Die Wärmezielscheibe 2.0 – Wärmewende in Deutschland erfolgreich gestalten

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​veröffentlicht am 3. Juni 2024​​​​​​

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Mit dem Wärmeplanungsgesetz (WPG) und der Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) hat die Politik seit dem Jahr 2024 im Wärmesektor einen belastbaren rechtlichen Rahmen geschaffen, um die notwendige Dekarbonisierung der Wärmewirtschaft zu erreichen. Allerdings ist durch die bislang fehlenden politischen und rechtlichen Vorgaben sowie unzureichende wirtschaftliche Anreize viel Zeit vergangen. Nun bleibt vergleichsweise wenig Zeit, um die​​ notwendigen Transformations- und Dekarbonisierungspläne im Wärmesektor zu erstellen und umzusetzen.


Die Rolle des Wärmemarkts bei der Dekarbonisierung der Volkswirtschaft

Insbesondere die Dekarbonisierung des Wärmesektors spielt eine wichtige Rolle im Hinblick auf die nationalen und europäischen Dekarbonisierungsziele: Auch wenn der Nutzwärmebedarf wie geplant massiv gesenkt wird, weist der Wärmesektor auch in Zukunft den höchsten Nutzenergiebedarf aller Sektoren auf.

Mit einem Anteil am Endenergieverbrauch von etwa 59 Prozent ist der Wärmesektor in Deutschland der energieintensivste der vier Anwendungsbereiche Wärme, Be-leuchtung, mechanische Energie sowie Informations- und Kommunikationstechnologie (siehe Abbildung 1). Deutschland emittiert energiebedingt aktuell jährlich 595 Millionen Tonnen CO2, wovon 52 Prozent bei der Erzeugung von Wärme in zentralen und dezentralen Anlagen entstehen. Wärme im Allgemeinen lässt sich wiederum in die vier Bereiche Raumwärme, Prozesswärme, Warmwasser sowie Kälte einteilen. Im Jahr 2021 entstand in Deutschland ein Wärmeverbrauch in Höhe von 1.348 Terawattstunden (TWh), der CO2-Emissionen in Höhe von 305 Millionen Tonnen zur Folge hatte (siehe Abbildung 2). 


 
Abbildung 1



 

Abbildung 2



Weder der Bedarf an Wärme noch die in diesem Zusammenhang emittierten CO2-Emissionen ließen sich in den letzten zehn Jahren maßgeblich senken. Der Endenergieverbrauch bei der Wärmeerzeugung ist in den letzten zehn Jahren weitgehend konstant geblieben. Der Anteil der regenerativen Wärmeerzeugung aus Erneuerbaren Energien ist zwischen 2011 und 2021 von 9 Prozent auf 13 Prozent gestiegen. Für eine klimaneutrale Wärmeversorgung bis 2045 muss in den nächsten Jahren ein ambitionierter Ausbau der regenerativen Wärmeerzeugung und CO2-freien Alternativen erfolgen. Auf den Punkt gebra​​cht: Sowohl Endverbraucher als auch Versorger haben eines der größten Infrastrukturvorhaben in Deutschland vor sich: Die Wärmewende – auch bezeichnet als die „Königsdisziplin der Energiewende” (Zitat von Kerstin Andrea, Vorständin BDEW, E-World 2023).

Investitionsbedarf im Wärmemarkt

Während in den letzten Jahren im Stromsektor erhebliche Erfolge bei der Steigerung der Menge regenerativen Stroms verzeichnet werden konnten, blieb der Wärmesektor im Vergleich deutlich zurück. Entsprechend wurden im Stromsektor erheblich höhere Investitionssummen bewegt, die auch in der heimischen Wirtschaft angekommen sind.

Dieses Bild spiegelt sich auch bei den getätigten Investitionen in erneuerbare Erzeugungstechnologien wider. Von den im Jahr 2021 insgesamt für die Umstellung von fossiler auf regenerative Energieversorgung aufgewendeten 14,1 Milliarden Euro entfällt der Großteil (8,4 Milliarden Euro) auf den Ausbau von Erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung, hauptsächlich Photovoltaik. Dagegen wurden für die Erneuerbaren im deutlich investitionskostenintensiveren Wärmesektor nur 5,7 Milliarden Euro eingesetzt. Um den benötigten Anteil grüner Wärme im Jahr 2045 zu erzielen, muss das Investitionsvolumen deutlich zunehmen. Dies beinhaltet auch die Chance, unabhängiger von Importen fossiler Energieträger zu werden und die inländische Wertschöpfung anzukurbeln. 

Betrachtet man die Investitionsvolumina der letzten zehn Jahre, ist hinsichtlich der Aufteilung auf Strom und Wärme dennoch eine Änderung im Investitionsverhalten erkennbar. Flossen im Jahr 2011 noch rund 22,8 Milliarden Euro in Ersatzinvestitionen für erneuerbare Stromerzeugung und nur 3,4 Milliarden Euro in Ersatzinvestitionen für erneuerbare Wärmeerzeuger, war im Jahr 2021 auf der Stromerzeugungsseite ein Rückgang von knapp 85 Prozent zu verzeichnen, während die Investitionen in die erneuerbare Wärmeerzeugung um knapp 68 Prozent anstiegen (siehe Abbildung 3).



Abbildung 3: Investitionsverhalten für Strom und Wärme in den letzten Jahren ​

Um die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung bis zum Jahr 2045 realisieren zu können, sind weitere Investitionen in den Ausbau und die Transformation notwendig. Die geschätzten Investitionen für eine dezentrale und zentrale klimaneutrale Wärmeversorgung belaufen sich bis zum Jahr 2045 auf einen Gesamtbetrag zwischen 313 und 383 Milliarden Euro.  

Die Transformation des deutschen Wärmemarkts

Der Wärmemarkt ist zu heterogen, um pauschale und allgemein gültige Lösungen zu finden. Vielmehr ist zu überlegen, welcher Mix an Instrumenten für die jeweils vorliegende Ausgangssituation geeignet ist, entsprechend der Ringe der Wärmezielscheibe (dicht, mittel und dünn besiedelte Gebiete). Versorger und Politik sollten sich nicht auf eine einzige Technologie stürzen und diese zum „Heilsbringer der Wärmewende” erklären, sondern unterstützen, dass alle Energiequellen attraktiv sind. Ziel der Anreizsysteme muss sein, dass die für die vorhandene Struktur jeweils passenden Technologien eingesetzt werden. Grundlage dieser Überlegung kann dabei der wärmespezifische Urbanitätsgrad bieten. 



Abbildung 4: Wärmespezifischer Urbanitätsgrad als Grundlage des Transformationsprozesses​


Kommunale Wärmeplanung erhöht die Transparenz

Hier wurde mit der seit Anfang des Jahres 2024 bestehenden flächendeckenden Pflicht zur Erstellung von Kommunalen Wärmeplanungen ein Instrument einge-führt, mit dessen Hilfe zukünftig diese wichtigen Basisinformationen für alle Siedlungstypen verfügbar sein werden. Nach Identifikation des wärmespezifischen Urbanitätsgrads ist der nächste Schritt, die Wärmebereitstellung und -verteilung entsprechend den örtlichen Gegebenheiten effizient und wirtschaftlich optimiert zu planen. Auch hier werden die Ergebnisse der Kommunalen Wärmeplanung mit der Identifikation des Ist- und Ziel-Zustandes ein hilfreiches Instrument sein. Daneben spielt sie eine koordinierende Rolle, indem der Wärmebedarf, der Flächenbedarf und die beteiligten Akteure ermittelt werden, um ein kohärentes Gesamtkonzept für das weitere Vorgehen vor Ort zu erstellen. Das strategische Planungsinstrument Kommunale Wärmeplanung dient damit als erster Baustein für darauffolgende konkrete Umsetzungsvorhaben und für die Identifikation von Schlüsselgebieten, z. B. von Gebieten mit dem höchsten Wärmebedarf, für die eine koordinierte Netzverdichtung oder der Neubau von Fernwärmeleitungen angestrebt wird.

Bundesförderung schließt die Wirtschaftlichkeitslücke

Durch die seit September 2022 verfügbare Bundesförderung Effiziente Wärmenetze (BEW) kann die operative Umsetzung der Pläne für Wärmenetze erfolgen, die als Motor für die Wärmewende eine wichtige Rolle auf kommunaler und Versorgerebene spielt.

Von der Erstellung von Machbarkeitsstudien und Transformationsplänen bis hin zur Förderung der operativen Umsetzung dieser Strategien bietet die BEW einen brei-ten Anwendungsrahmen für die Transformation der Wärmeversorgung in Deutschland. Die BEW setzt genau in der Mitte der Wärmezielscheibe an: in den dicht besiedelten, für Fernwärme geeigneten Gebieten und damit jenen Gegenden, bei denen die größte Einsparung von CO2 auf kleiner Fläche möglich ist.

Ganzheitlicher Transformationsansatz in der Netzstrategie von Stadtwerken 

​Für eine erfolgreiche Transformation des Geschäftsmodells müssen Stadtwerke und Versorger einen ganzheitlichen Ansatz berücksichtigen und dürfen sich nicht „spartenweise” dem Thema der Transformation und Strategieentwicklung nähern. So können nicht nur Synergieeffekt im Transformationsprozess selbst geschaffen werden, sondern insbesondere das Geschäftsmodell der Stadtwerke und Versorger robust und wirtschaftlich für die Zukunft ausgerichtet werden. 

Im Hinblick auf eine erfolgreiche Wärmestrategie betrifft dies insbesondere die netzgebundenen Sparten Fernwärme, Strom und Gas sowie das Contracting bzw. Einzellösungen. Diese sind im Hinblick auf die Wärmeversorgung stark miteinander verflochten.



Abbildung 5: Wärmetransformationsstrategie bei Versorgern

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Seit langer Zeit gilt der Gasvertrieb bei vielen Versorgern als stabiler Ergebnisbringer. Im Zuge der anstehenden Dekarbonisierung sind Versorger hier unter Zugzwang und werden die Geschäftsfelder drastisch umstrukturieren müssen. Zwar ist vonseiten der Regierung noch nicht final geklärt, was mit den bestehenden Gasverteilernetzen passieren soll, doch der Trend ist klar: Fernwärmeversorgung und dezentrale Wärmepumpen sollen die „Gamechanger” in der Wärmewende werden. Die Dekarbonisierung der Wärmewirtschaft birgt entsprechend auch wirtschaftlich Chancen. Der Aufbau einer neuen oder die Transformation der bestehenden Fernwärmesparte kann dabei als der Treiber des Strategieentwicklungsprozesses gesehen werden und wegfallende Tätigkeitsfelder ersetzen. 

Dekarbonisierung als Chance im disruptiven Wandel der Energieversorger

Die Gesamtstrategie der Energieversorger wird zunehmend aufbauend auf der Entwicklung der (Fern-)Wärmesparte entwickelt werden. Auch die Stromsparte bzw. das Stromgeschäft der Versorger nimmt durch die Elektrifizierung der Wärmeversorgung (insbesondere durch Wärme-pumpen) eine gewichtigere Rolle ein. Die Investitionsvolumen, die sich in den Sparten Fernwärme und Strom abzeichnen, erreichen ein jahrzehntelang nicht mehr vorgekommenes Niveau. Entsprechend werden auch die Themen Finanzierung und langfristige Planung die nächsten Jahre dominieren. Hier sollte so bald wie möglich das Thema Personalplanung in Angriff genommen werden. In diesem Zusammenhang ist eine unternehmensübergreifende Anpassung der entsprechenden Anreizsysteme unabdingbar, um die Transformation der Energieversorger zu einer Win-win-Situation für alle Betroffenen werden zu lassen. 

Unterstützt werden die Projekte auch von EU-Ebene über den Sustainable-Finance-Action-Plan mit seinen zehn Maßnahmenpaketen (EU-Taxonomie, Offenlegungsverordnung und MiFID II). Die neuen Regulierungen umfassen einheitliche Definitionen und Standards zu nachhaltigen Geldanlagen in Deutschland und steigern damit das Interesse der Finanzwirtschaft an der Finanzierung der Transformation, bei der die sogenannten ”ESG-Kriterien” umfassend eingehalten werden.

Fazit

Der Zeitplan zur Erreichung der gesetzlich festgeschriebenen und verfassungsrechtlich bestätigten Dekarbonisierungsziele ist sportlich. Die Bundespolitik hat die Zeit seit der ersten Auflage der Wärmezielscheibe genutzt, um viele der notwendigen Rahmenbedingungen anzupassen. Nun liegt der Ball bei den Ländern und Kommunen, die konkreten Vorgaben für die Umsetzung vor Ort festzulegen. 

Die Energieversorger müssen sich auf die absehbaren Veränderungen vorbereiten, die Strategien anpassen und die operative Umsetzung so bald wie möglich angehen.

Von der Finanzierung, der Personalplanung über die Begleitung von Ausschreibungen und genehmigungsrechtlicher Verfahren bis zur Baubegleitung stellen sich eine Vielzahl von rechtlichen und wirtschaftlichen Fragestellungen. Gerne unterstützen wir Sie bei diesen Themen vollumfänglich und individuell auf Basis unserer jahrzehntelangen Erfahrung aus der Begleitung von erfolgreich umgesetzten Projekten. 







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