Neues zum DigiNetzG: VG Gera konkretisiert die Bemessung des Mitnutzungsentgelts

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veröffentlicht am 18. Februar 2021

 

Das Verwaltungsgericht Gera hat im Dezember 2020 über die Frage der Bestimmung eines fairen und angemessenen Mitnutzungsentgelts i.S.v. § 77n Abs. 3 TKG sowie fairer und angemessener Kündigungsbedingungen bei der Mitnutzung eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes entschieden.

 

Folgende Leitsätze sind wesentlich:

 

  1. Bei der Bestimmung eines fairen und angemessenen Mitnutzungsentgelts gemäß § 77n Abs. 3 TKG hat die maßgebliche Kostenermittlung von der konkret mitgenutzten Anlage und nicht vom gesamten öffentlichen Telekommunikationsnetz auszugehen. 
  2. Legt der Mitnutzungsverpflichtete keine konkreten Kostenermittlungsunterlagen vor, muss die Streitbeilegungsstelle auf sonstige geeignete Kosteninformationen zurückgreifen. 
  3. Bei der Ermittlung eines fairen und angemessenen Mitnutzungsentgelts ist der Marktpreis zu berücksichtigen. 
  4. Auch im Rahmen des § 77n Abs. 3 TKG ist ein angemessener Aufschlag nach § 77n Abs. 2 Satz 3 TKG zu gewähren. 

 

Die Beteiligten stritten über die Bedingungen der Mitnutzung der im Eigentum eines bundesweit tätigen Telekommunikationsunternehmens befindlichen Leerrohrinfrastruktur zwischen dem Hauptverteiler und dem Kabelverzweiger. Die Beklagte ist die Bundesnetzagentur, deren Beschluss die Klägerin angreift. Die Beigeladene ist das zugangsbegehrende Unternehmen. Konkret geht es um Zugang zu passiven Netzinfrastrukturen i.S.v. § 3 Nr. 17b TKG. Die Beigeladene möchte in das Leerrohr eigene Kabel einbringen, um unter Ausnutzung dieser Kabelverbindung Endkunden Telekommunikationsdienste auf Basis der sog. Vectoring-Technik anzubieten.

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2017 beantragte die Beigeladene bei der Klägerin gemäß § 77d TKG die Mitnutzung des o.g. Leerrohrs und erbat die Übersendung eines entsprechenden Angebots. Nachdem die Klägerin dies zunächst unter Verweis auf § 77g Abs. 2 TKG abgelehnt hatte, beantragte die Beigeladene am 14. März 2018 bei der Beklagten eine Entscheidung im Wege des Streitbeilegungsverfahrens nach § 77n Abs. 1 bis 3 TKG. Unter dem 12. April 2018 übersandte die Klägerin der Beigeladenen den Entwurf eines Vertrags über die Mitnutzung von Kabelkanalkapazitäten. Die Beigeladene teilte die inhaltlichen Vorbehalte gegen den Entwurf unmittelbar der Beklagten mit. Im Laufe des Streitbeilegungsverfahrens erzielten die Klägerin und die Beigeladene keine Einigung über die Entgelte sowie die Kündigungsregelungen in Ziffer 7.1 und 7.2 des Vertrags. Den Beteiligten wurde in der am 14. Juni 2018 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der 11. Beschlusskammer der Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Mit einem an alle der Beklagten bekannten Betreiber öffentlicher Versorgungsnetze gerichteten Schreiben vom 13. Juli 2018 verpflichtete die Beklagte die Betreiber öffentlicher Versorgungsnetze, u.a. die Klägerin, dazu, geschlossene Mitnutzungsverträge nach § 77d Abs. 4 TKG bis zum 10. August 2018 vorzulegen. Die Beklagte wertete die Markterkundung später und außerhalb des hiesigen Verwaltungsverfahrens dahingehend aus, dass ein „marktüblicher Referenzpreis” durch Bildung des Medians bei 1,25 € je Meter und Jahr liege (10,4 Cent je Meter und Monat).

Mit Beschluss BK 11-18/003 vom 2. Oktober 2018 ordnete die Beklagte zwischen den Beteiligten die Geltung des zuletzt am 14. September 2018 der Beschlusskammer vorgelegten Mitnutzungsvertragsentwurfs zu bestimmten Bedingungen an.

Zunächst kann festgehalten werden, dass es nach dem VG Gera unschädlich ist, dass die Beigeladene nach Vorlage eines Vertragsangebots im laufenden Streitbeilegungsverfahren sich nicht mit der Klägerin in Verbindung gesetzt hat, um mit dieser (erstmalig) Verhandlungen u.a. über das Mitnutzungsentgelt zu führen, sondern ihre inhaltlichen Vorbehalte unmittelbar der Bundesnetzagentur mitteilte. Die Klägerin hatte der Beigeladenen zuvor die Mitnutzung gänzlich verweigert und Verhandlungen erschienen nicht erfolgsversprechend, weil die Preisvorstellungen für das Mitnutzungsentgelt sehr weit auseinander lagen.

Hinsichtlich der Frage, was ein „faires und angemessenes” Entgelt i.S.d. § 77n Abs. 2 Satz 1 TKG ist, kann Folgendes festgehalten werden:

 

  1. Die Überprüfung der Entgeltfestsetzung der Streitbeilegungsstelle ist darauf zu beschränken, ob diese die widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien richtig ermittelt, alle für die Abwägung erforderlichen tatsächlichen Erkenntnisse gewonnen und die Abwägung frei von Einseitigkeit in einem den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden fairen und willkürfreien Verfahren vorgenommen hat. Das der Beschlusskammer zustehende Ermessen wird fehlerhaft ausgeübt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat (Abwägungsausfall), in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden musste (Abwägungsdefizit), die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt worden ist (Abwägungsfehleinschätzung) oder der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen worden ist, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität).

    Es verbleibt mithin bei der Entgeltfestlegung ein Spielraum.
  2. Bei Mitnutzungsentgelten für öffentliche Telekommunikationsnetze sind anders als nach § 77n Abs. 2 TKG auch die Investitionen in das in Anspruch genommene Telekommunikationsnetz sowie der zugrundeliegende Geschäftsplan bei der Entgelthöhe zu berücksichtigen. Das beruht darauf, dass anders als bei den von Absatz 2 erfassten Fällen, also der Mitnutzung von nicht der Telekommunikation dienenden Netzen, bei der Mitnutzung von Infrastrukturen i.S.d. § 3 Nr. 16a TKG die Investitionskosten durch eine telekommunikationsbezogene Geschäftstätigkeit zurückverdient werden müssen und diesbezüglich ein Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Infrastrukturinhaber und dem Mitnutzungsnachfrager besteht.
  3. Gemäß § 77n Abs. 3 Satz 2 TKG ist Ausgangspunkt der Ermittlung eines fairen und angemessenen Mitbenutzungsentgelts das konkret „mitgenutzte öffentliche Telekommunikationsnetz”. Die Bundesnetzagentur hat im streitgegenständlichen Fall nicht zutreffend erkannt, dass es keine verbindliche Vorgabe dahingehend gibt, dass bei Überschneidungen mit einem regulierten Produkt die genehmigten Entgelte anzuwenden sind.
  4. Bei der Festlegung des Mitnutzungsentgelts ist außerdem auch das Ergebnis des Markterkundungsverfahrens zu berücksichtigen.
  5. Der Betreiber eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes kann überdies grundsätzlich sowohl die Entgeltbestandteile verlangen, die dem Betreiber eines öffentlichen Versorgungsnetzes gemäß Abs. 2 zustehen, als auch die weiteren Kostenpositionen gemäß § 77n Abs. 3 TKG.

 

 

 

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