Scrum: Agile Softwareentwicklung und sozialversicherungsrechtlicher Status eines freien Programmierers

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veröffentlicht am 28. Juli 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Während bislang im Zusammenhang mit agiler Softwareentwicklung nach der sogenannten „Scrum“-Methode primär die Problematik der Arbeitnehmerüberlassung zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber im Fokus der rechtlichen Auseinandersetzung stand, hat sich das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 17.12.2021 (Az.: L 8 BA 1374/20) nunmehr zur Versicherungspflicht eines freien Softwareentwicklers im Rahmen eines agilen Softwareentwicklungsprojektes nach der Scrum-Methode geäußert.



Zum Sachverhalt

Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens war die Statusfeststellung über die Versicherungspflicht eines freien Programmierers, der in dem zu Grunde liegenden Fall für ein IT-Dienstleistungsunternehmen im Rahmen eines agilen Softwareentwicklungsprojektes nach der sogenannten „Scrum“-Methode zur Erstellung von Individualsoftware tätig geworden ist.

Scrum ist ein Vorgehensmodell des Projektmanagements, bei welchem im Gegensatz zum klassischen Softwareentwicklungsprojekt nicht auf Basis eines vorab festgelegten Lasten- bzw. Pflichtenheftes sondern iterativ, also Schritt für Schritt, im Rahmen von sogenannten „Sprints“ vorgegangen wird. Das Projektteam ist dabei in der Regel sowohl interdisziplinär als auch wechselseitig mit Mitarbeitern des Auftraggebers und des Auftraggebers besetzt und organisiert sich weitestgehend selbst. Damit verbunden sind in der Praxis regelmäßig Frage-stellungen im Hinblick auf eine etwaige Arbeitnehmerüberlassung und/oder Scheinselbständigkeit. 

Der Tätigkeit des Programmierers lag in dem vom LSG Baden-Württemberg entschiedenen Fall ein Rahmenvertrag sowie ein darauf basierende Einzelvertrag zu Grunde. Der Rahmenvertrag über die freie Mitarbeit enthielt u.a. (auszugsweise) folgende Regelungen:

  • „[…] Der Auftragnehmer wird für den Auftraggeber im Projekt als freier Softwareentwickler tätig. Durch vom Auftraggeber erteilte Einzelaufträge werden die anfallenden Aufgaben vereinbart. […] 
  • Der Auftraggeber sagt keine Mindestabnahme zu. […] 
  • Der Auftragnehmer verpflichtet sich, dem Auftraggeber im Zeitraum […] für insgesamt 40 Personentage zur Verfügung zu stehen […] 
  • Der Auftragnehmer erhält für seine […] Tätigkeit ein Tageshonorar von 524 EUR zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer […]
  • Der Auftragnehmer hat das Recht, auch für Dritte Auftraggeber tätig zu sein. […]
  • Dem Auftragnehmer wird kein bestimmter Einsatzort/-bereich zugeteilt.“

Im Rahmen eines von dem freien Programmierer (Kläger) eingeleiteten Statusfeststellungsverfahrens gemäß § 7 a SGB IV hinsichtlich der von ihm für das IT-Dienstleistungsunternehmen ausgeübte Tätigkeit, stellte die hier Beklagte DRV Bund gegenüber dem Kläger fest, dass die Tätigkeit des Klägers im Bereich Entwicklung und Weiterentwicklung bei dem IT-Dienstleistungsunternehmen im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen würden die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen. 

Im Rahmen der ausgeübten Tätigkeit seien keine maßgeblichen eigenen Gestaltungsmöglichkeiten erkennbar. Der Programmierer erhalte einen Projektauftrag und sei somit in das vorhandene Netzwerk des Endkunden eingebunden. Zudem sei er in die Arbeitsorganisation des IT-Dienstleistungsunternehmens eingebunden. Er arbeite nicht auf eigenen Namen und eigene Rechnung und rechne auch nicht selbst mit dem Kunden ab. Auch das eigenständige Arbeiten löse nicht das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit aus. Es bestehe zudem kein Unternehmensrisiko; der Kläger setze kein eigenes Kapital oder eigene Betriebsmittel in erheblichem Umfang ein. Damit sei der Kläger funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte das Sozialgericht in der ersten Instanz abgewiesen.

Entscheidung des LSG Baden-Württemberg

Das LSG Baden-Württemberg hat mit seiner Entscheidung vom 17.12.2021 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger als selbständiger Programmierer für das beauftragte IT-Dienstleistungsunternehmen tätig wurde und nicht sozialversicherungspflichtig war.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setze eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. 

Demgegenüber sei eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Eine Eingliederung des Klägers in die Arbeitsorganisation des IT-Dienstleistungsunternehmens ergebe sich vorliegend nicht bereits daraus, dass der Kläger in dessen Räumlichkeiten tätig geworden sei; dies sei den sicherheitstechnischen Gegebenheiten bei derartigen Projekten geschuldet, welche eine Arbeit über einen Remote – Zugriff in den eigenen Arbeitsräumen des Klägers nicht erlaubten. Diese Umstände seien bei sicherheitsrelevanten Arbeiten an Datenstrukturen im Unternehmensbereich üblich und aus Sicherheitsgründen auch oftmals unumgänglich und könnten daher vorliegend nicht ohne Weiteres als Argument für eine Eingliederung des Klägers in die Arbeitsorganisation des IT-Dienstleistungsunternehmens gewertet werden. Entscheidend seien daher vielmehr die konkreten Umstände der Tätigkeit des Klägers. 

In diesem Zusammenhang maß der Senat dem Umstand, dass der Kläger auf Grund der agilen Scrum-Methodik in seinem Aufgabenbereich weitgehend frei war, besondere Bedeutung zu. Hierzu führte das LSG aus:    

„Die Programmierung erfolgte anhand von sogenannten 2-Wochen-Sprints nach der sogenannte Scrum-Methode. Diese bezeichnet eine agile Methodik im Bereich Projektmanagement, welche flexibel auf diverse Projekte angewendet werden kann. Sie unterscheidet sich vom klassischen Projektmanagement in der Hinsicht, dass es keine Projektleitung mehr gibt, welche die Aufgaben an die Teammitglieder verteilt. Für die 2-Wochen-Sprints wurden das Vorgehen und die Arbeitsaufteilung besprochen. Am Anfang dieses Sprints hat der Kläger mitgeteilt, wie viele Arbeitspakete er ungefähr erledigen will. Falls es in einer Woche weniger Pakete waren, hat er dies auch vorab mitgeteilt. Der Kläger war daher in seinem Auftragsbereich bezüglich der Auswahl der Arbeitspakete frei.“ 

Auch dass er angesichts seiner Spezialisierung als Delphi – Programmierer vor allem Arbeitspakete mit entsprechenden Problemstellungen bearbeitet habe, welche ihm zugewiesen wurden, stelle kein Argument für eine Eingliederung dar, da der Kläger gerade wegen seiner Spezialkenntnisse beauftragt worden sei und sein Einsatz daher gerade an Paketen erfolgen sollte, welche die angestellten Programmierer mangels Kenntnisse nicht bearbeiten konnten. 

Auch die Tatsache, dass der Kläger nicht selbst befugt war, die programmierten Komponenten selbst in das Programm einzufügen, sei der agilen Arbeitsweise im IT – Bereich geschuldet. Die Programmierung erfolge kleinteilig und variabel nach den Anforderungen und Änderungswünschen des Endkunden. Die endgültigen Vorgaben entstünden oftmals erst nach Testung der Programmbestandteile auf Tauglichkeit und Kompatibilität mit den weiteren Programmierungen durch den Endkunden. Das Einfügen der abgenommenen und fertigen Bestandteile in das Endprogramm erfolge somit im letzten Schritt und erst nach Vornahme sämtlicher Testungen. 

Im Rahmen der Abgrenzung stellte das LSG auch auf einen Vergleich mit den angestellten Programmieren ab. Im Unterschied zu den angestellten Programmierern habe der Kläger nur solche Arbeitspakete bearbeitet, welche sein Fachgebiet betrafen. Das IT-Dienstleistungsunternehmen habe auch keine rechtliche Möglichkeit gehabt, den Kläger zu anderen Projekten heranzuziehen, da der Kläger nach den Regelungen des Rahmenvertrags die Möglichkeit gehabt habe, einzelne Aufträge – ohne Angabe von Gründen – abzulehnen. Das IT-Dienstleistungsunternehmen habe dem Kläger somit keine Weisungen erteilen können, sondern habe lediglich die vertraglich festgelegten Tätigkeiten einfordern können. 

Auch habe der Kläger keiner zeitlichen Anwesenheitspflicht unterlegen. In fachlicher Hinsicht habe ebenfalls kein Weisungsrecht bestanden, denn die vereinbarten Programmierleistungen beruhten gerade auf den Spezialkenntnissen des Klägers. Zudem habe der vereinbarte Tagessatz deutlich über dem Arbeitsentgelt eines bei dem Unternehmen angestellten Programmierers gelegen. Liege das vereinbarte Honorar wie hier deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und lasse es dadurch Eigenvorsorge zu, sei auch dies nach Auffassung des Gerichts ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit.

Nach den Feststellungen des Gerichts habe der Kläger auf Grund der fehlenden Abnahmeverpflichtung durch das IT-Dienstleistungsunternehmen letztlich auch ein unternehmerisches Risiko getragen.

Zusammenfasende Bewertung und Ausblick

Im Zusammenhang mit agiler Softwareentwicklung wurde bislang überwiegend die Frage der Arbeitnehmerüberlassung zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber diskutiert. Mit der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg rückt nunmehr ein weiterer Aspekt in den Mittelpunkt: Die Frage der Sozialversicherungspflicht eines freien Softwareentwicklers im Rahmen eines solchen agilen Softwareentwicklungsprojektes.

Dabei hat das Gericht im Rahmen seiner Abgrenzung zwischen einer selbständigen Tätigkeit und einem sozialversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnis auch die agile Vorgehensweise nach der Scrum-Methode als Kriterium berücksichtigt. 

Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass die vorliegend gewählte agile Softwareentwicklungsmethode zwar ein gewichtiges Indiz darstellt, aber eben nur eines. 

Maßgebend bleibt die Gesamtbetrachtung aller Umstände im Einzelfall an Hand der vom BSG aufgestellten Grundsätze und Kriterien. 

Die Entscheidung ist daher kein „Freifahrtschein“ für die Einbindung freier Programmierer im Rahmen von agilen Softwareentwicklungsprojekten. Es ist auch künftig genau darauf zu achten, wie das Vertragsverhältnis im Einzelnen rechtssicher ausgestaltet werden kann.

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