Krankes Gesundheitssystem in Deutschland

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​​​​​​​​veröffentlicht am 29. Mai 2024


Der Anteil von Insolvenzen ist im Vorjahr beim Gesundheitswesen in Deutschland unproportional gestiegen. Aus Sicht von Expertinnen und Experten ist das Gesundheitswesen immer noch die Top 1 der von Insolvenzen betroffenen Branchen in Deutschland überhaupt. Ein Hauptgrund hierfür ist jedoch der Anstieg der Personal- und Materialkosten, insbesondere bei den bezogenen Leistungen und die vorhandenen politisch dominierten Erlösstrukturen im Krankenhaus- und Pflegebereich. Eine generelle und branchenübergreifende Insolvenzwelle in Deutschland wird von Expertinnen und Experten zwar ausgeschlossen, jedoch explizit für den Gesundheitssektor vorhergesagt und ein weiterer unproportionaler Anstieg angekündigt.1 2 3     

Dieser Artikel soll auf die aktuellen Entwicklungen im Gesundheitssektor und insbesondere die Situation der Krankenhäuser aufmerksam machen. 

Die steigenden Zinsen, die Inflation und der Fachkräftemangel stellen Geschäftsmodelle aller Branchen auf die Probe und bringen einige in finanziell schwierige Situationen. Staatliche Hilfsmaßnahmen während der Pandemie oder im Rahmen der Energiepreisbremsen zusammen mit zeitlich befristeten Lockerungen hinsichtlich der Insolvenzreife haben die bestehenden Probleme der Unternehmen verdeckt. Mit Auslaufen der Hilfen und der Lockerungen treten die Probleme zum Teil deutlich zu Tage. Expertinnen und Experten gehen konkret ab Mitte 2024 mit vermehrten Insolvenzmeldungen, insbesondere bei größeren Gesellschaften aus. Eine generelle Insolvenzwelle in Deutschland wird zwar ausgeschlossen,4 jedoch explizit für den Gesundheitssektor als befürchtetes und mögliches Szenario genannt. Obwohl Krankenhäuser keine klassischen, umsatzorientierten Einrichtungen sind, wurden sie durch die letzte politische Reform in 2003 ökonomisiert. Jedoch wurde die Vergütung auf diagnosebezogene Fallpauschalen gedeckelt und kürzt den Umsatzerlös auf errechnete, vorgegebene Soll-Werte.5 Die angekündigte, große und auch umstrittene Krankenhausreform lässt derzeit noch auf sich warten und wurde nun im Bundeskabinett gebilligt. Laut Expertenmeinung schaffen die aktuellen versprochenen Verbesserungsmaßnahmen und Soforthilfen bisher nur kurzfristig eine Verbesserung und stellen keine nachhaltige Lösung dar.6 7 Gemäß einer Umfrage erwarten jedoch nur wenige Klinikmanager eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation. Die gewünschte Entökonomisierung war im Eckdaten-Papier nur teilweise erkennbar, da ein Anteil von 40 % der Erlöse weiterhin über das DRG-System abgewickelt werden sollen. Gleichzeitig ist bereits absehbar, dass der Entgeltwert pro Leistung sinken wird. Folglich zählen besonders kleine und mittlere Krankenhäuser auf dem Land weiterhin zu den Verlieren und müssen immer noch um ihre Existenz bangen, wohingegen die Gewinner die Maximalversorger in der Stadt und Uniklinika sein werden.​8

Die Kosten-Erlös-Schere und die Multikrise tragen maßgeblich zur weiter schwierigen Situation im Gesundheitssektor bei. Gemäß einer Umfrage von der Unternehmensberatung Roland Berger schreiben derzeit mehr als die Hälfte aller großen Krankenhäuser in Deutschland rote Zahlen und befinden sich in einer akut prekären Situation. Nach Berechnung der DKG beträgt das monatliche Defizit trotz Berücksichtigung der staatlichen Energiepreisdämpfungshilfe aller deutschen Krankenhäuser summiert in 2022 rund EUR 440 Mio. Euro und in 2023 rund EUR 650 Mio. Es wird befürchtet, dass 400 bis 500 Kliniken eine Abstufung zur Poliklinik oder zum Ambulanzzentrum erfahren werden und wiederum weitere 300 bis 400 Kliniken ihre Existenzgrundlage verlieren.9 10 Im Krankenhaus Rating Report 2023 wird für 2023 mit einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 18 % gerechnet und für das Folgejahr erwartet, dass 80 % aller Krankenhäuser ein negatives Betriebsergebnis verzeichneten.11

Konkret waren 38 Großinsolvenzen bei Kliniken und Pflegeanbietern mit einem Umsatz von mehr als EUR 10 Mio. im Gesundheitssektor verortet.12 Jedoch weist das Bundesgesundheitsministerium darauf hin, dass die Krankenhausdichte in Deutschland generell zu hoch ist.13 Insbesondere wird angenommen, dass es Doppel- und Mehrfachstrukturen in Ballungsgebieten gibt und hier ein beträchtliches Optimierungsvolumen vorhanden ist.14 Gemäß der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) wäre diese Zahl höher ausgefallen, wenn die örtlichen Kommunen als Träger dies nicht verhindert hätten. Derzeit haben die laufenden Insolvenzanträge noch keine Schließungen zur Folge.15 

Im Folgenden werden die Ansichten aus der 85. Sitzung in der Anhörung des Gesundheitsausschusses zur angekündigten Krankenhausreform am Deutschen Bundestag vom 18. Oktober 2023 gegenübergestellt. Hierfür wird mit folgendem Zitat begonnen:

„Die Misere hat strukturelle Ursachen. Es kann nicht an der Unfähigkeit der Krankenhausleistungen liegen, wenn flächendeckend so desaströse Daten vorliegen. Daher braucht es auch eine strukturelle Lösung.”16

Demnach fordern verschiedene Klinikverbände Soforthilfen, um weitere Insolvenzen bei Krankenhäusern vorzubeugen. Gewarnt wird vor einem unkontrollierten, überregionalen Wegbrechen von Versorgungsstrukturen, einem unerwünschten Dominoeffekt und einem Ungleichgewicht in der gesundheitlichen und sozialen Versorgung. Es wird darauf hingewiesen, dass ein Vorschaltgesetz vor der Krankenhausreform unumgänglich ist, damit die Krankenhäuser diese Übergangsphase bis zur angekündigten Krankenhausreform überleben. Weiterhin muss der Landesbasisfallwert (LBFW) außerordentlich angepasst werden. Deutlich wird das auch an der inflationsbedingten Lücke durch den LBFW, welche Ende 2023 prozentual zwischen 5,5 bis 8,25 betragen würde. Hier könnte einfach und effektiv eine spürbare Entlastung geschaffen werden.17 18

Aus diversen Stellungnahmen im Bundestag am 18. Oktober 2023 werden mehrfach ein Ende der kalten Strukturbereinigung gefordert und aktiv gesteuerte Maßnahmen von der Politik zur Korrektur der derzeitigen ineffizienten Doppel- und Mehrfachstruktur gefordert. So wird vielfach darauf hingewiesen, dass nur durch gezielte und selektive Maßnahmen eine Lösung der aktuellen Situation möglich ist. So müssen bewusst Krankenhausstandorte benannt und ausgewählt werden und diese gesteuert über Zahlungen von Investitionskosten gefördert werden.19 20
  
Der laufende kalte Strukturwandel und insbesondere die daher gehenden Erlösstrukturen in der Gesundheitsbranche nehmen den Häusern seit Jahren die Möglichkeit, ihre tatsächlichen Ist-Aufwendungen zu refinanzieren und dies sei mitunter einer der Hauptgründe für die existenzielle Schieflage vieler Krankenhäuser. Ein weiterer wesentlicher Punkt für das Ungleichgewicht ist auch, dass die Bundesländer jahrelang ihrer Verpflichtung zur Deckung der Investitionskosten nur unzureichend nachgekommen sind. Die chronische Unterfinanzierung beziffert sich auf jährlich zwischen vier und fünf Milliarden Euro und wird für die letzten zehn Jahre auf ca. EUR 30 Milliarden geschätzt.21 22 23 24 25 26 27

In der Stellungnahme des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbands (DEKV) wird darauf hingewiesen, dass sie keine Unterstützung von Land oder Kommune erhalten und in der Regel auch keine Ausgleiche von der Kirche getragen werden. Unter anderen wird vorgeschlagen, die derzeitige gesetzlich vorgeschriebene Systematik der Kappung der Krankenhauskosten am Orientierungswert aufzuheben. Es wird vor Auswirkungen auf diakonische Hilfegelder und die soziale Infrastruktur gewarnt.28 29

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO) fordert ein Monitoring der wirtschaftlichen Lage der deutschen Kliniken anhand zentraler Kennzahlen und schlägt eine Erarbeitung dieser zentralen Kennzahlen am Vorbild vom InEK oder beim Statistischen Bundesamt vor.30 Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) weist dahingegen darauf hin, dass nur bedarfsnotwendige Kliniken gezielt gerettet werden sollen und bietet seine Unterstützung in der Ausarbeitung von zielgenauen Lösungen und Maßnahmen aus Patientensicht an. Eine generelle Erhöhung des Landesbasisfallwerts wird als nicht zielgenau und zu Lasten der Krankenversicherung verstanden, und verweist auf die bereits unterlassenen Finanzierungsverpflichtungen an Investitionsmittel der Länder.31

Gesammelt lagen noch diverse Stellungnahmen von Verbänden und Krankenhäusern aus ganz Deutschland mit insgesamt 158 Seiten vor und zeigen nochmals die Brisanz dieses Themas.32

Überlegungen zu einem möglichen Vorschaltgesetz vor der Krankenhausreform stellt das Leibniz Institut for Economic Research vor und appelliert an die Systemeffizienz. Dies erfolgt laut dem Institut anhand einer optimalen Betriebsgröße, da große und mittelgroße Standorte effizienter arbeiten können als kleine Standorte. Dem folgend wird in einer beispielhaften Überschlagsrechnung für Deutschland die GBA-Notfallstufe mit Level 0 gänzlich eingestellt und eine Umverteilung von den Fachkliniken und der GBA-Notfallstufe mit Level 1 von ca. 50 % zu Level 2 und 3 vorgeschlagen. Eine positive Auswirkung auf das Jahresergebnis wird mittelfristig auf das Jahr 2029 ff. prognostiziert. Statt kalter Strukturbereinigung wird ein Hilfsfond für versorgungsnotwendige Häuser, die Erhöhung der Investitionsfördermittel der Länder sowie eine Erhöhung des Landesbasisfallwerts mit dem aktuellen Orientierungswert vorgeschlagen. Abschließend wird noch auf die Auswirkung der unterlassenen Investitionen der Länder hingewiesen.33

In einem Rechtsgutachten zur funktionsgerechten Krankenhausfinanzierung und Krankenhausreform vom November 2023 wird darauf hingewiesen, dass die Länder seit Jahren ihren gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zur Übernahme von Investitionskosten ungenügend nachgekommen sind und ohne Nachzahlung der unterbliebenen Förderungen die anstehende Krankenhausreform nicht bewältigt werden kann. Somit sieht das Rechtsgutachten die Forderung für ein Vorschaltgesetz als legitim. Auch wird auf den verfassungsrechtlichen Verstoß zum Gebot der ​Gleichbehandlung bei der Unterscheidung zwischen staatlichen, freigemeinnützigen und privaten Krankenhäusern hingewiesen.34

Aktuell hat die Krankenhausreform die erste Hürde im Bundeskabinett passiert. Doch das Hauptproblem von Bundesgesundheitsminister Lauterbach ist, dass ihm die Länder nicht folgen und mehr Flexibilität und Mitsprache fordern. Ein weiteres Problem liegt zwischen der Aufgabenverteilung und der Wechselwirkung der Aufgaben von Bund und Ländern. Demnach liegt es im  Zuständigkeitsbereich des Bundes, die Finanzierung der Behandlungen zu gewährleisten, wohingegen die Länder für die Krankenhausplanungen zuständig sind. Konkret befürchten die Länder eine Verschlechterung der aktuellen Situation auf dem ländlichen Gebiet. Sollten die Länder sich verbündet haben, könnte es zu weiteren Verzögerungen kommen. Ein Prozess ist ebenfalls möglich, da Bayern bereits mit einer Klage vorm Bundesverfassungsgericht droht.35 Die versprochene „Revolution im System” wird demnach noch einige Zeit in Anspruch nehmen.36

Unabhängig von dieser schwierigen Situation müssen die betroffenen Krankenhäuser in Deutschland ihrem Alltagsgeschäft nachgehen und ihre Aufgaben erbringen. 

Trotz der Tatsache, dass bereits ein Großteil der Häuser rote Zahlen schreibt, möchten wir von Rödl & Partner auf mögliche Parameter und Frühwarnindikatoren hinweisen. 

„Die Frage, ob die Geschäftsführung zwingend den Gang zum Insolvenzgericht antreten muss, ist nicht allein von der aktuell verfügbaren Liquidität eines Krankenhauses abhängig, sondern ganz zentral von der insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose eines Krankenhauses. Eine positive Fortführungsprognose ist bei der Aussicht auf eine dauerhafte Lücke zwischen Kosten und Erlösen, die aus eigener Kraft nicht geschlossen werden kann, nicht zu erreichen.” 37​


Gern steht Ihnen Rödl & Partner zur Prüfung und Beratung von Krankenhäusern in diversen Rechtsformen zur Seite. Melden Sie sich bei uns.​​





Quellen:
1 Gesundheitssektor, Automotive und Mode waren Spitzenreiter bei Großinsolvenzen – 2024 werden Insolvenzen um ein Drittel steigen - FalkenSteg​
2 Mehr große Insolvenzen 2024 erwartet – vor allem eine Branche schwer betroffen (fr.de)​
3 Kalter Strukturwandel": Pleitewelle bei Krankenhäusern befürchtet | MDR.DE
4 Gesundheitssektor, Automotive und Mode waren Spitzenreiter bei Großinsolvenzen – 2024 werden Insolvenzen um ein Drittel steigen - FalkenSteg​
5 Insolvenzwelle bei deutschen Krankenhäusern | tagesschau.de​
6 Krankenhausreform (bundesgesundheitsministerium.de)​
7 DKG-Stellungnahme_Vorschaltgesetz zur Krankenhausreform​
8 Insolvenzwelle bei deutschen Krankenhäusern | tagesschau.de

9 Insolvenzwelle bei deutschen Krankenhäusern | tagesschau.de​
10 Pressemitteilung DKG zum Rating Report
11 Pressemitteilung DKG zum Rating Report
12 Gesundheitssektor, Automotive und Mode waren Spitzenreiter bei Großinsolvenzen – 2024 werden Insolvenzen um ein Drittel steigen - FalkenSteg​
13 Insolvenzwelle bei deutschen Krankenhäusern | tagesschau.de​
14 20_14_0146-2-_Prof-Dr-Tom-Bschor_VorschaltKH_nicht-barrierefrei.pdf (bundestag.de)​
15 Insolvenzwelle bei deutschen Krankenhäusern | tagesschau.de​
16 Antrag 20/7568 vom 04.07.2023 Die Linke​

17 Deutscher Bundestag - Krankenhäuser fordern Soforthilfen und warnen vor Insolvenz​
18 DKG-Stellungnahme_Vorschaltgesetz zur Krankenhausreform​
19 Stellungnahme Regierungskommission​
20 Pressemitteilung DKG zum Rating Report​
21 Insolvenzwelle bei deutschen Krankenhäusern | tagesschau.de​
22 Deutscher Bundestag - Krankenhäuser fordern Soforthilfen und warnen vor Insolvenz​
23 ​Antrag 20/8402 Fraktion der CDU/CSU​
24 Pressemitteilung DKG zum Rating Report​​

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Jasmine Dirmeier

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