Side Letter in der Praxis: Wesen, typische Regelungs­gegen­stände, Abschluss und Rechts­durchsetzung

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veröffentlicht am 20. November 2019 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Vielfach werden in der anwaltlichen Vertragsgestaltung geschäftliche Inhalte nicht in das Hauptvertragswerk, sondern in einen sog. „Side Letter” aufgenommen. Die Be­weg­gründe hierfür sind v.a. eine erleichterte Möglichkeit zur Geheimhaltung ebenso wie eine weitreichende Form- und Inhaltsfreiheit. Nicht selten sind die Vertragspar­teien aber von diesen Bestrebungen geblendet und verlieren den Blick für drohende Risiken. Insbesondere der Beweggrund der Formfreiheit erweist sich bei genauerem Hinsehen als zweischneidiges Schwert.

Mit der Aufklärung, worum es sich bei einem Side Letter genau handelt, welche Inhal­te darin regelmäßig vereinbart werden und welche Vorteile sowie Risiken bei der Ge­stal­­tung bestehen, beschäftigt sich der Beitrag.




Wesen

Der anglo-amerikanische Rechtsbegriff des „Side Letters” lässt sich am ehesten mit einer vertraglichen „Neben­abrede” übersetzen. Aus rechtlicher Sicht handelt es sich dabei um eine Zusatzvereinbarung zu einem bestehenden Hauptvertrag. Gibt es für die konkrete Rechts- und Geschäftsbeziehung Themen, die zwar vertraglich niedergelegt und damit verbindlich erfasst werden sollen, aber aus bestimmten Beweggründen (siehe Ziffer „III.”) nicht als Teil des Hauptvertrags in Frage kommen, bietet sich die Aufnahme in einen Side Letter an. Zwischen dem Hauptvertrag und dem Side Letter als „Nebenabrede” besteht regelmäßig eine inhaltliche Verknüpfung. Dabei enthält der Hauptvertrag die zentralen Inhalte und der Side Letter ergänzende wie auch eigenständige Absprachen.


Verwechslungsgefahr

Der Side Letter muss insbesondere von zwei häufig verwechselten Rechtsinstituten abgerenzt werden: dem Vorvertrag und dem sog. „Letter of Intent”.

Der Vorvertrag stellt zwar ebenfalls eine regelmäßig verbindliche Vereinbarung dar, der Unterschied liegt aber im Zeitpunkt seiner Errichtung sowie dessen Zielsetzung. Denn der Vorvertrag wird im Begriffssinne vor der Einigung über den Hauptvertrag geschlossen. Die Parteien eines Vorvertrags beabsichtigen, in naher Zukunft einen Hauptvertrag über bestimmte Sachverhalte und Rechtsbeziehung zu schließen. Der Vorvertrag bezweckt demnach den rechtssicheren Abschluss eines gewollten Hauptvertrags.

Ähnlich grenzt sich der Letter of Intent ab. Es handelt es sich ebenfalls um eine Vereinbarung im Vorfeld des Abschlusses eines Hauptvertrags. Im Gegensatz zum Vorvertrag entfaltet der Letter of Intent seinem Zweck nach allerdings keine bis geringe Rechtsverbindlichkeit. Der Vereinbarungsinhalt dient primär der beidseitigen Bekundung, in weitere ernsthafte Verhandlungen mit dem Ziel eines Hauptvertragsabschlusses einzutreten.

Charakteristisch für den Side Letter ist demgegenüber der vorgelagerte Abschluss des Hauptvertrags.


Abschluss und rechtliche Durchsetzung

Für den wirksamen Abschluss eines Side Letters sind grundsätzlich keine Besonderheiten zu beachten. Trügerisch ist insoweit die englische Bezeichnung „Letter”, da der Side Letter grundsätzlich keiner Formvorgabe unterliegt (siehe Ziffern „III.” und „IV.”) und daher auch per E-Mail, Fax oder mündlich vereinbart werden kann. Allerdings gilt das bei formbedürftigen Hauptverträgen wegen § 139 BGB nur eingeschränkt (vgl. „IV.“). Die Vertragsparteien müssen den Side Letter nicht in persona abschließen; ihnen steht es frei, sich dabei durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen. Auch für die wirksame Erteilung einer Vollmacht gibt es keine besonderen Vorgaben.


Rechtliche Durchsetzbarkeit

Die Durchsetzbarkeit des Side Letters richtet sich nach den allgemeinen Regelungen. Haben sich die Vertrags­parteien darin eigenständige Pflichten auferlegt, sind sie der anderen Seite zu deren Erfüllung verpflichtet. Kommt eine Vertragspartei ihren Pflichten nicht nach, stehen ihr grundsätzlich alle Rechte wegen Nichter­füllung einer vertraglichen Verpflichtung zu. Das reicht vom Anspruch auf Erfüllung über Schadensersatz bis hin zur zivilprozessualen Konfliktlösung.


Anwendbarkeit §§ 40 ff AO

Sollte der Abschluss des Side Letters steuerlich motiviert sein, gilt es die §§ 40 ff. AO zu beachten. Diese Vorschriften gewähren die Wertneutralität des Steuerrechts, wonach wirtschaftliche Erträge auch aus nichtigen Vertragsgestaltungen besteuert werden. Vereinbaren die Parteien im Side Letter etwa eine Handwerksleistung entgegen dem Hauptvertrag ohne Rechnungsausweis, muss ein Verstoß gegen das Schwarzarbeitsbe­kämpf­ungsgesetz erwogen werden. In der Folge wäre die Abrede unwirksam und der steuerlich korrekte Betrag an das zuständige Finanzamt abzuführen. Auch wird missbräuchlichen zivilrechtlichen Gestaltungen die steuerliche Anerkennung verwehrt.


Vorteile

Die Vereinbarung von Vertragsinhalten in Side Letter hat verschiedene praxisrelevante Vorteile. Je nach individueller Regelungsabsicht, bietet sich der Side Letter an, um dieses Gestaltungsziel auf einfachere Weise oder überhaupt erreichen zu können.


Geheimhaltungsmöglichkeit

Für den Einsatz eines Side Letters erachtet die Vertragspraxis die erweiterte Möglichkeit der Geheimhaltung als zentralen Beweggrund. Für ihn gibt es im Grundsatz keine gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung. Anders ist das durchaus bei Hauptverträgen insbesondere im Gesellschaftsrecht, wo der Schutz der Gläubigerinteressen dem Verschwiegenheitsanliegen einzelner Gesellschafter vielfach übergeordnet ist.

 

Beispielhaft ist dafür der GmbH-Gesellschaftsvertrag, dessen Inhalt für jedermann im Handelsregister einsehbar ist. Der Side Letter eröffnet somit die Chance, Vereinbarungen, die aus verschiedensten Gründen nicht öffentlich bekannt werden sollen, rechtswirksam und praktisch durchsetzbar zu treffen.


Formfreiheit

Eine weiterer Gestaltungsvorteil des Side Letters ist die Formfreiheit. Aufgrund seiner Rechtsnatur als klassi­scher schuldrechtlicher Vertrag (siehe Ziffer „I.”) besteht kein Formzwang. Im Gegensatz dazu greifen für den verknüpften Hauptvertrag (aufgrund seiner wesentlichen Bedeutung für die Rechtsbeziehung) häufig Formvor­gaben. Relevant ist dabei v.a. die notarielle Beurkundungspflicht des GmbH-Gesellschaftsvertrags (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Durch die grundsätzliche Formfreiheit können Vertragsinhalte im Side Letter wesentlich unkomplizierter angepasst und umgesetzt werden. Darüber hinaus entsteht wegen des geringeren Umfangs des Hauptvertrags i.d.R. ein Gebührenvorteil bei notarieller Beurkundung.

Neben den erläuterten Vorteilen spricht auch eine weitreichende inhaltliche Gestaltungsfreiheit für die Anfertigung eines Side Letters. Es bleibt jedoch für den Einzelfall zu prüfen, ob die Vorteile überhaupt nutzbar gemacht werden können.


Risiken

Trotz seiner praktischen Vorteile ist der Side Letter nicht der „Heilige Gral” der Vertragsgestaltung. Es gibt mehrere Faktoren, die bereits beim Entwurf als Risiko ausgemacht und fortlaufend beachtet werden sollten. Die voreilige Verwendung von Side Lettern birgt Risiken, die ohne Weiteres zur Unwirksamkeit und Undurchsetzbarkeit des Hauptvertrags führen können. Zudem sind gesetzliche Offenlegungspflichten zu beachten.


Unwirksamkeit bei Formmangel des Side Letters

Die Formfreiheit des Side Letters ist im Einzelfall dann beschränkt, wenn die Formvorgabe des Hauptvertrags auch für den Side Letter gilt. Das beurteilt sich danach, ob aus Sicht der Vertragsparteien der Inhalt des jeweiligen Side Letters für die Wirksamkeit des Hauptvertrags „wesentlich” ist. Dafür wird hinterfragt, ob die Parteien den Hauptvertrag auch ohne den Inhalt des Side Letters abgeschlossen hätten. Falls nicht, erstreckt sich die Formvorgabe auch auf den (dann wesentlichen) Side Letter. Beide Vertragswerke werden folglich als Einheit behandelt, wenn nicht der Zweck des konkreten Formerfordernisses die gegenteilige Beurteilung (Formfreiheit) nahe legt. Im Bereich des Gesellschaftsrechts ist insbesondere im Zusammenhang mit der Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen ein Side Letter immer potenziell hochproblematisch.

Erstreckt sich im Einzelfall die Formpflicht auch auf den Side Letter, kann allein deren Verfehlung die Unwirksamkeit des Hauptvertrags bewirken. Das setzt voraus, dass beide Vereinbarungen miteinander „stehen und fallen” sollen (§ 139 BGB). Das trifft zu, wenn der Side Letter nicht ohne den Hauptvertrag abgeschlossen worden wäre. Aufgrund der inhaltlichen Verknüpfung beider Vertragswerke wird das häufig das Ergebnis sein. Weiterhin droht auch eine Haftung auf Schadensersatz, wenn eine der Vertragsparteien für die Formverfehlung verantwortlich war.


Offenlegung per Gesetz

Besonders in steuerlichen Angelegenheiten besteht das Risiko, dass das zuständige Finanzamt die Offenlegung des Side Letters verlangt. Den Finanzämtern ist es erlaubt, den Steuerpflichtigen zur Mitwirkung in Form der Offenlegung zu verpflichten (§ 90 AO), wenn das im Hinblick auf die Aufklärung des steuerbaren Sachverhalts verhältnismäßig ist. Eine Geheimhaltungsvereinbarung im Side Letter hält der Offenlegungs­anordnung der öffentlichen Hand nach verbreiteter Ansicht nicht stand. In der Folge müssen die Vertragsparteien den vereinbarten Inhalt mit dem Risiko nachträglicher Veranlagung zu ihren Lasten offen legen. Bereits aus diesem Grund sollte der Einsatz eines Side Letters umsichtig und fachkundig geprüft werden.


Typische Regelungsinhalte

Die typischen Regelungsinhalte eines Side Letters sind zahlreich und lassen sich daher nur beispielhaft erläutern. Ein breites Anwendungsfeld ist dabei der Geschäftsverkehr im Mittelstand, da die unternehme­rischen Interessen in dem Wirtschaftsbereich stark einzelfallabhängig sind. Der Side Letter kann für die notwendige Flexibilität und Verschwiegenheit sorgen.


Gesellschaftsrechtliche Inhalte

Da viele mittelständisch geprägte Unternehmen (v.a. auch Familienunternehmen) in der Rechtsform einer GmbH organisiert sind, nehmen gesellschaftsrechtliche Side Letter eine tragende Rolle ein. In ihnen lassen sich Vereinbarungen unter den Gesellschaftern ebenso wie Vereinbarungen zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft festhalten. Verbreitet sind darunter Stimmbindungsverträge oder Vereinbarungen über die Einlagepflicht der Gesellschafter. Auch die Gewinn-/Verlustverteilung oder strategische Entscheidungen der Geschäftsleitung können in Side Lettern flexibel gestaltet werden.


Allgemeine Vereinbarungsthemen

Da viele mittelständisch geprägte Unternehmen in bestimmten Ländern oder auf einzelnen Geschäftsfeldern mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten, kommen Side Letter zur Ausgestaltung von Unternehmens­kooperationen im weitesten Sinne in Betracht. Bei dieser Art von Zusammenschluss steht oftmals die Geheimhaltung im Vordergrund. Ebenso bedarf es klarer Einteilung und Abgrenzung der Rechte und Pflichten der beteiligten Unternehmen, um kosten- und zeitintensiven Konfliktherden vorzubeugen. Weiterhin unterhält nahezu jedes Unternehmen Darlehensbeziehungen. Auch dafür ist der Side Letter mit der erweiterten Geheimhaltungsmöglichkeit eine ernsthafte Gestaltungsalternative.


Fazit

Hinter dem neudeutschen Begriff „Side Letter” verbirgt sich in der vertraglichen Gestaltungspraxis Altbe­kanntes: eine vertragliche „Nebenvereinbarung”. Der Side Letter nimmt inhaltlich regelmäßig Bezug auf den Hauptvertrag, was vorwiegend klarstellenden und ergänzenden Hintergrund hat. Die Vorteile eines Side Letters liegen maßgeblich in der Formfreiheit und der erweiterten Geheimhaltungsmöglichkeit. Allen voran die Formfreiheit stellt zugleich aber ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar, das sorgfältig geprüft und gestaltet werden muss. Wird an dieser Stelle kurzsichtig gearbeitet, droht der Side Letter mitsamt Hauptvertrag zu kippen. Die praktischen Einsatzmöglichkeiten sind vielschichtig und v.a. für mittelständisch geprägte Unternehmen interessant.

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