Die Kompetenz des Schuldners im Rahmen der Eigenverwaltung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Insolvenzverfahren

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Diese Ausarbeitung beschäftigt sich mit der streitigen Frage nach der Kompetenz des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Insolvenzverfahren nach § 270a InsO. Ob und inwiefern dem Schuldner eine solche Begründungskompetenz zusteht, wurde in der Rechtsprechung kontrovers entschieden. Eine höchstrichterliche Entscheidung diesbezüglich steht noch aus. Dies hat zur Folge, dass in diesem Bereich große Rechtsunsicherheit besteht, die gravierende Auswirkungen auf die Effektivität der Eigenverwaltung während des vorläufigen Insolvenzverfahrens hat. Im Zuge dieses Beitrags wird neben der Darstellung des Meinungsstreits auch dessen Konsequenzen und eine Lösungsmöglichkeit aufgezeigt.
 

Streitstand

Einer Auffassung nach könne der Insolvenzschuldner im vorläufigen Verfahren nach § 270a InsO ohne Weiteres Masseverbindlichkeiten begründen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass es im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO im Gegensatz zum Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO gerade an einer gesetzlichen Regelung fehle, wonach das Gericht den Schuldner zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 270b Abs. 3 InsO ermächtigen müsse. Dies sei so auszulegen, dass der Gesetzgeber offenkundig wie selbstverständlich davon ausgehe, dass in der vorläufigen Eigenverwaltung der Schuldner selbst Masseverbindlichkeiten begründen könne.

Andere Stimmen in der Rechtsprechung und Literatur sind dagegen der Auffassung, dass der Insolvenzschuldner während des Verfahrens nach § 270a InsO gerade aufgrund des Fehlens einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung wie des § 270b Abs. 3 InsO gar keine Masseverbindlichkeiten begründen könne. Dies gelte auch für den vorläufigen Sachwalter. Schon im Regelinsolvenzverfahren obläge die Begründungskompetenz von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Insolvenzverfahren entsprechend den §§ 21, 22, 55 Abs. 2 InsO lediglich dem vorläufigen starken Insolvenzverwalter. Dies sei darauf zurückzuführen, dass dem vorläufigen starken Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO die gesetzliche Pflicht zuteilwerde, das Unternehmen im Antragsverfahren fortzuführen. Die Fortführung eines Unternehmens ohne die Möglichkeit zur Begründung von Masseverbindlichkeiten sei jedoch so gut wie unmöglich. Aus der gesetzlichen Pflicht entspringe demnach auch das Recht, Handlungen vornehmen zu können, die zur Erfüllung der Pflichten unabdingbar seien. Das Gleiche gelte gemäß § 22 Abs. 2 InsO auch für den vorläufigen schwachen Insolvenzverwalter, dem ausnahmsweise für gewisse Einzelfälle eine Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten vom Gericht zu erteilen sei (Näheres dazu unten). In einem Verfahren nach § 270a InsO treffe jedoch weder den Schuldner noch den vorläufigen Sachwalter die gesetzliche Pflicht zur Fortführung des Unternehmens, sodass diesen eine derartige Kompetenz aus Verhältnismäßigkeitserwägungen nicht zuzusprechen sei.

Ein dritter Teil der Rechtsprechung geht wiederum davon aus, dass Masseverbindlichkeiten des Schuld-ners nur mit einer Einzelermächtigung nach §§ 270a, 22 Abs. 2, 55 Abs. 2 InsO begründet werden könnten, und stützt diese Auffassung auf die Einzelermächtigungsrechtsprechung des BGH. In dieser Entscheidung führte der BGH aus, dass auch dem vorläufigen schwachen Insolvenzverwalter durch Einzelermächtigung des Gerichts die Befähigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in der vorläufigen Insolvenz gewährt werden könne, soweit dies für eine erfolgreiche Verwaltung nötig sei. Diese Rechtsprechung soll auf den hiesigen Fall übertragen werden, sodass dem Schuldner bzw. dem vorläufigen Sachwalter ebenfalls nach entsprechender Abwägung des Gerichts eine Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erteilt werden könne.
 
Fraglich bliebe mit Blick auf die Einzelermächtigungsrechtsprechung des BGH nur, wem eine solche Ermächtigung zu erteilen sei, dem Schuldner oder dem vorläufigen Sachwalter. Die wohl herrschende Meinung geht davon aus, dass dem Schuldner eine solche Ermächtigung zu erteilen sei. Diese Lösung entspräche sowohl der gesetzlichen Systematik als auch dem Sinn und Zweck der durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) reformierten Vorschriften über die Eigenverwaltung. Gemäß § 270a Abs. 1 S. 2 InsO werde, falls das Gericht nach § 270a Abs. 1 S. 1 InsO von der Bestellung eines „starken” vorläufigen Insolvenzverwalters absehe, anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter bestellt, auf den die §§ 274, 275 InsO entsprechend anzuwenden seien. Dem vorläufigen Sachwalter werden im Eröffnungsverfahren keine weitergehenden Befugnisse zugebilligt als dem Sachwalter im eröffneten Verfahren bei angeordneter Eigenverwaltung, dessen Funktion sich gemäß §§ 274, 275 InsO auf die Überwachung des Schuldners, die Mitwirkung an Rechtshandlungen und auf Mitteilungspflichten beschränke. Von einem Gleichlauf der Befugnisse des vorläufigen Sachwalters und des Sachwalters im eröffneten Verfahren sei ausweislich der Gesetzesmaterialien auch der Gesetzgeber ausgegangen. Folgerichtig könne der vorläufige Sachwalter auch nicht Adressat einer Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten sein. Vielmehr fände eine „vorläufige Eigenverwaltung” durch den Schuldner selbst statt, dessen privatautonome Verwaltungs- und Verfügungsmacht über sein Vermögen gegebenenfalls durch Einzelermächtigungen des Insolvenzgerichts gemäß §§ 270 Abs. 1 S. 2, 21 Abs. 1 S. 1 InsO erweitert werden könne.
 

Konsequenzen und Lösungsansatz

Würde man der ersten Auffassung folgen, so müsste man dem Insolvenzschuldner im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens in der Eigenverwaltung eine Massebegründungskompetenz gänzlich absprechen. Dies hätte zweifelsfrei zur Folge, dass kaum einer das Risiko auf sich nehmen würde, Rechtsgeschäfte mit dem Insolvenzschuldner während desn Verfahrens nach § 270a InsO abzuschließen. Die Geschäfte des Insolvenzschuldners würden während des Eröffnungsverfahrens gänzlich brachliegen. Das Unternehmen könnte kaum noch fortgeführt werden. Dabei ist Sinn und Zweck des Verfahrens regelmäßig nicht die Zerschlagung, sondern die Sanierung eines Unternehmens. Somit würde die Beantragung der Eigenverwaltung im vorläufigen Insolvenzverfahren aufgrund einer mangelnden Masseverbindlichkeitsbegründungskompetenz das beabsichtigte Ziel der Sanierung nicht mehr fördern, sondern vereiteln.

Dies kann so vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. Es wird daher davon ausgegangen, dass sich der BGH dieses Risikos bewusst ist und einer dahingehenden Rechtsauffassung nicht folgen würde. Dennoch bleibt die Frage offen, unter welchen Voraussetzungen und wem eine Masseverbindlichkeitsbegrün-dungskompetenz zuzusprechen ist.

Aus dieser Rechtsunsicherheit können sich erhebliche Risiken ergeben, bedenkt man, dass dem Schuldner oder Sachwalter ggf. eine allgemeine Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten höchstrichterlich abgesprochen wird und eine Einzelermächtigung nicht rückwirkend erteilt werden kann. Verfügungen des Schuldners oder Sachwalters im Verfahren nach § 270a InsO könnte letztlich die Legitimation fehlen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es für den Schuldner im Verfahren nach § 270a InsO ratsam, gestützt auf Einzelermächtigungsrechtsprechung des BGH, sich stets eine Ermächtigung des Gerichts einzuholen.

Lehnt das Gericht die Erteilung einer Einzelermächtigung für den Schuldner ab, bliebe, neben etwaigen Rechtsmitteln gegen diese Entscheidung, eine Einzelermächtigung zugunsten des vorläufigen Sachwalters und des Schuldners. Auch wenn Bedenken gegen die praktische Umsetzbarkeit dieser „doppelten Kompetenz” bestehen, treten diese Bedenken jedoch im Vergleich zur gewonnenen Rechtssicherheit zurück. Sollte der BGH der Auffassung folgen, es bedürfe einer Ermächtigung, so könnte durch die „doppelte Kompetenz” die Begründung einer Masseverbindlichkeit sichergestellt werden, da zumindest einer der beiden hierzu ermächtigt wäre. Dabei wäre es unschädlich, wenn einer der beiden zu Unrecht ermächtigt war. Hinzu kommt, dass der Schuldner im eröffneten Verfahren nach § 275 InsO Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters und Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nicht gegen den Widerspruch des Sachwalters eingehen soll. Dieser Rechtsgedanke wird regelmäßig in das Antragsverfahren übertragen, und schon dort findet eine enge Abstimmung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter statt. Die „doppelte Kompetenz” von Schuldner und vorläufigem Sachwalter würde also bei ihrer Umsetzung in der Praxis auf durchaus geübte Mechanismen treffen.
 
Aus der Sicht des Gläubigers, also aus der Sicht des Vertragspartners im Verfahren nach § 270a InsO, empfiehlt sich im Übrigen in jedem Fall eine „doppelte Kompetenz”. Losgelöst von etwaigen Umsetzungsschwierigkeiten, interessiert sich der Gläubiger hier allein für die größtmögliche Rechtssicherheit. Diese könnte mit einer „doppelten Kompetenz” erreicht werden. Dem teilweise anzutreffenden Einwand, dem Schuldnerfehle im Verfahren nach § 270a InsO, anders als im Verfahren nach § 270b InsO, die Kompetenz zum Abschluss von Verträgen (z. B. von Kredit- oder Sicherheitenverträgen), würde mit einer „doppelten Kompetenz” die Grundlage entzogen.

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