Der Einfluss von ESG auf die Bewertung von Derivaten

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​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 29. Oktober 2024 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Environmental, Social und Governance (ESG)-Kriterien gewinnen in der Chancen- und Risikoanalyse von Unternehmen und Märkten zunehmend an Bedeutung. Damit beein­flussen sie auch die Preisfindung von Derivaten. ESG-Derivate, basierend auf Nach​­haltigkeitskriterien insb. zur ESG-Performance, erfordern angepasste Vorgehens­wei­sen bei der Bewertung, um ESG-Risiken und -Chancen angemessen zu berück​­sich­tigen. Durch die Integration von ESG-Komponenten in die Bewertung von beding­ten und unbedingten Termingeschäften ist eine präzisere Bewertung möglich.



ESG-Kriterien werden bei der Analyse des Chancen-Risiko-Profils eines Unternehmens oder Marktes zuneh­mend wichtiger. Da sie sich unmittelbar auf Performance und Risiko auswirken können, sind sie für die Preis­findung von Derivaten relevant. Aus diesem Grund kann sich die Notwendigkeit ergeben, traditionelle Modelle bzw. deren Inputs anzupassen, um ESG-bezogene Chancen und Risiken angemessen zu berücksichtigen.

ESG-Derivate sind Finanzinstrumente, die es Investoren ermöglichen, Engagements in Bezug auf ESG-Kriterien einzugehen sowie ESG-Risiken zu managen. Sie ermöglichen die Absicherung gegen ESG-Risiken, fördern nach­haltige Investitionen, helfen bei der Portfolio-Diversifikation und erfüllen wachsende regulatorische Anfor­derungen. Darüber hinaus tragen sie dazu bei, Kapitalmärkte nachhaltiger zu gestalten und ESG-Praktiken in der Unternehmenswelt zu fördern. Die Nachfrage von ESG-Derivaten hat in den letzten Jahren durch das wach­sende Bewusstsein für nachhaltiges Investieren stark zugenommen. Derzeit existieren kaum spezifische Leit­linien zur Bewertung von ESG-Derivaten. Es muss sich also an den bestehenden Grundsätzen orientiert werden.

Die Bewertung von ESG-Derivaten bezieht sich auf Finanzinstrumente, die auf der Grundlage von ESG-Kriterien strukturiert werden. Diese Derivate spiegeln z.B. die ESG-Leistungsfähigkeit (z.B. ESG-Score, CO₂-Ausstoß) eines zugrunde liegenden Vermögenswertes wider. So gibt es beispielsweise Produkte wie 
  • ESG-Swaps: Hier kann ein Anleger das Risiko oder die Performance eines ESG-Index oder eines -Portfolios mit einem anderen Teilnehmer tauschen.
  • ESG-Futures und -Optionen: Diese basieren oft auf ESG-Indizes oder der Erfüllung von Nachhaltigkeitskriterien bestimmter Unternehmen.​
  • CO₂-Derivate: Derivate, die auf den Preis von CO₂-Zertifikaten oder anderen Klimazertifikaten (z.B. Wald­schutz-Zertifikate) basieren.

Um ESG-Derivate zu bewerten, kann sich grundsätzlich an den klassischen Methoden zur Bewertung von Deri­vaten orientiert werden. Diese sollten zusätzlich um ESG-Komponenten ergänzt werden. Derivate lassen sich generell in bedingte und unbedingte Termingeschäfte unterteilen. Bei Bedingten Termingeschäften wie bei­spiels­weise Optionen erhält der Käufer das Wahlrecht ein Geschäft zu vertraglich festgelegten Konditionen durchzuführen oder darauf zu verzichten. Im Gegensatz dazu sind bei unbedingten Termingeschäften wie beispielsweise Swaps, Futures und Forwards beide Vertragsparteien dazu verpflichtet, den Vertrag bei Fälligkeit zu erfüllen.

Nachfolgend wird ein Überblick gegeben, wie ESG-Faktoren bei der Bewertung von Derivaten berücksichtigt werden können:

Bedingte Termingeschäfte​

Im Rahmen von Optionsbewertungen ist die Volatilität unabhängig vom gewählten Bewertungsmodell ein zentraler Input-Parameter. Sie beschreibt die erwartete Schwankung des Preises des zugrundeliegenden Basiswerts. Eine hohe Volatilität ist mit einer größeren Unsicherheit gleichzusetzen und damit einer höheren Wahrscheinlichkeit für stärkere Kursbewegungen, wodurch wiederum die Chance auf profitable Bewegungen des Basiswerts steigt. Dies ist dem limitierten Downside- aber unbegrenzten Upside-Potenzial geschuldet. Folglich führt eine hohe Volatilität sowohl bei Call-Optionen (dem Recht, einen bestimmten Vermögenswert zu einem bestimmten Preis zu kaufen) als auch bei Put-Optionen (dem Recht, einen bestimmten Vermögenswert zu einem bestimmten Preis zu verkaufen) zu einem höheren Optionswert. Unternehmen, die stark in ESG-kri​­tischen Sektoren wie fossilen Brennstoffen tätig sind, weisen oft eine höhere Volatilität auf, was sich in einem höheren Preis für Optionen widerspiegelt. Die Volatilität wird also unmittelbar durch ESG-Risiken beeinflusst:
  • Umweltrisiken (E): Unternehmen, die hohen Risiken durch Klimawandel, Regulierungen im Umweltbereich oder Ressourcenknappheit ausgesetzt sind, können höhere Volatilität aufweisen. Beispielsweise könnten Energieunternehmen oder solche, die stark von fossilen Brennstoffen abhängen, durch Änderungen in der CO₂-Regulierung oder Marktverschiebungen zukünftig höheren erwarteten Schwankungen ausgesetzt sein.
  • Soziale Risiken (S): Unternehmen, die in sozialen Konflikten verwickelt sind (z.B. Arbeitsstreitigkeiten oder Verstöße gegen Menschenrechte), können ebenfalls stärkeren Preisschwankungen unterliegen.​
  • Governance-Risiken (G): Eine schwache Unternehmensführung (z.B. Korruptionsvorwürfe oder fehlende Transparenz) kann Unsicherheit schaffen und zu einer höheren Volatilität führen.

Die Faktoren führen u.a. dazu, dass historische Volatilitäten nur bedingt in die Zukunft extrapoliert werden können. Für börsennotierte Unternehmen ist u.U. ein Abstellen auf die implizite Volatilität ratsam. Dies ist ein Maß für die erwartete zukünftige Volatilität des Basiswerts und beeinflusst den Marktpreis der Option. Eine hohe implizite Volatilität, bedeutet, dass die Marktteilnehmer eine höhere Volatilität des Basiswerts erwarten, wodurch sich der Preis der entsprechenden Option erhöht. Für nicht-börsennotierte Unternehmen kann die Volatilität auf Basis von ESG-Scores angepasst werden. Unternehmen mit höheren ESG-Ratings gelten oft als weniger volatil, da sie als langfristig stabiler angesehen werden. 

Bei Optionen kann die Möglichkeit einer frühzeitigen Ausübung insb. dann relevant sein, wenn Unternehmen einem schnellen ESG-Wandel unterliegen (z.B. bei plötzlichen Regulierungsänderungen im Umweltbereich). In einem solchen Fall könnte es für Investoren sinnvoll sein, eine Option vorzeitig auszuüben, bevor ESG-Risiken sich materialisieren. Jedoch sollten Call-Optionen grundsätzlich nie vorzeitig ausgeübt werden, da der Inhaber durch vorzeitige Ausübung den noch verbleibenden Zeitwert der Option verliert. Eine längere Laufzeit erhöht den Zeitwert und damit den Optionspreis, da mehr Zeit für profitable Kursbewegungen des Basiswerts bleibt.

Monte-Carlo-Simulationen können verwendet werden, um ESG-Risiken, wie z.B. die Einführung neuer Umwelt­regulierungen, CO₂-Preis-Steigerungen, Klimarisiken oder soziale Risiken (z.B. Arbeitskämpfe), in die Bewertung einzubeziehen. Monte-Carlo-Simulationen sind eine gängige Methode zur Bewertung komplexer Derivate, bei denen mehrere Unsicherheitsfaktoren berücksichtigt werden können. Man kann verschiedene Szenarien simu­lieren, die auf ESG-bezogenen Unsicherheiten basieren und deren Auswirkungen auf den Preis des Derivats analysieren. Darüber hinaus lassen sich mit Hilfe von Monte-Carlo-Simulationen extreme ESG-Risiken, wie bei­spielweise Naturkatastrophen oder regulatorische Schocks durch sogenannte „Fat-Tail“-Verteilungen berück­sichtigen. Eine Fat-Tail-Verteilung beschreiben eine statistische Verteilung, bei der die Extremwerte (d.h. sehr große oder sehr kleine Ereignisse) häufiger auftreten als bei einer Normalverteilung. Fat-Tail-Verteilungen weisen im Gegensatz zur Normalverteilung einen langsamer abfallenden Verlauf auf, was bedeutet, dass unge​­wöhnlich große Ereignisse häufiger vorkommen.

Unbedingte Termingeschäfte​

Bei ESG-Swaps tauschen zwei Parteien das Risiko oder die Performance eines ESG-Index oder ESG-Portfolios. Die Bewertung erfolgt wie bei herkömmlichen Swaps auf Basis des Barwerts der erwarteten Cashflows. Ein ESG-Index oder Portfolio mit hoher ESG-Performance kann ein stabileres und weniger risikoreiches Cashflow-Profil aufweisen, was zu einer niedrigeren Risikoprämie und damit zu einem geringeren Diskontierungszinssatz führen kann.

CO₂-Derivate sind Finanzinstrumente, die auf dem Preis von CO₂-Zertifikaten oder Klimazertifikaten basieren. Der Wert dieser Derivate hängt stark von den Preisentwicklungen im CO₂-Emissionshandel ab. Der aktuelle und zukünftige CO₂-Preis wird von regulatorischen Entwicklungen, wie beispielsweise der Einführung oder Ver­schär­fung von Emissionshandelsprogrammen sowie von Angebot und Nachfrage für Emissionsrechte beein­flusst, wodurch die Preise stark schwanken können. Verschiedene CO₂-Preisentwicklungen lassen sich eben­falls durch Monte-Carlo-Simulationen modellieren.

Bei der Bewertung von Futures und Forwards, kann der zugrunde liegende Vermögenswert ebenfalls von ESG-Kriterien beeinflusst werden. So sind Rohstoffderivate, insbesondere Derivate von Energie- oder Agrarroh­stof­fen von Umweltfaktoren wie Klimawandel, Umweltkatastrophen oder strengen Umweltschutzauflagen betrof­fen. Diese können erhebliche Auswirkungen auf den Preis der zugrunde liegenden Güter sowie deren Verfüg­barkeit haben. Zusätzlich können Änderungen in Arbeitsbedingungen, Menschenrechtsfragen oder demogra­fische Trends die Produktion oder Nachfrage nach bestimmten Waren und Dienstleistungen beeinflussen. 

Fazit​

Der Artikel verdeutlicht, dass ESG-Kriterien zunehmend Einfluss auf die Bewertung von Finanzinstrumenten nehmen. Da diese Faktoren sowohl Chancen als auch Risiken eines Unternehmens oder Marktes beeinflussen, kann sich die Notwendigkeit ergeben, diese Besonderheiten bei der Bewertung zu berücksichtigen. In der Praxis herrscht jedoch Unsicherheit, wie genau ESG-Faktoren in die Bewertung einfließen sollen. Aktuell gibt es wenige spezifische Leitlinien zur Bewertung von ESG-Derivaten. Allerdings können herkömmliche Methoden, ergänzt durch ESG-Komponenten, eine Orientierung liefern.

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