ESG in Italien: Gesetzliche Gleichstellungsförderungsmaßnahmen

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​veröffentlicht am 29. Februar 2024 I Lesedauer ca. 3 Minuten


Um den Großteil der globalen Nachhaltigkeitsziele („Sustainable Development Goals“, kurz „SDGs“ genannt) der Agenda 2030 zu erreichen, ist es schlichtweg unerlässlich, das fünfte Ziel „Geschlechtergleichstellung“ zu erfüllen. Genau aus diesem Grund ist das Thema der Erlassung von gesetzlichen Maßnahmen zur Förderung der rechtlichen, tatsächlichen und alltäglichen Gleichstellung zwischen Frauen und Männern, vor allem in der Arbeitswelt, auf EU-Ebene und insbesondere in Italien gerade von aktueller Bedeutung.

Die „Gleichstellungszertifizierung“ »

Das neue Antidiskrimminierungsrecht »



AKTUELLE SITUATION IN ITALIEN

Ein beachtlicher „Gender Pay Gap“ und vor allem eine sehr niedrige Beschäftigungsquote von Frauen im Vergleich zu Europa: Dies sind nur zwei der Gründe, warum in Italien in letzter Zeit das SDG 5- Geschlechtergleichstellung besondere Beachtung durch den italienischen Gesetzgeber erhält und eine Vielzahl von Maßnahmen speziell in der Arbeitswelt zur Förderung der Gleichstellung getroffen wurden. 

In der Tat wurde in Italien in diesem Zusammenhang durch den -vom Next-Generation-EU-Funds gedeckten- italienischen Aufbau- und Resilienzplan „Piano nazionale di ripresa e resilienza“ (kurz „PNRR“ genannt) unter anderem die sogenannte „Gleichstellungszertifizierung“ (in Italienisch „certificazione di parità di genere“) eingeführt. Dies auch mit dem Zweck, um ein objektives Element für die Gewährung von wirtschaftlichen Anreizen und Besserstellungen bei öffentlichen Vergaben für Unternehmen zu haben, welche sich aktiv um die Förderung der Geschlechtergleichstellung am Arbeitsplatz bemühen.

DIE „GLEICHSTELLUNGSZERTIFIZIERUNG“

Genauer gesagt, hat das Gesetz Nr. 162/2021 über die Bestimmungen zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt neben der Ausweitung der rechtlichen Definition der direkten und indirekten Diskriminierung auch die „Gleichstellungszertifizierung“ eingeführt.
 
Es handelt sich bei dieser um eine Bescheinigung der von den einzelnen Arbeitgebern ergriffenen Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung zwischen weiblichen und männlichen Arbeitnehmern. In diesem Zusammenhang wurde die Referenzpraxis UNI 125:2022 veröffentlicht, welche spezifische Leistungsindikatoren (Key Performance Indicator, kurz „KPIs“) vorsieht, die erfüllt werden müssen, um das von einer Zertifizierungsstelle ausgestellte Zertifikat zu erlangen. Die Referenzpraxis ist in 6 Themenbereiche unterteilt: Kultur & Strategie, Governance, HR-Prozesse, Karrierechancen, Lohngleichheit und Schutz der Elternschaft & Work-Life-Balance. Für jeden Themenbereich sind spezielle, verschieden gewichtete KPIs in Form von Maßnahmen vorgesehen, welche das Unternehmen umsetzen muss. Die Zertifizierung wird erteilt, sofern das Unternehmen zumindest 60 % der KPIs erfüllt. Wichtig ist hier, dass das Unternehmen ein geeignetes Managementsystem implementiert, das auch ein entsprechendes periodisches Monitoring ermöglicht, da es eine grundsätzliche Voraussetzung für die Beibehaltung der Zertifizierung ist, dass sich die Gleichstellungssituation des Unternehmens (und somit der Prozentsatz der erreichten KPIs) stetig verbessert.

Als wirtschaftlicher Anreiz für Unternehmen, die die Zertifizierung erhalten haben, ist eine Befreiung von der Zahlung der gesamten Sozialversicherungsbeiträge, die auf Arbeitgeberseite zu entrichten sind, in Höhe von maximal 1 % der geschuldeten Beiträge und bis zu einem Höchstbetrag von EUR 50.000,00 pro Jahr und Unternehmen vorgesehen.

Eine wichtige Rolle spielt die „Gleichstellungszertifizierung“ auch bei öffentlichen Ausschreibungen und Auftragsvergaben. Im Sinne des neuen italienischen Vergabekodex müssen öffentliche Auftraggeber die Vorlage der „Gleichstellungszertifizierung“ in die Liste der „Prämienkriterien“ in ihre Ausschreibungen aufnehmen sowie zertifizierte Unternehmen bei der Punktezuweisung bevorzugen. Ferner ist vorgesehen, dass das Vorlegen der Zertifizierung zu einer 20-prozentigen Reduzierung (kumulierbar mit anderen gesetzlich vorgesehenen Reduzierungen) der vorläufigen Kaution, welche Unternehmen, die an einer öffentlichen Ausschreibung teilnehmen wollen, hinterlegen müssen, führt.

Auch wenn bereits Vorbereitungen für die Erstellung eines Standards für eine analoge europäische Zertifizierung laufen, gibt es die „Gleichstellungszertifizierung“ in dieser Form derzeit nur in Italien. Nichtsdestotrotz ist die Zertifizierung aber in jedem Fall ein nützliches Instrument für die Umsetzung positiver Politiken und Verfahren zur Förderung der Inklusion und Gleichstellung im Unternehmen. In diesem Zusammenhang ist auch anzuführen, dass viele der in der Referenzpraxis UNI 125:2022 vorgesehenen KPIs auch Gegenstand der Nachhaltigkeitsberichterstattung im Sinne der Corporate Sustainability Reporting Directive („CSRD“) sind.

DAS NEUE ANTIDISKRIMINIERUNGSRECHT

Parallel zu den oben genannten Gesetzesbestimmungen, welche Unternehmen prämieren, die sich um die Förderung der Geschlechtergleichstellung bemühen, wurden in Italien andererseits neue Antidiskriminierungsvorschriften in Form von Verboten und Sanktionen eingeführt.

Durch das oben genannte Gesetz Nr. 162/2021 wurden beispielsweise die im italienischen Gleichheitskodex enthaltenen Definitionen der direkten und indirekten Diskriminierungen bedeutsam erweitert. Der Kreis der potenziell „diskriminierbaren“ Personen, die geschützt werden müssen, wurde ausgedehnt und umfasst nun auch die Bewerber während des Auswahlverfahrens. Ferner wurde durch die Änderungen bestimmt, dass eine indirekte Diskriminierung vorliegt, wenn eine Vorschrift oder Praxis, auch organisatorischer Art oder mit Auswirkungen auf die Arbeitszeit, die Bewerber im Auswahlverfahren oder die Arbeitnehmer eines Geschlechts gegenüber den Bewerbern/Arbeitnehmern des anderen Geschlechts in besonderer Weise benachteiligt oder potenziell in der Lage ist, sie zu benachteiligen (ausgenommen Voraussetzungen, welche für die Tätigkeitsausübung essenziell sind). Zuletzt wurde eingeführt, dass jede Festlegung oder Änderung der Arbeitsbedingungen oder der Arbeitszeit, welche einen Arbeitnehmer aufgrund seines Geschlechts, seines Alters oder seiner persönlichen oder familiären Betreuungsbedürfnisse in eine von drei gesetzlich explizit definierten Situationen (Benachteiligung gegenüber der Mehrheit der anderen Arbeitnehmer, Einschränkung der Möglichkeiten zur Teilnahme am Arbeitsleben oder an den Entscheidungen des Unternehmens oder Beschränkung des Zugangs zur beruflichen Weiterentwicklung) bringt oder potenziell bringen kann, eine Diskriminierung darstellt.

In diesem Zusammenhang hat sich italienische Rechtsprechung in der letzten Zeit vermehrt mit Fällen von indirekten Diskriminierungen beschäftigt, welche auf vielfältigster Weise in der Arbeitswelt auftreten können. Oftmals betreffen diese Formen der Arbeitszeitgestaltung, welche geeignet sind, gewisse Arbeitnehmergruppen indirekt zu diskriminieren. Eine Reihe, der in den letzten Monaten veröffentlichten Urteilen bestätigte, dass eine Arbeitszeitregelung, welche Arbeitnehmer mit kleinen Kindern in besonderer Weise benachteiligt, zu einer indirekten Diskriminierung zum Nachteil von berufstätigen Eltern und hierbei insbesondere von berufstätigen Müttern, und daher folglich zu einer indirekten Geschlechterdiskriminierung, führt. Ausgenommen sind hier nur Fälle, in denen der Arbeitgeber nachweisen kann, dass die undifferenzierte Anwendung einer solchen Arbeitszeitenregelung auf die Gesamtheit der Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob sie Eltern sind oder nicht, für die Erfüllung spezifischer und nachgewiesener Bedürfnisse des Unternehmens unerlässlich sind. 

Von besonderem Interesse im Bereich Rechtsprechung ist hier beispielsweise auch die kürzliche Verurteilung einer bekannten italienischen Fluglinie zu Schadenersatzzahlungen an ausgeschlossene schwangere Bewerberinnen, welche gerichtlich eine Geschlechterdiskriminierung geltend machten. Das Gericht berücksichtigte in seiner Entscheidung die vom Nationalen Statistikamt veröffentlichte Geburtsstatistik, welche ergab, dass es in Italien aktuell zu 1 Geburt/Jahr pro 30 Frauen im gebärfähigen Alter kommt. Da festgestellt wurde, dass keine der 412 von der Fluglinie eingestellten Frauen nach der Einstellung schwanger war, hat das Gericht im gegenständlichen Fall folglich einen diskriminierenden Auswahlprozess festgestellt und den Arbeitgeber zu Schadenersatzzahlungen verurteilt. 

Zu erwähnen ist in diesem Kontext auch die für den Kläger erleichterte Beweislast gemäß Artikel 40 des italienischen Gleichheitskodex, welche oftmals zu erhöhten Risiken für Unternehmen in Gerichtsverfahren führen können. Legt der Kläger nämlich tatsächliche Anhaltspunkte, einschließlich statistischer Daten beispielsweise über Einstellung, Vergütung, Zuweisung von Aufgaben und Qualifikationen, Karriereentwicklung und Kündigung vor, die geeignet sind, die Vermutung des Vorliegens von Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die eine Geschlechterdiskriminierung darstellen, genau und schlüssig zu begründen, so obliegt die Beweislast für das Nichtvorliegen einer Diskriminierung dem Beklagten. Zur Minderung des Prozessrisikos sollten Unternehmen daher vorsorglich klare und objektive Policies für alle „sensiblen“ Prozesse (einschließlich Auswahlverfahren) umsetzen sowie Entscheidungen immer auf Grundlage dokumentierter und objektiver Faktoren treffen. Ferner ist es in diesem Zusammenhang nützlich, regelmäßig ein Monitoring sowie eine Berichterstattung über die Verteilung der Arbeitnehmer mit einem „Risikofaktor” im Unternehmensorganigramm vorzunehmen.

Doch nicht nur die Gerichts- und Verteidigungskosten während eines Prozesses und die entsprechenden Spesen im Falle eines Unterliegens sind beachtliche Kostenpunkte, falls gerichtlich eine Diskriminierung festgestellt werden sollte: Unternehmen, welche diskriminierende Handlungen vornehmen, sind auch vom Erhalt der „Gleichheitszertifizierung“ ausgeschlossen und können somit nicht von den oben beschriebenen Beitragserleichterungen und Begünstigungen profitieren.

Alles in allem gibt es zwar noch viel zu tun, aber eines ist sicher: Unternehmen müssen mit angemessenen Prozessen und Monitoring die effektive Umsetzung der Geschlechtergleichstellungspolitik sicherstellen, um den Betrieb selbst zu schützen sowie dabei gleichzeitig der sozialen Verantwortung als Arbeitgeber gerecht zu werden.

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