Viertes Eisenbahnpaket der EU Kommission – Auswirkungen auf den SPNV

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Am 30. Januar 2013 veröffentlichte die Kommission ihre Vorschläge für das vierte EU-Eisenbahnpaket. Ob diese angesichts ihrer politischen Brisanz das europäische Normgebungsverfahren in ihrer jetzigen Form passieren werden, bleibt abzuwarten. Von den umfangreichen Änderungen stand vorab insbesondere die Thematik der finanziellen und organisatorischen Trennung von Infrastruktur- und Verkehrsbetreibern im Mittelpunkt der Diskussion. Darüber hinaus zieht das neue Maßnahmenpaket aber auch und gerade auf dem Gebiet des SPNV gravierende Auswirkungen – namentlich für Direktvergaben – nach sich. 
 

Abschaffung der Direktvergabe

Nach der momentan gültigen VO 1370 können SPNV-Aufträge unter bestimmten Voraussetzungen direkt vergeben werden. Der im vierten Eisenbahnpaket enthaltene Entwurf für eine Änderungsverordnung zur VO 1370 (nachfolgend: VO 1370-E) sieht die Abschaffung eben dieser eisenbahnspezifischen Direktvergabemöglichkeit nach Art. 5 Abs. 6 VO 1370, aber auch der anderen im SPNV denkbaren Direktvergaben nach Art. 5 Abs. 2, 4 und 5 VO 1370 vor.
 
Dies ergibt sich aus Art. 8 Abs. 2 UA 1 VO 1370-E. Demnach erfolgt die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr ab dem 3. Dezember 2019 im Einklang mit Art. 5 Abs. 3 VO 1370, also im Wege eines wettbewerblichen Verfahrens. Bis zur obligatorischen Durchführung eines solchen Verfahrens gewährt Art. 8 Abs. 2a) VO 1370-E eine Übergangsfrist für öffentliche Dienstleistungsverträge über SPNV-Leistungen, die zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 2. Dezember 2019 direkt vergeben werden. Sie können für ihre vorgesehene Laufzeit gültig bleiben, dürfen jedoch keinesfalls nach dem 31. Dezember 2022 fortbestehen. Ab dem 1. Januar 2023 sind also öffentliche Dienstleistungsverträge über SPNV-Leistungen zwingend im Wettbewerb zu vergeben.
 

Art. 5 Abs. 6 VO 1370-E: Neufassung

Art. 5 Abs. 6 VO 1370 wird in seiner jetzigen Form abgeschafft und neu gefasst. Der neue Art. 5 Abs. 6 VO 1370-E soll der Steigerung des Wettbewerbs zwischen den SPNV-Anbietern dienen. Demnach können die Aufgabenträger beschließen, öffentliche Schienenpersonenverkehrsaufträge, die Teile desselben Netzes oder Streckenpakets betreffen an unterschiedliche Eisenbahnverkehrsunternehmen zu vergeben. Vor Anlaufen des Ausschreibungsverfahrens können die zuständigen Behörden eine zahlenmäßige Begrenzung der Aufträge beschließen, die an ein und dasselbe Eisenbahnunternehmen vergeben werden. Die hinter dieser Neufassung stehende Intention – Förderung und Steigerung von Wettbewerb auf dem Eisenbahnsektor – ist offensichtlich. Es wird jedoch abzuwarten sein, wie diese Vorschrift nach dem Abschluss des europäischen Normgebungsverfahrens in der Praxis umgesetzt wird. Insbesondere wäre es wünschenswert, wenn der – hier eindeutig im Vordergrund stehende – Wettbewerbsgedanke nicht zu Lasten von Nutzerfreundlichkeit und Qualität gehen würde.

 
Auf die Stärkung des Wettbewerbs zielt auch Art. 2a Abs. 6 lit) b) VO 1370-E ab. Demnach entspricht für den öffentlichen Schienenpersonenverkehr der maximale jährliche in Bahnkilometern ausgedrückte Umfang eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags 10 Mio. Bahnkm bzw. einem Drittel des gesamten Beförderungsumfangs des ÖPNV eines Mitgliedstaats, der im Rahmen öffentlicher Dienstleistungsaufträge geleistet wird, je nachdem, welcher Wert höher ist.
 

Änderung Direktvergabemöglichkeit nach Art. 5 Abs. 4 VO 1370

Auf Art. 5 Abs. 4 UA 2 VO 1370-E kann eine SPNV-Direktvergabe in Zukunft nicht mehr gestützt werden. Denn die dort normativ verankerte Unterschwellenvergabe im ÖPNV soll auf dem Eisenbahnsektor künftig entfallen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift. Darin wird nunmehr auf die vom Verkehrsunternehmen betriebene Anzahl an Straßenfahrzeugen abgestellt. Eisenbahnwagons und Lokomotiven können unter diese Begrifflichkeit nicht mehr subsumiert werden.

 
Allerdings bleiben zunächst SPNV-Direktvergaben gemäß Art. 5 Abs. 4 UA 1 VO 1370-E möglich. Demnach können – sofern nicht nationales Recht entgegensteht – die Aufgabenträger öffentliche Dienstleistungsaufträge über SPNV-Leistungen direkt vergeben, wenn ihr Jahresdurchschnittswert auf weniger als 5 000 000 EUR veranschlagt wird oder ihre jährliche öffentliche Personenverkehrsleistung weniger als 150 000 km beträgt.
 

Art. 5a VO 1370-E: Rollmaterial als Vehikel für den Wettbewerb

Der neue Art. 5a VO 1370-E trägt der überragenden Bedeutung des Zugangs zu Rollmaterial als (Mit-)Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb Rechnung. Daher ist die Regelung des Art. 5a VO 1370-E, wonach die Mitgliedstaaten – in beihilferechtskonformer Art und Weise – die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um einen effektiven und diskriminierungsfreien Zugang zu Rollmaterial zu gewährleisten (Abs. 1) grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings erscheinen die in Abs. 2 der Vorschrift enthaltenen Vorgaben darüber, wie in Abwesenheit eines privaten Leasing-Unternehmens seitens des Aufgabenträgers hinsichtlich des Rollmaterials zu verfahren ist, im Hinblick auf das unionsrechtliche Subsidiaritätsprinzip zumindest diskussionswürdig.
 
Insgesamt enthalten die Vorschläge der Kommission zur Änderung der VO 1370 eine deutliche Weichenstellung Richtung Wettbewerb auf dem SPNV-Sektor. Ob sich diese jedoch – nicht zuletzt wegen der zu erwartenden Reaktionen der Mitgliedstaaten – in ihrer jetzigen Fassung behaupten können wird sich im weiteren Verlauf des europäischen Normgebungsverfahrens zeigen.

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Jörg Niemann

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