OLG Frankfurt a.M. urteilt: Einseitige Änderung von vertraglichen Preisänderungsklauseln durch Fernwärmeversorgungsunternehmen ist unwirksam

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Das OLG Frankfurt a.M. hat in zwei Parallelverfahren (Urteile vom 21. März 2019 – Az. 6 U 190/17 und 6 U 191/17) entschieden, dass ein Fernwärmeversorgungunternehmen (FVU) nicht berechtigt sei, eine vertraglich vereinbarte Preisänderungsklausel einseitig durch öffentliche Bekanntmachung auf Grundlage von § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV zu ändern.

 

Die Entscheidungsgründe liegen aktuell noch nicht vor, die Entscheidung dürfte aber wohl grundlegende Bedeutung für die Branche haben, da langfristige Fernwärmelieferverträge aufgrund sich ändernder rechtlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen möglichst einfache und massengeschäftstaugliche Vertragsanpassungen durch das FVU erforderlich machen. Dies gilt im Besonderen für Preisänderungsklauseln im Sinne des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV, die einer Anpassung bedürfen, sofern sich die Erzeugungs- und Bereitstellungssituation des FVU geändert haben.  Nur so ist es möglich, eine unwirksam gewordene Preisänderungsklausel mit Wirkung für die Zukunft „zu heilen” (vgl. BGH, Urteil v. 25. Juni 2014 – Az. VIII ZR 344/13).

 

Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein FVU geänderte Vertragsklauseln in bestehende Fernwärmelieferverträge einbeziehen darf. Insoweit gibt es verschiedene Herangehensweisen, wobei sich in der Praxis bei Massenkundengeschäften wie der Fernwärmeversorgung die einseitige Vertragsänderung als Mittel der Wahl etabliert hat. Diese Vorgehensweise hat das OLG Frankfurt a.M. nun für unzulässig erklärt.


1. Ausgangssituation und Vorinstanz

Vorausgegangen war diesem Urteil folgender Rechtsstreit:

 

Die Beklagte ist ein FVU. Sie schloss mit ihren Kunden Belieferungsverträge, die eine Preisänderungsklausel enthielten. Im Herbst 2015 teilte sie ihren Kunden mit, dass sie ihr Preissystem und die Preisänderungsklausel durch öffentliche Bekanntmachung ändern werde. Hiergegen ging ein Verbraucherschutzverband vor, der die mitgeteilte einseitig vorgenommene Änderung der Preisänderungsklausel für unwirksam hielt und von der Beklagten verlangte, dass sie künftig derartige Mitteilungen nicht mehr verschickt und entsprechende Berichtigungsschreiben an ihre Kunden sendet.

 

Die Vorinstanz (LG Darmstadt, Urteile v. 5. Oktober 2017 – Az. 15 O 111/16 und Az. 16 O 110/16) hatte der Klage des Verbraucherschutzverbandes stattgegeben. Das Landgericht argumentierte maßgeblich dahingehend, dass die neu in die bestehenden Fernwärmelieferverträge eingeführte Preisänderungsklausel nicht dem Transparenzgebot aus § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV genügte. Dem durchschnittlichen Kunden sei es unter anderem nicht zumutbar, sich Preisfaktoren erst gesondert anfordern zu müssen oder die Tagespreise zu einem durchschnittlichen Jahrespreis erst noch zusammenzurechnen, um die entsprechenden Faktoren überprüfen zu können. Vor diesem Hintergrund hielten die Richter des LG Darmstadt die neu eingeführte Preisänderungsklausel für unwirksam. Diese Argumentationslinie hat das OLG Frankfurt a.M. nunmehr wohl nicht weiterverfolgt. Vielmehr fehle es nach Auffassung des Oberlandesgerichts bereits an der einseitigen Vertragsänderungsbefugnis des FVU. Auf eine konkrete Wirksamkeitsprüfung der neu eingeführten Preisänderungsklausel stellte das OLG nicht mehr ab.

 

2. Rechtliche Argumentation des OLG Frankfurt a.M.

Das OLG stellte ausweislich der bisher vorliegenden Presseerklärung fest, dass das FVU nicht befugt sei, die mit ihren Kunden vertraglich vereinbarten Preisänderungsregelungen in den bestehenden Versorgungsverträgen einseitig durch öffentliche Bekanntmachung zu ändern. Grundsätzlich könnten Verträge nur durch übereinstimmende Erklärungen der Vertragspartner geändert werden. Dies gelte auch hier. Die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Fernwärme (AVBFernwärmeV) wichen von diesem Grundsatz auch nicht ab. Insbesondere enthalte § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV allein die weitere formelle Voraussetzung, dass Änderungen der allgemeinen Versorgungsbedingungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. An der Notwendigkeit einer vertraglichen Vereinbarung ändere dies nichts. Die Interessenlage der Beklagten gebiete auch keine andere Auslegung. Auch mit vertragsrechtlichen Mitteln, insbesondere mit einer Änderungskündigung, könne der Versorger auf etwaige Änderungen seiner Kostenstruktur hinreichend reagieren; im Falle kurzfristiger Änderungen komme sogar eine außerordentliche Änderungskündigung in Betracht.

 

Gleichwohl wird man noch die Entscheidungsgründe abwarten müssen, da die Vorinstanz insbesondere die gleichzeitige Änderung von Preisänderungsklausel und Preisen bei der Einführung des neuen Preissystems beanstandete.

 

3. Rechtliche und wirtschaftliche Einordnung des Urteils 

Letztlich sind die aktuellen Regelungen der AVBFernwärmeV aus wirtschaftlicher Sicht sowohl für die Verbraucher, als auch für die Versorger ausgewogen. Der Versorger benötigt für die hohen Investitionen in Netze und Erzeugungsanlagen die notwendige Sicherheit in Bezug auf die Langfristigkeit bei der Abnahme der Wärme. Die Verbraucher möchten aufgrund der langen Vertragslaufzeiten eine rechtliche Sicherheit, dass sich die bei Vertragsabschluss vereinbarten Preise ausschließlich anhand der vereinbarten transparenten und nachvollziehbaren Preisgleitformeln entwickelt. Dadurch ist es für den Verbraucher möglich, bereits bei der Entscheidung für die Fernwärme eine hohe Kalkulationssicherheit zu erhalten. So wird auch ausgeschlossen, dass der Versorger die langen Vertragslaufzeiten zu seinem Vorteil ausnutzt.

 

Letztlich müssen aber auch diese Vertragsverhältnisse zulassen, dass Änderungen, die im Sinne beider Parteien sind, auf einfachem und transparenten Wege umgesetzt werden können. Anderenfalls wäre eine Umsetzung von Vertragsänderungen im Massenkundengeschäft praktisch nicht möglich.

 

Die Richter stellen nunmehr letztlich in Abrede, dass dem § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV ein materielles Änderungsrecht immanent ist und verweisen auf die Möglichkeit der Änderungskündigung. Offen bleibt auf Grundlage der veröffentlichten Presseerklärung, ob das FVU in seinen Lieferverträgen ein materielles Änderungsrecht schaffen kann, ob es generell auf einvernehmliche Vertragsänderungen (nebst Einholung der Kundenunterschrift) vornehmen müsse. Letzteres wäre für die Branche ein verheerendes Ergebnis und vertragsrechtlich auf der Grundlage der bisherigen Gesetzes- und Rechtsprechungslage unseres Erachtens auch keineswegs zwingend. Einseitige Vertragsänderungen durch das FVU müssen weiterhin zulässig sein. Eine Beschränkung der Branche auf einvernehmliche Anpassungen wären rechtlich nicht angemessen. Anderenfalls wäre die Branche beispielsweise schlechter gestellt als die Gas- und Stromversorger (vgl. § 5 Abs. 2 Gas-/StromGVV).

 

Zumal in Zeiten der Wärmewende es beispielweise zukünftig immer wieder notwendig sein wird, die Energieträger hin zu erneuerbaren Energien zu ändern. Hier erwartet der Verbraucher, an den positiven Effekten beteiligt zu werden. Der Versorger kann im Zuge dessen dafür sorgen, dass bei den Änderungen eine hohe Akzeptanz erreicht wird.

 

Man wird die Begründung im Einzelnen abwarten müssen, ob die angesprochene Änderungskündigung aus wichtigem Grund hier eine Alternative sein könnte. Insbesondere, wenn Lieferverträge ggf. nur noch eine kürzere Restlaufzeit haben, stellt sich hier dann die Frage, ob dem FVU das Festhalten am Vertrag bis zum regulären Vertragsende unzumutbar ist. Abgesehen davon, dass die Kündigung von Verträgen vertrieblich oft kritisch gesehen wird.

 

4. Umgang mit dem Urteil aus Versorgersicht und Fortgang des Verfahrens

Die Anpassung von bestehenden Verträgen ist seit jeher eine rechtlich sensible Thematik. FVU sind nunmehr gehalten noch sorgfältiger abzuwägen, wie sie beispielsweise mit Anpassungen im Zuge der Umbasierung von Preisindizes durch das Statistische Bundesamt umgehen. Generell gilt, dass die einvernehmliche Änderung von Fernwärmelieferverträgen als rechtssicher beurteilt werden kann. Wer die Argumentation der Frankfurter Richter aufgreifen und „aushebeln” möchte, könnte in seinen Lieferverträgen einseitige materielle Vertragsänderungsklauseln vorsehen (analog Gas-/Stromversorgung). Insoweit stellten sich jedoch Folgefragen, z.B., ob dann ein Kündigungs- oder Widerspruchsrecht vorgesehen werden muss, die einer anschließenden Klärung durch den Bundesgerichtshof zugeführt werden müssen. Das OLG Frankfurt hat hierfür den Weg bereitet und die Revision zum BGH zugelassen. 

 

5. Veranstaltungshinweis

Aus Anlass dieses aktuellen Urteils wird der Schwerpunkt des rechtlichen Vortrages auf der nächsten Veranstaltung zum Thema Fernwärmepreise bzw. Umbasierung des Statischen Bundesamtes am 11. April 2019 in Berlin auf diesem Thema liegen. Auch auf der Auftaktveranstaltung zum Netzwerk Wärmewende am 21. Mai 2019 in Köln wird dieses Thema vor allem aus wirtschaftlicher Sicht behandelt.

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Benjamin Richter

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