Das EU-Vietnam Freihandelsabkommen – neue Perspektiven für den Handel mit Dienstleistungen

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veröffentlicht am 12. August 2020 | Lesedauer ca. 3 Minuten

  

Am 8. Juni 2020 ratifizierte Vietnam das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Vietnam (EU-Vietnam Free Trade Agreement, EVFTA) und das Investitionsschutzabkommen zwischen der Europäischen Union und Vietnam. Das EVFTA trat am 1. August 2020 in Kraft und soll einen weitreichenden Marktzugang für den Handel mit Waren und Dienstleistungen gewähren. Die Verhandlungen hierfür wurden nach fast drei Jahren und 14 Verhandlungsrunden im Dezember 2015 abgeschlossen.

 

  

Das EVFTA ist ein Freihandelsabkommen der „neuen Generation" zwischen Vietnam und der EU. Im Juni 2018 wurde es in zwei getrennte Abkommen aufgespalten, eines zum Handel und eines zum Investitionsschutz, nachdem der Europäische Gerichtshof in seiner Stellungnahme vom 16. Mai 2017 in Bezug auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Singapur die Grenzen der ausschließlichen Zuständigkeit der Union festgelegt hatte. Das Investitionsschutzabkommen wird erst in Kraft treten, wenn es durch alle EU-Mitglieder ratifiziert wurde, was Jahre andauern könnte.

 

Während insbesondere die Auswirkungen des EVFTA auf den Warenhandel mit seinen Zollsenkungen bereits ein breites Medienecho erfahren hat, ist die Liberalisierung des Dienstleistungssektors vielen Unternehmern noch wenig bekannt, obwohl die Auswirkungen in der Praxis erheblich sind. Daher werfen wir hier ein Licht auf das entsprechende Kapitel 8 des Abkommens, das EU-Investoren neue Möglichkeiten bietet, da Vietnam seine Dienstleistungsmärkte weiter liberalisiert und einen Zugang über seine WTO-Verpflichtungen hinaus bietet. So wird EU-Unternehmern ein stark verbesserter Zugang zum vietnamesischen Markt ermöglicht, sowohl durch die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen als auch die Gründung einer lokalen Niederlassung. Das Freihandelsabkommen definiert eine solche „Niederlassung" als die Errichtung - einschließlich des Erwerbs - einer juristischen Person oder die Einrichtung einer Zweigniederlassung oder Repräsentanz in der Union beziehungsweise in Vietnam zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter wirtschaftlicher Verbindungen. Hinsichtlich des Marktzugangs durch Niederlassung und Betrieb eines Unternehmens gewährt jede Vertragspartei eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung, die nach den in ihrer jeweiligen Liste der spezifischen Verpflichtungen vereinbarten und festgelegten Bestimmungen, Beschränkungen und Bedingungen vorgesehen ist.

  

Marktzugang

Für die Sektoren, in denen Marktzugangsverpflichtungen übernommen werden, bestehen nunmehr Einschränkungen oder Verbote hinsichtlich der Maßnahmen, die eine Vertragspartei weder regional noch für ihr gesamtes Gebiet einführen oder aufrechterhalten darf, sofern in ihrer Liste der spezifischen Verpflichtungen nichts anderes festgelegt ist. Es ist daher u.a. nicht gestattet, die Anzahl der Unternehmen, die eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit ausüben dürfen, zu begrenzen, sei es in Form von zahlenmäßigen Quoten, Monopolen, ausschließlichen Rechten oder des Erfordernisses einer wirtschaftlichen Bedarfsprüfung. Darüber hinaus sind Beschränkungen der Gesamtzahl der Geschäftsvorgänge oder des Gesamtvolumens der Produktion durch Festsetzung bestimmter zahlenmäßiger Einheiten in Form von Quoten oder des Erfordernisses einer wirtschaftlichen Bedarfsprüfung unzulässig.

 

Ebenfalls unzulässig ist die Beschränkung von Beteiligungen  ausländischen Kapitals durch Festsetzung prozentualer Höchstgrenzen für die ausländische Beteiligung oder für den Gesamtwert einzelner oder zusammengefasster ausländischer Investitionen. Darüber hinaus sind Maßnahmen, die die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch einen Investor der anderen Vertragspartei auf bestimmte Formen rechtlicher Einheiten oder von Joint Ventures beschränken oder sie dafür vorschreiben, unzulässig. Auf die Weise können ausländische Investoren 100 Prozent der Anteile halten und somit ihr Unternehmen in Vietnam in solchen Sektoren vollständig kontrollieren, für die zuvor ein Joint Venture mit einem lokalen Partner erforderlich war. Darüber hinaus werden sogenannte „Leistungsanforderungen" eingeschränkt, unter anderem die Erfordernisse zu, (i) Ausfuhr einer bestimmten Menge oder eines bestimmten Prozentsatzes von Waren oder Dienstleistungen, (ii) Erreichen einer bestimmten Menge oder eines bestimmten Prozentsatzes heimischer Bestandteile, (iii) Erwerb, Verwendung oder Bevorzugung von lokal hergestellten Waren oder erbrachten Dienstleistungen oder (iv) Transfer von Technologie, Produktionsverfahren oder anderem geschützten Wissen.

 

Die liberalisierten Sektoren sind in den Listen der spezifischen Verpflichtungen jeder Partei aufgeführt, die in den Anhängen des Abkommens aufgeführt sind.

 

Das EVFTA enthält auch Klauseln zu Inländerbehandlung und Meistbegünstigung. Letztere gelten jedoch nicht für bestimmte Sektoren wie Kommunikationsdienste, mit Ausnahme von Post- und Telekommunikationsdiensten, Freizeit-, Kultur- und Sportdiensten sowie Bergbau, einschließlich der Gewinnung von Öl und Gas. Hier bleibt eine günstigere Behandlung von Investoren eines Drittlandes und deren Unternehmen grundsätzlich zulässig.

 

Geöffnete Sektoren

Die über die WTO hinausgehenden spezifischen Verpflichtungen decken Investitionen in zahlreichen Dienstleistungssektoren ab. Unter anderem können sich EU-Investoren stärker im Bereich von Computerdiensten engagieren, zu denen sich Vietnam über seine WTO-Verpflichtungen hinaus gänzlich verpflichtet hat. Das bedeutet, dass alle künftigen Technologien im Computersektor abgedeckt sind und EU-Anbieter eine große Auswahl an Computerdienstleistungen in Vietnam anbieten können. Die meisten Telekommunikationsdienste erfordern weiterhin Joint Ventures mit lokalen Partnern. Vom Joint Venture Zwang ausgenommen sind vollständig auslandsinvestierte Unternehmen die Internet- und/oder Mehrwertdienste wie E-Mails, Online-Informationen oder Leistungen für die Datenverarbeitung bereitstellen.

 

Aufgrund der neuen Verpflichtungen Vietnams ist nun auch die Bereitstellung grenzüberschreitender Hochschuldienstleistungen durch EU-Anbieter möglich. Auf diese Weise können solche Dienstleistungen aus EU-Hoheitsgebieten direkt in Vietnam erbracht werden.

 

Einer der wichtigsten Sektoren für EU-Investoren sind Vertriebsdienstleistungen. Das EVFTA ermöglicht einen verbesserten Marktzugang für Dienstleistungen zwischen den Parteien. Ein wichtiger Aspekt in dem Zusammenhang ist, dass Vietnam sich verpflichtet, die Wirtschaftsbedarfsprüfung (Economic Needs Test, ENT) auslaufen zu lassen, die bisher für weitere Verkaufsstellen von Einzelhandelsunternehmen gilt. Die ENT-Anforderung wird fünf Jahre nach Inkrafttreten, also 2025, auslaufen. Für weitere Verkaufsstellen, die weniger als 500 m² groß sind, entfällt der ENT ab sofort.

 

Vietnam treibt unterdessen die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr voran und bietet EU-Investoren bessere Bedingungen für die Gründung von Unternehmen im Bereich von Seeverkehrsdiensten. Das beinhaltet die Liberalisierung der Wartung und Reparatur von Schiffsdiensten sowie von Seeagenturdiensten. EU-Investoren können durch das EVFTA grenzüberschreitende Containerstations- und Depotdienste, Seefracht- sowie Containerumschlag anbieten. Mit der Gründung eines Joint Venture mit einem lokalen Partner dürfen EU-Investoren darüber hinaus Leistungen im Bereich Lagerung sowie Lager- und Baggerdienstleistungen erbringen.

 

Das EVFTA erleichtert ebenfalls den Marktzugang für EU-Investoren in weiteren Dienstleistungssektoren wie Bodenabfertigungsdiensten im Luftverkehr und Verpflegungsdiensten während des Fluges, Post- und Umweltdiensten, aber auch Gebäudereinigungsdiensten (einschließlich Desinfektion und Vernichtung), Verpackungsdiensten, Messen und Ausstellungsdienstleistungen, Vermietung/Leasing ohne Betrieb in Bezug auf Maschinen und Geräte, Pflegedienste, Physiotherapeuten und paramedizinisches Personal.

 

Fazit

Das EVFTA schafft eine gute Grundlage für Wachstum und gegenseitigen Nutzen in zahlreichen Sektoren und ist in der gegenwärtigen Zeit der Covid-19-Pandemie sowie für die Zeit danach hilfreich, um die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Vietnam weiter auszubauen und zu fördern. Für ausländische Investoren ergeben sich diverse neue Möglichkeiten und Vietnam kann sich auch in Zukunft als interessanter Standort in der ASEAN-Region positionieren.

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