Bundesverfassungsgericht erklärt Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig

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​veröffentlicht am 10. Mai 2021

 

Mit seinem am 29.04.2021 veröffentlichten Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts das Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Bereits eine Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat die Bundesregierung eine deutliche Verschärfung der Klimaziele angekündigt. Wie sich die aktuellen Entwicklungen auf die Planungssicherheit von Unternehmen auswirken werden, bleibt abzuwarten. Eines steht jetzt bereits fest: die aktuellen Maßnahmen genügen den Verfassungsrichtern zufolge nicht, um die Klimaziele zu erreichen. Es ist daher mit deutlichen Verschärfungen beispielsweise auch im Bereich der CO2-Bepreisung zu rechnen. Steigende Energiekosten, die unklare Entwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen und die damit einhergehende Planungsunsicherheit stellen Unternehmen vor enorme Herausforderungen.

 

Zielsetzungen des Klimaschutzgesetzes

Die Karlsruher Richter haben das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) vom 12. Dezember 2019 für teilweise verfassungswidrig erklärt und bestätigt, dass die Beschwerdeführenden rund um Fridays for Future und die Umweltorganisation BUND in ihren Grundrechten verletzt würden, da durch die Regelungen des Gesetztes hohe Emissionsminderungslasten auf Kosten der jungen Generation auf spätere Zeiträume nach dem Jahr 2030 verschoben würden.

 

Das KSG bezweckt gemäß § 1 die Erfüllung der nationalen und europäischen Klimaschutzziele zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels. Um die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 um mindestens 55 Prozent zu mindern, hatte der Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 S. 3 KSG i.V.m. der Anlage 2 konkrete Jahresemissionsmengen für verschiedene Sektoren geregelt. Für den Zeitraum nach dem Jahr 2030 waren bislang keine Regelungen im KSG vorgesehen. Stattdessen sollte die Bundesregierung im Jahr 2025 für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030 jährlich absinkende Emissionsmengen durch Rechtsverordnung festlegen. Bis zum Jahr 2050 sollte eigentlich gar kein CO2 mehr ausgestoßen werden.

 

Die Beschwerdeführenden hatten im Wesentlichen beanstandet, mit dem KSG seien keine hinreichenden Regelungen zur erforderlichen Reduktion der Treibhausgasemissionen geschaffen worden. Bei einem Temperaturanstieg von mehr als 1,5 °C stünden Gesundheit und Leben von Millionen Menschen auf dem Spiel und es sei mit unabsehbaren Folgen für das Klimasystem zu rechnen. Im Übrigen beriefen sich die Beschwerdeführenden im Hinblick auf die künftige Belastung durch deutlich verschärfte Emissionsminderungspflichten für die Zeiträume nach 2030 auf ihre Freiheitsrechte.

 

 

Klimaschutz und die Freiheit künftiger Generationen

Das Bundesverfassungsgericht sieht in den Regelungen des KSG keine Verletzung der Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG. Dem Gesetzgeber komme bei der Ausgestaltung des zu verfolgenden Schutzkonzeptes ein Entscheidungsspielraum zu, der vorliegend nicht überschritten worden sei. Insbesondere sei dem Klimaschutzgesetz das „Paris-Ziel” zugrunde gelegt worden, wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C zu begrenzen sei. Im Übrigen sehe das KSG zum Schutz der Grundrechte vor den Gefahren des Klimawandels die Möglichkeit von Anpassungsmaßnahmen vor.

 

Allerdings sehen die Karlsruher Richter die Freiheitsrechte der Beschwerdeführenden dadurch verletzt, dass aufgrund der bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen die nach dem Jahr 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduziert würden. Die Regelungen des KSG entfalteten demnach eingriffsähnliche Vorwirkung auf den künftigen verfassungsrechtlich geschützten, jedoch CO2-relevanten Freiheitsgebrauch der Beschwerdeführenden, da durch die Verlagerung der Treibhausgasminderungslasten auf einen Zeitraum nach dem Jahr 2030 zukünftig mit zunehmend gravierenderen, auch verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen und Eingriffen zu rechnen sei. Der Gesetzgeber habe es versäumt, Vorkehrungen für einen möglichst freiheitsschonenden Übergang in die Klimaneutralität zu treffen.

 

Ein zu weitreichender Verbrauch des CO2-Budgets bis zum Jahr 2030 verschärfe somit das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen in der Zukunft, da der zeitliche Vorlauf für die erforderlichen technischen und sozialen Entwicklungen zur Umstellung auf die vollständige Klimaneutralität nicht mehr freiheitsschonend vollzogen werden könne.

 

Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet, bis spätestens Ende 2022 die Fortschreibung der Minderungsziele für die Zeiträume ab dem Jahr 2030 zu regeln. Aktuell sieht § 4 Abs. 6 S. 1 KSG vor, dass die Bundesregierung lediglich einmalig im Jahr 2025 dazu verpflichtet sein soll,  durch Rechtsverordnung für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030 jährlich absinkende Emissionsmengen festzulegen.

 

Die Karlsruher Richter halten diese Regelung nicht für ausreichend. Vielmehr müsse der Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür schaffen, dass bereits vor dem Jahr 2025 erste weitere Festlegungen getroffen oder zumindest rechtzeitig Festlegungen mit entsprechender Reichweite für die Zukunft getroffen werden könnten, sodass ein effektiver Reduktionspfad bereits frühzeitig erkennbar sei.

 

Welche Verschärfungen sind zu erwarten?

Die Bundesregierung hat bereits wenige Tage nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagiert und eine Verschärfung des Klimaschutzgesetzes angekündigt. Bis 2030 sollen nun 65 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als noch im Jahr 1990. Bereits bis 2040 soll eine Reduktion um 88 Prozent erreicht werden. Schließlich soll Deutschland statt im Jahr 2050 bereits 2045 klimaneutral sein.

 

Es bleibt abzuwarten, welche konkreten Maßnahmen zur Erreichung der deutlich ambitionierteren Ziele ergriffen werden sollen und inwieweit sie sich die Verschärfung der Klimaziele auf aktuelle Regelungen wie das EEG 2021, das BEHG und die CO2-Bepreisung auswirken wird.

 

Bund und Länder hatten sich im Dezember 2019 mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz auf einen CO2-Preis ab Januar 2021 von zunächst 25 Euro pro Tonne geeinigt. Danach soll der Preis schrittweise auf bis zu 55 Euro im Jahr 2025 ansteigen und ab 2026 soll ein Preiskorridor von mindestens 55 und höchstens 65 Euro gelten. Ob die Bundesregierung angesichts der jüngsten Entscheidung aus Karlsruhe hieran festhält, ist noch unklar.

 

Der Thinktank Agora Energiewende hat bereits am Montag nach der Bekanntgabe der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung Empfehlungen zur Verschärfung des Klimaschutzgesetzes ausgesprochen. Demzufolge könne etwa ein Automatismus eingeführt werden, wonach der CO2-Preis in den Sektoren Verkehr und Gebäude zum jeweils nächsten Jahreswechsel um 15 Euro steige, wenn die sektoralen Jahresemissionsmengen überschritten würden. Eine automatische Preis-Erhöhung bei Zielverfehlung könne im Übrigen durch gleichermaßen geeignete Maßnahmen abgewendet werden. Wie das Handelsblatt berichtet, empfiehlt Patrick Graichen von der Agora Energiewende gar einen schrittweisen Anstieg des CO2-Preises auf 100 Euro.

 

Im Übrigen fordert die Agora Energiewende einen früheren Ausstieg  aus der Kohle bereits im Jahr 2030 und empfiehlt, die laufende EEG-Novelle zu nutzen, um ehrgeizige Ausbauziele für Windräder und Photovoltaikanlagen festzuschreiben.

 

Die Hürden für den Ausbau der Windenergie sind in den vergangenen Jahren nicht geringer geworden. Nicht nur in Bayern gelten erschwerte Bedingungen für Anlagenbetreiber. Erst im August 2020 trat mit dem neuen § 249 Abs. 3 BauGB  die umstrittene Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch in Kraft, wonach durch Landesgesetze feste Mindestabstände zwischen Wohnbebauung und Windenergieanlagen festgelegt werden können. NRW möchte nun von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und hat im Dezember 2020 einen entsprechenden Kabinettsbeschluss gefasst. Demnach soll das BauGB-Ausführungsgesetz NRW (BauGB-AG) um einen „§ 2 - Mindestabstand für privilegierte Windenergieanlagen" ergänzt werden.

 

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