Das Selbstkontrahierungsverbot in der Aktiengesellschaft

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​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 8. Mai 2024 | Lesedauer ca. 4 Minuten​​


Niemand kann zwei Herren dienen. Das steht schon in der Bibel. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ordnet in § 181 BGB an, dass Rechtsgeschäfte, bei denen dieselbe Person auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts steht, grundsätzlich unzulässig sind. Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Vermeidung von Interessenkollisionen.

Die Folge eines dennoch vorgenommenen Insichgeschäfts ist die schwebende Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts. Eine nachträgliche Genehmigung kann durch das hierfür zuständige Organ erfolgen.

In der Praxis sind Fälle des Insichgeschäftes – gerade im Gesellschaftsrecht – leicht zu übersehen. Fallgruppen, die hier regelmäßig zu Problemen führen, sind u.a. die Vertretung bei Gesellschafterbeschlüssen durch Mitgesellschafter, die Gewährung von Sicherheiten innerhalb von Konzernstrukturen und Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und ihrem Vorstand bzw. Geschäftsführer.

Zum Selbstvertretungsverbot im gesellschaftsrechtlichen Kontext ergingen zuletzt zwei interessante Entscheidungen. Zum einen für die Aktiengesellschaft der nachfolgend besprochene Beschluss des BGH vom 17. Januar 2023 – II ZB 6/22 und zum anderen das Urteil des OLG Hamm vom 11.01.2024 – 18 U 123/21 zum Selbstvertretungsverbot in der GmbH & Co. KG. Letztgenannte Entscheidung wird im nächsten Newsletter​ dargestellt, während sich dieser Beitrag eingehender mit dem Beschluss des BGH beschäftigt.

In BGH II ZB 6/22 war über einen Fall zu entscheiden, in dem zwei Vorstandsmitglieder einer AG sich selbst zu den Geschäftsführern einer 100%igen Tochter-GmbH bestellt hatten.

Die Besetzung des Geschäftsführerpostens von Tochterunternehmen mit Vorstandsmitgliedern der AG ist ein verbreitetes Modell, um im Konzern Entscheidungswege zu kürzen und Kosten für Führungspersonal einzusparen.

Vorliegend waren die Vorstandsmitglieder nur gesamtvertretungsbefugt (entweder zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied oder mit einem Prokuristen) und nicht vom Selbstvertretungsverbot nach § 181 Alt. 1 BGB befreit. Um bei der Bestellung nicht offensichtlich auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts – für sich im eigenen Namen als neuer GmbH-Geschäftsführer und als Vorstandsmitglied im Namen der AG – zu handeln, hatten die Vorstände für ihre Bestellung auf Seiten der AG einen Rechtsanwalt bevollmächtigt.

Das Registergericht erlies gegen die Eintragung der Vorstände als Geschäftsführer eine Zwischenverfügung. Der BGH urteilte im dem dann folgenden Rechtstreit letztinstanzlich, dass es sich um ein verbotenes Insichgeschäft nach § 181 Alt. 1 BGB handle und die Bestellungen schwebend unwirksam seien. Die Vorstandsmitglieder könnten nicht über ihre eigene, sie begünstigende Bestellung bestimmen. Auch durch die Bevollmächtigung Dritter lasse sich § 181 BGB nicht aushebeln, denn die Bevollmächtigung eines Dritten könne nicht weiter reichen als dem Vertretenen selbst Rechte zustünden. Andernfalls könnte der Vertretene auf Umwegen seine Vertretungsmacht erweitern.

Weiter urteilte der BGH, dass eine nachträgliche Genehmigung der Geschäftsführerbestellung nicht durch den Aufsichtsrat der AG zu erfolgen habe, sondern kraft grundsätzlicher Kompetenzzuweisung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG die übrigen Vorstandsmitglieder zuständig sind. Ein Fall von § 112 AktG, die zwingende Vertretung der Gesellschaft gegenüber ihren Vorstandsmitgliedern durch den Aufsichtsrat, liege nicht vor. Der BGH erteilte damit der bisherigen Annahme, dass die Anwendung des § 181 Var. 1 BGB bei der Aktiengesellschaft durch § 112 Satz 1 BGB verdrängt sei, eine Abfuhr. Vielmehr argumentierte er, dass es sich bei der Geschäftsführerbestellung allein um einen Organakt der GmbH handle, für den § 181 Var. 1 BGB und nicht § 112 Satz 1 AktG einschlägig sei.

Die Wirksamkeit der Geschäftsführerbestellung hänge daher von der nachträglichen Zustimmung weiterer, nicht von § 181 BGB betroffener, Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaft ab.

Für die Praxis problematisch: Der BGH lies (mangels Entscheidungserheblichkeit) insofern offen, wer über die Zustimmung entscheidet, wenn alle Vorstände durch § 181 Var. 1 BGB gesperrt sind oder nur ein Vorstandsmitglied existiert. Insofern werden zwei Lösungsansätze diskutiert. Zum einen wird sich für eine zumindest nachrangige Zustimmungskompetenz des Aufsichtsrats ausgesprochen, andere argumentieren für die Notwendigkeit zur Bestellung eines stellvertretenden Vorstandsmitglieds eigens für die Entscheidung über die Zustimmung. Aus Praxissicht ist letztere Lösung ein Albtraum. 

Um nach § 181 Var. 1 BGB schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte erst gar nicht zu erzeugen, empfiehlt sich Folgendes:

Der BGH bekräftigt, dass ein von § 181 Var. 1 BGB betroffenes Vorstandsmitglied gleichwohl ein anderes Vorstandsmitglied für seine Bestellung als Geschäftsführer ermächtigen kann. Hierdurch werde das gesamtvertretungsbefugte Vorstandsmitglied wirksam zum alleinigen Handeln für die AG bevollmächtigt.

Die Entscheidung des BGH legt nahe, Bestellungsvorgänge nicht in einem einheitlichen Bestellungsbeschluss, sondern in mehreren Einzelbeschlüssen zu fassen, um Personenidentität durch wechselseitige Bestellungsbeschlüsse zu vermeiden.

Im Gegensatz zur bisherigen Annahme, dass § 112 Satz 1 AktG dem § 181 Var. 1 BGB spezialgesetzlich vorgehe, folgt aus dem Beschluss des BGH, dass auch bei Vorständen eine Befreiung von § 181 Var. 1 BGB möglich sein muss. Eine Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot ist sowohl generell als auch für den Einzelfall denkbar.

Soll eine generelle Befreiung vom Selbstvertretungsverbot erfolgen, muss sich die Befreiungsmöglichkeit jedoch unmittelbar aus der Satzung ergeben, vgl. § 78 Abs. 2 und Abs. 3 AktG. Viele bestehende Satzungen werden vor dem Hintergrund der bisher herrschenden Ansicht, dass § 112 Satz 1 AktG den § 181 Satz 1 BGB verdränge, keine Befreiungsmöglichkeit von § 181 Var. 1 BGB statuieren. Für eine Befreiung ist dann zunächst eine Satzungsänderung notwendig. Bei Anmeldung der Befreiung von § 181 Var. 1 BGB zum Handelsregister ist mit Blick auf § 112 Satz 1 AktG zudem Vorsicht geboten. Die Formulierung der Befreiung von § 181 Var. 1 BGB darf nur so weit reichen, wie § 112 Satz 1 AktG dem nicht entgegensteht.

Praktisch relevant aber ungeklärt ist die Frage, inwieweit eine Einzelfallbefreiung von § 181 Var. 1 BGB ebenfalls einer satzungsmäßigen Grundlage bedarf. Sicherheitshalber könnten Gesellschaften über eine Satzungsänderung in Form der Aufnahme einer Einzelfallbefreiungsmöglichkeit von § 181 Var. 1 BGB nachdenken.

Der BGH hat mit der hier vorgestellten Entscheidung den Streit über das Verhältnis von § 181 Var. 1 BGB und § 112 Satz 1 AktG beendet. Vertretungsregelungen in den Satzungen von Aktiengesellschaften sind nun auf Anpassungsbedarf zu prüfen. Gerade in Konzernstrukturen sollten Gesellschaften Verstößen gegen § 181 Var. 1 BGB mit vorausschauender Planung der Vertretungsbefugnisse ihrer Vorstände begegnen.​

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