Sanierung in der Gesundheitswirtschaft-Vorlage eines S6-Gutachtens nicht zwingend notwendig (BGH 12. Mai 2016)

PrintMailRate-it

​veröffentlicht am 30. Juni 2016

 

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 12. Mai 2016 (XI ZR 65/14) klargestellt, dass Sanierungspläne nicht den formalen Erfordernissen entsprechen müssen, wie sie das Institut für Wirtschaftsprüfer e.V. in dem IDW Standard S6 (IDW S6) aufgestellt hat. Wichtig im Rahmen von Sanierungen und Re- bzw. Umstrukturierungen ist lediglich, dass die wirtschaftliche Lage eines Schuldners im Rahmen seiner Branche analysiert wird, sowie Krisenursachen benannt und die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfasst werden. Unternehmen der Gesundheitswirtschaft und NPOs haben damit durchaus die Chance, mit einem qualifizierten Sanierungskonzept finanzielle und strukturelle Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen, ohne gleich mit massiven Restrukturierungskosten belastet zu werden.

 

Der Sachverhalt

Der Kläger und Insolvenzverwalter der E. GmbH (Schuldnerin) nahm die Beklagte auf Rückzahlung einer Vergleichszahlung in Anspruch. Die Beklagte erbrachte für die Schuldnerin Speditionsleistungen. Im Januar 2007 standen ihr fällige Forderungen von 59.703,20 € zu, von denen 25.416,85 € rechtskräftig tituliert waren. Aufgrund des Titels erwirkte die Beklagte im Januar 2007 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Die Drittschuldnerin teilte mit, dass keine pfändbaren Guthaben vorhanden seien und Vorpfändungen in Höhe von 16.000 € bestünden. Mit Schreiben vom 15. Januar 2007 wandten sich die von der Schuldnerin beauftragten Berater (R.) an die Beklagte und teilten mit, dass eine buchmäßige Überschuldung der Schuldnerin in Höhe von 3,5 Mio. € bestehe. Die Kreditlinien seien eingefroren, es drohe in Kürze Zahlungsunfähigkeit. Zur Vermeidung der Insolvenz sei ein Vergleichsvorschlag erarbeitet worden, nachdem die Gläubiger auf 65 Prozent der Forderungen verzichten sollten, davon auf 15 v.H. gegen Besserungsschein. Der Vergleichsvorschlag könne dann umgesetzt werden, weil von Dritten Liquidität zur Verfügung gestellt werde. Voraussetzung sei, dass alle Gläubiger dem Vorschlag bedingungslos zustimmten. Anderenfalls sei ein Insolvenzverfahren unabdingbar, das keine Befriedigungsquote erwarten lasse. Antwort werde bis 19. Januar 2007 erbeten.
 
Die Beklagte stimmte am 26. Januar 2007 auf einem Formular der Schuldnerin zu. Die Zahlung erfolgte sodann am 29. März 2007.
 
Der Insolvenzverwalter hat die Zahlung nach § 133 Abs. 1 InsO angefochten. Die Schuldnerin habe sich seit vielen Jahren in einer tiefgreifenden Krise befunden. Die Beklagte habe dies aufgrund des Schreibens von R. gewusst. Der Sanierungsversuch sei offensichtlich nicht ernsthaft gewesen. Es seien von vorneherein allenfalls die Hälfte der Gläubiger an den Vergleichsbemühungen beteiligt gewesen, nicht aber die Kreditinstitute, das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger. Selbst ohne Berücksichtigung dieser Gläubiger habe der von den Geschäftsführern der Schuldnerin beschaffte Kredit von 500.000 € nicht ausgereicht, weil Forderungen von 850.000 € hätten zurückgeführt werden müssen. Die mangelnde Ernsthaftigkeit des Sanierungsversuchs habe der Beklagten nicht verborgen bleiben können, schon wegen der mehrfach verzögerten Zahlung. Die Beklagte beruft sich darauf, dass die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO widerlegt sei, weil die Beklagte darauf habe vertrauen dürfen, dass die Schuldnerin einen ernsthaften Sanierungsversuch entsprechend dem vorgelegten Sanierungsplan unternommen habe
 

Urteilsgründe

Nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners droht und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligt. Die Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit kann nach ständiger Rechtsprechung des Senats ihre Bedeutung als Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers hiervon verlieren, wenn die angefochtene Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften, letztlich aber fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs, ist. In diesem Fall ist die Rechtshandlung von einem anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen geleitet und das Bewusstsein der Benachteiligung anderer Gläubiger tritt in den Hintergrund. Voraussetzung ist auf Schuldnerseite, dass zu der Zeit der angefochtenen Handlung ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorlag, das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt war und die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigte. Ein Sanierungsplan, der zu einer Verneinung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners führt, muss dagegen nicht bestimmten formalen Erfordernissen entsprechen, wie sie etwa das Institut für Wirtschaftsprüfer e.V. in dem IDW Standard S 6 (IDW S 6) oder das Institut für die Standardisierung von Unternehmenssanierungen (ISU) als Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte (MaS) aufgestellt haben. Die Einhaltung der dort für erforderlich gehaltenen Voraussetzungen mag für eine erfolgreiche Sanierung in der Regel eine positive Prognose ermöglichen. Sie ist aber nicht zwingend erforderlich und vor allem bei kleinen Unternehmen nicht immer in vollem Umfang geboten. Auch dort muss jedoch die wirtschaftlichen Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche analysiert werden, sowie Krisenursachen benannt und die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfasst werden.
 

Bedeutung für die Gesundheitswirtschaft und NPOs

Der BGH setzt seine bisherige Marschroute fort und erleichtert künftig die Sanierung von Unternehmen in bestimmten Branchen und kleinerer Unternehmen. Insbesondere Unternehmen der Gesundheitswirtschaft (z.B. Pflegeheime, MVZ etc.) und Non-Profit Organisationen profitieren davon. Befinden sich Unternehmen der Gesundheitswirtschaft in der Krise, sind sie nicht zwingend gehalten, zu Restrukturierungszwecken gleich ein vollständiges S6-Gutachten zu beauftragen. Wichtig ist allerdings, dass die wirtschaftliche Lage des Schuldners zunächst im Rahmen seiner Branche analysiert wird. Ferner müssen die Krisenursachen aufgedeckt sowie die Vermögens- Ertrags- und Finanzlage erfasst werden. Der Berater sollte neben der Restrukturierungskompetenz insbesondere die insolvenzrechtlichen Statuten kennen und über Branchen-Know-How verfügen. 
 

Aus dem Newsletter

Kontakt

Contact Person Picture

Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

Partner

+49 911 9193 3713

Anfrage senden

Profil

Wie beraten Sie gern!

Befehle des Menübands überspringen
Zum Hauptinhalt wechseln
Deutschland Weltweit Search Menu