Ausbeutende Arbeitskräfte-Beschäftigung: Italienische Modeindustrie in der Krise

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 16. August​​ 2024 | Lesedauer ​​ca. 4 Minuten


In letzter Zeit war die italienische Modeindustrie aufgrund zunehmender Fälle von sog. „Caporalato”​ (Illegale und ausbeutende Anwerbung/Beschäftigung von Arbeitskräften) und Verletzung von Arbeitnehmerrechten Gegenstand ständiger Medien­aufmerk­samkeit. Wirtschaftliche und wettbewerbs­rechtliche Beunruhi­gungen haben Unter­nehmen vermehrt dazu veranlasst, auf das „Caporalato” ​zurückzugreifen, um sich auf dem Markt weiterhin behaupten zu können. Strategien zur Kostenminimierung und Gewinnmaximierung werden jedoch ohne Rücksicht auf die Arbeitnehmer umgesetzt, die einer ständigen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft sowie der Verletzung ihrer Rechte ausgesetzt sind. ​​​

 


   

​​​​Der Kampf gegen das „Caporalato” in der Produktionskette der Modebranche  

Die jüngsten gerichtlichen Verwaltungsmaßnahmen gegen drei bekannte Unternehmen der Modebranche, welche das Gericht von Mailand im Rahmen von Ermittlungen zur Ausbeutung von Arbeitern erlassen hat, zeigen, wie tief das Phänomen in diesem Sektor verwurzelt ist und wie langwierig und schwierig der Weg ist, um angemessene Präventions- und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Den Gerichtsunterlagen der Mailänder Staatsanwaltschaft zufolge hat sich in den betroffenen Unternehmen eine Geschäftskultur ausgebreitet, die auf Unterlassung der Kontrolle - oder der Vornahme einer nur sehr minimalen Kontrolle - der Produktionsketten beruhte. Die unter Gerichtsverwaltung gestellten Unternehmen folgten nämlich alle demselben Schema. Sie lagerten Produktionstätigkeiten durch Verträge mit Auftragnehmern aus, die ihrerseits Unteraufträge an Dritte vergaben, welche wiederum die Dienste von Arbeitnehmern in Anspruch nahmen, die unter prekären Sicherheits- und Hygienebedingungen arbeiteten, unter dem gesetzlichen Minimum liegenden Lohnbedingungen unterlagen (Löhnen von nur 2-3 Euro pro Stunde), sowie Arbeitszeiten absolvierten, die weit über den vertraglich vereinbarten und zulässigen liegen.
 
In Anbetracht der Erkenntnisse, die sich aus den Ermittlungen des Arbeitsinspektorats des Mailänder Polizeikommandos ergaben, stellte das Mailänder Gericht fest, dass die Unternehmen die Produktionskette nicht angemessen kontrollierten. In anderen Worten, nach Ansicht der Behörden haben es die betroffenen Unternehmen verabsäumt, die unternehmerische Leistungsfähigkeit der Unternehmen -mit denen sie Lieferverträge geschlossen hatten- sowie die von ihnen tatsächlich angewandten Produktionsmethoden zu überprüfen. Es wurde ferner beanstandet, dass eine Vielzahl von notwendigen Initiativen nicht ergriffen wurde, wie z. B. die förmliche Beantragung der Überprüfung von Unterdienstleitungsverträgen, wodurch in allen drei Fällen der für die Anwendung der Vorbeugungsmaßnahme der Gerichtsverwaltung erforderliche Tatbestand gemäß Art. 34 des Gesetzesdekrets Nr. 159/2011 geschaffen wurde.

In Anbetracht der oben genannten „Capolarato”-Fälle wurde am 8. Mai 2024 auf Ersuchen des Präsidenten des Gerichts von Mailand, Fabio Roia, ein technischer Runder Tisch eröffnet, an dem Vertreter der gesamten Mode- und Handwerksbranche sowie des Arbeitsinspektorats und des Polytechnikums von Mailand teilnahmen. Das gemeinsame Ziel ist die Bekämpfung der Ausbeutung von Arbeitskräften in diesem Sektor, wobei präventiv die kritischen Unternehmensaspekte verschiedenere Unternehmer untersucht werden. Das Ziel besteht darin, die von den ad hoc ernannten Gerichtsverwaltern erzielten Ergebnisse zu nutzen, um die Situation innerhalb der Unternehmen zu verbessern.​​
 

​​​​Die Rolle der sog. CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive)

Die oben beschriebenen Fälle machen deutlich, wie wichtig es für Unternehmen ist, ein angemessenes Organisationsmodell gemäß dem Gesetzesdekret Nr. 231/2001 einzuführen, um Maßnahmen wie die des Mailänder Gerichts zu verhindern. Dies allein reicht jedoch nicht aus: Das Organisationsmodell muss Teil einer wirksamen Governance sein, die sich durch Kontrolle, Transparenz, Verantwortlichkeit, Sicherheit und Fairness auszeichnet, um die Ausbeutung von Arbeitskräften zu verhindern.

Unternehmen, die Dienstleistungen auslagern, sollten regelmäßig Zugang und Inspektionen bei ihren Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Zulieferern vornehmen. Die im Mai 2024 verabschiedete CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) wird diese Maßnahmen weitgehend verstärken, indem sie von den Unternehmen verlangt, Nachhaltigkeit in ihre Prozesse zu integrieren, um hierbei Verantwortung für Umwelt und Arbeitnehmer zu übernehmen. Die Richtlinie wird schrittweise ab 2027 angewandt und findet ab dem Jahr 2029 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 450 Mio. EUR vollständig Anwendung.

Darüber hinaus besteht für alle Unternehmen schon heute eindeutig Handlungsbedarf, ohne dabei das Inkrafttreten der genannten CSDDD abzuwarten: Jedes Unternehmen -unabhängig von seiner Größe- muss sich bereits jetzt vorbereiten, indem es ein adäquates Risikomanagementsystem einführt, das sich auf die gesamte „Kette von Tätigkeiten” erstreckt (ein von der CSDDD selbst geprägter Begriff, der viel weiter gefasst ist als die heute üblichen Definitionen von „Lieferkette” oder „Wertschöpfungskette”). Folglich ist es für Unternehmen unerlässlich, seine Lieferanten konkret zu überwachen und sie auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell zu begleiten und zu unterstützen.  ​
 
  

​​​​​​​Verletzung der Arbeitnehmerrechte in der Modeindustrie

In der italienischen Modeindustrie kommt es neben dem bereits erwähnten Phänomen des „Caporalato” zu weiteren schwerwiegenden Verstößen gegen Arbeitnehmerrechte, darunter zahlreiche Diskriminationsfälle.

Große mediale Aufmerksamkeit erregten in diesem Zusammenhang die Äußerungen der Geschäftsführerin eines weiteren bekannten Modelabels auf einer öffentlichen Veranstaltung, aus denen hervorging, dass Männer bzw. alternativ Frauen über 40 Jahre bei der Besetzung von Führungspositionen bevorzugt werden sollten. Äußerungen, welche in Folge dann Gegenstand eines aktuellen Gerichtsverfahrens waren.

Als Grund für diese Ansicht wurde hierbei wörtlich angeführt, dass Frauen über 40 „​wenn sie heiraten müssen, haben sie schon geheiratet, wenn sie Kinder bekommen müssen, haben sie schon welche bekommen, wenn sie sich trennen müssen, haben sie das auch schon gemacht, also sagen wir mal, ich nehme die, die bereits schon alle „Wege“ gemacht haben, also die dann schön ruhig an meiner Seite sind und 24 Stunden am Tag arbeiten, das ist wichtig”.

Der Richter -welcher der von der „Nationalen Vereinigung für den Kampf gegen Diskriminierung” eingebrachten Klage statt gab - erklärte den diskriminierenden Charakter dieser Äußerungen und verurteilte das Unternehmen zu Euro 5.000 Schadenersatz zuzüglich Zinsen und Prozesskosten sowie der Veröffentlichung des Urteiltextes in einer Tageszeitung nach Wahl. Innovativ und im Einklang mit der Notwendigkeit eines wirksamen Unternehmensführungssystems war die weitere Anordnung des Richters, einen betrieblichen Anti-Diskriminierung-Schulungsplan -an dem alle Arbeitnehmer verpflichtend teilnehmen müssen- umzusetzen, um eine bewusste Nichtbeeinflussung von Kriterien wie Alter, Geschlecht und familiäre Verpflichtungen in den Phasen der Personalauswahl für Führungspositionen zu fördern. 

Diskriminierende Verhaltensweisen -beispielsweise in Bezug auf Geschlecht und Alter- zeugen von einer Arbeitskultur, die noch immer von tief verwurzelten Vorurteilen geprägt ist. Es handelt sich hierbei um ein Phänomen, das einerseits in der Modeindustrie zwar nochmals verstärkt auftritt, jedoch andererseits durch die kommunikative Macht und kulturelle Wirkung dieser das Potenzial hat, die Konsumenten eingreifend positiv zu beeinflussen.​

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