Doppelte Wesentlichkeit im Fokus: Experteneinsichten aus Prüfung und Beratung

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 6. September​​ 2024 | Lesedauer ​​ca. 4 Minuten


Der Weg zum ersten CSRD-konformen Nachhaltigkeitsbericht beginnt mit einer großen Aufgabe: der Durchführung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse. In diesem initialen Schritt werden die wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte und damit die inhaltlichen Schwerpunkte des Berichts festgelegt. Viele Unternehmen stehen dabei aufgrund der umfangreichen Anforderungen vor erheblichen Herausforderungen. Doch wie blicken Prüfer und Berater auf das Thema? ​

 


 
Vor allem im Hinblick auf die durch die CSRD eingeführte verpflichtende inhaltliche Prüfung ist der Aufwand für die Durchführung einer robusten doppelten Wesentlichkeitsanalyse nicht zu unterschätzen: Welche konkreten Anforderungen müssen erfüllt werden? Wie erfolgt die prüfsichere Dokumentation der Wesentlichkeitsanalyse? Und wie lassen sich aus den wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekten letztendlich die Berichtsinhalte ableiten? Diese und weitere Fragen stellen sich angesichts der Neuheit der Regulatorik, fehlenden Best-Practice-Beispielen und Auslegungsunsicherheiten aktuell viele Unternehmen.  

Der Austausch mit Prüfern und Beratern kann hierbei Abhilfe schaffen und wertvolle Unterstützung bieten. Neben umfassender fachlicher Expertise verfügen diese dank ihrer branchenübergreifenden Erfahrung über tiefgreifende Einblicke in die zahlreichen derzeit am Markt vertretenen Wesentlichkeitsansätze. Dr. Christian Maier, Wirtschaftsprüfer, und Anna Wilhelm, ESG-Beraterin und Sustainability AuditorIDW, beleuchten das Thema Wesentlichkeitsanalyse für Sie aus der Prüfer- und Beraterperspektive. 

Frage 1: Welche Rolle spielt die Wesentlichkeitsanalyse im Berichterstattungsprozess? 


Das sagt die Beraterin:  
„Im Berichterstattungsprozess ist die Wesentlichkeitsanalyse von zentraler Bedeutung, da sie hilft, die relevanten Nachhaltigkeitsaspekte zu identifizieren, die für die Nutzer der Nachhaltigkeitsberichterstattung von größtem Interesse sind. Die eingehende Analyse der eigenen Geschäftstätigkeit und der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette ermöglicht es, die Schwerpunkte des Nachhaltigkeitsberichts gezielt auf die Aspekte zu legen, die sowohl für das Unternehmen selbst als auch für seine Stakeholder am wichtigsten sind. Durch eine präzise Wesentlichkeitsanalyse können wir sicherstellen, dass der Bericht nicht nur die strategischen Ziele des Unternehmens widerspiegelt, sondern auch die Erwartungen und Bedürfnisse der Stakeholder angemessen adressiert. Dies fördert die Glaubwürdigkeit und Relevanz des Berichts und unterstützt das Unternehmen dabei, seine Nachhaltigkeitsstrategie effektiv zu kommunizieren.“ 

Das sagt der Wirtschaftsprüfer: ​

„Die Wesentlichkeitsanalyse spielt im Berichterstattungsprozess eine fundamentale Rolle, da sie die Grundlage für die Inhalte der Berichterstattung bildet. Sie sorgt dafür, dass sich ein Unternehmen intensiv mit seinen nachhaltigkeitsbezogenen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt (Impact Materiality) sowie mit seinen finanziellen Risiken und Chancen, die mit Nachhaltigkeitsaspekten verbunden sind (Financial Materiality), beschäftigen muss. Wichtig ist hierbei, dass der Nachhaltigkeitsbericht nicht als Marketinginstrument missverstanden wird, sondern durch die CSRD auf Augenhöhe mit der Finanzberichterstattung rückt und damit bestimmte Qualitätsmerkmale erfüllen muss. Hierzu gehören die Relevanz, wahrheitsgetreue Darstellung, Vergleichbarkeit, Überprüfbarkeit und Verständlichkeit. Eine robuste und prüfsichere Wesentlichkeitsanalyse der Mandanten ist notwendig, damit Wirtschaftsprüfern den Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben prüfen können. Dies ist entscheidend für die Einhaltung der CSRD-Anforderungen und für die Schaffung einer transparenten und aussagekräftigen Nachhaltigkeitsberichterstattung.“ ​


Frage 2: Wie sieht der Prozess zur Durchführung einer CSRD-konformen doppelten Wesentlichkeitsanalyse aus? 


Das sagt die Beraterin:  
„Hier verfolgen wir einen klar strukturierten und praxisorientierten Ansatz. Bei der Detailkonzeption berück­sich​­​tigen wir neben den Anforderungen der ESRS und den von der EFRAG herausgegebenen Umsetzungsleitfäden natürlich auch immer die spezifischen Umstände des Unternehmens. Zunächst wird der Unternehmenskontext umfassend untersucht, einschließlich der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette sowie relevanter interner und externer Faktoren. Hierbei werden beispielsweise die Standorte des Unternehmens und seiner Lieferanten, bestimmte Rohstoffe, die innerhalb des eigenen Betriebs oder der Wertschöpfungskette verwendet werden, oder wichtige Geschäftsbeziehungen genauer beleuchtet. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen dann in den weiteren Prozess der Identifikation wesentlicher Auswirkungen, Risiken und Chancen ein. Weiterhin legen wir in diesem Schritt fest, welche Stakeholder oder Stakeholdervertreter an welchem Punkt im Prozess hinzugezogen werden sollen – hierbei gilt der Grundsatz Qualität vor Quantität. Ausgangspunkt für die IRO-Identifikation ist dann die in ESRS 1 AR16 bereitgestellte Longlist potenziell relevanter Nachhaltigkeits­aspekte, die ggf. um branchen- oder unternehmensspezifische Aspekte erweitert wird. Die zuvor festgelegten Stakeholder oder Stakeholder-Experten, die als deren Stellvertreter fungieren können, identifizieren dann die relevanten Auswirkungen, Risiken und Chancen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die Bewertung erfolgt anhand klar definierter Skalen, die eine möglichst objektive Einschätzung ermöglichen sollen – bei der Bewertung der Risiken und Chancen greifen wir hierbei beispielsweise gern auf die im finanziellen Risiko­manage­​ment verwendeten Skalen zurück. Abschließend werden die wesentlichen IROs anhand eines Schwellenwerts ermittelt, die wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte zusammengestellt und final validiert, idealerweise durch die Geschäftsleitung. Zur Illustration im Bericht wird nach wie vor häufig eine klassische Matrix gewählt, einen höheren Informationsgehalt bietet jedoch eine Darstellung in Listen- oder Tabellenform. Die Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse können Unternehmen zur gezielten Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie nutzen, sodass im ersten Bericht idealerweise bereits Informationen zu Konzepten, Maßnahmen und Zielen in Bezug auf die wesentlichen Aspekte offengelegt werden können.“ 
​Das sagt der Wirtschaftsprüfer: ​

„Bei der Prüfung des Vorgehens bei der Wesentlichkeitsanalyse achten wir in erster Linie darauf, dass die einschlägigen Anforderungen der ESRS erfüllt sind. Hierzu gehört beispielsweise, dass konkrete IROs zu den jeweiligen Nachhaltigkeitsaspekten identifiziert und bewertet werden müssen, dass neben der eigenen Geschäftstätigkeit die Wertschöpfungskette mitberücksichtigt wird oder dass die Bewertung der IROs anhand der für den jeweiligen IRO-Typ vorgeschriebenen Bewertungskriterien erfolgt. Da der Standard an vielen Stellen keine konkreten Vorgaben macht und Interpretationsspielraum lässt, bleibt es oft dem Unternehmen überlassen, wie es bestimmte Prozessschritte im Detail ausgestaltet. Aus Prüfersicht ist daher entscheidend, dass die genaue Vorgehensweise und die getroffenen Entscheidungen lückenlos und nachvollziehbar dokumentiert werden.“ ​



Frage 3: Wie geht es nach der Ermittlung der wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte weiter? 


Das sagt die Beraterin:  
„Nach der Ermittlung der wesentlichen Aspekte erfolgt die Ableitung der wesentlichen ESRS-Datenpunkte. Hierbei empfiehlt es sich, auf die von der EFRAG zur Verfügung gestellte Excel-Liste zurückzugreifen, die alle ESRS-Datenpunkte enthält und nach der Ableitung der Datenpunkte auch gleich für die darauffolgende Gap-Analyse weiterverwendet werden kann. Da aktuell noch kein offizielles 1:1-Mapping zwischen den wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekten und den Datenpunkten verfügbar ist, nutzen wir eine eigene Überleitungslogik, die die Anforderungen der ESRS berücksichtigt. Diese ziehen wir als Grundlage für die Ableitung der Datenpunkte heran und präzisieren dort, wo es angesichts der Formulierung bestimmter IROs noch Anpassungsbedarf gibt." ​

Das sagt der Wirtschaftsprüfer: 

„Beim Mapping der wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte zu den ESRS-Datenpunkten ist darauf zu achten, wirklich nur diejenigen Datenpunkte herauszufiltern, die für die Berichterstattung auch wesentlich sind. So ist es beispielsweise nicht richtig, Informationen zum Umgang mit dem Thema Tierschutz in der Berichterstattung zum Standard G1 offenzulegen, wenn dieser Aspekt im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse nicht als wesentlich identifiziert wurde. Gleichzeitig gibt es einige Datenpunkte, über die verpflichtend, also unabhängig von den Ergebnissen der Wesentlichkeitsanalyse, Bericht zu erstatten ist und die daher nicht aussortiert werden dürfen. Aufgrund der hohen Relevanz dieses Schritts für die Berichterstattung sollte eine frühzeitige Abstimmung mit dem Wirtschaftsprüfer über die geplante Vorgehensweise erfolgen.“ ​

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Frage 4: Wo liegen die größten Herausforderungen bei der Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse? 
 

Das sagt die Beraterin: 
„Häufig ist es aus unserer Erfahrung der Zeitaufwand, der deutlich unterschätzt wird. Die oben skizzierten Schritte lassen bereits darauf schließen, dass die Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse einen hohen Koordinationsaufwand verursacht – die Inklusion verschiedenster Stakeholdergruppen, Fachbereiche, ausländischer Tochtergesellschaften oder externer Experten kann unter Umständen viel Zeit in Anspruch nehmen. Hinzu kommen interne Review- und Validierungsschleifen, denen angesichts der enormen Relevanz der Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse für die Berichterstattung ebenfalls hohe Priorität eingeräumt werden sollte. Unternehmen, die ab dem Geschäftsjahr 2025 berichtspflichtig sind und noch nicht mit der Wesentlichkeitsanalyse begonnen haben, sollten daher keine Zeit mehr verlieren und das Projekt Nachhaltigkeitsberichterstattung schnellstmöglich in die Wege leiten.“ 

Das sagt der Wirtschaftsprüfer: 

„Neben dem knappen Zeitrahmen zur Umsetzung liegt eine zentrale Herausforderung in der nachvollziehbaren Dokumentation des Prozesses. Zwar stellen die ESRS keine konkreten Anforderungen an die Dokumentation, im Hinblick auf die inhaltliche Prüfung ist diese allerdings unverzichtbar und sollte am besten prozessbegleitend erfolgen. Letztendlich müssen wir auf Basis der Dokumentation verstehen, wie genau die identifizierten wesentlichen Aspekte zustande kamen, wer in welchem Schritt am Prozess beteiligt war und welche konkreten Entscheidungen in den einzelnen Schritten getroffen wurden, beispielsweise hinsichtlich der Festlegung von Schwellenwerten, der Einbeziehung von Tochtergesellschaften oder der gewählten Berechnungslogik.“ 



​Fazit: Was gilt es zu beachten, um den Prozess der Wesentlichkeitsanalyse effizient und gleichzeitig prüfsicher zu gestalten? ​

Das sagt die Beraterin:
„Um die Wesentlichkeitsanalyse effizient und prüfsicher zu gestalten, ist es wichtig, von Beginn an eine klare Struktur und einen gut durchdachten Zeitplan zu entwickeln. Die frühzeitige Einbindung aller relevanten Akteure und die Nutzung der genannten Arbeitshilfen und Leitfäden tragen dazu bei, den Prozess reibungslos zu gestalten. Zudem ist es ratsam, regelmäßig Zwischenvalidierungen durchzuführen und die Ergebnisse fortlaufend zu dokumentieren, um eine transparente und überprüfbare Analyse sicherzustellen.“ 


Das sagt der Wirtschaftsprüfer:  

„Da die Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse die Inhalte und Kernaussagen des Nachhaltigkeitsberichts bestimmen, prüfen wir den Prozess zur Ermittlung der wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte eingehend. Wenn die Prozesse bereits aufgesetzt, die Daten erhoben und der Bericht verfasst sind, der Wirtschaftsprüfer jedoch Einwände gegen die Vorgehensweise erhebt, gestaltet sich eine nachträgliche Überarbeitung der Wesentlichkeitsanalyse allerdings als schwierig und kann zu langwierigen Verzögerungen im Prüfungsprozess führen. Um einen möglichst effizienten und reibungslosen Prüfungsablauf sicherzustellen, ist es daher wichtig, das Vorgehen frühzeitig mit dem Wirtschaftsprüfer abzustimmen. Dies kann beispielsweise im Rahmen einer erstellungsbegleitenden Prüfung erfolgen und gilt unabhängig davon, ob bereits ein externer Berater ins Boot geholt wurde oder nicht. Unklarheiten und Auslegungsunsicherheiten können so rechtzeitig beseitigt und das Feedback des Prüfers im weiteren Prozess berücksichtigt werden. Zudem wird auf diese Weise gewährleistet, dass die Wesentlichkeitsanalyse ihre Funktion als Instrument zur Ermittlung der für das Unternehmen wesentlichen nachhaltigkeitsbezogenen Auswirkungen, Risiken und Chancen angemessen erfüllt und damit langfristig auch für das Unternehmen einen Nutzen stiftet.“ 

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Dr. Christian Maier

Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, CPA (U.S.)

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