Verstoß Kernarbeitszeit – Das Bundesverwaltungsgericht legt die Messlatte für die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis hoch an

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veröffentlicht am 1. Oktober 2024
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Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschied mit Urteil vom 28.8.2023, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis selbst dann unverhältnismäßig ist, wenn der Beamte1 eine Vielzahl von Fehlzeiten anhäuft und der Dienstherr diese ohne vorherige Ahndung aufaddiert, um sodann die härteste Disziplinarmaßnahme in Form der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen (BVerwG, Urt. v. 28.3.2023 –​ 2 C 20.212). Der Dienstherr ist daher gut beraten, bei Dienstvergehen möglichst frühzeitig einzuschreiten, um bei etwaigen Folgeverstößen die Grundlage für weitere, tiefgreifendere Disziplinarmaßnahmen zu schaffen.


Ausgangslage und rechtliche Grundsätze​

Das BVerwG hatte in der vorgenannten Entscheidung einen kuriosen Fall zu entscheiden: Bei der Klägerin handelt es sich um ein Bundesamt, bei dem der Beklagte (nachfolgend zusammenfassend: Parteien) seit dem Jahr 1997 beschäftigt ist und zwischenzeitlich den Dienstgrad eines Oberregierungsrats erlangt hat.

Dem Dienstverhältnis liegt eine Kernarbeitszeitregelung zugrunde, zu der sich der Beklagte in den Räumlichkeiten der Klägerin aufzuhalten hat.

Trotz dieser Vorgaben erschien der Beklagte in einem Gesamtzeitraum von 34 Wochen verspätet zum Dienst, sodass er in diesem Zeitraum 1.614 Fehlstunden anhäufte, was umgerechnet Fehlzeiten im Umfang von 7,8 Monaten entspricht. Obwohl die Klägerin vorzeitige Kenntnis von den einzelnen Kernarbeitszeitverstößen erlangte, beanstandete sie die Kernarbeitszeitverstöße indes nicht. Vielmehr leitete sie gegen den Beklagten mit Verfügung vom 6.11.2015 ein Disziplinarverfahren ein.

Am 16. November erhob die Klägerin (die mittlerweile gesetzlich nicht mehr vorgesehene) Disziplinarklage mit dem Begehren, den Beklagten aus dem Beamtendienst aufgrund einer Dienstpflichtverletzung gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) zu entfernen.

Gem. § 77 Abs. 1 S. 1 BBG begeht ein Beamter ein Dienstvergehen, wenn er die ihm obliegenden Pflichten verletzt. Der zureichende Verdacht eines solchen Dienstvergehens berechtigt zum Ergreifen von Disziplinarmaßnahmen gem. § 17 Abs. 1 BDG. Unter Disziplinarmaßnahmen sind gem. § 5 BDG (i) der Verweis gem. § 6 BDG, (ii) die Geldbuße gem. § 7 BDG, (iii) die Kürzung der Dienstbezüge gem. § 8 BDG, (iv) die Zurückstufung gem. § 9 BDG sowie (v) die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gem. § 10 BDG zu verstehen.

Die vorgenannten Disziplinarmaßnahmen stehen in der vorliegend genannten Reihenfolge in einem Stufenverhältnis, sodass die jeweils zulässige Disziplinarmaßnahme von der Schwere des Dienstvergehens abhängt, vgl. § 13 Abs. 1 BDG. Eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis hat gem. § 13 Abs. 3 BDG auf letzter Stufe erst dann zu erfolgen, sofern der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat.

Verfahrensgang – Obsiegen des Dienstherren in den ersten zwei Instanzen

Mit Urteil vom 14.5.2019 entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf (VG Düsseldorf) zugunsten der Klägerin und gab der Klage auf Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis statt (VG Düsseldorf, Urt. v. 14.5.2019 – 38 K 9264/18.BDG3). Es handele sich um ein schwerwiegendes Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1 S: 1 BBG. Der Beklagte habe gegen die Gehorsamspflicht gem. § 62 Abs. 1 S. 2 BBG verstoßen, indem er gegen die festgelegte Kernarbeitszeitregelung verstoßen habe. Gem. § 62 Abs. 1 S. 2 BBG sind Beamte verpflichtet, dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Ein Verstoß liege darin, dass der Beklagte sich nicht an die Anordnung hinsichtlich der Kernarbeitszeiten gehalten habe. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sei verhältnismäßig, aufgrund des extremen Umfangs des Arbeitszeitverstoßes. Es handele sich bei den angehäuften Fehlzeiten um ein einheitlich zu beurteilendes Dienstvergehen. Das Vertrauen der Klägerin und der Allgemeinheit sei durch das Verhalten des Beklagten erschüttert worden.

Auf die beklagtenseits eingelegte Berufung begab sich das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG Münster) mit seiner Entscheidung vom 16.9.2020 (Az.: 3 d A 2713/19. BDG) auf den Pfad des VG Düsseldorf und erteilte dem Beklagten ebenso eine Absage. Das OVG folgt dem Begründungsansatz des VG Düsseldorf und unterstreicht, dass es sich um ein vorsätzliches, einheitliches Dienstvergehen in Form des langzeitigen und wiederholten Verstoßes gegen die Kernarbeitszeitregelung handele. Ein vorsätzliches unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst über einen Zeitraum von mehreren Monaten oder ein Fernbleiben, das in der Summe einen vergleichbaren Gesamtzeitraum erreicht, sei dabei regelmäßig geeignet, ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten zu zerstören. Der vorliegende Fall sei aufgrund der erheblichen Anhäufung der Fehlstunden ebenso zu beurteilen.

Ernüchterung des Dienstherren vor dem BVerwG​

Das BVerwG hingegen wies die Klage vom 28.8.2023 ab und versagte damit die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Das BVerwG stufte den Beklagten stattdessen in das Amt eines Regierungsrates mit der Besoldungsgruppe A 13 zurück, wobei es tenorierte, dass eine Beförderung nicht vor Ablauf von drei Jahren nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des BVerwGs möglich sei.

Das BVerwG folgt zwar zunächst den Vorinstanzen in der Annahme eines Dienstvergehens in Form eines Verstoßes gegen die Gehorsamspflicht nach § 62 Abs. 1 S. 2 BBG durch den Verstoß gegen die festgelegten Kernarbeitszeiten. Jedoch sei die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unverhältnismäßig. Verhältnismäßig sei hingegen als mildere Disziplinarmaßnahme die Zurückstufung in ein Amt der geringeren Besoldungsstufe als Regierungsrat gem. § 9 BDG. Angesichts der vorzeitigen Kenntniserlangung der Verspätungen habe der Dienstherr es versäumt, frühzeitig notwendige mildere Maßnahmen zu treffen. Eine Addition der Fehlzeiten zwecks der Ergreifung der schwerwiegendsten Disziplinarmaßnahme in Form der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sei unzulässig. Bereits bei einem erstmaligen Kernzeitverstoß habe der Dienstherr zu reagieren und auf die Einhaltung der Kernarbeitszeit hinzuwirken. Erst im weiteren Verlauf seien mildere Disziplinarmaßnahmen wie die Erteilung eines Verweises gem. § 6 BDG, die Verhängung einer Geldbuße gem. § 7 BDG und die Kürzung von Dienstbezügen gem. § 8 BDG zu ergreifen. Ein solcher Verstoß der vorzeitigen Ergreifung niederschwelliger Maßnahmen bei einzelnen Verstößen sei in der Bemessung der Disziplinarmaßnahme zugunsten des Beklagten mildern zu berücksichtigen.

Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sei schließlich auch nicht durch die Annahme des OVG Münster zu rechtfertigen, die addierte Gesamtzeit der täglichen Verspätungen in Höhe von 7,8 Monaten komme in ihrer Schwere einem monatelangen unerlaubten gänzlichen Fernbleibens vom Dienst gleich, was nach der Rechtsprechung des BVerwGs regelmäßig geeignet ist, das Vertrauensverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten derart zu zerstören, dass eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerechtfertigt sei (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.2020 – 2 C 6.194, m.w.N.). Das gänzliche Fernbleiben vom Dienst sei als schwerwiegender zu bewerten, als die Nichtbeachtung der Kernarbeitszeiten.

Fazit | Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BVerwGs zeigt, dass die zu bewältigenden Hürden für eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis äußerst hoch sind. Der Dienstherr ist angesichts dessen gut beraten, im Rahmen der Disziplinarmaßnahmen restriktiv und bedacht vorzugehen und insbesondere im Falle sich wiederholender leichterer Dienstvergehen stufenweise vorzugehen.

Bei leichten Dienstvergehen sollte zunächst außerhalb des Disziplinarrechts das Gespräch mit dem jeweiligen Beamten als niederschwellige Maßnahme gesucht werden, um das Dienstvergehen entsprechend zu ahnden. Sollte dies erfolglos bleiben, so kommen etwa Disziplinarmaßnahmen in Form eines Verweises gem. § 6 BDG oder einer Geldbuße gem. § 7 BDG infrage. Im Falle weiterer solcher Verstöße sollte der Dienstherr schwerere Disziplinarmaßnahmen wie die Kürzung von Dienstbezügen gem. § 8 BDG, die Zurückstufung gem. § 9 BDG sowie als Ultima Ratio die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gem. § 10 BDG in Betracht ziehen.

Anders sind Fälle schwerwiegender Dienstvergehen wie im Falle schwerer Straftaten zu beurteilen. In solchen Fällen kann auch bei einer Erstbegehung unmittelbar –​ ohne vorherige mildere Disziplinarmaßnahmen –​ eine einschneidendere Disziplinarmaßnahme wie beispielsweise die Zurückstufung in Betracht gezogen werden. Entscheidend für die Beurteilung der zu ergreifenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens und sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls gem. § 13 BDG.

Auch zeigt die Entscheidung, dass dringend von einer Anhäufung von Dienstvergehen zwecks Ergreifung einer schwerwiegenden Disziplinarmaßnahme abgesehen werden sollte. Ein solches Vorgehen ist unzulässig und führt grundsätzlich zur Unverhältnismäßigkeit der schwerwiegenderen Disziplinarmaßnahme. Vielmehr hat der Dienstherr frühzeitig nach Kenntniserlangung vom Dienstvergehen zu reagieren und auf den Beamten einzuwirken.

Ebenso schädlich kann sich eine verspätete Einleitung eines Disziplinarverfahrens auf die Erfolgsaussicht der jeweiligen Disziplinarmaßnahme auswirken. Ein verspätet eingeleitetes Disziplinarverfahren kann sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit mildernd zugunsten des Beamten auswirken. Auch vor diesem Hintergrund sollte möglichst frühzeitig nach Kenntniserlangung vom Dienstvergehen gehandelt werden.

Insgesamt dürfte der Dienstherr gut beraten sein, das disziplinarrechtliche Vorgehen vor der Ergreifung von Maßnahmen einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen, um das Disziplinarverfahren möglichst erfolgversprechend zu gestalten.
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1 Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird im Folgenden lediglich das generische Maskulinum verwendet.
Es sind jedoch stets Personen jeglichen Geschlechts bzw. jeglicher Geschlechtsidentität gleichermaßen gemeint.

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