Barrierefreiheit stellt erhebliche „Hürden” für Unternehmen und Aufgabenträger dar

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Das Thema Barrierefreiheit ist nicht vollkommen neu, denn auch in der früheren, bis zum 31. Dezember 2012 gültigen Fassung des PBefG fanden sich Vorschriften zur Berücksichtigung des Ziels einer möglichst weitreichenden Barrierefreiheit behinderter und anderer Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung im Nahverkehrsplan des ÖPNV-Aufgabenträgers.
​​Die PBefG-Novelle zum 01. Januar 2013 bringt jedoch einige wichtige weitergehende Aspekte zur Barrierefreiheit und zwar sowohl für den ÖPNV wie den Busfernverkehr.
 
Der Nahverkehrsplan des ÖPNV-Aufgabenträgers hat nach der novellierten Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 3 PBefG die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des ÖPNV bis zum 01. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Das gesetzgeberische Ziel ist dadurch nicht mehr eine möglichst weitreichende, sondern die vollständige Barrierefreiheit. Weiterhin ist eine zeitliche Vorgabe zur Erreichung dieses Ziels bis zum 01. Januar 2022 aufgenommen worden. Von dieser Frist kann gemäß § 8 Abs. 3 Satz 4 PBefG nur abgewichen werden, wenn im Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden. Darüber hinaus bestimmt § 62 Abs. 2 PBefG, dass die Länder – soweit dies nachweislich aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unumgänglich ist – den in § 8 Abs. 3 Satz 3 PBefG genannten Zeitpunkt abweichend vom 01. Januar 2022 festlegen, sowie Ausnahmetatbestände bestimmen können, die eine Einschränkung der Barrierefreiheit rechtfertigen.
  
Erweitert wurde der Kreis der bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans anzuhörenden Personengruppen. Eine Anhörung war bislang nur von Behindertenbeauftragten und Behindertenbeiräten des ÖPNV-Aufgabenträgers erforderlich. Bei der Aufstellung eines Nahverkehrsplans nach dem novellierten PBefG sind gemäß § 8 Abs. 3 Satz 6 zusätzlich auch die Verbände der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Fahrgäste und die Fahrgastverbände anzuhören. Deren jeweilige Interessen sind angemessen und diskriminierungsfrei nach § 8 Abs. 3 Satz 7 PBefG zu berücksichtigen.
 
Ergänzt werden die Regelungen zur Barrierefreiheit im ÖPNV um Vorschriften zum nunmehr liberalisierten Personenfernverkehr. Auch der Personenfernverkehr hat den Belangen behinderter Menschen Rechnung zu tragen. Dies ergibt sich aus § 42b PBefG, wonach Kraftomnibusse, die im Personenfernverkehr eingesetzt werden, bestimmte technische Anforderungen zu erfüllen haben und mit mindestens zwei Stellplätzen für Rollstuhlfahrer ausgerüstet sein müssen. Dies gilt gemäß § 62 Abs. 3 PBefG ab dem 01. Januar 2016 für erstmals zum Verkehr zugelassene Kraftomnibusse und nach Ablauf des 31. Dezember 2019 für alle Kraftomnibusse.
 
Für die ÖPNV-Aufgabenträger ergibt sich durch die gesetzliche Zielvorgabe der vollständigen Barrierefreiheit ein erhöhter Planungs-, Abstimmungs- und Finanzierungsbedarf. Nach § 8 Abs. 3 Satz 5 PBefG sind die erforderlichen Maßnahmen im Nahverkehrsplan zu benennen. Neben Modifikationen an Haltestellen und anderen Infrastruktureinrichtungen (etwa Höhe der Bordsteinkanten, Lifte, akustische Fahrgastinformationen, etc.) können auch Anpassungen der eingesetzten Fahrzeuge an die besonderen Bedürfnissen von in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen in Betracht kommen. Bei zahlreichen ÖPNV-Aufgabenträgern sind unter der alten Rechtslage, die nur eine möglichst weitreichende Barrierefreiheit vorsah, die mit eher geringen technischen oder finanziellen Aufwendungen umzusetzenden Maßnahmen entweder bereits schon realisiert oder zumindest planerisch eingeleitet worden. Um die vom Gesetzgeber nunmehr geforderte vollständige Barrierefreiheit bis zum 01. Januar 2022 zu erreichen, wird es erforderlich sein, zukünftig auch schwieriger zu realisierende Vorhaben anzugehen, die ein überproportional hohes Investitionsvolumen benötigen.
 
Mag der Zielzeitpunkt des 01. Januars 2022 auch noch in weiter Ferne liegen, ist eine vorausschauende Planung der ÖPNV Aufgabenträger mit einer sinnvollen Aufteilung der Maßnahmen auf die folgenden Jahre gemäß § 8 Abs. 3 Satz 5 PBefG unerlässlich. Abweichungen in zeitlicher Hinsicht vom Ziel der vollständigen Barrierefreiheit bis zum 01. Januar 2022 sind nach § 8 Abs. 3 Satz 4 PBefG für den ÖPNV-Aufgabenträger möglich. Sie eröffnen mehr Flexibilität. Allerdings stellen sie eine Ausnahme von dem Grundsatz, den der Gesetzgeber vorgegeben hat, dar und sind deshalb gründlich zu prüfen sowie im Nahverkehrsplan durch den ÖPNV-Aufgabenträger konkret zu benennen und zu begründen.

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Jörg Niemann

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