Ermittlung der Entschädigung bei M&A-Streitigkeiten: Vorgehen in Deutschland, Italien und Frankreich

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veröffentlicht am 16. Dezember 2020 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Dogmatisch betrachtet ist die Höhe eines Schadens­ersatz­anspruchs erst zu prüfen, wenn zuvor die Anspruchs­voraus­setzungen – also die Ver­wirklichung eines zum Schadens­ersatz berechtigenden Verhaltens – dargelegt und bewiesen sind. Doch nicht nur in der Praxis gilt der Grund­satz: kein Schadens­ersatz­anspruch ohne Schaden. Daraus folgt, dass es nie zu früh ist, sich mit der Bestimmung des entstandenen Schadens auseinander­zusetzen – gerade auch bei einer M&A-Transaktion.

   


Idealerweise findet die Frage der Bestimmung eines eventuell entstehenden Schadens bei einer M&A-Trans­aktion bereits bei den ersten vertraglichen Vereinbarungen Beachtung. Der Vertragsentwurf ist regelmäßig die erste Möglichkeit, steuernd einzugreifen. Erste vertragliche Vereinbarung ist entweder eine Vertraulichkeits­vereinbarung – Confidentiality Agreement oder ein Letter of Intent (LOI) – eine Absichtserklärung der Parteien. Wenn beides nicht verhandelt wurde, sollte spätestens beim Entwurf des Kaufvertrags an die Frage der Schadensbemessung gedacht werden.


Deutschland

Zwar kann – zumindest im deutschen Recht – ein Schadensersatzanspruch auch bereits früher entstehen und zwar bei der Vertragsanbahnung. Man spricht hier von cic (culpa in contrahendo) – also einem Verschulden bei Vertragsanbahnung. Genau daraus – nämlich, dass ein Vertrag in diesem Stadium eben noch nicht vorliegt – folgt, dass die Parteien noch keinen Einfluss nehmen können. Sie sind dann ins gesetzliche Korsett gebunden.

Wogegen im „normalen“ Schadensersatzprozess regelmäßig die Frage des Verschuldens geklärt werden muss – zu vertreten hat der Schuldner nämlich nach dem Gesetz nur Vorsatz und Fahrlässigkeit – wird für abgegebene Garantien verschuldensunabhängig gehaftet. Man kann eine Garantie auch als Erleichterung in einem eventuellen Prozess verstehen, weil die Prüfung der Frage des Verschuldens sich nicht stellt. Daher bietet es sich an, bei den Vertragsverhandlungen im Zweifel die Abgebe von Garantien für einen Ist-Zustand zu fordern. Nachfolgend beschränken wir uns für die Darstellung der Situation in Deutschland auf die Bemessung des Schadensersatzes bei Garantieverletzungen. Bei derartigen Erfüllungsansprüchen gilt grundsätzlich der Vorrang der Naturalherstellung – bspw. die Beschaffung einer garantiewidrig nicht vorhandenen Maschine. Ist die Naturalherstellung nicht möglich, erfolgt der Schadensersatz nachrangig durch finanzielle Wertent­schädigung.

Die relevante Wertentschädigung soll den Unternehmensminderwert infolge der Garantieverletzung aus­gleichen. Die Berechnung erfolgt regelmäßig durch Gegenüberstellung zweier Unternehmensbewertungen: das eine Mal beruht sie auf einer Planungsbasis, die die tatsächliche Situation der Garantieverletzung spiegelt; das andere Mal auf einem hypothetischen Planungsszenario bei Richtigkeit der Garantieaussage.

Der zu ersetzende Schaden – das „positive Interesse” – ist die daraus abgeleitete Differenz beider fundamen­taler Bewertungen. Sie wird sodann auf den relevanten Bewertungsstichtag abgezinst. Das „positive Interesse” zielt darauf ab, den Berechtigten so zu stellen, wie er bei Richtigkeit der Garantieaussage stünde. Damit bemisst sich der Schadensersatz infolge einer Garantieverletzung also aus der Sicht des Käufers. Insofern ist der subjektive Unternehmenswert aus Sicht des Erwerbers maßgeblich. Er kann wesentlich von der Verkäufer­sicht vor Abschluss der Transaktion abweichen und letztere ggfs. übersteigen.


Italien

In Italien hingegen erfordert die jüngste höchstrichterliche Rechtsprechung für die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs das Vorhandensein spezifischer Merkmale, die sich aus einer unabhängigen vertraglichen Garantie ergeben. Ähnlich wie in Deutschland ist damit die korrekte Formulierung von Zusicherungen und Garantien der entscheidende Ansatzpunkt für einen Anspruch auf Schadensersatz eines Käufers.

Schadensersatz für Vertragsbruch nach italienischem Recht umfasst sowohl tatsächlich erlittene Verluste als auch den entgangenen Gewinn, soweit das eine direkte und unmittelbare Folge des Vertragsbruchs ist. Kann die Höhe des entgangenen Gewinns nicht genau nachgewiesen werden, so ist er unter „angemessener Würdigung der Umstände des Falles” zu ermitteln. Außerdem ist die Entschädigung auf die Folgen des Vertragsbruchs beschränkt, soweit sie zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhersehbar waren. Sowohl das Kriterium der „angemessenen Würdigung” als auch die Vorhersehbarkeit der Schadensfolgen stellen nicht nur eine hohe Hürde für die Beweisführung, sondern auch eine große Unsicherheit bei der Höhe der letztendlichen Entschädigung dar.

Individualvertragliche Vereinbarungen erlauben es hingegen, größere Sicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Quantifizierung eines Schadens zu erhalten. Im Falle einer Falschdarstellung von Tatsachen oder eines Garantieverstoßes erfolgt im Wesentlichen eine pekuniäre Entschädigung. Grundsätzlich zielt eine Entschädigung darauf ab, entweder nachträglich die vertraglich vereinbarte Situation beim Transaktionsobjekt zu schaffen oder den Käufer für denjenigen Verlust zu entschädigen, der daraus entsteht, dass das Transaktionsobjekt nicht die für die Berechnung des Kaufpreises entscheidenden Merkmale aufweist. Es kann auch dem Käufer überlassen bleiben zu entscheiden, ob er selbst oder das Transaktionsobjekt entschädigt werden soll.

Die Berechnung der Entschädigung sollte einerseits kohärent im Hinblick auf die Verhandlungsbasis der Parteien für die Festlegung des Kaufpreises erfolgen, aber insbesondere auch die Erwartungen des Käufers an das Transaktionsobjekt berücksichtigen. V.a. bei einer komplexen Methodik zur Kaufpreisberechnung ist es empfehlenswert, sich von vornherein auf einen neutralen Sachverständigen zu einigen, der im Konfliktfall nicht nur mit der Berechnung der Entschädigung zu beauftragen ist, sondern auch als Mediator fungieren kann.

Wie bereits angedeutet, öffnet das italienische Recht den Raum für kreative, auf die individuelle Situation zugeschnittene Vereinbarungen – sofern sie allgemeine Grundsätze wie den Grundsatz von „Treu und Glauben” einhalten. So können internationale Investoren etwa auf eine besondere, in Italien gebräuchliche „solve et repete”-Klausel stoßen, die die Möglichkeit ausschließt, eine Nichterfüllung zu beanstanden. Auch sind die Parteien aufgerufen, die Dauer der Verjährungsfrist für Garantieverletzungen vertraglich festzulegen.


Frankreich

In Frankreich gilt bereits bei der Anbahnung einer Transaktion eine „Loyalitätspflicht” (Devoir de Loyauté). Somit kann bereits die bloße Verhandlungssituation – selbst vor Abgabe eines Kaufangebots bzw. selbst, falls ein solches vermeintlich unverbindlich ist („Non-Binding Offer”) – zu gegenseitigen Verpflichtungen zwischen den Verhandlungsparteien führen:

  • Der Verkäufer ist z.B. verpflichtet, dem (potenziellen) Käufer keinerlei entscheidungsrelevante Informationen vorzuenthalten. Sollte der Käufer also nach mehreren Wochen Vertragsverhandlung einen „Deal-Breaker” entdecken, der sich nicht aus den zur Verfügung gestellten Informationen ableiten ließ, kann er vom Verkäufer Schadenersatz für die ihm entstandenen Kosten fordern, etwa für (Rechts-)Beratung. Die erhofften Vorzüge (Avantages attendus) aus der Transaktion selbst sind jedoch in dieser Phase (vor Vertragsunter­schrift) nicht in die Bemessung des Schadenersatzes einzubeziehen.
  • Der potenzielle Käufer muss gewissenhaft vorgehen: so kann er die Verhandlungen z.B. nicht aus Gründen beenden, die ihm bereits seit längerem bekannt sind. Wird dem Käufer ein „Deal-Breaker” bekannt, hat er das dem Verkäufer unverzüglich mitzuteilen, um ihm durch die Fortführung der Verhandlungen keinen unnötigen Aufwand zu bereiten.


Um sich für etwaige Streitigkeiten nach dem Unternehmenskauf zu wappnen, gilt es aus Käufersicht, mögliche Beeinträchtigungen der künftigen Ertragskraft des gekauften Unternehmens durch Verkäufer-Garantien im Kaufvertrag abzusichern. Das ist deshalb besonders wichtig, da das französische Recht kaum Möglichkeiten bietet, auf Basis eines „Irrtums über den Wert” (Erreur sur la valeur) – im Sinne einer fehlerhaften wirtschaft­lichen Bewertung – die Gültigkeit des Kaufvertrags anzufechten bzw. Schadenersatz im Zusammenhang mit arglistigem Verhalten (Dol) zu fordern. Vielmehr muss eine konkrete Fehlaussage oder eine Garantieverletzung des Verkäufers nachgewiesen werden.

  • Der Käufer ist daher auf eine gründliche Due Diligence angewiesen, um alle finanziellen, rechtlichen und steuerlichen Risiken für das Unternehmen zu identifizieren und beim Verfassen des Kaufvertrags zielgerichtet die vom Verkäufer zu fordernden Garantien zu definieren.
  • Der Verkäufer hingegen sollte darauf achten, dass seine Offenlegungen bei der Due Diligence vollständig sind und dokumentiert werden.


Neben den Garantien und der Definition von Garantieverletzungen ist es beim Verfassen des Kaufvertrags in Frankreich üblich, einen unparteiischen Sachverständigen festzulegen. Ihm kann – wie häufig der Fall – aufgetragen werden, den Kaufpreis festzustellen, falls sich die Vertragsparteien bei Vorliegen eines komplexen Kaufpreis-Mechanismus nicht einigen können. Darüber hinaus kann auch vorgesehen werden, dass der Sachverständige im Streitfall den etwaigen Schaden aus einer Garantieverletzung ermittelt.

Sollte der Kaufvertrag keinen Sachverständigen vorsehen, steht den Vertragsparteien die Möglichkeit offen, ein Gericht um die Bestellung eines Sachverständigen (Expert judiciaire) zu bitten. Dem unparteiischen Sach­verständigen obliegt es, beide Parteien anzuhören, jedoch steht ihm die Wahl seiner Methoden zur Ermittlung des Schadens offen, sofern der Kaufvertrag dafür keine Regelungen vorsieht. Neben allgemeinen Hinweisen zu Angemessenheit und Zweckmäßigkeit sehen das französische Zivil- und Handelsrecht keine exakten Methoden zur Schadensermittlung vor. Grundsätzlich finden im Falle einer Garantieverletzung jedoch – wie in Deutschland – entgangene Gewinne sowie erlittene Verluste (einschließlich Kosten) Berücksichtigung, sofern der Kaufvertrag nichts anderes vorsieht.


Fazit

In einem Prozess ist der Schaden darzulegen und zu beweisen. An der substantiierten – also inhaltlich genauen – Darlegung, spätestens aber am Beweis, werden viele Schadensersatzprozesse vom Anspruchsteller verloren. Darlegungs- und Beweiserleichterungen sollten also beachtet werden. Die rechtzeitige Beachtung der Frage der Schadensbemessung macht in besonderem Maße bei grenzüberschreitenden Transaktionen Sinn, wie der vorliegende Beitrag zeigt.

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Christoph Lebschi

Diplom-Kaufmann, MBA, Certified Valuation Analyst (CVA)

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