Irrungen und Wirrungen bei der Besteuerung des „betreuten Wohnens” - Steuerfreiheit an der Grenze?

PrintMailRate-it
​​​​​​​​veröffentlicht am 3. Februar 2015

Das sog. „betreute Wohnen” wird von den verschiedensten Trägern angeboten und ist längst nicht mehr den gemeinnützigen Verbänden und Organisationen vorbehalten. In der Folge zerfällt die in der Vergangenheit recht weitreichende steuerliche Begünstigung dieser Leistungen, sodass zwischenzeitlich das Angebot in seinen einzelnen Leistungselementen (z.B. Vermietung, Hauswirtschaft, Beratung, Pflege) einzeln betrachtet werden muss und auch kein Gleichlauf in der Umsatzsteuer und der Ertragsteuer gegeben ist. Während in der Umsatzsteuer außerhalb von Vermietung und Pflege der Trend zur Steuerpflicht geht, zeigt die Rechtsprechung neue Wege dort auf, wo die Leistungen von verschiedenen Anbietern – etwa einem Vermieter und einer Wohlfahrtsorganisation – erbracht werden.


Sog. „betreutes Wohnen” wird von den unterschiedlichsten Unternehmen angeboten. Darunter befinden sich private Träger wie etwa Immobilienunternehmen, Wohlfahrtsverbände oder auch andere gemeinnützige Organisationen und auch Kommunen.

 

Leistungsbündel

 
Beim „betreuten Wohnen” handelt es sich um keine fest definierte soziale Leistung. Im Allgemeinen wird im Rahmen des „betreuten Wohnens” Senioren, die keine Pflegestufe im Sinne des SGB XI haben, seniorengerecht ausgestatteter Wohnraum zur Verfügung gestellt. Zudem werden altersgerechte Zusatzleistungen vereinbart, die entweder in einer monatlich zu zahlenden Vergütung enthalten sind (sog. Grundleistungen) oder gesondert vergütet werden (Zusatzleistungen). Die Grundleistungen umfassen in der Regel einen Hausnotruf, Beratung und Hilfe etwa bei Behördengängen oder im medizinischen Bereich und gewisse Freizeit- und Beschäftigungsangebote bzw. deren Vermittlung, insbesondere auch in Gemeinschaftsräumen. Zusatzleistungen sind z.B. Hilfen im Haushalt, Freizeitangebote, Verpflegung, medizinische Pflege, Wäsche, Hausmeisterdienste o.ä.
 

Umsatzsteuerbefreiung für Wohlfahrtsverbände auf dem Prüfstand

 

Bisher auf der sicheren Seite wähnen sich Wohlfahrtsverbände und ihnen angeschlossene Unternehmer. Sie kommen in den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 18 UStG. Danach sind Leistungen dieser Unternehmer steuerfrei, wenn sie unmittelbar dem begünstigten Personenkreis zugutekommen und das Entgelt hinter den Entgelten der Konkurrenz zurückbleibt. Diese Bestimmung ist relativ weit gefasst und deckt in der Umsatzsteuer ganz weitgehend das Leistungsspektrum im „betreuten Wohnen” ab.
 
Doch diese Bestimmung wird nicht langfristig in der derzeit geltenden Form erhalten bleiben. Zu oft hat der BFH sie in Teilen als europarechtswidrig angesehen. Bereits im Gesetzgebungsverfahren zum Jahressteuergesetz 2013 im Jahr 2012 sollte die Befreiung davon abhängig gemacht werden, ob sich die Träger ganz oder überwiegend aus öffentlichen Mitteln oder aus Zuwendungen finanzierten. Dieses Vorhaben war nach heftiger Kritik fallen gelassen worden.
 
Nunmehr hat das Bundesfinanzministerium dieses Vorhaben wieder aufgenommen und einen Entwurf einer Neufassung vorgelegt, in der in enger Anlehnung an die Bestimmungen des europäischen Rechts nunmehr eng mit der Sozialfürsorge verbundene Leistungen bestimmter Einrichtungen freigestellt werden. Abgestellt werden soll nunmehr auf die Gewinnerzielungsabsicht und die Gewinnverwendung. Enthalten ist zudem eine Subsidiaritätsklausel, sodass die Befreiung für solche Leistungen entfällt, die unter andere Befreiungen fallen. Im ungünstigsten Fall entfällt damit auch die Befreiung im Rahmen des „betreuten Wohnens”, wie sie für andere Unternehmer bereits 2009 weggefallen ist. Die weitere Entwicklung bleibt hier abzuwarten.
 

Keine generelle Umsatzsteuerbefreiung für andere Unternehmer

 
Für Unternehmer, die nicht einem Wohlfahrtsverband angeschlossen sind, hat sich die Besteuerung dieser Leistungen in der Umsatzsteuer bereits 2009 geändert. Nach der bis 2008 geltenden Regelung waren ausdrücklich auch die Leistungen von Altenwohnheimen von der Umsatzsteuer befreit, worunter man je nach Ausprägung auch die Formen des „betreuten Wohnens” rechnen konnte. Der Begriff des „Altenwohnheims” ist in der Neuregelung ab 2009 nicht mehr enthalten. Daher sind Leistungen von Altenwohnheimen nur dann von der Umsatzsteuer befreit, wenn und soweit es sich um Leistungen handelt, die „mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbunden” sind. Eine generelle Befreiung von der Umsatzsteuer gibt es seither nicht mehr. Verträge über die Aufnahme in ein Altenwohnheim sind damit als gemischte Verträge in die verschiedenen Bestandteile aufzuteilen. Nur die Leistungen der Betreuung und Pflege sind nach § 4 Nr. 16 UStG steuerfrei, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen. Die Vermietungsleistungen werden regelmäßig nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei sein. Weitere Leistungselemente dürften aber steuerpflichtig sein.
 

Pflegeleistungen in der Umsatzsteuer

 
Nur die Leistungen der Betreuung und Pflege sind also nach
§ 4 Nr. 16 UStG steuerfrei, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen. Hier aber zeigt sich die Problematik, denn § 4 Nr. 16 UStG setzt voraus, dass die Bewohner hilfsbedürftig sind. Die Finanzverwaltung versteht darunter „alle Personen, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands der Betreuung oder Pflege bedürfen. Der Betreuung oder Pflege bedürfen Personen, die krank, behindert oder von einer Behinderung bedroht sind.” Leistungen an nicht hilfsbedürftige Personen toleriert die Finanzverwaltung nur in Ausnahmefällen und in ganz geringem Umfang. Die Hilfsbedürftigkeit muss für jede betreute oder gepflegte Person beleg- und buchmäßig nachgewiesen werden. Hier werden die Träger im Rahmen des „betreuten Wohnens” regelmäßig auch deshalb an ihre Grenzen stoßen, weil die Bewohner noch weitgehend selbstständig und unabhängig leben und wirtschaften. Besonders misslich ist, dass die Finanzverwaltung nach unserer Erfahrung bei Personen, die das 75. Lebensjahr vollendet haben, die körperliche Hilfsbedürftigkeit in diesem Bereich – anders als im Rahmen der Gemeinnützigkeit – nicht ohne weitere Nachprüfung annimmt. Hingegen legt die Rechtsprechung ohne weiteres in diesen Fällen die Hilfsbedürftigkeit zugrunde. Die Finanzverwaltung gewährt daher in der Regel nur den verminderten Steuersatz von 7 Prozent.
 
Allerdings berücksichtigt diese Auffassung nicht das europäische Recht. Nach Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSysRL haben die Mitgliedstaaten bestimmte Umsätze von der Steuer zu befreien, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind. Auf diese Bestimmung der MwStSysRL können sich Steuerpflichtige in dem vorliegenden Zusammenhang – auch wenn dies von der Finanzverwaltung noch nicht akzeptiert wird – berufen. In den uns bekannten Fällen wird von der Finanzverwaltung eingewandt, durch die Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG sei bereits das europäische Recht in nationales Recht umgesetzt worden, was den Rückgriff auf die MwStSysRL hindere. Allerdings war es nicht das Ziel des Gesetzgebers, mit der Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG diesen dem EU-Recht anzupassen. Der Regierungsentwurf hatte die bis 2008 geltenden Regelungen für den Pflegebereich weitgehend unangetastet gelassen. Die Begründung, die für die gleichzeitig erfolgte Neufassung der ärztlichen und klinischen Leistungen in § 4 Nr. 14 UStG herangezogen wurde, nämlich die nationalen Befreiungsvorschriften im Lichte der Entwicklung im Bereich des Gesundheitswesens und der dazu ergangenen Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit weiterzuentwickeln, kann daher für die Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG nicht herangezogen werden. Der Regierungsentwurf begründet die Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG deshalb lediglich mit dem Hinweis auf erforderliche Folgeänderungen, die sich aus der Neufassung des § 4 Nr. 14 UStG ergeben, nicht mit Bezug auf EU-Recht.
 
Die Berufung auf das EU-Recht kann den Trägern u.E. auch deshalb nicht verwehrt werden, weil auch die Rechtsprechung zur Umsatzsteuerbefreiung der Wohlfahrtsverbände mit herangezogen werden muss. Zu § 4 Nr. 18 UStG hat die Rechtsprechung ein Umsetzungsdefizit festgestellt. Hierzu hat der BFH entschieden, dass ein nicht zu einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege i.S. von § 23 UStDV gehörender Verein sich für die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung für einen Haus-Notruf-Dienst unmittelbar auf die gegenüber § 4 Nr. 18 UStG günstigere europäische Regelung berufen kann. Hinzu kommt, dass Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSysRL ausdrücklich „Altenheime” von der Umsatzsteuer befreit, während diese Einrichtungen durch § 4 Nr. 16 UStG – wie das „betreute Wohnen” zeigt – nicht voll umfänglich erfasst sind.
 

Gemeinnützigkeitsrechtliche Aspekte

 
In der Einkommens- und Körperschaftsteuer stellt sich für gemeinnützige Unternehmer die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang die Leistungen des „betreuten Wohnens” steuerfrei sind.
 
Die (Dauer-)Vermietung von Wohnungen – auch, wenn sie eine altengerechte Ausgestaltung aufweisen – ist als vermögensverwaltende Tätigkeit einzustufen und daher steuerfrei (§§ 14, 64 AO).
 

Gemeinnützige Wohlfahrtspflege

 
Mit den Zusatzleistungen kann eine steuerbegünstigte Körperschaft einen Zweckbetrieb im Sinne des § 66 AO begründen, wenn die Leistungen darauf abzielen, Abhilfe oder Milderung der altersbedingten Einschränkungen zu erreichen. Auch wenn diese Vorschrift für „Einrichtungen der Wohlfahrtspflege” gilt, so ist – anders als in der Umsatzsteuer – die Mitgliedschaft in einem Wohlfahrtsverband nicht erforderlich.
 

„Betreutes Wohnen” kontra „Altenwohnheim”

 
Hingegen kommt die besondere Zweckbetriebseigenschaft für Altenwohnheime aufgrund des § 68 Nr. 1 lit. a AO auch hier, jedenfalls nach Auffassung der Finanzbehörden, dann nicht zur Anwendung, wenn das Angebot nicht mehr unter das Heimrecht fällt. Nach § 68 Nr. 1 lit. a AO sind Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime, Erholungsheime, Mahlzeitendienste Zweckbetriebe, wenn sie in besonderem Maße den in § 53  genannten Personen dienen (§ 66 Abs. 3). Die Annahme eines Zweckbetriebes scheidet bei „betreutem Wohnen” regelmäßig aus, weil § 68 Nr. 1 lit a AO – jedenfalls nach Ansicht der Finanzverwaltung – nur für Einrichtungen gilt, die den heimrechtlichen Vorschriften unterliegen. Der Begriff des „Heims” in § 68 Nr. 1 lit. a AO UStG hat nach Auffassung der Finanzbehörden keinen spezifisch steuerlichen Bedeutungsinhalt. Er stimme mit dem Begriff „Heim” im Sinne des HeimG überein und sei entsprechend auszulegen. Insoweit ist an die Stelle des HeimG das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) getreten. Dieses findet aber keine Anwendung, wenn neben der Überlassung von Wohnraum ausschließlich die Erbringung von allgemeinen Unterstützungsleistungen wie die Vermittlung von Pflege- oder Betreuungsleistungen, Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung oder Notrufdienste Vertragsgegenstand sind.
 

Vertragsschluss mit dem Vermieter?

 
Ein tragender Grundsatz der Gemeinnützigkeit ist es, dass eine gemeinnützige Organisation ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke, selbst oder mittels Hilfspersonen verwirklichen muss. Macht es daher einen Unterschied, ob die Grund- und Zusatzleistungen des „betreuten Wohnens” mit dem Vermieter der Bewohner oder mit den Bewohnern selbst vereinbart sind?
 
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) kann dies durchaus der Fall sein. Die Antwort fällt aber in zwei Bereichen unterschiedlich aus. Mit den beiden Bereichen sind die Ertragsteuer (Körperschaftsteuer) und die Umsatzsteuer gemeint. Der BFH hatte zwei Mal Gelegenheit zu folgendem Fall Stellung zu nehmen: Ein Verein hatte sich gegenüber dem Vermieter einer Wohnanlage für „betreutes Wohnen” verpflichtet. Der Vermieter schloss mit Senioren Mietverträge ab, bei denen neben der Vermietung der Wohnung die Erbringung bestimmter Leistungen zugesichert wurde. Der Verein verpflichtete sich gegenüber dem Vermieter – nicht unmittelbar gegenüber den Bewohnern selbst – gegen eine monatliche Pauschale, Betreuungs-, Service- und Pflegeleistungen für die Bewohner im eigenen Namen und auf eigene Rechnung fachgerecht zu erbringen.
 
Für den Bereich der Umsatzsteuer hatte der BFH nun 2011 die Leistungen des Vereins für steuerfrei gehalten. Es komme nach EU-Recht nicht auf Vertragsbeziehung zu den Bewohnern, sondern u.a. auf die (zumindest mögliche) Übernahme der Kosten durch Krankenkassen oder ähnliche Einrichtungen an.
 
Für den Bereich der Ertragsteuer hatte der BFH bereits 2009 denselben Fall zu entscheiden. Dort kam er aber zur Steuerpflicht. Der Verein sei nur Erfüllungsgehilfe gewesen. Er habe den steuerpflichtigen Vermieter unterstützt, der seinerseits die Leistungen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Betätigung nutzte. Aus Sicht des Vereins fehlte es also an der Unmittelbarkeit. Wer Vertragspartner der gemeinnützigen Organisationen ist, war in der Umsatzsteuer insoweit also ohne Belang, in der Ertragsteuer jedoch entscheidend. Von diesen Grundsätzen ist der BFH zunächst 2013 abgewichen und hat nunmehr in seinem Urteil vom 27. November 2013 ausdrücklich seine Rechtsprechung geändert. In dem Urteil hatte sich eine GmbH gegenüber einem Landkreis durch Durchführung des Rettungsdienstes verpflichtet. Der BFH ließ es für die Steuerbefreiung anders als bisher ausreichen, dass die gemeinnützige GmbH nicht nur Dienstleistungen gegenüber dem Landkreis erbrachte, sondern faktisch unmittelbare Hilfeleistungen gegenüber den Hilfsbedürftigen. Allerdings baut der BFH andere Hürden auf, in dem er verlangt, es dürfe keine Gewinnerzielungsabsicht vorliegen.
 
Die Entscheidung, ob eine steuerfreie oder eine steuerpflichtige Tätigkeit vorliegt, hat weitreichende Auswirkungen. Entpuppt sich eine vermeintlich gemeinnützige Tätigkeit als steuerpflichtig, so kann dies die Gemeinnützigkeit der Organisation gefährden. Es bleibt daher sorgfältig zu beobachten, wie sich die Dinge im Falle des „betreuten Wohnens” weiter entwickeln.​

​​​​
Autoren: Dr. Mathias Lorenz​ und  Anka Neudert

Kontakt

Contact Person Picture

Dr. Mathias Lorenz, M.I.Tax

Diplom-Kaufmann, Steuerberater, Zertifizierter Berater für Gemeinnützigkeit

Partner

+49 911 9193 3687

Anfrage senden

Profil

Befehle des Menübands überspringen
Zum Hauptinhalt wechseln
Deutschland Weltweit Search Menu