Bundesfinanzhof kippt Sanierungserlass des Bundesfinanzministeriums

PrintMailRate-it

Autoren: Norman Lenger und Jana Wollmann

 

veröffentlicht am 2. März 2017

 

Mit Beschluss vom 28. November 2016 – GrS 1/15 hat nunmehr der Große Senat nach Vorlage des Zehnten Senats entschieden, dass das BMF-Schreiben vom 27. März 2003 IV A 6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240; sog. Sanierungserlass) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Gravierende Nachteile bei der Unternehmenssanierung sind bei einer hinreichenden Vorbereitung von Sanierungsverfahren unter Berücksichtigung der steuerlichen Implikationen dennoch nicht zu erwarten.

​ 

[BFH, Beschl. v. 28.11.2016 – GrS 1/15]

 

1. Ausgangssituationen

Bei der Rettung eines Krisenunternehmens verzichten Gläubiger oft auf nicht unerhebliche Forderungen. Dieser Verzicht führt – jedenfalls auf dem Papier – zu einem außerordentlichen Ertrag, der als Gewinn ertragsteuerlich Berücksichtigung finden müsste. Bis zum Veranlagungszeitraum 1997 waren Sanierungsgewinne nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. steuerfrei. Diese Regelung galt nach § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) auch für die Gewerbesteuer. Nach Einführung des zeitlich unbegrenzten Verlustvortrags in § 10d EStG hat § 3 Nr. 66 EStG a.F. allerdings zu einer nicht gewollten Doppelbegünstigung geführt. Ein vor der Sanierung entstandener Verlustvortrag konnte zeitlich unbegrenzt mit künftigen Gewinnen verrechnet werden, obwohl der Sanierungsgewinn nicht besteuert wurde. Dieser Doppelbegünstigung wollte der Gesetzgeber mit der Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. entgegenwirken. Seither war der Sanierungsgewinn grundsätzlich steuerpflichtig. Die Abschaffung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen stand mit den Zielen der Insolvenzordnung – nämlich die nachhaltige Restrukturierung von Unternehmen – in einem „Zielkonflikt”. Denn es war nicht die Intention des Gesetzgebers, auf der einen Seite Sanierungen – etwa durch Insolvenzplanverfahren – zu erleichtern und auf der anderen Seite die Sanierung wiederum – durch Besteuerung der aus den Gläubigerverzichten resultierenden Buchgewinne – wieder zu erschweren. Um diesen Konflikt aufzulösen, hatte die Finanzverwaltung auf Grundlage der §§ 163, 227 AO mit dem Sanierungserlass in einer allgemeinverbindlichen Verwaltungsanweisung geregelt, unter welchen Voraussetzungen Ertragsteuern auf einen Sanierungsgewinn aus Gründen sachlicher Billigkeit erlassen werden können (BMF-Schreiben vom 27. März 2003 IV A 6-S 2140-8/03).

 

2. Konkreter Streitfall

Der Anlass zur Entscheidung des Großen Senats ergab sich im Zusammenhang mit einem Streitfall eines Einzelunternehmers, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelte. Er erzielte mit seinem Betrieb über mehrere Jahre Verluste. Ende 2007 verzichteten zwei Kreditinstitute auf „nicht bedienbare Forderungen”. Das für den Kläger zuständige Finanzamt (FA) berücksichtigte bei den Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb auch die Forderungsverzichte der  Kreditinstitute in Höhe von ca. 620.000 € und setzte dementsprechend die Einkommensteuer fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Auch den Antrag auf „Erlass der Steuern für 2007 aus dem Sanierungsgewinn” lehnte das FA mit Begründung ab – dem Kläger stehe insbesondere mangels Sanierungseignung kein Billigkeitserlass nach dem Sanierungserlass zu. Die Klage zum Finanzgericht hatte keinen Erfolg. Im Revisionsverfahren, dem das BMF beigetreten ist, legte der X. Senat des BFH dem Großen Senat die Frage vor, ob der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt.

 

3. Entscheidung des Großen Senats

Nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH verstößt der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Die im sog. Sanierungserlass aufgestellten Voraussetzungen (die Sanierungsbedürftigkeit, die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung der jeweiligen Maßnahme und die Sanierungsabsicht der Gläubiger) für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen sollen nach Auffassung des Senats auf keinen Fall sachlicher Unbilligkeit i.S.d. §§ 163, 227 AO beschreiben. Sachliche Billigkeitsmaßnahme solle atypischen Ausnahmefällen vorbehalten bleiben und der Anpassung des steuerlichen Ergebnisses im Einzelfall dienen. Der Sanierungserlass, soweit er gleichwohl Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163 und 227 AO für Sanierungsgewinne anordne, enthalte nur typisierende Regelungen, welche die sachliche Unbilligkeit unter den dort beschriebenen Voraussetzungen ohne Rücksicht auf die Höhe des Sanierungsgewinns und der darauf entfallenden Steuer sowie ungeachtet einer zu befürchtenden Gefährdung der Unternehmenssanierung als gegeben unterstellen, ohne eine Einzelfallprüfung durchzuführen. Gerade die Voraussetzung, dass das Unternehmen fortgeführt wird (Nr. I.2. des BMF Sanierungserlasses) soll nach Auffassung des Senats deutlich zeigen, dass es nicht um steuerliche Unbilligkeit gehe, sondern um das wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ziel, die Sanierung eines wirtschaftlich notleidenden Unternehmens nicht zu erschweren und Arbeitsplätze zu erhalten. Ob es aber mit Blick auf wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ziele geboten sei, sich seitens des Fiskus daran zu beteiligen, Unternehmen vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen, sei keine Entscheidung, welche die Finanzverwaltung ohne gesetzliche Grundlage im Wege eines Erlasses treffen könnte. Diese politische Entscheidung obliege dem Gesetzgeber. Bis dahin sind die Finanzbehörden verpflichtet, die wegen Verwirklichung eines steuerrechtlichen Tatbestands entstandenen Steueransprüche festzusetzen und die Steuer zu erheben. Einen im Belieben der Finanzverwaltung stehenden, freien Verzicht auf Steuerforderungen gebe es nicht. Anderenfalls würde sie gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 S. 1 AO) und damit gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßen.

 

4. Praxisfolgen und Lösungsansätze

Aus der Entscheidung des Großen Senats folgt nicht, dass Billigkeitsmaßnahmen im Rahmen von Restrukturierungsverfahren in Zukunft generell unzulässig werden. Es ist auch nicht zu befürchten, dass zukünftig statt der Sanierung des gesamten Unternehmens dessen Zerschlagung gewählt werden muss, um negative steuerliche Folgen zu umgehen. Dem Bundesfinanzhof ging es auch nicht um den konkreten Inhalt der Regelung. Laut Beschluss des Großen Senats hat das Finanzministerium schlicht die Machtbefugnis der Verwaltung überschritten. Denn der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung besagt, dass die Finanzämter Gesetze umzusetzen haben – nicht aber selbst die Besteuerung ohne Gesetz selber vornehmen dürfen. Die Finanzverwaltung wird jedoch ab sofort verstärkt darauf achten, dass in jedem Einzelfall tatsächlich ein Billigkeitsgrund entweder im Sinne einer atypischen Ausnahme oder persönlicher Natur für das Absehen von der Besteuerung vorliegt. Für die Sanierung – insbesondere in Insolvenzplanverfahren – bedeutet das, dass sich der Insolvenzplanersteller nicht darauf verlassen darf, dass sich das Thema Steuerbegünstigung des Sanierungsgewinns aufgrund des Sanierungserlasses nach Abschluss des Insolvenzplanverfahrens im steuerlichen Erhebungsverfahren von selbst erledigen wird. Im Rahmen von Insolvenzplanverfahren sind – vor rechtskräftiger Planbestätigung – entsprechende verbindliche Auskünfte bei der Finanzverwaltung und der jeweils gewerbesteuerhebeberechtigten Gemeinde im Vorfeld einzuholen. Das dies bei guter Vorbereitung gelingt, zeigt unsere bisherige Praxis: Denn Städte und Gemeinden waren ohnehin noch nie an den Sanierungserlass gebunden und haben regelmäßig entsprechende Auskünfte erteilt.

 

Kontakt

Contact Person Picture

Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

Partner

+49 911 9193 3713

Anfrage senden

Profil

Wir beraten Sie gern!

Befehle des Menübands überspringen
Zum Hauptinhalt wechseln
Deutschland Weltweit Search Menu