Herausforderungen für Aufsichtsräte: Ermessen vs. Straf­bar­keits­risiko

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zuletzt aktualisiert am 17. Juni 2020 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Der Trend, Klageverfahren gegen ehemalige Leitungspersonen aus Unternehmen zu führen, nimmt weiterhin zu. Die medienträchtigen Skandale der vergangenen Jahre bzw. Jahrzehnte haben die Unter­nehmen v.a. gelehrt, Konsequenzen aus dem Fehl­verhalten von (ehe­maligen) Mit­arbei­tern zu ziehen.
 



Die durch die Aktivität des Gesetzgebers immer umfassender werdenden Pflichtenkreise verdichten daher das Risiko für Vorstand bzw. Geschäftsführung, sich nicht nur zivilrechtlich haftbar zu machen, sondern auch straf­rechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden.

Exemplarisch für derartige Verfahren können folgende Fälle genannt werden:
  • Im Jahr 2014 wurden die ehemaligen Vorstände der GEBAG Duisburger Baugesellschaft mbH auf die Leis­tung von Schadensersatz in Höhe von 5,7 Mio. Euro verklagt und auch verurteilt. Durch das Handeln des Vorstands wurde das Unternehmen, im Jahr 2013 verpflichtet, den Bau einer Museumserweiterung (Museum Küppersmühle) zu erstellen, obwohl die Finanzierung des Projekts durch den Auftraggeber nicht gesichert war.
  • Im Jahr 2016 wurde ein ehemaliger Vorstand einer Krankenversicherung zur Leistung von Schadensersatz in Höhe von 4,6 Mio. Euro verurteilt, nachdem er bedarfswidrig ca. 4.000 m2 Büro- und Nebenflächen sowie weitere Terrassen-, Archiv- und Lagerflächen im Namen der Versicherung anmietete.

Klagepflicht des Aufsichtsrates bei Pflichtverletzungen des Vorstandes

Die erste Frage des Aufsichtsrats, nachdem ein Pflichtverstoß des Vorstandes bzw. eines Vorstandsmitgliedes festgestellt wurde, ist stets nach der strategisch richtigen und angemessenen Vorgehensweise. Im Raum steht dabei auch immer die Frage nach arbeitsrechtlichen Konsequenzen, der Pflicht zur Geltendmachung von Scha­dens­­ersatz­an­sprüch­en sowie ob es eine Verpflichtung zur Erstattung einer Strafanzeige und eines etwaigen Strafantrags gibt.

Grundsätzlich ist für den Aufsichtsrat zu beachten, dass Gesetzesverletzungen oder Verstöße gegen unterneh­mensinterne Richtlinien von den Unter­nehmens­ver­antwort­lichen unterbunden und deutlich von außen sichtbar geahndet werden müssen.

Haben Aufklärung und Anspruchsprüfung ergeben, dass hinreichende Erfolgsaussichten bei der Geltend­machung von Schadensersatzansprüchen bestehen, sind sie auch grundsätzlich geltend zu machen, zu verfolgen und später durchzusetzen. Das Vorgehen leitet sich zwingend aus der Orientierung am Unter­nehmens­inter­esse und -wohl ab.

Wird dem nicht nachgekommen, stellt sich die Frage einer strafrechtlichen Inanspruchnahme, insbesondere in Bezug auf eine Strafbarkeit gemäß § 266 StGB (Untreue) sowie einer Verantwortlichkeit nach den Regelungen des Ordnungswidrigkeitsrechts (§§ 130, 9 OWiG).

Der Bundesgerichtshof hat in einer wegweisenden Entscheidung (sog. „ARAG/Garmenbeck”-Entscheidung) bereits im Jahre 1997 (Urteil vom 21. April 1997, BGHZ 135, 244) festgestellt, dass sich der Aufsichtsrat bei einem nicht auf Sachgründen basierenden Verstreichenlassen von Schadensersatzansprüchen wegen Untreue strafbar macht.

Der Aufsichtsrat darf als Verwalter fremden Vermögens deshalb keinesfalls leichtfertig auf Res­ti­tutions­an­sprüche verzichten.


Pflicht des Aufsichtsrats zur Erstattung einer Strafanzeige?

Pflichtverletzungen von (ehemaligen) Leitungspersonen enttäuschen nicht selten das Vertrauen des Auf­sichts­rats sowie der im Unternehmen tätigen Mitarbeiter, was den Ruf nach Sühne und Bestrafung oftmals laut werden lässt.

Das deutsche Strafrecht kennt jedoch grundsätzlich keine Verpflichtung, Straftaten bei den Straf­ver­folgungs­be­hörden zur Anzeige zu bringen bzw. einen Strafantrag in Bezug darauf zu stellen.

Eine Ausnahme von dem Grundsatz bildet nur § 138 StGB. Nach dieser Vorschrift macht sich derjenige strafbar, der bestimmte, geplante Straftaten nicht zur Anzeige bringt. Die Vorschrift enthält einen Katalog an Straf­tat­beständen, die zur Anzeige zu bringen sind, sobald jemand von deren geplanter Begehung Kenntnis erlangt. In dem Katalog sind Staatsschutzdelikte sowie schwerste Straftaten, insbesondere Mord, Totschlag, Raub, Brand­stiftungen und schwere Verkehrsdelikte, aufgenommen; reine Vermögensdelikte oder Steuerstraftaten sind von § 138 StGB allerdings nicht umfasst.

Darüber hinaus besteht aber keine dem Strafrecht entspringende Pflicht, etwaige geplante oder bekannte Straf­taten zur Anzeige zu bringen. Vielmehr steht die Entscheidung, ob seitens des Unternehmens eine Straf­anzeige gestellt wird, im Ermessen von Vorstand und Aufsichtsrat.

Im Zusammenhang mit der Ermessensentscheidung sind jedoch verschiedene Aspekte, so etwa das Erfordernis weiterer Sachverhaltsaufklärung, Erfolgsaussicht und Präventionswirkung alternativer Sanktionsmittel, die Wiederherstellung des Betriebsfriedens, aber auch die Öffentlichkeitswirkung einer etwaigen Einschaltung der Er­mit­tlungs­behörden, zu berücksichtigen.


Praxistipp

Auf der Grundlage ist jedem Aufsichtsrat zwingend anzuraten, Schadenersatzansprüche für die Schäden, die dem Unternehmen durch ehemalige Vorstandsmitglieder entstanden sind, zu prüfen und grundsätzlich auch geltend zu machen.

Das Strafrecht hält zudem eine Besonderheit, das sog. Adhäsionsverfahren, bereit: im Kontext eines eingeleiteten Strafverfahrens kann der zivilrechtliche Schadens­ersatz­anspruch geltend gemacht werden.

Vorteil dabei ist, dass auch bezüglich des Ersatzanspruches der sog. Amtsermittlungsgrundsatz des Strafrechts greift, wonach das Gericht und die Strafverfolgungsbehörden die Nachweise bei der Anspruchsprüfung vorlegen müssen. Im Zivilverfahren dagegen muss grundsätzlich der Kläger alle Nachweise erbringen, die zur Anspruchsbe­gründung notwendig sind. Das kann sich oftmals schwierig gestalten, da ohne strafprozessuale Maßnahmen die erforderlichen Nachweise weder erlangt noch vorgebracht werden können.

Für den Fall, dass das Gericht eine Entscheidung über den zivilrechtlichen Anspruch ablehnen sollte, besteht immer noch die Möglichkeit, die Ansprüche in einer Zivilklage anhängig zu machen, ohne dass sie zwischen­zeitlich verjähren.


Fazit

Führungskräfte, insbesondere Vorstandsmitglieder werden heute mehr denn je für Ihre Pflichtverletzungen zur Verantwortung gezogen. Die Risiken und die daraus resultierenden Schadener­satz­ansprüche können für die Betroffenen existenzbedrohend sein. Der häufig in den Medien dargestellte Sachverhalt übt zudem Druck auf andere Organe der Gesellschaft, insbesondere den Aufsichtsrat aus.

Gerade im Hinblick auf die vorgenannten Rechtsfolgen ist in dem Zusammenhang eine umfassende und kompetente Beratung über sämtliche Maßnahmen zur Haftungsvermeidung bzw. -verringerung und die besten Handlungsoptionen erforderlich.

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