Pflegeheime in der Krise trotz gesamtwirtschaftlicher Hochkonjunktur – oder auch gerade deshalb? Ein Praxisbericht

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veröffentlicht am 19. Juni 2018

 

Gerade vor dem Hintergrund der derzeit guten wirtschaftlichen Lage in Deutschland ist die Zahl der Insolvenzen massiv zurück-gegangen. In der Gesundheits- und Sozialwirtschaft verursacht jedoch diese sehr gute konjunkturelle Gesamtlage zunehmend Probleme. Insbesondere die begehrten Pflegefachkräfte, aber auch Leitungskräfte, sind nur noch schwer auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Einerseits steigt die Zahl der pflegebedürftigen Menschen kontinuierlich an, andererseits finden sich nicht genügend Fachkräfte.

 

In der Beratungspraxis begegnen uns trotz guter gesamtwirtschaftlicher Lage immer mehr Pflegeheime in akuten Krisensituationen. Die Ursachen hierfür sind in der Regel ähnlich:

 

Unzureichend verhandelte Pflegesätze

Die Verhandlung der Pflegesätze einer stationären Einrichtung in auskömmlicher Höhe ist ein entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg. Trotzdem sind bei Krisenunternehmen oftmals Versäumnisse der letzten Jahre ausschlaggebend. Es wurde vielfach über Jahre hinweg keine Erhöhung der Pflegesätze verhandelt, da man am Ort preislich wettbewerbsfähig bleiben wollte. Da jedoch die Löhne und Gehälter sowie die Preise von bezogenen Leistungen stetig steigen, führt dies zu einer zwangsläufigen Reduzierung des Ergebnisses. Gerade der sehr sensible Bereich der Pflegesatzverhandlungen sollte durch interne oder externe Fachexperten professionell durchgeführt werden, da auf der Seite der Kostenträger stets äußert professionelle Verhandler der Pflegekassen anzutreffen sind.

 

Fachkräftemangel und Leiharbeit

Seit einigen Jahren fällt es Pflegeeinrichtungen, insbesondere in peripherer Lage, besonders schwer, freiwerdende Stellen nachzubesetzen. Da jedoch in der Regel ein entsprechender Personalschlüssel mit den Kostenträgern vereinbart wurde, der eingehalten werden muss, sehen sich Betreiber von Pflegeeinrichtungen regelmäßig gezwungen, Leiharbeitnehmer anzufordern und einzusetzen. Deren hohe Kosten sind jedoch in der Pflegesatzkalkulation nicht berücksichtigt und führen unweigerlich zu einer immensen Erhöhung der Personalkosten. Unter den Betreibern ist mittlerweile ein regelrechter Kampf um Mitarbeiter zu beobachten. Die begehrten Fachkräfte können sich die Stellen aussuchen und werden nicht selten mit Unterschriftsprämien oder sogar Dienstwagen zur Privatnutzung gelockt. Dies ist insoweit nachvollziehbar, da in der Beratungspraxis moderne und gut nachgefragte Pflegeeinrichtungen freiwerdende Bewohnerplätze trotz Warteliste nicht mehr nachbelegen dürfen, da schlichtweg die Fachkräfte fehlen, um den Personalschlüssel bzw. die Fachkraftquote zu erfüllen. So kann alleine der Mangel an Personal zu einer akuten und bedrohlichen Krise für Einrichtungen werden. Eine gute Personalstrategie und für Mitarbeiter ansprechende „weiche Faktoren” wie flexible Arbeitszeiten oder Teilzeitmodelle können hier zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen, denn diese sind für Mitarbeiter oder Bewerber oftmals mehr wert als ein höheres Gehalt.

 

Bauliche Anforderungen verschärft – erste Fristen laufen aus

In den vergangen Jahren haben die meisten Bundesländer die Vorgaben zur baulichen bzw. räumlichen Beschaffenheit von stationären Pflegeeinrichtungen massiv verschärft. So ist beispielsweise in Bayern mit dem Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (PfleWoqG) und der zugehörigen Ausführungsverordnung oder in Nordrhein-Westfalen mit dem Wohn- und Teilhabegesetz (WTG) eine deutliche Verschärfung der baulichen Anforderungen eingetreten. Es bestand zwar die Möglichkeit in nahezu allen Bundesländern eine Fristverlängerung oder gar Befreiung von diesen Vorschriften zu beantragen, doch laufen diese Fristverlängerungen nun, wie zum Beispiel in NRW zum 1. August 2018, aus. Laut Meldung der CareInvest vom 3. April 2018 sind alleine in Nordrhein-Westfalen 557 Pflegeeinrichtungen betroffen. Diese müssen zwar nicht schließen, dürfen freiwerdende Doppelzimmer aber nurmehr als Einzelzimmer nachbelegen. Dies wird für einige Marktteilnehmer zu kaum zu verkraftenden Einnahmeverlusten führen. Ebenso wird sich für die Bevölkerung die Versorgungssituation weiter anspannen.
 

Was tun als Pflegeheimbetreiber?

Aus den drei exemplarisch genannten Problemfeldern würde in der Regel bereits eines reichen, um möglicherweise eine kritische wirtschaftliche Situation herbeizuführen. Demnach sind die Betreiber auch in Zeiten einer sehr guten gesamtwirtschaftlichen Lage gut beraten, immer wachsam zu bleiben und ein engmaschiges Controlling in ihrer Einrichtung zu installieren. Sollten  bereits erste Anzeichen einer sich anbahnenden Krise erkennbar sein, ist das Hinzuziehen eines Fachexperten oftmals zur Rettung des Pflegeheims unabdingbar. Gerade bei bestehenden Darlehensverpflichtungen sind die Kreditinstitute in der Regel verpflichtet, ein entsprechendes Gutachten über die Wirtschaftlichkeit und Sanierungsfähigkeit einzufordern.

 

Ein entsprechend branchenkundiger Berater wird gemeinsam mit der Unternehmensleitung dann die Situation analysieren und Restrukturierungsmaßnahmen gemeinsam erarbeiten. Wichtig ist insbesondere die Begleitung der Maßnahmen-umsetzung, damit es keine Rückschläge gibt. Die Sanierung des Unternehmens kann hierbei sowohl außerhalb als auch innerhalb eines Insolvenzverfahrens durchgeführt werden. Gerade das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) zeigt hier interessante Gestaltungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren, auf.

 

Fazit

Die Pflegebranche ist ein hoch spannender und wichtiger Teil der Gesundheitswirtschaft, hat jedoch mit einer knappen Finanzierung und massivem Fachkräftemangel zu kämpfen. Nur Betreiber, die in die Zukunft sehen und ihre finanzwirtschaftliche Situation kennen, werden sicher durch diese Herausforderungen steuern können. Wer vorbereitet ist und die Fallstricke kennt, kann diesen gezielt begegnen und das Unternehmen für die Zukunft stärken.

 

Kontakt

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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