Barrierefreiheit im öffentlichen Personenverkehr

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Von Andreas Saxinger
veröffentlicht am 3. Juni 2013
 
Nach der Novellierung des PBefG haben Nahverkehrspläne die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des ÖPNV bis zum 01. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Zwar räumt der Gesetzgeber Aufgabenträgern und Ländern unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmemöglichkeiten von dieser Vorgabe ein. Dennoch kommen auf die Aufgabenträger erhebliche finanzielle und planerische Herausforderungen zu.
 

Einführung in die Thematik

Das zum 01. Januar 2013 novellierte PBefG misst der Barrierefreiheit im ÖPNV eine wichtige Bedeutung zu. Die neue Vorschrift des § 8 Abs. 3 S. 3 PBefG verlangt, dass der Nahverkehrsplan des ÖPNV Aufgabenträgers die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen hat, für die Nutzung des ÖPNV bis zum 01. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Von dieser Frist kann gemäß § 8 Abs. 3 S. 4 PBefG nur abgewichen werden, wenn im Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden. Darüber hinaus bestimmt § 62 Abs. 2 PBefG, dass die Länder – soweit dies nachweislich aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unumgänglich ist – den in § 8 Abs. 3 S. 3 PBefG genannten Zeitpunkt abweichend vom 01. Januar 2022 festlegen können, sowie Ausnahmetatbestände bestimmen können, die eine Einschränkung der Barrierefreiheit rechtfertigen.
 
Bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans ist die frühzeitige Beteiligung der vorhandenen Unternehmer und die Anhörung von Behindertenbeauftragten und –beiräten sowie Verbänden der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Fahrgäste erforderlich. Ihre jeweiligen Interessen sind angemessen und diskriminierungsfrei nach § 8 Abs. 3 S. 7 PBefG zu berücksichtigen. Dazu korrespondierend kann gemäß § 13 Abs. 2a S. 1 PBefG einem Unternehmer die Genehmigung versagt werden, wenn der von ihm beantragte Verkehr mit einem Nahverkehrsplan i.S.d. § 8 Abs. 3 PBefG nicht in Einklang steht.
 
Auch der durch das novellierte PBefG liberalisierte Personenfernverkehr, für den in § 42a PBefG eine Definition in das Gesetz aufgenommen wurde, hat den Belangen behinderter Menschen Rechnung zu tragen. Dies ergibt sich aus § 42b PBefG, wonach Kraftomnibusse, die im Personenfernverkehr eingesetzt werden, bestimmte technische Anforderungen zu erfüllen haben und mit mindestens zwei Stellplätzen für Rollstuhlfahrer ausgerüstet sein müssen. Dies gilt gemäß § 62 Abs. 3 PBefG ab dem 01. Januar 2016 für erstmals zum Verkehr zugelassene Kraftomnibusse, und nach Ablauf des 31. Dezember 2019 für alle Kraftomnibusse.
 

Begründung für die gesetzlichen Neuregelungen

Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 21. Dezember 2011 (BT-Drs. 17/8233) waren die Bestimmungen über die Barrierefreiheit im ÖPNV, insbesondere die Frist zum 01. Januar 2022, noch nicht enthalten. Sie wurden erst durch die Beschlussempfehlung des Verkehrsausschusses vom 26. September 2012 (BTDrs. 17/10857) eingeführt. Begründet wurde dies mit einem Hinweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention, wonach die Vertragsstaaten, zu denen seit dem Jahr 2009 auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, zu einem Höchstmaß an Barrierefreiheit verpflichtet sind. Um dieses Ziel zu erreichen wurde ausweislich der Begründung zur o.g. Beschlussvorlage in § 8 Abs. 3 S. 4 PBefG ein Regel-Ausnahme-Prinzip dergestalt statuiert, dass Ausnahmen von der Regel (barrierefrei bis 01. Januar 2022) im Nahverkehrsplan klar benannt und begründet werden müssen.
 
Die den Ländern durch § 62 Abs. 2 PBefG eingeräumte Möglichkeit zur Verlängerung der Umsetzungsfrist über den 01. Januar 2022 hinaus soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem Investitionsvolumen, das zur Herstellung der Barrierefreiheit erforderlich ist und den Investitionszyklen bei der Haltestelleninfrastruktur sowie den Schienenfahrzeugen Rechnung tragen. Die Bestimmung von Ausnahmetatbeständen durch die Länder kann angezeigt sein, wenn – wie häufig bei Haltestellen an Landstraßen im überörtlichen Verkehr – die Barrierefreiheit des Umfelds nicht gewährleistet ist oder die Anpassung von Infrastruktur oder Fahrzeugen im Einzelfall aus technischen Gründen nicht möglich ist.
 
Auffällig ist, dass der Bundesgesetzgeber zwar auf die UNBehindertenrechtskonvention rekurriert, dieser jedoch ein anderer Behindertenbegriff zugrunde liegt als in § 8 Abs. 3 S. 3 PBefG. Die UN-Behindertenrechtskonvention zählt gemäß Artikel 1 zu Menschen mit Behinderungen solche, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. § 8 Abs. 3 S. 3 PBefG spricht dagegen inhaltlich erheblich enger von in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen. Ein ähnliches Ergebnis offenbart ein Vergleich mit dem weiten Begriff der Behinderung, der sich in § 2 Abs. 1 SGB IX und den Behindertengleichstellungsgesetzen (BGG) – z.B. Art. 2 BayBGG – findet. § 8 Abs. 3 S. 3 PBefG ist in diesem Zusammenhang als eine spezifisch auf den ÖPNV zugeschnittene Vorschrift zur Barrierefreiheit zu sehen.
 
Die Behindertengleichstellungsgesetze beinhalten ein Klagerecht von durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales anerkannten Verbänden auf Feststellung eines Verstoßes durch Träger der öffentlichen Gewalt gegen die Verpflichtung zur Herstellung der Barrierefreiheit (z.B. Art. 16 BayBGG). Das novellierte PBefG räumt den Behindertenbeauftragten und – beiräten sowie Verbänden der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Fahrgäste in § 8 Abs. 3 S. 6 PBefG lediglich ein Anhörungsrecht bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans durch den ÖPNV-Aufgabenträger ein. Eine Regelung zu einem über die Behindertengleichstellungsgesetze hinausgehenden Verbandsklagerecht findet sich im PBefG nicht.
 

Handlungsbedarf

Für den ÖPNV-Aufgabenträger ergibt sich durch die zeitlich fixierte Zielvorgabe der Barrierefreiheit ein erhöhter Planungs-, Abstimmungs- und Finanzierungsbedarf. Neben eventuell erforderlichen Modifikationen an Haltestellen und anderen Infrastruktureinrichtungen (etwa Höhe der Bordsteinkanten, Lifte, akustische Fahrgastinformationen, etc.) wird sich auch die Art der eingesetzten Fahrzeuge den besonderen Bedürfnissen von in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen anpassen müssen. Abweichungen in zeitlicher Hinsicht vom erklärten Ziel der Barrierefreiheit bis zum 01. Januar 2022 sind gründlich zu prüfen und im Nahverkehrsplan zu begründen. Ähnliche Anforderungen gelten für die Länder, wollen sie von den ihnen in § 62 Abs. 2 PBefG eingeräumten Ausnahmetatbeständen aufgrund nachweislicher technischer oder wirtschaftlicher Gründe Gebrauch machen. Vor diesem Hintergrund wird der Infrastruktur- und Fahrzeugförderung (noch) größere Bedeutung zukommen. Die fortbestehende Unklarheit über die Zukunft der Mittel aus dem Entflechtungsgesetz nach dem 31. Dezember 2019 dürfte sich dabei, insbesondere wegen der langen Planungsvorläufe für investive Maßnahmen, als kontraproduktiv erweisen.
 

Zusammenfassung

Das novellierte PBefG verlangt als Regel, dass der Nahverkehrsplan des ÖPNV-Aufgabenträgers die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen hat, für die Nutzung des ÖPNV bis zum 01. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Der Gesetzgeber räumt den Aufgabenträgern und den Ländern unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmemöglichkeiten von dieser Vorgabe ein, die jedoch gründlich zu prüfen und zu begründen sind. Zur Erfüllung des Ziels der vollständigen Barrierefreiheit müssen die ÖPNV-Aufgabenträger in Zukunft mit erhöhtem Planungs-, Abstimmungs- und Finanzierungsbedarf rechnen.

Abstimmungs-Finanzierungsbedarf

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Prof. Dr. Andreas Saxinger

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