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veröffentlicht am 17. August 2021
Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Freiburg hat mit Urteil vom 16.06.2021, Az.: 1 K 5140/18, klargestellt, unter welchen Umständen Befreiungen von einem angeordneten Anschluss- und Benutzungszwang an die Fernwärmeversorgung gewährt werden müssen. Demnach verstößt eine Satzungsbestimmung gegen höherrangiges Recht, soweit sie bei der Frage der Befreiungsmöglichkeiten vom angeordneten Anschluss- und Benutzungszwang ohne sachlichen Grund zwischen Erneuerbaren Energien i.S.d. § 3 EEWärmeG und Ersatzmaßnahmen gem. § 7 EEWärmeG differenziert (VG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 16. Juni 2021 – 1 K 5140/18). Kommunen können sich und den örtlichen Energieversorgern durch den Erlass von Wärmeversorgungssatzungen mit Anschluss- und Benutzungszwang nicht nur einen hohen Anschlussgrad an örtliche Wärmenetze sichern, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende leisten. In der Ausgestaltung ihrer Satzungsregelungen sind kommunale Satzungsgeber jedoch stets an höherrangiges Recht gebunden. Wie die neuerliche Entscheidung des VG Freiburg verdeutlicht, kann eine fehlerhafte Ausgestaltung der Befreiungsmöglichkeiten in kommunalen Wärmeversorgungssatzungen zur Unwirksamkeit der gesamten Satzung führen.
Das VG Freiburg sieht in der Ausgestaltung des Befreiungstatbestandes der zuletzt erlassenen verfahrensgegenständlichen Wärmeversorgungssatzung einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und gegen höherrangiges Recht. Nach der besagten Regelung wurden Grundstückseigentümer, die emissionsarme bzw. emissionsfreie Energieformen im Sinne von Ersatzmaßnahmen nach § 7 Abs. 1 EEWärmeG nutzten, von der Möglichkeit einer Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang ausgeschlossen. Das VG Freiburg stellt hierzu klar, dass es den satzungsgebenden Kommunen gerade nicht freistehe, selbst über die Festlegung von Ausnahmen und Befreiungen vom Anschluss- und Benutzungszwang in ihren Satzungen zu befinden, da solche insbesondere aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unabdingbar seien. Bei der Ausgestaltung der Befreiungstatbestände habe der kommunale Satzungsgeber insbesondere den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Gleichheitssatz zu beachten, wonach wesentlich Gleiches auch gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln sei. Die Beklagte, die in ihrer Wärmeversorgungssatzung zur Definition des Begriffs der „Erneuerbaren Energien” selbst auf das EEWärmeG Bezug genommen hatte, berücksichtigte nach Feststellung des VG Freiburg nicht, dass § 7 EEWärmeG zur Nutzung von Erneuerbaren Energien Verpflichteten die Möglichkeit einräumte, auf den Einsatz umwelt- und klimapolitisch vergleichbarer Alternativen (sog. Ersatzmaßnahmen) zurückzugreifen. Der Gesetzgeber hat demnach im EEWärmeG der Nutzung Erneuerbarer Energien bei der Schaffung nachhaltiger Energieversorgung keinen Vorrang vor der Durchführung geeigneter Ersatzmaßnahmen eingeräumt. Auch das mittlerweile in Kraft getretene Gebäudeenergiegesetz (GEG) ermöglicht es den Eigentümern neu errichteter Gebäude, ihrer Pflicht zur Schaffung einer Wärmeversorgung aus Erneuerbaren Energien durch den Einsatz von Wärmepumpen oder mittels Nutzung von Abwärme nachzukommen, § 42 GEG. Das VG Freiburg betont vor diesem Hintergrund, die in der verfahrensgegenständlichen Satzung vorgenommene – gleichheitswidrige - Differenzierung zwischen dem Einsatz Erneuerbarer Energien und der Vornahme geeigneter Ersatzmaßnahmen laufe letztlich auch den vom Satzungsgeber formulierten klimatologischen Erwägungen zuwider, da die von der Kommune zugrunde gelegten klimapolitischen Ziele mit Ersatzmaßnahmen i.S.d. § 7 EEWärmeG in gleicher Weise - und unter Umständen sogar besser – erreichbar seien. Darüber hinaus sieht das VG Freiburg in dem Umstand, dass die Beklagte in ihrer Regelung über die Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang keine Ausnahmen für die Nutzung regenerativer oder diesen gleichgestellten Energiequellen zugelassen hat, einen Verstoß gegen höherrangiges Recht. Die Satzung entspreche insoweit nicht der landesrechtlich gebotenen Ausgestaltung des Anschluss- und Benutzungszwangs unter Berücksichtigung von §§ 3 Satz 3, 35 AVBFernwärmeV und der Staatszielbestimmungen in Art. 3a Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg bzw. Art. 20a GG. Zwar seien Kommunen bei der Ausgestaltung ihrer Satzungen nicht gehalten, die Regelungen aus § 3 Satz 3 AVBFernwärmeV vollständig zu übernehmen, allerdings sei die öffentliche Fernwärmeversorgung verbraucherfreundlich auszugestalten. Vor diesem Hintergrund seien Befreiungsmöglichkeiten für die Deckung des Wärmebedarfs durch die Nutzung regenerativer oder diesen gleichgestellten Energiequellen vorzusehen, soweit dies dem Zweck des Anschluss- und Benutzungszwangs nicht entgegenstehe und es der Kommune wirtschaftlich zumutbar sei. Darüber hinaus leite sich aus Art. 20a GG die Verpflichtung des Staates zum Klimaschutz und zur Herstellung von Klimaneutralität ab, weshalb die Nichtberücksichtigung energiesparender Technologien zur Wärmegewinnung im Rahmen von Befreiungstatbeständen insbesondere dann besonders begründungsbedürftig sei, wenn der für die Nutzung der emissionsarmen bzw. emissionsfreien Energien benötigte Strom selbst zu 100 Prozent aus regenerativen Energien gewonnen werde. Nach Einschätzung des VG Freiburg werden Grundstückseigentümer durch die Nichtberücksichtigung gleichgestellter Energiequellen im Rahmen der Befreiungsmöglichkeiten vom Anschluss- und Benutzungszwangs jedenfalls in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG betroffen, da ihnen die Nutzung anderer umweltschonender und ggf. kostengünstigerer Alternativen zur Wärmeversorgung des Grundstücks verwehrt wird. Eine solche Grundrechtseinschränkung ist nach Einschätzung der Verwaltungsrichter vorliegend schon nicht durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt und weder geeignet noch erforderlich oder angemessen. Dem Interesse der Beklagten an einem gewissen Anschlussgrad kann schließlich nach Einschätzung des VG Freiburg dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass in entsprechenden Satzungen auch Ablehnungsgründe für Befreiungsanträge vorgesehen werden können, soweit eine Befreiung der Gemeinde wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Da es sich bei der Regelung zu den Befreiungsmöglichkeiten um einen wesentlichen Bestandteil der Satzung handelte, ohne den die Satzung im Übrigen nicht vollständig gewesen wäre, hat das VG Freiburg die Unwirksamkeit der Befreiungsregelungen und infolge dessen auch die Unwirksamkeit der Fernwärmesatzung im Ganzen festgestellt. Das Urteil ist ein Rückschlag für die Dekarbonisierung von Fernwärmeversorgung. Die für die Dekarbonisierung erforderlichen Investitionen und deren Refinanzierung über Fernwärmeentgelte, die gegenüber dezentralen Erzeugungssystemen im Einzelfall nicht wettbewerbsfähig sein können, können nur auf der Grundlage der Absatzsicherung durch Anschluss- und Nutzungszwangssatzungen getätigt werden. Insofern ist es aus ökologischen Allgemeinwohlinteressen gerechtfertigt, dass individuelle Interessen, auch wenn diese im Einzelfall durchaus mit vergleichbaren oder sogar geringeren CO2-Emissionen verbunden sind, zurückstehen müssen. Insofern wäre wohl eher die Gesamt-CO2-Vermeidungsleistung eines Fernwärmesystems in ein Verhältnis zu individuellen CO2-Vermeidungsleistungen zu setzen. Es bleibt zu hoffen, dass sich Fernwärmeversorger deshalb zukünftig trotz der Entscheidung des VG Freiburg nicht davon abhalten lassen, eine durch öffentliche-rechtliche Anschluss- und Nutzungszwangssatzung abgesicherte Dekarbonisierung der Wärmeversorgung voranzutreiben und Gerichte nicht nur immer juristisch bremsen, sondern einen rechtssicheren Weg bestätigen werden.
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Joachim Held
Rechtsanwalt, Mag. rer. publ.
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Victoria von Minnigerode
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