zu kompensieren – insbesondere auch deshalb, weil aufgrund der Existenz des Hauptkunden eigene Vertriebsanstrengungen in der Vergangenheit kaum bzw. nur unzureichend durchgeführt worden waren. Der nun eintretenden Entwicklung konnte die Schuldnerin nur mit umfangreichen kurzfristig greifenden Kostenanpassungen, insbesondere mit Personalabbau begegnen.

In Anbetracht der Personalstruktur, vor allem der teils langjährigen Betriebszugehörigkeit, war unsere Mandantin jedoch nicht in der Lage, die notwendige Anpassung in der gebotenen Zeit und im gebotenen Umfang aus eigener Kraft umzusetzen. Sie musste davon ausgehen, dass bedingt durch den Umsatzeinbruch und die Kosten des Personalabbaus nicht nur sämtliche Liquiditätsreserven verbraucht werden würden, sondern zudem ein Finanzierungsbedarf von rd. 1,1 Mio. Euro entstünde.

Da jedoch eine Deckung der Liquiditätslücke von rd. 1,1 Mio. Euro nicht zu erwarten war und daher die Zahlungsunfähigkeit drohte, entschied sich unsere Mandantin, zum Zwecke der Sanierung ein Schutzschirmverfahren einzuleiten.

Gestützt wurden die Überlegungen zur Einleitung eines Schutzschirmverfahrens dadurch, dass insgesamt die Zukunftsaussichten des Unternehmens, auch unter Berücksichtigung des gesunkenen Umsatzniveaus, als positiv bewertet wurden. Das Unternehmen verfügte über einen modernen Maschinenpark sowie über Stärken im Bereich der kundenindividuellen technischen Beratung und eine hohe Qualität in der Produktausführung. Darüber hinaus war das Unternehmen in der Lage, als Systemlieferant zu fungieren, der komplette mechanische Baugruppen und Module direkt in die Endmontage der Kunden liefern kann.

Darüber hinaus konnten neben dem Personalabbau weitere operative Maßnahmen identifiziert werden, die nicht nur eine stadiengerechte Krisenbewältigung ermöglichten, sondern darüber hinaus zur weiteren operativen Optimierung des Unternehmens beitragen konnten. Hierzu gehörte neben einer Stärkung des Vertriebs auch die weitere Optimierung von Produktionsprozessen sowie Anpassungen in den Kostenstrukturen.

Im abgelaufenen Geschäftsjahr betrug die EBIT-Quote des Unternehmens -8,8 Prozent, die Eigenkapitalquote war auf 7,3 Prozent geschrumpft. Das Unternehmen war bankenunabhängig finanziert.

 

Verfahrensablauf / Betriebsfortführung

Vor diesem Hintergrund beantragte Rödl & Partner am 27. Mai 2015 für seine Mandantin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Zudem wurde die Anordnung der Eigenverwaltung beantragt. Das Gericht ordnete die „vorläufige Eigenverwaltung” an und bestellte einen vorläufigen Sachwalter. Die Geschäftsführung der Mandantin wurde durch einen insolvenzrechtlich erfahrenen Rechtsanwalt von Rödl & Partner unterstützt.

In enger Abstimmung mit dem vorläufigen Sachwalter wurde im Insolvenzantragsverfahren der Geschäftsbetrieb fortgesetzt. Dabei standen in den ersten Tagen der Betriebsfortführung die Anpassung der innerbetrieblichen Abläufe auf die insolvenzrechtlichen Anforderungen und die Sicherstellung der Kunden- und Lieferantenbeziehungen im Vordergrund.

Zuallererst wurde jedoch die Belegschaft über den Insolvenzantrag informiert. Nachdem bereits vor Antragstellung die Vorfinanzierung der Löhne und Gehälter organisiert worden war, konnten die Lohn- und Gehaltszahlungen pünktlich zum Monatswechsel erfolgen. Dies wurde bereits in der ersten Belegschaftsversammlung angekündigt und sicherte letztlich die Motivation der Belegschaft.

Um den vorläufigen Sachwalter in die Lage zu versetzen, seine Überwachungspflicht zu erfüllen, wurden zu einem wöchentlichen Jour fixe Controllingberichte vorgelegt. Diese Berichte, die das Unternehmen in der Vergangenheit nicht erstellt hatte, wurden bereits vor dem Insolvenzantrag vorbereitet. Sie enthielten wesentliche Finanzkennzahlen wie z.B. die Entwicklung der Forderungsbestände und Verbindlichkeiten sowie des Umsatzes und Auftragsbestandes.

Wesentlicher Teil der Controllingberichte war jedoch eine wöchentlich aktualisierte Liquiditätsplanung mit einer Vorausschau für die jeweils folgenden 13 Wochen. Vor dem Hintergrund umfassender Informationen sah der vorläufige Sachwalter davon ab, gemäß § 275 Abs. 2 InsO die Kassenführung zu übernehmen.

Unbelastet von der durch Rödl & Partner übernommenen Abstimmung mit dem vorläufigen Sachwalter informierte der Geschäftsführer unserer Mandantin die wesentlichen Kunden und Lieferanten über den Insolvenzantrag. Dabei konnte er letztlich durch eine Vielzahl persönlicher Gespräche erreichen, dass die wesentlichen Kunden- und Lieferantenbeziehungen fortgeführt wurden. So konnte vor allem die Geschäftsbeziehung zum Hauptkunden fortgesetzt werden. Auch gelang es dem Geschäftsführer, trotz laufendem Insolvenzverfahren neue Kunden zu gewinnen, z.B. einen bisherigen Lieferanten der Schuldnerin, der nunmehr trotz insolvenzbedingtem Ausfall unsere Mandantin beauftragte.

Die ungestörte Fortsetzung der Kundenbeziehungen war letztlich insbesondere dadurch möglich, dass sämtliche Lieferantenbeziehungen aufrechterhalten werden konnten. So beließ der wesentliche Blechlieferant sein Konsignationslager und befüllte dieses auch weiter. Es wurde lediglich der Zyklus zur Abrechnung der Entnahmen aus dem Konsignationslager verkürzt.

Ausschlaggebend für die ungestörte Fortsetzung der Kunden- und Lieferantenbeziehungen war dabei zum einen der frühzeitige Insolvenzantrag unserer Mandantin. Bei Antragstellung war das Vertrauensverhältnis zwischen unserer Mandantin und deren Kunden und Lieferanten noch intakt, da sich unsere Mandantin sowohl gegenüber ihren Kunden als auch gegenüber ihren Lieferanten mit keiner wesentlichen Leistung in Verzug befand. So fielen insbesondere die Lieferanten insolvenzbedingt im Wesentlichen lediglich Verbindlichkeiten aus, die bei Insolvenzantragsstellung noch nicht fällig waren. Ein zeitintensiver Wiederaufbau des Vertrauensverhältnisses zu den Kunden und Lieferanten war damit weitgehend nicht erforderlich. Zum anderen wurde sichergestellt, dass dieses Vertrauensverhältnis im Insolvenzverfahren nicht unnötig gestört wurde. Insbesondere wurde darauf geachtet, dass Zusagen gegenüber Kunden und Lieferanten eingehalten wurden. Im Ergebnis beschränkte sich das Insolvenzereignis in der Wahrnehmung der Kunden und Lieferanten auf die Information über den Insolvenzantrag und Folgen der Insolvenz. Unmittelbar danach wurde wieder zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb übergegangen; das Insolvenzverfahren selbst „bemerkten” Kunden und Lieferanten im Folgenden nicht. Dies ging so weit, dass ein Kunde, der zu Beginn über das Insolvenzverfahren unserer Mandantin informiert wurde, dieses offenbar „vergaß” und einige Wochen nach dem Insolvenzantrag unserer Mandantin einen größeren Auftrag anbot, da sein bisheriger Lieferant für dieses bestimmte Produkt insolvent sei. Im Ergebnis dieser Entwicklung war nach kurzer verfahrensbedingter Reorganisation kein insolvenzbedingter Umsatzeinbruch zu beobachten.

Diese positive Entwicklung im Zusammenspiel mit dem Insolvenzgeld bedingte wiederum, dass unsere Mandantin in jeder Phase des Verfahrens über hinreichend Liquidität verfügte, um insbesondere die Zusagen gegenüber den Lieferanten (z.B. Vorkasse) zu erfüllen.

Parallel zur Organisation der Betriebsfortführung wurde sofort mit der Umsetzung des zuvor von unserer Mandantin erstellten und von Rödl & Partner zusammengefassten und plausibilisierten Sanierungskonzeptes begonnen, insbesondere sofort mit dem erforderlichen Personalabbau.

Der wesentliche Teil des Personalabbaus wurde, ungeachtet der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verkürzten Kündigungsfrist, noch im Mai 2015 umgesetzt. Ziel dieser Sofortmaßnahme war es einerseits, schnellstmöglich der Belegschaft zu vermitteln, wer vom erforderlichen Personalabbau betroffen sein würde, um so zugleich auch die übrige, verbleibende Belegschaft zu beruhigen.

Andererseits war es mit Blick auf die beabsichtigte Kürze des Insolvenzverfahrens das Ziel, möglichst schnell Rechtssicherheit in den erwarteten Kündigungsschutzprozessen und damit Klarheit über die Kosten des Personalabbaus zu erhalten. Dies gelang uns schon bei Vorlage des Insolvenzplanes Ende Juli 2015. Damit war bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein wesentlicher Teil des Personalabbaus rechtskräftig und die Kosten des Personalabbaus präziser einzuschätzen.

Im eröffneten Verfahren ordnete das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung an. Der Geschäftsbetrieb wurde weiterhin absolut ungestört fortgesetzt. Dabei entwickelte sich das Unternehmen derart positiv, dass weitere einschneidende Personalmaßnahmen entbehrlich wurden. Gegen Ende des Verfahrens begann unsere Mandantin bereits wieder mit der Suche nach spezialisierten Fachkräften.

 

Insolvenzplan / Ergebnis des Verfahrens

Der notwendige verfahrensrechtliche Abschluss der Sanierung wurde mit dem am 3. August 2015 vorgelegten Insolvenzplan erreicht. Über diesen Insolvenzplan stimmten die Gläubiger am 29. September 2015 ab. In dem vollständig unspektakulären Termin stimmten 100 Prozent der Gläubiger für den Insolvenzplan.

Der Insolvenzplan bestimmte, dass die gesicherten Gläubiger eine Quote von 91 Prozent auf den gesicherten Teil ihrer Forderung und die ungesicherten Gläubiger eine Quote von 25 Prozent auf ihre Insolvenzforderung erhielten. Alle etwaigen Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer/Gesellschafter unserer Mandantin bzw. etwaige Anfechtungsansprüche, für welche der Sachwalter im Laufe des Verfahrens Anhaltspunkte ermittelte, wurden im Insolvenzplan geregelt. Mit dem Insolvenzplan trat folglich zugleich Rechtsfrieden gegenüber allen Haftungs- oder Anfechtungsschuldnern ein.

Als Ergebnis des Insolvenzverfahrens konnte die EBIT-Quote planungsseitig auf rd. 3 Prozent angehoben werden. Durch die Gläubigerverzichte stieg die Eigenkapitalquote im nächsten vollen Geschäftsjahr auf rd. 91,8 Prozent.

Erst nach Abstimmung über den Insolvenzplan kam es zur ersten und letztlich einzigen Verzögerung im Verfahren, als die für Oktober 2015 erwarteten verbindlichen Auskünfte der Gemeinde und des Finanzamtes nicht rechtzeitig vorlagen.

Diese verbindlichen Auskünfte sichern die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns, der infolge des Insolvenzplanes entsteht, und waren Bedingung für die Bestätigung des Insolvenzplanes. Infolgedessen verschob sich die Aufhebung des Insolvenzverfahrens um einen Monat. Das Verfahren dauerte somit letztendlich sieben statt der geplanten sechs Monate.

 

Resümee

Der Gesetzgeber hat mit dem Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung ein Sanierungsinstrument geschaffen, das, wohlverstanden eingesetzt, die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen ermöglicht, die ein Unternehmen andernfalls nicht aus eigener Kraft stemmen könnte; das unter Beibehaltung des Rechtsträgers und der damit verbundenen Vorteile.

Zudem hat er ein Verfahren installiert, welches das frühzeitige Stellen eines Insolvenzantrags durch erheblichen Einfluss auf den Verfahrensablauf und die gerichtlichen Entscheidungen honoriert.

Voraussetzung für das Gelingen dieses Verfahrens ist jedoch vor allem, dass die Vertrauensbeziehung des Unternehmens zu den wesentlichen Kunden und Lieferanten, Banken und Kreditinstituten sowie sonstigen für das Verfahren relevanten Stakeholdern nicht bereits nachhaltig beschädigt ist und im Weiteren nicht beschädigt wird. Dies ist allerdings vom Unternehmen selbst durch eine frühzeitige Einleitung und professionelle Führung des Verfahrens zu bewerkstelligen. Des Weiteren ist es ein nahezu unverzichtbarer Vorteil, wenn bereits ein Sanierungskonzept erarbeitet ist, welches auch die Finanzierung des Unternehmens bzw. den Liquiditätsbedarf während des gesamten Verfahrenszeitraums ermittelt und im Falle einer Deckungslücke Wege zur Schließung dieser Lücke aufzeigt.

Aufgrund der positiven Erfahrungen der Geschäftsführung mit dem Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung kam es im vorliegenden Fall darüber hinaus zu einem weiteren Motivationsschub. Das Unternehmen arbeitet zurzeit daran, im Rahmen der operativen Exzellenz die Produktionsplanungs und Steuerungsprozesse weiter zu optimieren und somit seine Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft zu erhöhen.

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