ESG-gebundene Darlehen – Bilanzierung beim Darlehensnehmer nach HGB und IFRS

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 5. März 2025 I Lesedauer ca. 5 Minuten


Die durch den „Green Deal“ konkretisierte politische Zielstellung der EU, die Nachhal­tigkeit der Wirtschaftsaktivitäten von Unternehmen sicherzustellen, hat nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung. Bereits derzeit häufig diskutiert wird der Einsatz sog. ESG-gebundener Darlehen, denen die Einhaltung bestimmter nachhaltigkeitsbezogener Ziele aus den Bereichen „Environmental, Social & Governance“ (oder kurz: ESG) zugrunde liegen. Neben den finanzwirtschaftlichen Auswirkungen müssen sich Unternehmen nicht zuletzt auch mit deren sowohl nach HGB als auch nach IFRS mitunter recht komplexen Bilanzierung auseinandersetzen.

Begriffliche Einordnung: ESG-gebundene Darlehen vs. „Green Bonds“

ESG-gebundene Darlehen sind von den sog. „Green Bonds“ grundlegend zu unterscheiden. Letztere werden als Sammelbegriff verwendet für Finanzierungen „grüner“ Projekte, beinhalten per se aber abgesehen von der Zweckbindung keine besonderen Vertragsbedingungen. Somit ergeben sich i.d.R. hier auch keine zu beachtenden Besonderheiten in Bezug auf deren bilanzielle Abbildung verglichen mit herkömmlichen Darlehen. ESG-gebundene Darlehen hingegen beinhalten konkrete Klauseln, durch die sich Unternehmen zur Einhaltung bestimmter ESG-Kennzahlen verpflichten bzw. einen höheren Zinssatz zahlen, wenn bestimmte Grenzwerte nicht eingehalten werden.

Bewertung der Verbindlichkeit nach HGB und IFRS

Die Bilanzierung von Verbindlichkeiten nach HGB und IFRS unterscheidet sich im Detail. Während Verbindlich­keiten nach HGB mit dem Erfüllungsbetrag – also mit dem undiskontierten Nennwert – bewertet werden, ist nach IFRS i.d.R. die sog. Effektivzinsmethode anzuwenden. Ist die Verzinsung eines Darlehens von dem Einhalten bestimmter ESG-Kennzahlen abhängig, so hat dies nach HGB keine Auswirkungen auf den Bilanzansatz, sondern würde sich lediglich als Zinsaufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung widerspiegeln. Lediglich ein variabler Rückzahlungsbetrag wäre bei der Folgebewertung der Verbindlichkeit unter Beachtung des Höchstwertprinzips zu berücksichtigen. Anders gestaltet es sich nach IFRS, denn die hier anzuwendende Effektivzinsmethode betrachtet in einem ersten Schritt alle Zahlungsströme aus dem Darlehen (Zins- und Tilgungszahlungen) und diskontiert diese mit dem Effektivzinssatz. Bei einer konstanten Verzinsung über die Laufzeit ohne Sonderfälle ergibt sich dadurch derselbe Bilanzansatz wie nach HGB.

Ist die Verzinsung jedoch variabel, können sich die erwarteten Zahlungsströme im Zeitablauf ändern, was eine Anpassung des Buchwerts der Verbindlichkeit erfordern kann. Zu unterscheiden ist hierbei, ob die Änderung eine Marktzinsänderung darstellt oder nicht. Falls dies bejaht wird, ist ein neuer Effektivzinssatz zu bestimmen, sodass sich der Buchwert im Ergebnis grundsätzlich nicht ändert. Falls es sich bei der Änderung der erwarteten Zah­lungs­ströme hingegen nicht um eine Marktzinsänderung handelt, sind die geänderten Zahlungsströme mit dem ursprünglichen Effektivzinssatz zu diskontieren und die sich ergebende Differenz ist erfolgswirksam zu erfassen.

Ob es sich bei der Änderung einer von einer ESG-Kennzahl abhängigen variablen Verzinsung um eine Markt­zinsänderung handelt, ist anhand dessen zu beurteilen, inwiefern die ESG-Kennzahl das Ausfallrisiko widerspie­gelt. Diese Beurteilung ist im Einzelfall vorzunehmen und abhängig von dem finanzierten (als Sicherheit dienen­den) Vermögenswert, dem Kreditnehmer und dessen Geschäftsmodell sowie der Spezifität der ESG-Kennzahl selbst. Zu beachten ist zudem die zeitliche Dimension. So ist es möglich, dass ESG-Kennzahlen lediglich einen längerfristigen Einfluss auf das Ausfallrisiko haben, wohingegen die Kreditvergabe womöglich nur kurzfristig ist. Zudem muss beachtet werden, dass die Änderung einer variablen Verzinsung keine Markzinsänderung darstellt, wenn lediglich für das Ausfallrisiko (oder eines Teils davon) korrigiert wird, die Gesamtverzinsung jedoch nicht adäquat angepasst wird.

ESG-Klauseln als mögliches eingebettetes Derivat

Bevor die Bilanzierung als (einheitliche) variabel verzinsliche Verbindlichkeit entsprechend den genannten Leitlinien erfolgen kann, ist sowohl nach HGB als auch nach IFRS zu prüfen, ob ein trennungspflichtiges eingebe­ttetes Derivat vorliegt. Der Anfangsverdacht ist bei ESG-gebundenen Darlehen gegeben, weil eine spätere Zahlung von der Wertentwicklung einer ESG-Kennzahl abhängt. Nach HGB ist ein eingebettetes Derivat grundsätzlich nicht zu trennen, außer es führt zu wesentlich erhöhten oder zusätzlichen (andersartigen) Chancen und Risiken. Da das HGB keine weiteren konkreten Leitlinien enthält, könnte sich möglicherweise eine Orientierung an den im Folgenden dargestellten Vorschriften der IFRS als praxistaugliche Lösung anbieten.

Die IFRS enthalten detaillierte Regelungen zur Identifizierung trennungspflichtiger eingebetteter Derivate. Zunächst ist zu klären, ob die sich ergebende Variabilität der Zahlungsströme auf eine finanzielle oder auf eine nicht-finanzielle Variable zurückzuführen ist. Die ESG-Kennzahl stellt dann eine finanzielle Variable dar, wenn sie entsprechend der zuvor beschriebenen Beurteilung einen direkten Einfluss auf das Ausfallrisiko hat. Ist dies der Fall, liegt jedoch auch eine enge Verbindung der wirtschaftlichen Merkmale und Risiken des eingebetteten Derivats mit denen des Basisvertrags vor und das eingebettete Derivat ist entsprechend der Vorschriften der IFRS nicht zu separieren.

Sofern die ESG-Kennzahl keinen direkten Einfluss auf das Ausfallrisiko hat, liegt eine nicht-finanzielle Variable vor. Die IFRS regeln hier nur den Fall einer nicht-finanziellen Variable, die nicht spezifisch für eine Vertragspartei ist. In einem solchen Fall ist das eingebettete Derivat zu separieren, wenn die Kriterien des IFRS 9.4.3.3 erfüllt sind. In Darlehensverträgen enthaltene ESG-Kennzahlen dürften im Regelfall jedoch spezifisch für den Kredit­nehmer sein. Für diesen Fall gibt es in den IFRS eine Regelungslücke, sodass unternehmensindividuell eine Bilanzierungsentscheidung abzuleiten ist. Vorbehaltlich etwaiger entgegenstehenden Umstände im Einzelfall sollte im Ergebnis für viele Unternehmen somit der Verzicht auf eine Trennung eines eingebetteten Derivats aus ESG-gebundenen Darlehen möglich sein.

Fazit

Die Bilanzierung ESG-gebundener Darlehen kann sich je nach Einzelfall als äußerst komplex erweisen. Wenn­gleich es häufig sachgerecht sein dürfte, auf die Abspaltung eines eingebetteten Derivats zu verzichten, bedarf gerade nach IFRS die Frage nach der Folgebewertung ESG-gebundener Darlehen einer fundierten Analyse der konkreten Umstände. 
 
Durch die zunehmende Bedeutung des Bereichs ESG ist zu erwarten, dass sich künftig vermehrt Fragestellungen auch für die klassische Finanzberichterstattung ergeben werden. Für einen breiteren Überblick möglicher weiterer Fragestellungen sehen Sie hier​.

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