Der Ausschluss des Streikrechts in kirchlichen Einrichtungen ist weiterhin möglich

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veröffentlicht am 8. Oktober 2015

 

BVerfG, 15.07.2015
   

Das BAG hatte mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 den Ausschluss des Streikrechts der Gewerkschaften in kirchlichen Einrichtungen dem Grunde nach für zulässig gehalten, im konkreten Fall aber für unwirksam erklärt. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde der vor dem BAG erfolgreichen Gewerkschaft war nun der Ausschluss des Streikrechts in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen durch kirchenrechtliche Arbeitsrechtsregelungen (sogenannter „Dritter Weg”). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wies mit der Entscheidung vom 15.07.2015 (AZ. 2 BvR 2292/13) die Verfassungsbeschwerde der Gewerkschaft als unzulässig ab und bestätigte damit letztlich die kirchliche Regelungsautonomie.

 

Der „Dritte Weg” beschreibt die Entwicklung eines eigenständigen kirchlichen Beteiligungsmodells, während beim „Ersten Weg” der Inhalt der Arbeitsverträge der Mitarbeiter einseitig durch den kirchlichen Gesetzgeber oder durch kirchliche Leitungsorgane gestaltet oder bei „Zweiten Weg” der Abschluss von Tarifverträgen zwischen Kirchen und Gewerkschaften angestrebt wird.
  
Das BAG hatte mit Urteil vom 20.11.2012 (AZ. 1 AZR 179/11) zum Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen (Dritter Weg) entschieden: Verfüge eine Religionsgesellschaft über ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsregelungsverfahren, bei dem die Dienstnehmerseite und die Dienstgeberseite in einer paritätisch besetzten Kommission die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gemeinsam aushandeln und einen Konflikt durch den neutralen Vorsitzenden einer Schlichtungskommission lösen (sog. Dritter Weg), dürften Gewerkschaften nicht zu einem Streik aufrufen. Das gelte jedoch nur, soweit Gewerkschaften in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden seien und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich sei.
 
Mit einer anderen Entscheidung vom selben Tag (AZ. 1 AZR 611/11) hatte das BAG zum „Zweiten Weg” geurteilt: Entscheide sich die Kirche, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ihrer Einrichtungen nur dann durch Tarifverträge auszugestalten, wenn eine Gewerkschaft zuvor eine absolute Friedenspflicht vereinbart und einem Schlichtungsabkommen zustimmt, seien Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifforderungen unzulässig.
   
Zu der ersten Entscheidung des BAG zum „Dritten Weg” hatte nunmehr das BVerfG Gelegenheit zur Stellungnahme. In dem Verfahren vor dem BAG hatte die Gewerkschaft jedoch obsiegt und die Revisionen der kirchlichen Einrichtungen hatte das BAG zurückgewiesen. Soweit sich die kirchlichen Einrichtungen auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berufen könnten, stehe es in ihrer freien Entscheidung, ihre kollektive Arbeitsrechtsordnung nicht durch Tarifverträge zu gestalten, sondern paritätisch besetzten und am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichteten Kommissionen zu überlassen ("Dritter Weg"). Die Ausrichtung der kollektiven Arbeitsrechtsordnung am Leitbild der Dienstgemeinschaft sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
 
Das Regelungsmodell der Kirchen dürfe – so das BAG - die Koalitionsfreiheit und das Konzept der Tarifautonomie jedoch nur insoweit verdrängen, wie es für die Wahrung ihres Leitbildes von der Dienstgemeinschaft erforderlich sei und das angestrebte Ziel eines fairen, sachgerechten und verbindlichen Interessenausgleichs tatsächlich und kohärenter Weise erreicht werde. Das setze voraus, dass das Verfahren des „Dritten Weges” geeignet sei, eine gleichgewichtige Konfliktlösung zu gewährleisten, sich die Gewerkschaften darin in verfassungskonformer Weise einbringen könnten und das Ergebnis der Verhandlungen einschließlich einer darauf gerichteten Schlichtung für die Arbeitsvertragsparteien verbindlich und einer einseitigen Abänderung durch den Dienstgeber entzogen sei. Diese Voraussetzung sah das BAG in den seinerzeit geltenden – zwischenzeitlich aber geänderten – Regelungen jedoch nicht als erfüllt an. Fehle es an einer verfassungskonformen Ausgestaltung des „Dritten Weges”, bestehe für einen weitergehenden Schutz religiöser Betätigungsfreiheit kein Raum. Aus diesem Grunde hatte die Gewerkschaft vor dem BAG obsiegt, jedoch das Ziel – die Zulassung des Streikrechts – nicht erreicht.
 
Das BVerfG hielt nun die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Die Gewerkschaft sei nicht in ihren durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten oder anderen Interessen gegenwärtig und unmittelbar beschwert und folglich nicht beschwerdebefugt. Die angefochtenen gerichtlichen Entscheidungen würden auf die Rechtsstellung der Gewerkschaft nicht aktuell sondern allenfalls potentiell einwirken. Nach deutschem Recht gibt es grundsätzlich keine Präjudizienbindung.
  
Jedes Gesetz und jeder von einem Gericht entwickelte Rechtssatz, der einem Beteiligten Handlungsoptionen eröffnet, könne – so das BVerfG - für andere Beteiligte, namentlich den Verpflichteten, mit Ungewissheiten und Unsicherheiten verbunden sein. Dies führe jedoch nicht dazu, dagegen Verfassungsbeschwerde erheben zu können, noch bevor fachgerichtlich entschieden ist, ob ordnungsgemäß von den Rechten Gebrauch gemacht wurde. Etwaige Rechtsunsicherheiten auf Seiten der Gewerkschaft seien vergleichbar mit denen, die sich - spiegelbildlich - auf Seiten der Kirchen und ihrer karitativen und diakonischen Einrichtungen hinsichtlich der Frage ergeben, ob die Änderungen der Kirchengesetze und Satzungen den vom Bundesarbeitsgericht formulierten Anforderungen entsprechen.
 
Wie die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts in der konkreten praktischen Gestaltung des „Dritten Weges” umzusetzen sind oder umgesetzt werden, ist aus Sicht des BVerfG nicht im Detail vorhersehbar. Die vom Bundesarbeitsgericht beschriebenen Anforderungen wurden nicht in Gestalt subsumierbarer Normen formuliert. Insbesondere hinsichtlich der organisatorischen Einbindung der Gewerkschaften würden den Kirchen keine detaillierten Vorgaben gemacht. Das Bundesarbeitsgericht habe in der angegriffenen Entscheidung vielmehr ausdrücklich betont, die organisatorische Einbindung der Gewerkschaften sei Sache der Kirchen, und in diesem Zusammenhang auf den ihnen dabei zustehenden Gestaltungsspielraum hingewiesen. Es stehe den Kirchen frei, im Rahmen des ihnen zukommenden Selbstbestimmungsrechts kirchliches Recht eigenständig zu gestalten.
 
Das Streikrecht werde in der angefochtenen Entscheidung gerade nicht in Abrede gestellt. Der Erlass kirchenrechtlicher Gesetze und Satzungen sei originäre Aufgabe der Kirchen selbst. Eine Mitwirkung daran könne die Gewerkschaft von Verfassungs wegen nicht verlangen.
 
Sollten die Fachgerichte bei Anwendung der vom Bundesarbeitsgericht formulierten Anforderungen an den „Dritten Weg” auf das modifizierte kirchliche Arbeitsrecht zu dem Ergebnis gelangen, dass dieses den aufgestellten Anforderungen zwischenzeitlich gerecht würde, und wäre die Gewerkschaft dadurch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen, bliebe es ihr unbenommen, den sie beschwerenden Sachverhalt dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen.

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