Verzahnung von Steuerrecht, Logistik und IT-Systemen

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Neuordnung der Umsatzsteuer für jPdöR

Was haben IT-Beratung für SAP, Steuern und der bayerische Strafvollzug gemeinsam? Ihren kompetenten Partner. Im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung hat Rödl & Partner im Bereich der IT-Beratung für SAP eine Mandatsverlängerung für weitere 4,5 Jahre, bis zum Jahr 2028, vom Strafvollzug des Freistaates Bayern, erhalten. 

Seit dem Jahr 2018 unterstützen wir den Auftraggeber, die Service- und Koordinierungsstelle für das vollzugliche Arbeitswesen, beratend bei der Implementierung & Anpassung des SAP S/4HANA-Systems. Dieses System wird zur Erfüllung der Verpflichtungen nach § 2b UStG und zur Abbildung der logistischen Prozesse verwendet. Diese Partnerschaft geht nun in die Verlängerung und ist bis ins Jahr 2028, also insgesamt ein Jahrzehnt, fixiert. 


Wunsch und Wirklichkeit des Steuerrechts 

Mit dem Jahressteuergesetz 2015 wurde mit § 2b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ein Ausnahmetatbestand geschaffen. Demnach gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) nicht als Unternehmer, soweit sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Durch die Einführung des § 2b UStG wurde die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand im Hinblick auf die Vorgaben des Artikel 13 Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie umfassend neu geregelt.

Diese Anpassung des UStG und die damit einhergehende Pflichterfüllung der öffentlichen Hand zur Erstellung von Umsatzsteuervoranmeldungen und Jahreserklärungen führt zu einer zwangsläufigen Reorganisation der öffentlich-rechtlichen Verwaltungen. 

Der Justizvollzug in Bayern hat diese Herausforderung mit der Implementierung eines SAP S/4HANA System gemeistert und nebenbei noch die Anforderungen der justizvollzugsrelevanten Regelungen und Normen, u. a. Arbeitsverwaltungsordnung für die Justizvollzugsanstalten in Bayern, usw. erfüllt. 

Erst die Regel, dann die Ausnahme

Getreu dem Motto des UStG: „Erst die Ausnahme, dann die Regel“ war und ist der § 2b UStG für jPdöR eine „mammut-ähnliche“ Aufgabe und spezifisch, je nach den Gesamtumständen des Einzelfalls, und so individuell wie jeder Mandant  selbst. 

Zum Beispiel der Strafvollzug in Bayern: In den 36 bayerischen Justizvollzugsanstalten sind regelmäßig knapp 10.000 Insassen inhaftiert. Entsprechend dem Bayerischen Strafvollzugsgesetz, dient der Vollzug der Freiheitsstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Dieser Vollzug soll die Insassen aber ebenfalls befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Die Aufrechterhaltung oder Erlangung beruflicher Qualifikationen ist deswegen ein wichtiger Bestandteil bei der Behandlung der Insassen . 

Mit rund 370 Betrieben und ca. 5.200 Arbeitskräften sind die bayerischen Justizvollzugsanstalten in der Lage, auf einer Produktionsfläche von insgesamt 90.000 m² vielseitige Leistungen anzubieten. 

Die Insassen arbeiten zumeist in handwerklich orientierten Eigenbetrieben unterschiedlicher Größenklassen und Organisationsgraden. Die Eigenbetriebe fertigen sowohl für externe Kunden, als auch für den Bedarf der Justizvollzugsanstalten. Die Einnahmen aus der Beschäftigung der Insassen betragen dabei bis zu 40 Millionen Euro jährlich. Entweder über die Lohnfertigung für Montage, Demontage, Prüfung, Konfektionierung, Verpacken, Elektromontagen, Holz-/Metallbearbeitung, Papier oder Druk, Male-rei oder Lackiererei und Textil oder Lederarbeiten oder gar über den Verkauf von handgefertigten Produkten auf der Homepage https://haftsache.de/.

Die Sachausgaben der Arbeitsbetriebe belaufen sich auf etwa 19 Millionen Euro im Jahr. Insgesamt sind für die bayerischen Justizvollzugsanstalten regelmäßig in etwa 600 Millionen Euro jährlich an Ausgaben im Staatshaushalt des Freistaates Bayern veranschlagt.

Die Herausforderung

Nach aktuellem Stand der Rechtslage gelten jPdöR ab dem 1. Januar 2025 als Unternehmer im umsatz-steuerlichen Sinne. Die Betriebe gewerblicher Art spielen für Umsatzsteuerzwecke keine Rolle mehr. Aufgrund der Umsatzsteuerpflicht vieler Leistungen kommen auf die jPdöR somit zusätzliche Melde- und Erklärungspflichten zu. Auch wenn auf einer Seite jPdöR durch die neue Rechtslage in vielen Bereichen mit Umsatzsteuer belastet werden, ergeben sich auf der anderen Seite Vorteile – insbesondere in Bezug auf den potenziellen Vorsteuerabzug.

Der Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2024 sieht zwar eine neuerliche Verlängerung des Optionszeitraums um bis zu zwei weitere Jahre vor. Die diesbezügliche Gesetzesänderung steht aber noch aus. In den Jahren 2018 bis 2024 wurde deshalb SAP S/4HANA als ERP-System für den Justizvollzug eingeführt. 

Dieses ERP-System dient dem Auftraggeber primär dazu, den gesamten Wertschöpfungsprozess, nebst vor-/nachgelagerten und sekundären Bestandteilen des Strafvollzugssystems umsatzsteuerrechtlich im Einklang mit der jeweiligen Gesetzeslage und Rechtsprechung einzuordnen, zu bewerten und zu doku-mentieren. Zudem müssen die logistischen Prozesse des Strafvollzugs darüber abgebildet werden. 

Warum benötigt man aber nun ein ERP-System dafür? 

Im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen sind jPdöR dafür bekannt, dass viele von ihnen angeschafften Wirtschaftsgüter teilunternehmerisch verwendet werden, d.h. sie werden sowohl für un-ternehmerische (umsatzsteuerpflichtige) als auch für hoheitliche (nicht-steuerbare) Zwecke genutzt. Die Abgrenzung zwischen unternehmerischen und nicht-unternehmerischen Leistungen bei jPdöR ist oftmals ein komplexer Vorgang. Dies stellt jPdöR vor großen Herausforderungen in Bezug auf den möglichen Vorsteuerabzug und die Ermittlung von sog. Vorsteuerabzugsquoten.

Eine weitere Herausforderung der jPdöR in Bezug auf den Vorsteuerabzug ist die Berichtigung des Vor-steuerabzuges. Die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG stellt eine Ergänzung zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG dar. Insbesondere bei Umstellung auf § 2b UStG kann die Anwendung des § 15a UStG eine große Rolle spielen und so – je nach Sachverhalt – einen anteiligen Vorsteuerabzug aus den Anschaffungen vor der Anwendung des § 2b UStG ermöglichen.

§ 15a UStG regelt Folgendes: Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen  Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile, bei Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden tritt an die Stelle des Zeitraums von fünf Jahren ein Zeitraum von zehn Jahren (vgl. § 15a Abs. 1 UStG). 

Mit § 15a UStG verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, dass die Gewährung des vollen Vorsteuerabzugs im Zeitpunkt der Anschaffung nur dann erhalten bleibt, wenn das Wirtschaftsgut während der gesamten mehrjährigen Nutzungsdauer vorsteuerunschädlich genutzt wird.

Geht in ein Wirtschaftsgut nachträglich ein anderer Gegenstand ein und verliert dieser Gegenstand dabei seine körperliche und wirtschaftliche Eigenart endgültig oder wird an einem Wirtschaftsgut eine sonstige Leistung ausgeführt, gelten im Fall der Änderung der für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse die Grundsätze des § 15a Absätze 1 und 2 UStG entsprechend. Es kommt nicht darauf an, ob dadurch eine Werterhöhung des Wirtschaftsgutes eingetreten ist. 

Eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG kommt daher und unter den folgenden 
Voraussetzungen zum Tragen, wenn: 
  1. das Wirtschaftsgut dem Unternehmen einer jPdöR dient (z. B. Kauf einer Stanzmaschine),
  2. das Wirtschaftsgut für mehrere Umsätze verwendet wird (z. B. die Stanzmaschine wird für Aufträge für normale Unternehmen (also für unternehmerische/umsatzsteuerpflichtige Leistungen) und für den Eigenverbrauch bzw. für nicht-unternehmerische Zwecke verwendet),
  3. das Wirtschaftsgut für einen einmaligen Umsatz verwendet wird (z. B. ein vorgefertigtes Elektrobauteil geht in die Stanzmaschine ein),
  4. der ursprüngliche Vorsteuerbetrag mehr als 1.000 EUR betragen hat (Überschreiten der Aufgriffsgrenze des § 44 UStDV),
  5. innerhalb des maßgebenden Berichtigungszeitraumes (beim beweglichen Wirtschaftsgut 5 Jahre) eine vorsteuerrelevante Nutzungsänderung (z. B. die Stanzmaschine wird ausschließlich für den Eigenverbrauch bzw. nicht-unternehmerischen Bereich verwendet) eingetreten ist und
  6. es sich um eine gewichtige Änderung der Nutzungsverhältnisse (z. B. 30 % oder mehr) handelt.

Im Falle einer positiven Prüfung ist dann eine Berichtigung pro Wirtschaftsgut und nach rata temporis (wenn es sich um Anlagevermögen handelt) oder im vollem Umfang (wenn es sich um Umlaufvermögen handelt) vorzunehmen. 

Maßgebliche Berichtigungsgrößen können hier z. B. von 1.000 Euro bis hin zu 48.000.000 Euro reichen, wenn es sich zum Beispiel um einen Neubau handelt. Hierbei unterstützt das SAP S/4HANA System den Justizvollzug. Die Vorsteuerberichtigung wird mittels SAP RE-FX durchgeführt. Daher liefert das System die korrekten Besteuerungsgrundlagen und unterstützt den Justizvollzug bei der Abbildung der logischen Prozesse im Freistaat. 

Unsere Erfahrungswerte in der Praxis  

Diese „kurze“ Einführung in den Vorsteuerabzug eines Wirtschaftsgutes, bei einer Nutzungsänderung, ist nur eine der wesentlichen Prämissen, warum eine Verzahnung von steuerrechtlichen, logistischen und IT-technischen Systembestandteilen & Entscheidungen so wichtig ist. 

Fazit: Wer A sagt, muss auch B sagen!

Schließlich gilt im Grundsatz: Wurden umsatzsteuerpflichtige Eingangsumsätze bezogen, umsatzsteu-erpflichtige Ausgangsumsätze zu erwirtschaften, besteht ein Vorsteuerabzugsrecht, vgl. § 15 Abs. 1 UStG. Dieser Anspruch muss aber der Höhe nach korrekt und nachprüfbar sein. Daher, alle Vor- und Nachteile des UStG gelten nun für die öffentliche Hand ebenso, wie für privatwirtschaftliche Unternehmen. Aber, Achtung: Die Tücken stecken mal wieder im Detail.

Von daher ist unter der Geltung des § 2b UStG von den öffentlich-rechtlichen Verwaltungen vieles zu bedenken: Angefangen von der Zuordnungsentscheidung einer Neuanschaffung über Ermittlung der abzugsfähigen Vorsteuer bis hin zu der Vorsteuerberichtigung aufgrund Nutzungsänderungen und der unbürokratischen Organisation des Prozesses. 


​Abbildung 1: sinnbildliche Übersicht über die Komplexität des Umsatzsteuergesetzes 

Der Justizvollzug in Bayern setzt daher auf die bewährte Lösung der SAP mit S/4HANA und der Vor-steuerberichtigung im immobilienwirtschaftlichen Modul RE-FX. 

Ausblick 

Ein Markt ist freiwillig. Der Staat ist Zwang. Ein freiwillig finanzierter Staat ist ein Widerspruch in sich Selbst. Die Steuern von heute sind somit aber letztlich der Preis, den wir für die Mitgliedschaftsprivilegen in einer organisierten Gesellschaft, wie Deutschland & der EU, zahlen. Denn ein moderner Staat ist eine zweckrationale Organisation und ein Derivat praktischer Vernunft. Er ist Friedens-, Entscheidungs-, Handlungs-, Wirkungs- und Machteinheit einem aber ebenso Sozialverband für seine Mitglieder. Die Steuern finanzieren alle Aufgaben, die im Interesse der Gemeinschaft sind.  

Dementsprechend und im Sinne einer nachhaltigen Steuergerechtigkeit und einem Beitrag zur Gesellschaft und zur Resozialisierung der Insassen, unterstützen wir den Justizvollzug in Bayern gerne weiter tatkräftig bei der Bewältigung seiner vielfältigen Herausforderungen und freuen uns auf eine weitere erfolgreiche Zusammenarbeit.


Disclaimer: Dieser Blogbeitrag wurde nach bestem Wissen und Gewissen mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt, erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dieser Blogbeitrag stellt keine Rechts- oder Steuerberatung dar. Bei den Inhalten han-delt es sich um keine verifizierten Informationen und / oder Empfehlungen zu einzelnen Sachverhalten. Die enthaltenen Informationen und Beispielen haben ausschließlich informativen Charakter und sind nur für Schulungszwecke. Sämtliche Äußerungen, Anmerkungen, Feststellungen, Einschätzungen, Vermutungen und Abbildungen basieren auf den vorliegenden Informationen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es handelt sich hierbei um keine Rechts- oder Steuerbera-tung (u. a. § 5 ff. StBerG und § 3 ff. RDG).

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Marcel Schuchardt

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