Verwertung von rechtswidrig erlangten Beweismitteln im ungarischen Zivilprozess

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veröffentlicht am 21. Februar 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten

  

In Zivilprozessen kommt es mitunter vor, dass eine Partei ihre Behauptungen mit Beweismitteln zu untermauern versucht, die rechtswidrig sein können. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Beweismittel auf rechtswidrige Weise erstellt oder erlangt wurden, z.B. wenn eine Bild- oder eine Tonaufnahme ohne Zustimmung der betreffenden Person gemacht oder verwendet wurde.

  

      

Vor dem Inkrafttreten der neuen ungarischen Zivilprozessordnung in 2018, beinhaltete das Zivilprozessrecht keinerlei Bestimmungen, ob und inwieweit Beweismittel, die nicht völlig legal oder nicht in einem rechtmäßigen Kontext erlangt wurden, verwendet werden dürften.

 

Einer der Gründe für das Fehlen der Regulierung war offensichtlich der, dass die Frage der rechtswidrig erlangten Beweismittel eher selten gestellt wurde mit Rücksicht darauf, dass es früher keine solchen technischen Mittel gab, die leicht zur Erstellung und zur Beschaffung rechtswidriger Beweise fähig sind. Mit der Entwicklung der Technologie und dem Aufkommen von Mobiltelefonen und anderen Geräten, die Fotos, Audio- und Videoaufnahmen usw. machen können, hat sich das jedoch geändert, und es bedurfte einer klaren Regelung auch bzgl. dieser Frage.

  

  

Theorien in der Rechtsliteratur

In der Rechtsliteratur haben sich grundsätzlich drei Theorien über die Verwendung rechtswidriger Beweismittel herausgebildet. Nach der ersten Theorie impliziert der Grundsatz der Beweismittelfreiheit, dass das, was das Gesetz nicht verbietet, frei ist und somit rechtsverletzende Beweismittel verwendet werden können; die zweite Theorie besagt, dass die Verwendung rechtsverletzender Beweismittel in Zivilverfahren absolut verboten ist. Die dritte, am weitesten verbreitete und international akzeptierte Theorie betont im Sinne des Grundsatzes der Gegenseitigkeit, dass in jedem Einzelfall abzuwägen ist, welches Interesse wichtiger ist: das berechtigte private Interesse der Partei an der Erbringung von Beweismitteln oder der Schutz der Persönlichkeitsrechte der gegnerischen Partei, wobei auch die Schwere der Rechtswidrigkeit der Erlangung oder Verwendung der Beweismittel zu berücksichtigen ist.

 

Entwicklung der Gerichtspraxis mangels gesetzlicher Regelung

In Ermangelung spezifischer gesetzlicher Bestimmungen hatten die ungarischen Gerichte daher immer wieder in dieser Hinsicht Stellung zu nehmen. Die Rechtsprechung hat sich insbesondere zur Zulässigkeit von Beweisen, die die Persönlichkeitsrechte verletzen, entwickelt, und zwar bereits seit den 1980er Jahren. Ursprünglich lag der Schwerpunkt auf der Wahrheitsfindung, wobei unrechtmäßig angefertigte Audio- oder Videoaufzeichnungen als Beweismittel zugelassen wurden und zwar unabhängig davon, ob diese Beweismittel Persönlichkeitsrechte verletzten oder nicht.

 

Somit durften alle solchen Beweismittel im Prozess verwendet werden, die für den Nachweis der im Prozess zu beweisenden Tatsachen und für die Feststellung der Wahrheit geeignet waren.  Später, im Lauf der Entwicklung der Gerichtspraxis haben sich die Gerichte immer mehr für den Grundsatz der Gegenseitigkeit hinsichtlich der Zulässigkeit des verletzenden Beweismittels ausgesprochen, haben aber im Allgemeinen noch immer die Zulassung rechtswidriger Beweismittel befürwortet. Hierzu haben sich die folgenden zwei Richtungen der Argumentation gebildet: einerseits dürfe laut der entstandenen Gerichtspraxis die Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten nicht missbräuchlich sein, das heißt sie darf kein Mittel sein, um eine Rechtsverletzung zu Lasten des Beweisführers zu verschleiern und durchzusetzen. Andererseits hatten die Gerichte damit argumentiert, dass der Grundsatz der Beweismittelfreiheit bedeute, dass das Gericht in einem Zivilverfahren nicht an formale Beweisregeln, eine bestimmte Beweismethode oder ein bestimmtes Beweismittel gebunden ist, sondern das Gericht jedes Beweismittel verwenden kann, das für den Sachverhalt relevant sein könnte.

 

Die Gerichtspraxis hat dann vor Erlassung der neuen ZPO mit einer Entscheidung der Kurie eine neue Richtung eingeschlagen: laut dieser Entscheidung konnte eine nicht genehmigte Tonaufnahme nur dann als Beweismittel in einem Gerichtsverfahren verwendet werden, wenn sie das einzige Mittel zur Feststellung des wahren Sachverhalts und zur Wahrheitsfindung ist.

  

Gesetzliche Regelung der rechtswidrigen Beweismittel in der ungarischen ZPO

Diese neue Richtung war dann auch bereits in den Entwürfen zur Vorbereitung der neuen Zivilprozessordnung erkennbar: in der Begründung des Gesetzentwurfes der neuen ungarischen ZPO wurde festgehalten, dass mit dem Gesetz eine allgemeine Regel aufgestellt werden soll, wonach keine rechtswidrigen Beweismittel vor Gericht verwendet werden dürfen. Der Hauptgrund für die Festlegung dieser allgemeinen Regel bestehe darin, dass eine Rechtsnorm keine Vorschriften vorsehen dürfe, die die Prozessparteien dazu ermutigen, sich auf rechtswidrige Weise Beweismittel zu beschaffen, die für den Ausgang des Prozesses von Bedeutung sein können.

 

In diesem Sinne ist die neue ung. ZPO am 1.1.2018 in Kraft getreten, die für die Parteien und das Gericht eine Orientierungshilfe bei der Verwendung unzulässiger Beweismittel geben will.

Die neue ungarische Zivilprozessordnung sieht nun vier Kategorien von verletzenden Beweismitteln vor und besagt allgemein, dass sie in einem Verfahren nicht verwendet werden dürfen, wenn:

  • sie unter Verletzung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit oder mit einer diesbezüglichen Bedrohung erworben bzw. erzeugt wurden,
  • sie auf andere rechtswidrige Weise entstanden sind,
  • sie auf rechtswidrige Weise erworben wurden oder
  • deren Einbringung bei Gericht Persönlichkeitsrechte verletzen würde.

   

Daneben gibt es jedoch auch gewichtige Argumente dafür, dass das Gericht auf Grundlage der wahren, begründeten und ordnungsgemäß festgestellten Tatsachen in einem Rechtsstreit entscheidet, wozu gegebenenfalls auch die Würdigung rechtswidriger Beweise im Prozess gehört.

Das Gesetz lässt deswegen eine eingeschränkte Möglichkeit offen, wann rechtswidrige Beweismittel ausnahmsweise durch das Gericht trotzdem berücksichtigt werden können. Demnach darf das Gericht solche Beweismittel unter Abwägung

  • der Eigenheiten und des Umfangs der Rechtsverletzung,
  • des von der Rechtsverletzung betroffenen rechtlichen Interesses,
  • des Gewichts der zur Verfügung stehenden sonstigen Beweise und
  • aller Umstände des Falls

berücksichtigen. Hiervon sind solche Beweismittel allerdings ausgenommen, die unter Verletzung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit oder mit einer diesbezüglichen Bedrohung erworben bzw. erzeugt wurden.

 

Die Partei, die ein solches Beweismittel verwendet, muss allerdings damit rechnen, dass dadurch ihre strafrechtliche, ordnungsstrafrechtliche bzw. zivilrechtliche Haftung unberührt bestehen bleibt. Im Zusammenhang mit den Persönlichkeitsrechten haben die ung. Gerichte jedoch in ihren Urteilen bereits wichtige Hinweise gegeben, die unter anderem festgestellt haben, dass die Person, die sich gegen die Verwendung von Beweismitteln zur Vertuschung einer unwahren Aussage wehrt, nicht auf die Verletzung ihres Persönlichkeitsrechtes Bezug nehmen darf und, dass die Anfertigung einer Tonaufnahme zum Nachweis einer bereits erfolgten Rechtsverletzung im öffentlichen Interesse oder im berechtigten privaten Interesse keinen Missbrauch darstellt, sofern die Anfertigung oder Anwendung der Tonaufnahme im Verhältnis zur nachzuweisen beabsichtigten Rechtsverletzung keinen unverhältnismäßigen Schaden verursacht.

 

Sofern die Partei keine andere Möglichkeit hat, als die mutmaßlich rechtswidrigen Beweismittel zu verwenden, kann sie auch die Anwendung eines sog. Beweisnotstandes beantragen, ebenfalls ein neues Rechtsinstrument in der neuen Zivilprozessordnung. In diesem Fall prüft das Gericht, ob die beweisführende Partei das ihr Zumutbare getan hat, um die rechtmäßigen Beweismittel zu erlangen, oder ob die gegnerische Partei über die zum rechtmäßigen Nachweis erforderlichen Daten verfügt.

 

Gemäß dem Gesetz befindet Sich die Partei in einem Beweisnotstand, wenn sie glaubhaft macht, dass

a) über die für ihren Beweisantrag unerlässlichen Daten nur die Gegenpartei verfügt, und nachweist, dass sie die zu deren Erwerb notwendigen Maßnahmen ergriffen hat,

b) für sie der Beweis der Tatsachenbehauptung nicht möglich ist, von der Gegenpartei aber der Nachweis des Nichtbestehens der behaupteten Tatsachen zu erwarten ist, oder

c) die Gegenpartei, eigenverschuldet den Erfolg der Beweisführung verhindert hat,

und die Gegenpartei die Festlegungen in den Buchstaben a bis b nicht glaubhaft widerlegen kann.

  

Wenn ein Beweisnotstand besteht, kann das Gericht die von der im Beweisnotstand befindlichen Partei zu beweisende Tatsache als richtig annehmen, wenn aus Sicht des Gerichts dahingehend keine Zweifel bestehen.

  

Da das Gesetz die Zulässigkeit der Verwendung von rechtswidrigen Beweismitteln nicht näher regelt, bleibt für die Gerichtspraxis zukünftig die Aufgabe, detailliertere Kriterien für die Zulässigkeit rechtswidrig erlangter bzw. Persönlichkeitsrechte verletzender Beweismittel zu entwickeln.

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