Vermeidung von Preissprüngen bei der Vereinheitlichung von Preissystemen in der Wärmewirtschaft

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​​veröffentlicht am 28. September 2021

 

Vor allem in historisch gewachsenen Versorgungsgebieten existieren heute noch unterschiedliche Preissysteme. Um diese auch rechtlich kritische Ungleichbehandlung zu beseitigen, werden einheitliche Preissysteme benötigt. Dies betrifft allerdings eine Vielzahl unterschiedlicher Kundengruppen und Preisniveaus. Gleichzeitig weicht die Abnahmestruktur teils deutlich von bekannten Normwerten ab. Insbesondere bei den Vollbenutzungsstunden (Vbh) liegt oftmals eine Vielzahl der Kunden deutlich unter den Referenzwerten von 1.800 Vbh bzw. 1.500 Vbh. Bei jeder Neukalkulation von Fernwärmepreissystemen verändert sich die Höhe des Grundpreises, wodurch Kunden mit besonders hohen vertraglichen Anschlussleistungen überproportional stark belastet werden können. Um hier als Versorger gegenzusteuern und eine kundenorientierte Lösung anzubieten, ist eine kundenspezifische Leistungsanpassung das Mittel der Wahl.


Hintergrund & Problemstellung

Rund ein Drittel der Fernwärmenetzlänge und Übergabestationen in Deutschland sind älter als 40 Jahre1. Die Übergabestationen wurden dabei oftmals zu einem Zeitpunkt ausgelegt, als noch andere technische Berechnungsvorlagen und regulatorische Vorgaben galten. So wurde die von 1929 bis 2003 gültige Norm zur Wärmebedarfsberechnung (DIN 4701 -1(bis 3)) stetig überholt und angepasst, was sich in präzisieren Ergebnissen zur Heizlast widerspiegelte. Infolgedessen konnte auch die Auslegung der Übergabestationen auf verlässlichere Bedarfswerte erfolgen, um einen effizienten Betrieb zu gewährleisten. Im Gegenzug zeigt sich jedoch ebenso, dass insbesondere in älteren Netzgebieten sowie im unteren Leistungsbereich (< 40 kWth) die vertragliche Anschlussleistung bzw. die Übergabestationen aufgrund der damals geltenden und weniger präzisen Vorgaben oftmals überdimensioniert sind. Aber auch zwischenzeitliche energetische Sanierungen auf Kundenseite lassen eine geringere Anschlussleistung denkbar erscheinen.


Analysiert man auf Grundlage dieser Annahmen die abnahmestellenspezifischen Vollbenutzungsstunden im Netzgebiet, so führen die Ergebnisse oftmals zu Verwunderung. Zur Veranschaulichung ist untenstehend der Abgleich von realen Vollbenutzungsstunden drei beispielhafter Netzgebiete zu den Referenzwerten (1.500 h/a bei Einfamilienhäusern & Gewerbe/Handel/Dienstleistungssektor sowie 1.800 h/a bei kleinen und großen Mehrfamilienhäusern) der AGFW aufgeführt. In unserer Analyse zeigt sich, dass die Vollbenutzungsstunden ausgewählter Referenznetze teils deutlich unterhalb von 1.500 Vollbenutzungsstunden liegen. Bei zwei der untersuchten Beispielnetze liegen 75 Prozent der Abnahmestelen unterhalb von 1.500 Vollbenutzungsstunden. In unserer Beratungspraxis zeigt sich, dass dies keine Einzelfälle sind.

 

Vergleich reale Vollbenutzungsstunden ggü. Referenzwerte (eigene Darstellung)
Abbildung 1: Vergleich reale Vollbenutzungsstunden ggü. Referenzwerte (eigene Darstellung)


Dabei stellen überdimensionierte Anschlusswerte und ineffiziente Übergabestationen für den Versorger technische und kaufmännische Herausforderungen dar. So führen ineffiziente Übergabestationen einerseits zu einer erhöhten Rücklauftemperatur, was sich in höheren Netzverlusten widerspiegelt. Andererseits können Abnehmer mit zu hohen Anschlussleistungen bei der Anpassung am Fernwärmepreissystem zu Herausforderungen in der Fernwärmepreisberechnung für die Kundenseite führen.


Höhere Grundpreisanteile kostenneutral weitergeben

Grundsätzlich sind Arbeits- und Grundpreise so zu bestimmen, dass das Fernwärmepreissystem nach §24 Abs. 4 AVBFernwärmeV die bestehende Kostenstruktur von Erzeugung und Versorgung angemessen und kostenorientiert abbildet. Im Zuge der voranschreitenden Dekarbonisierung der Wärmeversorgung in Deutschland werden konventionelle Erzeugungstechnologien vermehrt durch erneuerbare Wärmeerzeugungstechnologien ersetzt. Viele Versorger müssen in ihre Netz- und Erzeugungsstruktur investieren. Der Einsatz erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung ist dabei durch einen höheren Fixkostenanteil ggü. konventionellen Erzeugungstechnologien charakterisiert. Fixkosten sollten über Grundpreiseinnahmen refinanziert werden. Zukünftig wird sich somit eine stärkere Fokussierung des Grundpreises in Fernwärmepreissystemen zeigen. Dieser Effekt zeigt sich auch bei vielen Teilnehmenden des jährlichen Benchmarking in der Fernwärme.
Im Rahmen von Preisüberarbeitungen sollte neben der wirtschaftlichen und rechtlichen Auslegung auch immer der vertriebliche Aspekt Berücksichtigung finden und damit ein Blick auf die Kundenstruktur geworfen werden.


Besonders kleine Abnahmestellen sind betroffen

Die untenstehende Grafik veranschaulicht die Auswirkung dieses Effekts. Hierbei wird eine Anpassung des Fernwärmepreissystems, von 60 Prozent Arbeitspreisanteil und 40 Prozent Grundpreisanteil zu 60 Prozent Grundpreisanteil und 40 Prozent Arbeitspreisanteil, im Referenzabnahmefall vorgenommen. Der Referenzabnahmefall definiert sich meist durch die durchschnittlichen Vollbenutzungsstunden im Netzgebiet. In unserem Beispiel sind dies 1.800 h/a. In Abbildung 2 ist der Effekt auf den Wärmemischpreis (Durchschnittspreis) in Abhängigkeit der individuellen Vollbenutzungsstunden dargestellt. Der individuelle Mischpreis der Abnehmer berechnet sich dabei als Summe der Grund- und Arbeitspreisausgaben geteilt durch die individuelle Abnahmemenge. Dabei lässt sich zeigen, dass alle Abnehmer mit Vollbenutzungsstunden kleiner 1.800 einen höheren individuellen Mischpreis aufweisen, als im Referenzfall.


Folglich weisen Abnehmer mit hohen Vollbenutzungsstunden einen geringeren individuellen Mischpreis aus. Dies verstärkt sich bei einem steigenden Grundpreisanteil. Dabei zeigt sich deutlich, dass Kunden mit zu hoher Anschlussleistung (Vbh < 800 h/a) durch einen höheren Grundpreisanteil überproportional stark belastet werden. Eine Steigerung des Grundpreisanteils im Fernwärmepreissystems hat bei diesem Beispiel vermehrt Auswirkungen auf einen Großteil der Kunden, wohingegen nur wenige Kunden profitieren.

 

Überproportionale Kostensteigerung bei ineffizienten Abnahmestellen durch Erhöhungen des Grundpreisanteils (Vollbenutzungsstunde
Abbildung 2: Überproportionale Kostensteigerung bei ineffizienten Abnahmestellen durch Erhöhungen des Grundpreisanteils (Vollbenutzungsstunden zur Auslegung: 1.800 h)


In der Praxis gilt es nun, eine Methodik zu finden, um den Großteil der Abnehmer vor Kostensteigerung zu bewahren. Hierzu stehen verschiedene Werkzeuge zur Verfügung.


Proaktive Leistungsanpassung als Mittel der Wahl

Bei der Analyse der Vollbenutzungsstunden müssen zunächst Einmaleffekte identifiziert werden. Hier lassen sich einige Ausreißer mit zeitlichen Leerständen, saisonale Nutzungsformen oder besonderen Heizungsergänzungen erklären. Sofern die zu niedrigen aber tatsächlich mit überdimensionierten Anschlussleistungen oder ineffizienten Übergabestationen zu erklären sind, bietet sich folgende Vorgehensweise an:

  • Auswertung der relativen und absoluten Kostensteigerungen bei etwaiger Preisanpassung auf Einzelkundenebene
  • Identifizierung von besonders ineffizienten Abnahmestellen im Netzgebiet
  • Kalkulatorische Anpassung der Anschlussleistung bei ausgewählten Abnehmern
  • Berücksichtigung der angepassten Anschlussleistung bei Bestimmung der Preishöhe und Zielrendite im Rahmen einer dynamischen Cashflow-Rechnung


Durch diese Vorgehensweise kann eine überproportionale Belastung ineffizienter Abnahmestellen kalkulatorisch ausgeglichen werden. Bei der Einführung der einheitlichen neuen Preise kommt der Kommunikationsstrategie für die betroffenen Kunden eine besondere Bedeutung zu.


Fazit

Die individuelle Leistungsanpassung ist das Mittel der Wahl, um Kunden mit einer aus historischen Gründen zu hohen Anschlussleistung oder überdimensionierten (ineffizienten) Übergabestationen vor starken Preissteigerungen im Rahmen einer Einführung einheitlicher Preissysteme oder Erhöhung des Grundpreisanteils zu bewahren. Eine gute Datenlage sowie ein validiertes Rechenmodell sind jedoch die Grundlage, um Leistungsanpassungen erlösneutral kalkulieren zu können. Nach einer erfolgreichen Umsetzung sind dann einige Vorteile zu erwarten:

  • Korrektes Arbeits- und Grundpreisverhältnis
  • Reduktion von witterungsbedingten Ergebnisrisiken
  • Angemessene Anschlussleistungen
  • Niedrigere Rücklauftemperaturen
  • Gleichbehandlung der Kunden
  • Reduktion der Komplexität und Fehleranfälligkeit
  • Steigerung der Attraktivität der Wärmesparte


Die Ergänzung dieser Analyse bei der Neukalkulation von Wärmepreisen erscheint vor diesem Hintergrund sehr sinnvoll.

 

 

1Rödl & Partner: Fernwärme Benchmarking


 

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