„Es ist ein größeres Risiko, sich nicht zur AfD zu äußern“ – Interview mit Christian Rödl im Handelsblatt

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​​​​​​​​​​​​​​​​​Quelle: Handelsblatt, veröffentlicht am 19. September 2024​

 

Der Wahlerfolg der AfD beschädige die Marke deutscher Arbeitgeber, sagt der Chef der Beratungsfirma Rödl & Partner. Mit klaren politischen Statements müssten Unternehmer weiteren Schaden abwenden. Bereits vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hatte sich Christian Rödl deutlich gegen die AfD positioniert. Nun fordert der Mehrheitsgesellschafter des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Rödl & Partner eine breite Front deutscher Unternehmer gegen rechte Politik.

 
  


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Herr Rödl, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die hohen Stimmengewinne für die AfD in Sachsen und Thüringen gesehen haben?

Mein erster Gedanke war: schlimm. Auch wenn es die Meinungsforscher prognostiziert hatten, war ich trotzdem noch mal geschockt, dass eine vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei stärkste bzw. zweitstärkste Kraft in zwei Bundesländern wird.
  

Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat die Ampelparteien deutlich überholt. Ohne die Partei kann keine Regierung gebildet werden, wenn auch die AfD ausgeschlossen bleiben soll.

Das BSW wird die Politik noch mal auf eine harte Probe stellen. Das Erpressungspotenzial der Partei ist groß, zum Beispiel die Unterstützung für die Ukraine zurückzufahren. Das ist aber eine Entscheidung der Bundes­regierung, und die ist sich in diesem Punkt jedenfalls einig.​
  

Die größere Gefahr sehen Sie in dem Wahlergebnis durch die AfD?

Ja, auf jeden Fall. Was mir durch den Kopf geht, ist, wie wirtschaftsfeindlich die AfD ist. Die Zitate von Björn Höcke zeigen, wie sehr er die Rolle der Wirtschaft hierzulande, aber auch in jedem anderen Land verkennt.
  

​Björn Höcke hatte die Teilnehmer der Kampagne „Made in Germany – Made by Vielfalt“ scharf kritisiert und ihnen schlechte Geschäfte gewünscht.

Die Entscheidungsspielräume der Politik hängen aber entscheidend davon ab, wie viel die Unternehmen – vom Kleinbetrieb bis zum Großkonzern – an Steuern, Löhnen und Gehältern zahlen.
  

War der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, keine Bündnisse mit der AfD und der Linken einzugehen, ein Fehler?

Der Beschluss gegenüber der AfD ist sehr wichtig. Wenn die CDU mit der AfD zusammenarbeiten würde, hätten wir eine ganz andere politische Landschaft, die ich für äußerst problematisch halte. Dann würde die AfD legitimiert.
  

Und was ist mit der Unvereinbarkeit der CDU mit der Partei Die Linke?

Die Unvereinbarkeit einer Zusammenarbeit mit der Linken halte ich eigentlich für genauso wichtig.
  

Das hätte aber die Unregierbarkeit der beiden Bundesländer zur Folge.

Das ist in der Tat eine vertrackte Situation. Und es wird womöglich auch im Bund künftig schwieriger. ​Deutsch­land befindet sich im Stillstand, die Regierung in einer Pattsituation. Sie scheint aktuell nicht in der Lage zu sein, wichtige Entscheidungen zu treffen. Das ist besorgniserregend.
  

Sie hatten sich bereits im Vorfeld der Landtagswahlen öffentlich zu den Gefahren der AfD geäußert. Was, glauben Sie, lässt andere Unternehmer zögern, es Ihnen gleichzutun?

Unternehmer sind vorsichtig, sich politisch zu äußern, weil sie die Folgen in der Presse und in den sozialen Medien nicht abschätzen und letztlich diese Risiken nicht managen können. Sie schrecken davor zurück, weil sie ja auch sehen, dass manche Unternehmer damit schlechte Erfahrungen machen. Das halte ich für nachvollziehbar. Viele verweisen auf die Verbände, die auch dafür bezahlt werden und dafür kompetentes Personal haben.
  

Aber Sie sehen es anders?

Aus meiner Sicht besteht ein viel größeres Risiko, sich nicht zur AfD zu äußern.
  

Was fürchten Sie?

Wenn Unternehmerinnen und Unternehmer als starke gesellschaftliche Gruppe jetzt nicht klar Position beziehen, besteht die Gefahr, dass der Rechtsruck weitergeht. Wir dürfen keinen Machtwechsel riskieren.
  

Sie meinen einen Machtwechsel zu AfD und BSW?

Die AfD in der Bundesregierung hätte unabsehbare Folgen. Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, unsere internationale Rolle in Politik und Wirtschaft dürfen wir nicht unterschätzen. Wir sind verlässlich, wir haben ein klares Bekenntnis zur EU, zur Westbindung und zur Nato. Unsere Rolle ist die Stabilisation der EU. Auch der Euro ist so stark, weil wir seit Jahrzehnten für Stabilität stehen und beispielsweise auch in der Haushaltspolitik verantwortungsvoll vorgehen.
  

Sie sagten im Vorfeld der Wahl, dass Björn Höcke eine Grenze überschritten habe, indem er sagte, er wünsche den Familienunternehmen schlechte Geschäfte. Er hatte aber auch gesagt, Unternehmer sollten „die Klappe halten“. Wagen Sie eine Gegenrede? ​

Unternehmer sollten sich nicht von solchen Provokationen beeindrucken lassen und häufiger ihre Meinung äußern. Ich hätte mit dem Handelsblatt auch über die Gefahren rechtsextremer Parteien gesprochen, wenn Herr Höcke das nicht gesagt hätte. Seine Aussage empfinde ich als sehr problematisch. Wer jetzt nichts dagegen sagt und sein Tagesgeschäft weiterbetreibt, als wäre nichts gewesen, der darf sich später nicht beschweren, wenn die Machtverhältnisse gekippt sind. Unternehmer sollten Mut fassen und klar für demok­ratische Werte, Toleranz und Offenheit einstehen.
  

Es ist Ihrer Meinung nach wichtiger denn je, dass Unternehmer sich politisch positionieren?

Ja, Politik betrifft alle und geht alle etwas an. Politiker, Unternehmer, alle Bürger. Unternehmer sollten sich jetzt engagieren, auch in Initiativen. Wir müssen doch befürchten, dass der Einfluss der AfD auch im Bund wächst. Zudem wird es mit der neuen Partei, BSW, noch schwieriger, Mehrheiten zu finden. Es ist an der Zeit, sich politisch mehr einzubringen.
  

Würden Sie selbst in die Politik gehen wollen?

Politiker zu sein würde ich mir nicht zutrauen. Politisch äußern darf sich aber jeder.
  

Sie haben Niederlassungen in Dresden, Chemnitz, Plauen und Jena, gehen Sie dort mit Ihren Beschäftigten in die Diskussion?

Nicht persönlich, ich habe aber über interne Kommunikation und LinkedIn an alle Mitarbeitenden in ganz Deutschland kommuniziert, dass wir uns für Vielfalt und Toleranz einsetzen. Dafür habe ich ausschließlich Zuspruch bekommen, auch in Sachsen und Thüringen. Ich weiß natürlich nicht, ob sich diejenigen, die anderer Meinung sind, nicht äußern​.
  

Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie in Sachsen und Thüringen?

85 der weltweit insgesamt über 5.800.
  

Wie blicken Sie auf Ihre Mandanten in den ostdeutschen Bundesländern? Geht es ihnen schlechter als denen in den westdeutschen Bundesländern?

Es gibt im Osten sehr erfolgreiche Unternehmen, aber insgesamt gibt es dort weniger große internationale Familienunternehmen als in den westdeutschen Bundesländern.
  

Was den ostdeutschen Familien und Familienunternehmen fehlt, sind unter anderem jahrzehntelang erwirtschaftete und einbehaltene Gewinne, Vermögen, Erbschaften. Kurzum: Unternehmen, aber auch Bürgern fehlt dort das sanfte Ruhekissen?

Das Eigenkapital ist kein sanftes Ruhekissen, es ist das Ergebnis harter Arbeit. Das Eigenkapital ist die Grundlage für die unternehmerische Zukunft, um unternehmerische Risiken eingehen und Chancen nutzen zu können, für Wachstumsfinanzierung und auch dafür, Fremdkapital zu erhalten​.
  

Trotzdem ist das etwas, das ostdeutschen Unternehmen fehlt.​

Die ostdeutschen Unternehmen haben eine kürzere Geschichte und hatten gar nicht die Chance, so viel Eigenkapital aufzubauen. Viele große westdeutsche Unternehmen sind in den Jahren des Wirtschaftswunders gewachsen, diese Substanz fehlte den Unternehmen im Osten. Als viele westdeutsche Unternehmen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Chancen der Internationalisierung nutzten und die Globalisierung Fahrt aufnahm, wurden in Ostdeutschland die Unternehmen ja erst gegründet. Zuletzt haben wir aber gesehen, dass die ostdeutschen Unternehmen sich auch stärker internationalisieren​.
 

Und da sind die Wahlergebnisse schädlich?​

Thüringen und Sachsen waren bereits historisch stark industrialisiert und auch zu DDR-Zeiten der industrielle Kern. Die Wahlen sind daher ein Rückschlag in einer Erfolgsgeschichte.
 

Es gibt viele Erklärungsversuche für einen Rechtsruck, welchen sehen Sie als maßgeblich?​

Den Regierungsparteien in Berlin gelingt es nicht, die Probleme richtig anzupacken, geschweige denn zu lösen, die die Leute beschäftigen: Das sind Migration und fehlendes Wachstum und damit Ängste vor Wohlstands­verlusten, die gerade dann entstünden, wenn die Unternehmen, wie Herr Höcke es sich wünscht, schlechte Geschäfte machen​.
 

Die Ursachen liegen Ihrer Meinung nach nur in Berlin?​

Nein, hinzu kommt: Die etablierten Parteien sind viel schlechter in der Vermarktung bei jungen Wählern als die AfD. Wer Posts veröffentlicht, die wie Powerpoint-Folien aus Fraktionssitzungen aussehen, hat die Jugend nicht verstanden. Die AfD ist mit viel professionellerem Marketing auf die Zielgruppe der jungen Wähler eingegangen. Wir dürfen die Jugend aber nicht den Rechtsextremen überlassen​.
 

Was spiegeln Ihnen ausländische Gesprächspartner?​

Eine entscheidungsunfähige Bundesregierung ist ein Risiko für unsere wirtschaftliche Entwicklung. Auch ausländische Medien schreiben, der Bundeskanzler sei angeschlagen, das ist schwierig für ein Land, das ein Stabilitätsanker sein will und sein muss.
  

Das vorherrschende Thema beider Parteien, die bei den Landtagswahlen zulegten, ist die Migration. Dabei ist der Fachkräftemangel ein großes Problem für Ihre Kunden. Wie sähe eine Lösung Ihrer Meinung nach aus?

Wir brauchen Fach- und ebenso wichtig Arbeitskräfte, damit die Wirtschaft weiter wachsen kann. Vor allem für die Fachkräfte ist es wichtig, dass Deutschland als eine gute „Employer Brand“ wahrgenommen wird, egal ob die gut ausgebildeten Menschen aus Indien oder Osteuropa zu uns kommen. Durch die Landtagswahlen wurde Deutschland als Arbeitgebermarke schwer beschädigt.
 

Da sind Sie als Unternehmer gefragt.

Wir machen bereits viel. Und als IHK-Vizepräsident in Nürnberg sehe ich ja, wie viel auch in den Regionen getan wird, um das Onboarding für Fachkräfte zu erleichtern. Aus Sicht des Auslands wird Deutschland noch immer bewundert als das Land der Ingenieure und Innovationen. Doch das Image Deutschlands in der Welt wird auch durch die Politik geprägt. Daher müssen wir als Gesellschaft, also Politik, Unternehmer und alle Bürger das auch noch deutlicher kommunizieren. Mehr Aufbruch! Auch die Politik muss das Chancenmanagement verbessern​.
 

Sie sind weltweit an 110 Standorten aktiv, Ihr Geschäft lebt von der Weltoffenheit. Warum haben Sie sich der Initiative „Made in Germany – Made by Vielfalt“ nicht angeschlossen?

Wir haben bereits Kontakt aufgenommen​.
 

Was sollte die Bundesregierung in ihrem verbliebenen Jahr tun, damit die AfD bundesweit nicht auf ebenso hohe Wahlergebnisse kommt?

Eine positive Vision der Zukunft Deutschlands zu entwickeln wäre psychologisch sehr wichtig, daneben auch ein echtes Wachstumspaket. Wir müssen möglichst schnell zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren​.
  

Sie rufen nach dem Staat?

Nein, auf gar keinen Fall. Keine Subventionen! Aber die Bundesregierung muss mehr in Bildung, Ausbildung und Infrastruktur investieren und nicht den Sozialstaat weiter ausbauen. Es ist psychologisch wichtig, dass jeder hier Chancen ergreifen kann und nicht auf den Staat wartet. Was mich auch an dem Rechtsruck stört, ist die Verklärung der Vergangenheit, die es so wahrscheinlich gar nicht gab. Es fehlen echte Lösungsangebote, es reicht keine „So geht es nicht weiter“-Mentalität​.
 

Inwieweit glauben Sie, dass auch die Bürokratie zu einer „So geht es nicht mehr weiter“-Haltung führt?

Bürokratie abzubauen ist ein wichtiger Punkt, den Menschen und den Unternehmern mehr Mut zu geben. Bürokratie wird oft in Brüssel geschaffen, aber als größte Volkswirtschaft der EU hat Deutschland dort großen Einfluss. Wir hoffen, dass die nächste EU-Kommission den Schwerpunkt, wie versprochen, von Regulierung auf Wachstum umlegt.​
 

Welche bürokratischen Hürden würden Sie als Erstes abbauen?

Man kann trefflich über die Berechtigung von Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, ESG-Regulierung und steuerlichen Dokumentationspflichten streiten, sie müssen aber unbedingt auf ein verträgliches Maß zurecht­gestutzt werden. Ansonsten sollten die Steuern reduziert werden: Körperschaftsteuer runter, Soli komplett abschaffen, das würde bereits etwas bewirken. Auch für die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
 

Herr Rödl, vielen Dank für das Interview​.

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