Fluch oder Segen? Unternehmensstrafrecht nimmt konkrete Formen an

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veröffentlicht am 26. Mai 2020 | Lesedauer ca. 4 Minuten
  

​Mit Veröffentlichung des Referentenwurfs am 21.04.2020, der den Titel „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ trägt, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen ersten konkreten Vorschlag gemacht, wie eine Sanktionierung von Unternehmen im Falle von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten durch Mitarbeiter gestaltet sein könnte.

 

  
Das BMJV sieht die nach aktueller Gesetzeslage  möglichen Sanktionen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) als unzureichend an, da insbesondere multinational tätige Großunternehmen durch die aktuell verhängbaren Geldbußen von bis zu 10 Millionen Euro nicht nachhaltig abgeschreckt werden.

 
Die Neuregelung komme daher „Unternehmen zu Gute, die sich rechtstreu und lauter verhielten“ – dies treffe schließlich auf die überwiegende Anzahl der Unternehmen in Deutschland zu.

  
Dass diese nun vorgestellten Regelungen sehr wohl auch Unternehmen treffen könnten, die Teil dieser Mehrheit sich rechtstreu und lauter verhaltender Unternehmen sind, wird dabei allerdings vollkommen ausgeblendet und zeigt nur einmal mehr, dass Theorie und Praxis weit auseinander klaffen können.

 

BMJV konzipiert sehr weitreichende Regelungen

Im August des vergangenen Jahres wurde ein erster Entwurf des sog. Verbandssanktionengesetzes (VerSanG) von Bundesjustizministerin Lamprecht vorgestellt. Dieser Entwurf enthielt bereits sehr weitreichende Regelungen. Neben Verbandsgeldsanktionen und Verwarnungen sah der damalige Entwurf sogar eine Verbandsauflösung vor.

  
Von dieser letztgenannten, existenzauflösenden Sanktion wurde nun im neuerlichen Referentenentwurf glücklicherweise Abstand genommen.

  
Im Übrigen wurde jedoch weitestgehend an dem Entwurf festgehalten.

 

Der Begriff „Verband“ ist dabei nicht klassisch zu verstehen, sondern wird im Gesetzesentwurf näher definiert: So unterfallen diesem Begriff insbesondere auch alle Unternehmen des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts.

  
Der Zweck des Verbandes muss jedoch stets auf den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sein. Dieses entscheidende Kriterium wurde im Referentenentwurf neu eingefügt.


a) § 3 VerSanG als zentrale Vorschrift

Die zentrale Voraussetzung für eine Verbandsverantwortlichkeit ist eine sog. Verbandstat.
Nach der Definition dieses Gesetztes wird darunter eine Straftat gefasst, durch die verbandsbezogene Pflichten verletzt werden oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte.

  

Eine Verletzung von rein unternehmensinternen Pflichten, wie z.B. die  Treuepflicht des Arbeitnehmers, soll daher zukünftig keine Verbandssanktion auslösen. Im Falle einer Untreue, etwa durch Leitungspersonen des Unternehmens, soll nach Begründung des Gesetzesentwurfs keine Verbandssanktion möglich sein.

  

b) Verbandssanktionen

Als Verbandssanktionen sieht der Gesetzentwurf entweder Geldsanktionen oder sog. Verwarnungen mit Geldsanktionsmöglichkeit vor.

 

Die Geldsanktion bewegt sich grundsätzlich – wie bislang auch in § 30 OWiG – bei vorsätzlichen Taten bis zu 10 Millionen Euro, bei fahrlässigen Taten bis zu 5 Millionen Euro.

  

Darüber hinaus wird allerdings die Möglichkeit eröffnet, bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 100 Millionen Euro, die Geldsanktion an diesem Jahresumsatz auszurichten: bei vorsätzlichen Taten beträgt die Höchstgrenze 10 Prozent, bei fahrlässigen Taten maximal 5 Prozent des weltweiten Konzernjahresumsatzes(!).

  

Compliance-Maßnahmen sollen künftig stark an Bedeutung gewinnen

Der Referentenentwurf stellt klar heraus, dass Compliance-Maßnahmen nun stark an Bedeutung gewinnen.

  

Effiziente und gelebte Compliance-Management-Systeme und auch bereits einzelne Compliance-Maßnahmen sollen sowohl bei der Bemessung einer etwaigen Sanktion Beachtung finden als auch eine „geräuschlose“ Beendigung des Sanktionsverfahrens ermöglichen.

 

Insbesondere unternehmensinterne Untersuchungen (sog. „internal investigations“) sollen durch den Entwurf gefördert werden.

 
Dabei hat die Durchführung von internen Untersuchungen jedoch im Lichte mehrerer Voraussetzungen zu erfolgen: Neben einem wesentlichen Aufklärungsbeitrag und einer lückenlosen Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden muss eine Untersuchung nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens und aller geltenden Normen stattfinden. Insbesondere seien Mitarbeiter vor etwaigen Interviews bzw. Befragungen darüber zu belehren, dass die getätigten Aussagen in einem möglichen Strafverfahren gegen diese verwendet werden dürfen. Des Weiteren haben sie die Möglichkeit, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen.  Zudem steht ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht hinsichtlich Fragen zu, die sie oder einen nahen Angehörigen bei wahrheitsgemäßer Beantwortung in die Gefahr einer Strafverfolgung oder eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens bringen.

  
Am Ende der Untersuchung sind zudem der Abschlussbericht sowie die dazugehörigen Unterlagen den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen.

  
Dieser Aspekt bereitet jedoch im Hinblick auf die Selbstbelastungsfreiheit, die auch für Unternehmen gelten soll, durchaus einige „Bauchschmerzen“.

 
Darüber hinaus nährt diese Regelung die Vermutung, dass die strafrechtlichen Ermittlungen nun von den staatlichen Stellen auf die Unternehmen selbst verlagert werden sollen.

  

Gerade in großen Unternehmen mit einer komplexen Struktur ist es für Strafverfolgungsbehörden selbstverständlich sehr aufwändig, Ermittlungen durchzuführen, da man sich zunächst einen Überblick über die Prozesse im Unternehmen verschaffen muss, um überhaupt entsprechende Anhaltspunkte für die weiteren Ermittlungen erlangen zu können.

  

Auch die vor sowie nach der sog. „Jones Day“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geltende Unsicherheit im Hinblick auf die Beschlagnahmefähigkeit von Dokumenten einer sog. „internal investigation“ - z.B. der Abschlussbericht oder Zwischenberichte- wurde im Entwurf aufgefasst.

 
Der Entwurf greift nun diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf und fordert für eine Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen, dass das betroffene Unternehmen eine Beschuldigten- oder beschuldigtenähnliche Stellung innehat.

  
Dies ist jedoch erst dann der Fall, wenn ein Sanktionsverfahren gegen das Unternehmen eingeleitet und bekanntgegeben worden ist.

  

Unterlagen, die zur Vorbereitung einer Verteidigung dienen, sind beispielsweise vom Beschlagnahmeverbot nicht erfasst. Was darunter alles gefasst werden darf, wird jedoch von einer entsprechenden Einzelfall-Rechtsprechung konkretisiert werden müssen.

 

Neue Möglichkeiten für Beendigung der Verfahren gegen Unternehmen

Dem Referentenentwurf sind für die Unternehmen auch positive Aspekte zu entnehmen: Entsprechend den bisher für Strafverfahren schon geltenden Vorschriften können auch Sanktionsverfahren insbesondere wegen Geringfügigkeit oder gegen Festsetzung von Auflagen und Weisungen, beendet werden.

  

Bislang war dies bei der Sanktionierung von Unternehmen im Rahmen des § 30 OWiG nicht möglich, da das OWiG eine derartige Möglichkeit der Beendigung nicht vorsieht.

  

Diese geplante Neuerung ist sodann nur folgerichtig und würde die Möglichkeit eröffnen, ohne die Durchführung eines langwierigen, schwierigen und für die Reputation des Unternehmens äußerst schädlichen Verfahrens, zu einer Beendigung des Verfahrens zu gelangen.

 

Auch in diesem Kontext wird ersichtlich, dass internal investigations ein spezielles Gewicht beigemessen werden soll, da die Durchführung derartiger Untersuchungen bereits dazu führen kann, dass von einer Verbandssanktion abgesehen wird.

 

Verbandssanktionenregister als „Sünderkartei“

Ein wichtiger weiterer Bestandteil des Referentenentwurfs, von dem bislang noch keine größere Notiz genommen wurde, ist das sog. Verbandssanktionenregister.

 
Neben rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen, mit welchen Verbandssanktionen verhängt werden könnten, sollen auch Bußgeldentscheidungen einzutragen sein, sofern die Geldbuße den Betrag von 300 Euro übersteigt.

  

Hinsichtlich der Bußgeldentscheidungen besteht derzeit bereits die Pflicht, ab einer Bußgeldhöhe von mehr als 200 Euro diese Entscheidungen in das Gewerbezentalregister einzutragen.

  
Eine Anpassung der GewO ist diesbezüglich nach dem vorliegenden Entwurf nicht vorgesehen, wäre allerdings überaus wünschens- und empfehlenswert.

  
Anderenfalls würden betragsmäßig geringere Sanktionen einschneidende Folgen nach sich ziehen, ggf. eine Eintragung in das Gewerbezentralregister, die de facto einen Ausschluss bei öffentlichen Aufträgen nach sich zieht. In diesem Bereich besteht in jedem Fall noch Nachbesserungsbedarf.

 

Fazit

Dieser Referentenentwurf findet nicht nur in der Beraterbranche, sondern auch bei den Unternehmen Beachtung.

  
Neben einschneidenden Sanktionen würde bei Inkrafttreten des VerSanG in der vorgestellten Fassung den Strafverfolgungsbörden nunmehr auch kein Spielraum bei der Frage mehr eingeräumt werden, ob überhaupt ein Verfahren angestrengt werden soll.

  
Aufgrund der Geltung der StPO und auch dem Eingangs-Wortlaut des § 3 VerSanG gilt das sog. „Legalitätsprinzip“, wonach bei Vorliegen von Anhaltspunkten einer Straftat ermittelt werden muss.

Es bleibt letztlich abzuwarten, ob ein Verbandsstrafrecht in der derzeit entwickelten Form alle in der Gesetzgebung eingebundenen Gremien durchlaufen wird, ohne dass noch Änderungen daran vorgenommen werden.

  

Schon jetzt empfiehlt es sich dennoch für Unternehmen mehr denn je, die unternehmensinternen Prozesse einem kritischen Blick zu unterziehen und besser früher als später Nachbesserungen vorzunehmen oder eine erstmalige Einführung von Compliance-Maßnahmen anzustoßen.

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