Der Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz – Sind noch Änderungen zu erwarten?

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veröffentlicht am 11. Juli 2022

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Was lange währt, wird endlich gut, oder? Lange wurde darauf gewartet, jetzt ist er da: Der Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz. In unserer letzten Kompass-Ausgabe haben wir Ihnen bereits die zu erwartenden Regelungen dargestellt. Was an den Regelungen kritisch zu sehen ist und welche Relevanz das für unsere Branche, die Gesundheits- und Sozialwirtschaft hat, erfahren Sie in dem nachfolgenden Artikel.


 

Seit gut 2 Jahren gibt es nun die Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, die sog. Whistleblower-Richtlinie der EU. Der Hintergrund: Hinweisgeber, die als Arbeitnehmer auf Rechtsverstöße ihres Arbeitgeberunternehmens aufmerksam machen könnten und das vielleicht auch wollen, sind nach Einschätzung der EU einem nicht unerheblichen Risiko ausgesetzt, nach Absetzen ihres Hinweises in ihrem Arbeitsverhältnis Repressalien ausgesetzt zu sein und sehen möglicherweise aus diesem Grund von einem Hinweis ab. Diesem vermuteten Effekt soll mit der Richtlinie entgegengewirkt werden. Die Mitgliedsstaaten wurden daher verpflichtet, bis zum 17.12.2021 hierzu ein nationales Gesetz zu erlassen.

 

Nachdem bereits ein Entwurf der ehemaligen Justizministerin Christine Lambrecht wegen Unstimmigkeiten innerhalb der ehemaligen Regierung gescheitert war, wurde Mitte April ein neuer Referentenentwurf aus dem Justizministerium vorgelegt.

 

Dieser sieht sich nun erheblicher Kritik ausgesetzt. Stimmen, die eine Nachbesserung fordern, werden daher – in einigen Punkten auch nachvollziehbar - immer lauter.

 

Wir möchten Ihnen nachfolgend die kritikwürdigen Punkte darlegen:

 

1. Persönlicher Anwendungsbereich

Der persönliche Anwendungsbereich ist weit gefasst, er erfasst alle Personen, die potenziell Kenntnis von einem Verstoß im beruflichen Umfeld erlangt haben können. Nur so könne den Anforderungen an die Umsetzung der Richtlinie Rechnung getragen werden, da der europarechtliche Arbeitnehmerbegriff sehr viel weiter gefasst ist als der nationale. Auch erfasst werden bspw. Personengruppen wie Selbstständige, Freiwillige und Organmitglieder von Gesellschaften wie z. B. Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Zudem sind hinweisgebende Personen geschützt, deren Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich gekündigt wurde, deren Arbeitsverhältnis noch nicht begonnen hat oder die sich in einem Bewerbungsverfahren befinden.

 

Auch der erforderliche „Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit” ist weit zu verstehen, er reduziert sich nicht bloß auf das formale Arbeits- oder Dienstverhältnis. Insbesondere ist nicht beachtlich, ob die Arbeit vergütet wird oder nicht, maßgeblich ist der reine Zugang zu Informationen über Verstöße.

 

Nicht geschützt wird die Meldung oder Offenlegung von Informationen über privates Fehlverhalten, das keinen Bezug zur beruflichen Tätigkeit hat. Dies gilt insbesondere auch für die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht von Beamtinnen und Beamten, die ausdrücklich nicht zu einer Einbeziehung in den Anwendungsbereich führen soll.

 

Und hier wird auch der erste Kritikpunkt angesiedelt. Stimmen werden laut, die hier zum Beispiel auf die Berichte über rechtsextremes Verhalten von Polizistinnen und Polizisten  hinweisen. Eine Meldung dieses Verhaltens schließt der aktuelle Gesetzesentwurf aus.

 

2. Sachlicher Anwendungsbereich

Hinweisgebende Personen sollen auf den Schutz des Gesetzes vertrauen können, wenn sie erhebliche Verstöße gegen Vorschriften melden. Von einem erheblichen Verstoß ist in all jenen Fällen auszugehen, in denen der Gesetzgeber einen Verstoß als strafbewehrt ansieht. Anderenfalls käme es zu Wertungswidersprüchen im Verhältnis zu den sonstigen Verstößen, die in Umsetzung der Richtlinie zwingend vom sachlichen Anwendungsbereich zu erfassen sind.

 

Einen ebenso „erheblichen Verstoß gegen Vorschriften” stellt die Verletzung einer Vorschrift dar, die bußgeldbewehrt ist und dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter wie Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient. Eine Vorschrift dient immer dann dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane, wenn sie gerade diesen Schutz bezweckt oder dazu beiträgt, den Schutz der genannten Rechtsgüter und Rechte zu gewährleisten.

 

Auch dieser Punkt wird kritisch gesehen. So wäre gerade die seinerzeitige Berliner Altenpflegerin, die auf Missstände in der Pflege aufmerksam gemacht hat und deswegen gekündigt wurde, gerade nicht geschützt. Dies ist widersprüchlich, da wirksame Compliance nur dort gelingen kann, wo wirklich umfassender Schutz derjenigen garantiert wird, die Missstände offenlegen. Es kann dem Hinweisgeber und Hinweisgeberinnen als möglicherweise juristischem Laien nicht zugemutet werden, selber eine entsprechende Abwägung vornehmen zu müssen.

 

Denn es kann immer auch bei ethisch fragwürdigen Sachverhalten ein erhebliches öffentliches Interesse an der Aufklärung bestehen. Auch nicht geschützt wären Hinweise bei Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

 

Besonders erwähnenswert ist an diesem Punkt aber auch der Umstand, dass im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, dass gerade diese Meldungen geschützt werden sollen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die übrigen Ministerien positionieren.

 

3. Keine Anwendung bei besonders sensiblen Bereichen

Der Entwurf sieht zudem auch keine Anwendung des Gesetzes bei Meldungen aus besonders sensiblen Bereichen vor, also solchen Bereichen, die das Staatswohl betreffen, wenn Meldungen über Verschlusssachen erfolgen oder wenn hierdurch die Verschwiegenheitsplicht verletzt werden würde.

 

Die Meldung von Geschäftsgeheimnissen ist dagegen möglich, wenn die Voraussetzungen des Gesetzes ansonsten erfüllt sind.

 

Auch diese Einschränkungen werden bereits kritisch diskutiert. die Verfasserin und der Verfasser dieses Artikels teilen diese Einschätzung jedoch nicht. Es würde ansonsten zu einer Umgehung der Verschwiegenheitspflicht kommen. Das kann jedoch nicht Sinn des Hinweisgeberschutzes sein.

 

4. Interne und externe Meldekanäle

Der Entwurf sieht die Möglichkeit der Meldung an externe und interne Hinweisgeberkanäle vor. Für die externen Meldungen gilt, dass eine Meldung nur an ganz bestimmte Stellen möglich ist. Hier geht eventuell der Schutz nicht weit genug. Gehen an anderen öffentlichen Stellen Meldungen ein, sollte eine Verpflichtung zur Weiterleitung an die zuständige Behörde bestehen. Es ist dem Meldenden nicht zuzumuten, sich vorher genau über die eingerichteten Meldekanäle zu informieren. Die Hemmschwelle einer Meldung wird so künstlich erhöht.

 

5. Anonyme Meldungen

Dieses gilt ebenso für die Abgabe von anonymen Meldungen. Für diese besteht nach dem aktuellen Referentenentwurf keine Verpflichtung, sie zu verfolgen. Auch hierdurch könnte aber die Hemmschwelle für Meldungen erhöht werden. Viele vertrauen vielleicht nicht darauf, dass die Meldung wirklich vertraulich behandelt wird und tatsächlich keine Repressalien erfolgen. Erhebliche Missstände werden so vielleicht nicht aufgedeckt. Das Hinweisgebersystem wäre ein zahnloser Tiger. Im Übrigen dürfte fraglich sein, ob ein System, das anonyme Meldungen nicht zulässt, als ausreichend angemessen und wirksam im Sinne des Standards des IDW (PS 980) angesehen werden darf.

 

6. Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen

Unternehmen ab mindestens 50 Beschäftigten werden nach dem Referentenentwurf verpflichtet, interne Meldestellen einzurichten.

 

Dadurch, dass sich kleinere Unternehmen für das Betreiben einer internen Meldestelle zusammenschließen können, soll es möglich sein, Ressourcen zu schonen und eine kostengünstige und wenig aufwendige Lösung zu finden. Hierdurch soll eine ökonomische Überlastung vermieden werden. Meldestellen können somit zentral im Konzern eingerichtet werden. Auch für Gemeinden, für die sich die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen nach dem jeweiligen Landesrecht richtet, kann dieses vorsehen, dass Gemeinden und Gemeindeverbände interne Meldestellen gemeinsam betreiben können.

 

Mit dieser Vorschrift liegt jedoch eine eindeutige Missachtung der Vorgaben in der Richtlinie vor, die gerade einen solchen Zusammenschluss innerhalb eines Konzerns oder mehrerer kleiner Unternehmen ausdrücklich ausgeschlossen hat. Es wird hier somit mit großer Wahrscheinlichkeit, wird hier nicht im Vorfeld nachgebessert, ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden.

 

Fazit

Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzesentwurf am Ende zur endgültigen Abstimmung gelangt. Diskussionslos wird das aber sicherlich nicht erfolgen.

 

Sicher ist nur, dass ein entsprechendes Gesetz bald in Kraft treten wird, das eher noch strengere Regeln haben wird als der jetzige Referentenentwurf vorsieht. Informieren Sie sich daher rechtzeitig über die Möglichkeiten, Hinweisgeberkanäle bei sich rechtswirksam einzurichten.

 

 

 

 

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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